Rz. 55

Bei der Vornahme von Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung üben die Vollstreckungsorgane sämtlich staatliche Hoheitsrechte aus. Es besteht deshalb grundsätzlich und in allen Fällen ein erhöhter Vertrauensschutz in die Gültigkeit und den Bestand dieser Maßnahmen. Auch fehlerhafte Vollstreckungsmaßnahmen sind deshalb grundsätzlich und regelmäßig bis zu ihrer eventuell auf ein Rechtsmittel hin zu treffenden Aufhebung wirksam, d. h., sie sind lediglich anfechtbar und nicht etwa nichtig. Nach zutreffender und h. M. begründen auch anfechtbare Pfändungen nicht nur die Verstrickung, sondern ein Pfändungspfandrecht (Stein/Jonas/Münzberg, vor § 704 Rn. 128 m. w. N.). Nur ganz ausnahmsweise sind Vollstreckungsakte nichtig und damit wirkungslos. Dies ist dann der Fall, wenn ein besonders schwerer Mangel vorliegt. Bei der Beurteilung der Schwere des Mangels ist auch die Offenkundigkeit desselben mit heranzuziehen (vgl. § 125 AO, § 44 VwVfG). Die Nichtigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen ist in der Rechtsprechung anerkannt:

  • wenn ein Vollstreckungsakt von einer unzuständigen Person oder Behörde vorgenommen wird, z. B. Forderungspfändung durch den Gerichtsvollzieher oder Sachpfändung durch das Vollstreckungsgericht;
  • wenn wesentliche Formen für die Vornahme einer Vollstreckungsmaßnahme nicht eingehalten sind (BGH, NJW 1979, 2045), z. B. fehlende Inbesitznahme oder versäumte Anlegung von Pfandsiegeln (§ 808 Abs. 1 und 2 ZPO), eine zum Zeitpunkt der Übergabe gültige Pfändung und öffentliche Versteigerung (§ 817 ZPO; vgl. BGHZ 100, 95), Pfändung indossabler Papiere durch Pfändungsbeschluss nach den §§ 829, 857 ZPO (§ 831 ZPO) und Fehlen des Drittschuldnerverbots bei der Forderungspfändung (§ 829 Abs. 1 ZPO);
  • wenn ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel schon seiner äußeren Form nach fehlt (vgl. BGHZ 103, 30; BGHZ 114, 315);
  • wenn angeblich von der Zwangsvollstreckung betroffene Schuldner oder der Gläubiger nicht existieren (Stein/Jonas/Münzberg, vor § 704 Rn. 131) und
  • wenn der Schuldner von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit ist (§§ 18 bis 20 GVG; vgl. BVerfGE 46, 342).
 

Rz. 56

In allen diesen Fällen sind die Vollstreckungsakte wirkungslos und können auch nicht durch die Heilung des Mangels wirksam werden. Es bedarf einer fehlerfreien Neuvornahme des Vollstreckungsakts. Bei den übrigen fehlerhaften Vollstreckungsakten gilt, dass sie (zunächst) voll wirksam sind, und zwar bis zu ihrer eventuellen Aufhebung auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs hin. Werden sie unanfechtbar und nicht aufgehoben, bleibt ihre prozessuale Wirkung unangetastet, ohne Rücksicht darauf, ob und wann der oder die Mängel nachträglich behoben worden sind. Für die Wahrung eines Rangs kommt es allerdings darauf an, wann der Mangel beseitigt wurde. Die Heilung geschieht nach wohl herrschender Auffassung mit ex-nunc-Wirkung. Nach Heilung des Mangels kann die ursprünglich fehlerhafte Vollstreckungsmaßnahme – auch für den zurückliegenden Zeitraum – nicht (mehr) aufgehoben werden (KG, NJW-RR 1988, 1406 = MDR 1989, 77).

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