Der Fall

Der Arbeitnehmer war seit dem 11.2.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 29.3.2018 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, der Auftrag sei gekündigt worden. Die Kündigungsschutzklage wurde durch einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht erledigt.

Der Arbeitnehmer macht sodann im April 2018 gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen einer Diskriminierung auf Grund seiner Schwerbehinderung geltend. Er begründet den Anspruch damit, dass der Arbeitgeber ihm in Kenntnis seiner offenkundigen Schwerbehinderung, ohne Zustimmung des Integrationsamtes, gekündigt habe.

Der Arbeitnehmer erlitt am 11.2.2018 einen Schlaganfall und befand sich mit einer halbseitigen Lähmung auf der Intensivstation. Auf seinen Antrag vom 17.10.2018 wurde er als schwerbehinderter Mensch, mit einem Grad der Behinderung von 50, befristet anerkannt.

Die Entscheidung (BAG, Urteil v. 2.6.2022, 8 AZR 191/21)

Das BAG hat die Klage abgewiesen. Allerdings hat es anerkannt, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes die Vermutung nach § 22 AGG begründen kann, dass der Schwerbehinderte wegen seiner Behinderung diskriminiert wurde.

Da der Arbeitnehmerzum Zeitpunkt der Kündigung jedoch noch nicht als schwerbehinderter Mensch anerkannt war und auch noch keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte, wäre die Zustimmung des Integrationsamtes nur erforderlich gewesen, wenn seine Schwerbehinderung offenkundig gewesen sei. Das war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es fehlt bereits an einem Beweisantritt des Arbeitnehmers dafür, dass er zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch halbseitig gelähmt gewesen ist.

Auch der Umstand, dass der Beklagte mit dem Kläger kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) versucht hat, begründet nicht die Vermutung einer beabsichtigten Benachteiligung. Bei § 167 Abs. 2 SGB IX handelt es sich nicht um eine Vorschrift, die die Vermutung begründen könnte, dass eine Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung erfolgte. § 167 Abs. 2 SGB IX bestimmt keine Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen, die Bestimmung findet vielmehr ausdrücklich auf alle "Beschäftigte" Anwendung und somit auf alle Beschäftigten unabhängig von dem Vorliegen einer (Schwer)Behinderung.

Bedeutung für die Praxis

Der offizielle Leitsatz der Entscheidung lautet: "Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung die nach § 168 SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt, kann dieser Umstand die Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch durch die Kündigung erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte." Damit ist eigentlich alles gesagt. Abgesehen davon, dass eine Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes per se unwirksam ist, zieht sie auch noch Entschädigungsansprüche nach dem AGG nach sich. Von einem solchen Vorgehen ist also dringend abzuraten. Zur Klarstellung: Voraussetzung ist immer, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin, sei es aufgrund einer Anerkennung oder sei es, weil sie offenkundig ist, bekannt ist.

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