Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme der Arbeitslosengeldbewilligung für die Vergangenheit. Aufnahme einer nicht geringfügigen Beschäftigung und einer sich anschließenden Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe. Verletzung der Sorgfaltspflicht. Überprüfung des Erhalts eines Merkblattes für Arbeitslose. Vertrauensschutz. neuer Versicherungsfall. Überschneidung des Bewilligungszeitraumes. Arbeitslosmeldung. Erneute persönliche Vorsprache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung bei gleichzeitiger Vollzeitbeschäftigung beruht idR auch dann auf grober Fahrlässigkeit nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X, wenn der Arbeitslose den Empfang des "Merkblattes für Arbeitslose" durch Unterschrift bestätigt, ohne den Erhalt desselben zu überprüfen und sich dieses ggf. nachreichen zu lassen oder im Internet abzurufen.

2. Die Vertrauensschutzwirkung eines Bewilligungsbescheides kann sich nur auf Leistungen erstrecken, denen derselbe Versicherungsfall zugrunde liegt, auch wenn sich der Bewilligungszeitraum aufgrund eines neuen Versicherungsfalls mit dem Bewilligungszeitraum aufgrund des vorausgegangenen Versicherungsfalls überschneidet.

 

Normenkette

SGB III §§ 137, 138 Abs. 1 Nr. 1, § 141 Abs. 2 Nr. 2, § 330 Abs. 2; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, § 50 Abs. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 2015 aufgehoben, soweit es den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 aufgehoben hat.

Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung und Erstattung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB Ill), für die Zeit vom 17. Juli bis 20. September 2012 wegen der Aufnahme einer nicht-geringfügigen Beschäftigung und einer sich anschließenden Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe.

Der im Jahr 1991 geborene Kläger ist ausgebildeter Koch. Mit Bescheid vom 26. Juni 2012 hatte ihm die Beklagte vom 8. Juni 2012 bis 30. Mai 2013 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 26,89 € bewilligt (Bl. 34 Gerichtsakte - GA). In dem zugrundeliegenden Antragsformular vom 30. Mai 2012 hatte er durch seine Unterschrift bestätigt, das sog. "Merkblatt 1 für Arbeitslose" der Beklagten erhalten zu haben, wie er selbst einräumt (Bl. 55 GA).

Anfang Juni 2012 stellte er sich bei der Fa. "C. GmbH" vor, die damals Köche als neue Mitarbeiter suchte. Es wurde zunächst ein Probearbeiten vereinbart. Am 15. Juni 2012 begann der Kläger dort in der Küche zu arbeiten. Eine schriftliche Vereinbarung war zwischen den Beteiligten nicht getroffen worden. Die Tätigkeit dauerte jedoch nur bis zum 28. Juni 2012 an. Der Kläger teilte dem Küchenchef zu diesem Zeitpunkt mit, dass er sich in dem Unternehmen nicht wohlfühle und daher nicht weiter dort arbeiten wolle. Daraufhin war die Tätigkeit beendet. Laut Lohn-/Gehaltsabrechnung vom 11. Juli 2012 zahlte die Fa. "C. GmbH" dem Kläger für seine beendete Tätigkeit einen Betrag i.H.v. 755,00 € brutto aus.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 17. Juli 2012 teilte der Kläger dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten mit, dass seine Tätigkeit bei der Fa. C. beendet sei. Daraufhin forderte dieser das Unternehmen zur Übersendung einer Arbeitsbescheinigung auf, die schließlich erst im November 2012 vorgelegt wurde (Bl. 13 bis 16 Leistungsakte - LA). Darin heißt es, der Kläger sei dort im Zeitraum 15. bis 28. Juni als Koch tätig gewesen. Vereinbarte Arbeitszeit seien 40 Std/Woche gewesen. Er habe für die Tage seiner Tätigkeit ein Bruttoentgelt von 755 € erhalten. Der Kläger habe selbst gekündigt. Ab 27. September 2012 nahm der Kläger erneut eine Beschäftigung auf, weshalb die Beklagte mit unangefochten gebliebenem Bescheid vom 17. Oktober 2012 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 27. September 2012 aufhob.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2013 stellte die Beklagte außerdem eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe für den Zeitraum 29. Juni bis 20. September 2012 fest (Bl. 26 LA). Der Bescheid ist - nach Durchführung von Vor-, Klage- und Berufungsverfahren - mittlerweile bestandskräftig (Az. S 21 AL 82/13 bzw. L 7 AL 71/14).

Mit weiterem Bescheid vom 3. Januar 2013 bewilligte sie erneut Arbeitslosengeld mit Anspruchsbeginn am 17. Juli 2012, das sie unter Berücksichtigung der zwölfwöchigen Sperrzeit erst vom 21. bis 26. September 2012 mit einem täglichen Leistungsbetrag von 26,89 € und davor 0,00 € festsetzte (Bl. 35 LA).

Daneben erließ die Beklagte am 3. Januar 2013 einen "Rücknahme- und Erstattungsbescheid", mit dem sie die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 15. Juni bis 20. September 2012 zurücknahm und für die erbrachten Leistungen einschließlich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 166,72 € eine Erstattungsforderung i.H.v. insgesamt 2.748,16 € festsetzte (Bl. 29 LA). Der Kläger habe die Aufna...

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