4.1 Mehrarbeitsstunden (Nr. 1)

 

Rz. 5

Nach § 850a Nr. 1 ZPO sind die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens zur Hälfte unpfändbar. Grund dieser Regelung ist, dem abhängig beschäftigten Schuldner einen Anreiz zu geben, Mehrarbeit zu erbringen und dadurch zugunsten der Gläubiger Mehreinnahmen zu erwirtschaften (BGH ZInsO 2014, 1488 = WM 2014, 1432 = DB 2014, 1676). Mehrarbeit ist jede Arbeit, die über den üblichen Umfang hinaus geleistet wird, etwa in Form von Überstunden und Sonntagsarbeit, aber auch erlaubte regelmäßige Tätigkeiten bei einem weiteren Arbeitgeber (HK-ZV/Meller-Hannich, § 850a Rn. 4 m. w. N.; BeckOK ZPO/Riedel, 43. Ed. 1.1.2022, ZPO § 850a Rn. 4; Musielak/Voit/Flockenhaus, § 850a Rn. 2). Maßstab sind die normalen Arbeitszeiten des Betriebs, die im Tarifvertrag, im Arbeitsvertrag oder in der Dienstordnung festgeschriebene Vollbeschäftigungszeit ( BeckOK ZPO/Riedel, 43. Ed. 1.1.2022). Die Norm greift nur ein, wenn die zeitlich geleistete Mehrarbeit durch einen als solchen ausgewiesenen oder ausweisbaren zusätzlichen Bezug des Schuldners neben dem üblichen Lohn entgolten ist. Deswegen werden etwa Mehrarbeitsleistungen von Beamten, soweit nicht eine Vergütung nach § 88 Satz 4 BBG in Verbindung mit § 48 BBesG und der Bundesmehrarbeitsverordnung gezahlt wird, und nicht gesondert entgoltene "Überstunden" von Angestellten nicht erfasst. Auch wenn der Schuldner die geleistete Mehrarbeit durch Inanspruchnahme von Freizeit ausgleicht, greift § 850a Nr. 1 ZPO nicht ein (BGH, ZInsO 2014, 1488 = WM 2014, 1432 = DB 2014, 1676).

Gehört die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen zur gewöhnlichen, weil vereinbarten Arbeitszeit, so ist der hierfür erhaltene Lohn zzgl. evtl. Zusatzleistungen wie z. B. Akkord- bzw. Prämienlohn voll pfändbar (Sibben DGVZ 1988, 4; Musielak/Voit/Flockenhaus, § 850a Rn. 6)). Milchgeld zählt nicht hierzu (LAG München, AMBl BY 1968, C1). Der Gläubiger sollte hier seinen Informationsanspruch nach § 836 Abs. 3 ZPO gegenüber dem Schuldner geltend machen und die Herausgabe des Arbeitsvertrags verlangen (vgl. auch Leißing, Vollstreckung effektiv 2000, 6), um herauszufinden, wann und wie Überstunden zu leisten sind.

 

Rz. 5a

Vorstehende tatbestandlichen Voraussetzungen des § 850a Nr. 1 ZPO liegen bei einem Selbstständigen regelmäßig nicht vor. Dessen Arbeitszeit ist weder durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Dienstordnung oder auf sonstige Weise geregelt; deswegen lässt sich ein üblicher Umfang seiner Arbeit nicht bestimmen. Ebenso wenig wird eine zeitlich geleistete Mehrarbeit durch als solche ausgewiesene oder ausweisbare zusätzliche Einnahmen des Schuldners entgolten (BGH, ZInsO 2014, 1488 = WM 2014, 1432 = DB 2014, 1676).

 

Rz. 5b

Bezieht der (Insolvenz)Schuldner hingegen eine Altersrente und ist er daneben zur Aufbesserung der Rente selbstständig tätig, können auf seinen Antrag seine Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit als Mehrarbeitsvergütung bis zur Hälfte pfandfrei gestellt werden. Hier findet die Schutzvorschrift des § 850a Nr. 1 ZPO entsprechende Anwendung (BGH, ZInsO 2014, 1488 = WM 2014, 1432 = DB 2014, 1676). Der BGH begründet dies damit, dass die Vorschrift des § 850i ZPO durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 7.7.2009 mit Wirkung ab 1.7.2010 geändert worden ist. Danach hat der Gesetzgeber den Pfändungsschutz nicht nur auf alle selbst erzielten, eigenständig erwirtschafteten Einkünfte (die kein Arbeitseinkommen sind) erweitert (BGH, DB 2014, 1737 = WM 2014, 1485; Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2359), sondern zudem die Ungleichbehandlung von abhängig Beschäftigten und selbstständig tätigen Personen beseitigt (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 19.12.2007, BT-Drucks. 16/7615 S. 18 zu Nr. 7) und den Vollstreckungsschutz für sonstige Einkünfte an den Pfändungsregelungen für das laufende Arbeitseinkommen ausgerichtet (Ahrens, ZInsO 2010, 2357 f, 2560; Meller-Hannich, WM 2011, 529). Entgegen der § 850i ZPO a.F. (vgl. dazu BGH, ZIP 2008, 1944) wird von der Neuregelung auch jegliche nicht wiederkehrende Vergütung für persönliche Arbeiten und Dienste erfasst, so dass nunmehr auch Pfändungsschutz bei einer Vergütung für Dienste bestehen kann, die ein vollbeschäftigter Schuldner in seiner Freizeit erbringt (Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2359). Richtig ist deswegen, den Rechtsgedanken des § 850a Nr. 1 ZPO anzuwenden. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Schuldner die Sinnhaftigkeit einer überobligatorischen Tätigkeit wirtschaftlich erkennbar zu machen. Er soll motiviert werden, über seine eigentlichen Einnahmen hinaus zum eigenen und zum Wohle der Gläubiger Einkünfte zu erzielen. Ein Schuldner, der die Vergütung für die Mehrarbeit insgesamt an seine Gläubiger abgeben muss, hat keinen Anreiz, in seiner Freizeit oder während seines Ruhestandes zu arbeiten. Bei einer angemessenen Aufteilung der schuldnerischen Einnahmen aus einer überobligatorischen Tätigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger haben beide Seiten etwas davon. Jedwe...

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