Zur Sicherung und Stärkung ihrer Verhandlungspositionen gegenüber den Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberverbänden sind die Gewerkschaften bei der Gewinnung neuer Mitglieder auf Werbemaßnahmen innerhalb der Betriebe angewiesen. Zulässigkeit und Grenzen gewerkschaftlicher Werbemaßnahmen sind wegen des Fehlens gesetzlicher Regelungen nahezu ausschließlich richterrechtlich entwickelt worden.

2.1.1 Zulässigkeit von gewerkschaftlicher Werbung

Die Werbung von Mitgliedern durch die Gewerkschaften gehört nach heute unbestrittener Ansicht zu den sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenen Rechten einer Arbeitnehmerkoalition. Durch die Werbung neuer Mitglieder sichern sie ihren Fortbestand, da von der Mitgliederzahl letztlich ihre Verhandlungsstärke abhängt. Jedoch wird nicht nur die Gewerkschaft, sondern auch das einzelne Mitglied einer Arbeitnehmerkoalition durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, wenn es unter anderen Arbeitskollegen neue Mitglieder zu gewinnen sucht. Dieses Grundrecht ist in einen angemessenen Ausgleich zu den Grundrechten des Arbeitgebers als Eigentümer der Betriebsstätte gemäß Art. 13, 14 Abs. 1 GG zu bringen (sog. "praktische Konkordanz").[1] Deshalb kann z. B., ein Zutrittsrecht der Gewerkschaft zwecks Mitgliederwerbung für bestimmte Betriebsbereiche ausgeschlossen sein, in denen Störungen des Betriebsablaufs eintreten, wenn andere, geeignete Räumlichkeiten für eine Werbeveranstaltung im Betrieb zur Verfügung stehen.[2]

 
Praxis-Beispiel

Zulässige Werbung

Ein gewerkschaftsangehöriger Arbeitnehmer verteilt in der Mittagspause Gewerkschaftszeitschriften zu Werbezwecken an Arbeitskollegen und versucht, sie zum Beitritt zu bewegen. Der Arbeitgeber mahnt ihn deshalb ab und untersagt ihm zukünftig, die Kantine mit dem Ziel zu betreten, an Dritte Gewerkschaftszeitungen zu verteilen. Da die Werbung zulässig war, sind die ausgesprochene Abmahnung und das (bedingte) Hausverbot für die Kantine wegen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG unwirksam.

Von dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sind auch Aushänge und Prospektmaterial, in denen auf die mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft verbundenen satzungsgemäßen Leistungen und sonstige Vorteile wie etwa den Arbeits-, Sozial- und Familienrechtsschutz sowie Vergünstigungen beim Abschluss bestimmter Versicherungen bzw. Mitgliedschaft in einem Automobilclub hingewiesen wird.[3]

Eine tarifzuständige Gewerkschaft darf sich überdies an Arbeitnehmer über deren betriebliche E-Mail-Adressen mit Werbung und Informationen wenden. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber den Gebrauch der E-Mail-Adressen zu privaten Zwecken untersagt hat. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Arbeitgebers und sein von Art. 2 Abs. 1 GG erfasstes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb haben nach der Rechtsprechung des BAG gegenüber der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit zurückzutreten, solange der E-Mail-Versand nicht zu nennenswerten Betriebsablaufstörungen oder spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen führt. Auf die Persönlichkeitsrechte der einzelnen Arbeitnehmer und deren "Belästigung" durch die E-Mails kann sich der Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft nicht berufen.[4]

Verfassungsrechtlich anerkannt ist das Recht der Gewerkschaften, vor Betriebs- bzw. Personalratswahlen für Kandidaten einer von ihnen getragenen Liste zu werben. Dieses Recht besteht nicht nur außerhalb, sondern im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch innerhalb der Arbeitszeit.[5] Aber auch unabhängig von anstehenden Wahlen zu Betriebsverfassungsorganen besteht ein Anspruch der Gewerkschaften auf Mitgliederwerbung. Ohne Bedeutung ist ebenfalls, ob im Betrieb überhaupt ein Betriebsrat besteht.

Die Werbemaßnahmen müssen nicht durch betriebsangehörige Arbeitnehmer erfolgen, auch externe Gewerkschaftsbeauftragte können zur Mitgliederwerbung Zutritt zum Betrieb verlangen.[6]

Die Werbung durch Betriebsratsmitglieder ist grundsätzlich zulässig. Allerdings sind sie bei ihrer Amtsausübung durch § 75 Abs. 1 BetrVG zur verbandspolitischen Neutralität verpflichtet und dürfen ihre Amtsstellung nicht benutzen, um neue Mitglieder für ihre Gewerkschaft zu werben. Betriebsratsmitglieder dürfen daher als Gewerkschaftsmitglieder zwar im Rahmen der Koalitionsfreiheit Werbung für die Mitgliedschaft betreiben. Sie dürfen hierbei jedoch nicht die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung aufgeben und nicht Arbeitnehmer wegen deren gewerkschaftlicher Einstellung bevorzugen oder benachteiligen.

 
Praxis-Beispiel

Unzulässige Bevorzugung/Benachteiligung

Ein Betriebsratsvorsitzender erklärt einem (nicht gewerkschaftsangehörigen) Arbeitnehmer, Gewerkschaftsmitglieder würden vom Betriebsrat bei der (mitbestimmungspflichtigen) Schichtplanerstellung und bei Wochenenddiensten besonders berücksichtigt. Ihren Wünschen nach einer bestimmten Einteilung werde regelmäßig Rechnung getragen, während andere Arbeitnehmer oftmals ihre Familien am Wochenende nicht zu sehen bekämen. Aus diesem Grund solle sich der Arbeitnehmer noch einmal überlegen, ob er nicht Gewerkschafts...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge