Die Rechte der Gewerkschaften außerhalb der Betriebsverfassung sind gesetzlich nicht geregelt und im Wesentlichen von den Gerichten aus der verfassungsrechtlichen gewährleisteten Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG entwickelt worden. Die wichtigsten Rechte stellen ihre Möglichkeit zur Werbung im Betrieb sowie die Tätigkeit der gewerkschaftlichen Vertrauensleute dar.

Nachdem das BAG den sog. Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hatte[1], gilt seit 10.7.2015 nach dem neuen § 4 a TVG eine gesetzliche Tarifeinheit.[2] Danach kommt nach dem Mehrheitsprinzip grundsätzlich der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft in einem Betrieb zur Anwendung. Flankiert wird die Regelung durch ein Anhörungs- und durch ein Nachzeichnungsrecht der kleineren Gewerkschaft. Wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags hingegen die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem "Minderheitstarifvertrag" erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses "Minderheitstarifvertrags" anwendbar, § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG.[3]

2.1 Werbung der Gewerkschaften

Zur Sicherung und Stärkung ihrer Verhandlungspositionen gegenüber den Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberverbänden sind die Gewerkschaften bei der Gewinnung neuer Mitglieder auf Werbemaßnahmen innerhalb der Betriebe angewiesen. Zulässigkeit und Grenzen gewerkschaftlicher Werbemaßnahmen sind wegen des Fehlens gesetzlicher Regelungen nahezu ausschließlich richterrechtlich entwickelt worden.

2.1.1 Zulässigkeit von gewerkschaftlicher Werbung

Die Werbung von Mitgliedern durch die Gewerkschaften gehört nach heute unbestrittener Ansicht zu den sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenen Rechten einer Arbeitnehmerkoalition. Durch die Werbung neuer Mitglieder sichern sie ihren Fortbestand, da von der Mitgliederzahl letztlich ihre Verhandlungsstärke abhängt. Jedoch wird nicht nur die Gewerkschaft, sondern auch das einzelne Mitglied einer Arbeitnehmerkoalition durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, wenn es unter anderen Arbeitskollegen neue Mitglieder zu gewinnen sucht. Dieses Grundrecht ist in einen angemessenen Ausgleich zu den Grundrechten des Arbeitgebers als Eigentümer der Betriebsstätte gemäß Art. 13, 14 Abs. 1 GG zu bringen (sog. "praktische Konkordanz").[1] Deshalb kann z. B., ein Zutrittsrecht der Gewerkschaft zwecks Mitgliederwerbung für bestimmte Betriebsbereiche ausgeschlossen sein, in denen Störungen des Betriebsablaufs eintreten, wenn andere, geeignete Räumlichkeiten für eine Werbeveranstaltung im Betrieb zur Verfügung stehen.[2]

 
Praxis-Beispiel

Zulässige Werbung

Ein gewerkschaftsangehöriger Arbeitnehmer verteilt in der Mittagspause Gewerkschaftszeitschriften zu Werbezwecken an Arbeitskollegen und versucht, sie zum Beitritt zu bewegen. Der Arbeitgeber mahnt ihn deshalb ab und untersagt ihm zukünftig, die Kantine mit dem Ziel zu betreten, an Dritte Gewerkschaftszeitungen zu verteilen. Da die Werbung zulässig war, sind die ausgesprochene Abmahnung und das (bedingte) Hausverbot für die Kantine wegen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG unwirksam.

Von dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sind auch Aushänge und Prospektmaterial, in denen auf die mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft verbundenen satzungsgemäßen Leistungen und sonstige Vorteile wie etwa den Arbeits-, Sozial- und Familienrechtsschutz sowie Vergünstigungen beim Abschluss bestimmter Versicherungen bzw. Mitgliedschaft in einem Automobilclub hingewiesen wird.[3]

Eine tarifzuständige Gewerkschaft darf sich überdies an Arbeitnehmer über deren betriebliche E-Mail-Adressen mit Werbung und Informationen wenden. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber den Gebrauch der E-Mail-Adressen zu privaten Zwecken untersagt hat. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Arbeitgebers und sein von Art. 2 Abs. 1 GG erfasstes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb haben nach der Rechtsprechung des BAG gegenüber der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit zurückzutreten, solange der E-Mail-Versand nicht zu nennenswerten Betriebsablaufstörungen oder spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen führt. Auf die Persönlichkeitsrechte der einzelnen Arbeitnehmer und deren "Belästigung" durch die E-Mails kann sich der Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft nicht berufen.[4]

Verfassungsrechtlich anerkannt ist das Recht der Gewerkschaften, vor Betriebs- bzw. Personalratswahlen für Kandidaten einer von ihnen getragenen Liste zu werben. Dieses Recht besteht nicht nur außerhalb, sondern im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch innerhalb der Arbeitszeit.[5] Aber auch unabhängig von anstehenden Wahlen zu Betriebsverfassungsorganen besteht ein Anspruch der Gewerkschaften auf Mitgliederwerbung. Ohne Bed...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge