Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs. Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag unter Zahlung einer Entlassungsentschädigung. Nichteinhaltung der Kündigungsfrist. unwiderlegbare Vermutung der Entschädigung für Arbeitsentgeltausfall. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entlassungsentschädigung erhalten und ist das Arbeitsverhältnis wegen der Nichteinhaltung der ordentliche Kündigungsfrist vorzeitig beendet worden, gilt nach § 158 SGB 3 die unwiderlegbare Vermutung, dass die Abfindung in bestimmtem Umfang eine Entschädigung für Lohnausfall enthält.

2. Die Ruhensvorschrift des § 158 SGB 3 ist nicht verfassungswidrig.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.09.2021; Aktenzeichen B 11 AL 42/21 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen einer erhaltenen Abfindung.

Die 1968 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie war vom 1. Juni 2008 bis 31. Dezember 2018 als Anzeigenverkaufsleiterin in Vollzeit bei der C. GmbH & Co. KG (= Arbeitgeberin), bei der zuletzt lediglich noch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt waren, am Standort E-Stadt beschäftigt. Vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018 wurde beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 64.997,96 € erzielt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines am 11. November 2018 geschlossenen Aufhebungsvertrages. Grund hierfür war der Wegfall sämtlicher Arbeitsplätze der Arbeitgeberin am Standort E-Stadt nach gesellschaftlicher Anwachsung der Arbeitgeberin an die F. GmbH G-Stadt zum 31. Dezember 2018. Eine Beschäftigung der Klägerin ab 1. Januar 2019 in G-Stadt war der Klägerin nach eigenen Angaben nicht zumutbar/möglich. Die Klägerin erhielt zum 31. Dezember 2018 einen Betrag i.H.v. 27.000,- € brutto, der nach § 4 als „Einmalzahlung zur beruflichen Neuorientierung“ benannt wurde. Nach § 5 bestand Einigkeit, dass der Klägerin aufgrund der Anwachsung aufgrund eines Sozialplans keine Abfindung zustehe. Vor Abschluss des Aufhebungsvertrages hatte die Beklagte auf Anfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 (Bl. 1 f. der Verwaltungsakte der Beklagten, künftig: VA) mitgeteilt, dass nach Sichtung der Unterlagen in diesem Fall keine Sperrzeit eintrete (Bl. 14 VA).

Die Klägerin meldete sich am 14. November 2018 persönlich arbeitssuchend und zum 1. Januar 2019 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Die Beklagte stellte das Ruhen des Anspruchs vom 1. Januar bis 22. Februar 2019 wegen der erhaltenen Abfindung aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fest. Maßgeblich sei allein die Einhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers, welche vorliegend nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit vier Monate zum Ende des Kalendermonats betragen habe. Die Abfindung werde i.H.v. 35 Prozent, mithin 9.450,- €, angerechnet. Vom 1. Januar bis 31. Dezember 2018 seien an 365 Tagen Arbeitsentgelt i.H.v. 64.997,96 € erzielt worden, was ein tägliches Bemessungsentgelt i.H.v. 178,08 € ergebe. Die Entlassungsentschädigung entspreche daher einem Entgelt für 53 Tage (Ruhensbescheid vom 22. Januar 2019, Bl. 48 VA; Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2019, Bl. 66 f. VA). Zugleich bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab 1. Januar 2019 für eine Anspruchsdauer von 450 Kalendertagen mit einem täglichen Leistungsbetrag i.H.v. 0,- € bis 22. Februar 2019 wegen der Entlassungsentschädigung, im Anschluss i.H.v. 61,25 € (Bewilligungsbescheid vom 22. Januar 2019; Bl. 44 f. VA).

Die Bewilligung von Arbeitslosengeld wurde wegen der Aufnahme einer Beschäftigung ab 1. März 2019 aufgehoben (Bl. 72 VA).

Die Klägerin hat wegen der Ruhensentscheidung am 14. März 2019 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Sie hat auf den Wegfall ihres Arbeitsplatzes in E-Stadt und die anstehende Weiterbeschäftigung in G-Stadt verwiesen. Ihr habe ein Sonderkündigungsrecht zugestanden. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 habe die Beklagte zugesichert, dass keine Sperrzeit eintreten werde. Nunmehr eine Sanktion „durch die Hintertür“ einzuführen, widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben. Der Sanktionscharakter der Regelung sei vorliegend nicht gerechtfertigt, da der Klägerin aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen keine andere Wahl verblieben sei, als das Arbeitsverhältnis zu beenden. Es seien die Grundsätze der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 8. Dezember 2016 anzuwenden, wonach selbst unkündbare Arbeitnehmer mit einer sozialen Auslauffrist gekündigt werden könnten, ohne dass es zu einem Ruhen wegen der erhaltenen Abfindung komme. Zugleich sei zu berücksichtigen, dass durch die Anwachsung die Regelung des § 613 BGB (Betriebsübergang...

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