Rz. 70

Nach § 32b Abs. 2 S. 1 EStG wird der besondere Steuersatz in der Weise ermittelt, dass der Steuersatz für das zu versteuernde Einkommen zuzüglich der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden steuerfreien Einkünfte nach dem jeweils anzuwendenden Tarif in § 32a EStG ermittelt wird. Dabei ist das zu versteuernde Einkommen (zuzüglich steuerfreier Einkünfte) zugrunde zu legen. Das zu versteuernde Einkommen ist nach dem gewöhnlichen Verfahren zu berechnen, also unter Berücksichtigung der Freibeträge, Altersentlastungsbetrag, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und sonstige Abzugsbeträge.[1] Zu diesem zu versteuernden Einkommen sind dann die steuerfreien Einkünfte hinzuzurechnen.

Das so ermittelte Einkommen (einschließlich der steuerfreien Einkünfte) ist dem maßgebenden Tarif zu unterwerfen und aus zu versteuerndem Einkommen und Steuer (in Euro) der besondere Steuersatz (in %) zu ermitteln. Schließlich ist dieser besondere Steuersatz auf das zu versteuernde Einkommen (ohne steuerfreie Einkünfte) anzuwenden.

 

Rz. 71

Die in den Progressionsvorbehalt einzubeziehenden steuerfreien "Einkünfte" sind als Einkünfte i. S. d. § 2 Abs. 2 EStG zu verstehen; § 32b EStG hat keinen eigenständigen Einkünftebegriff.[2] Das bedeutet, dass z. B. nach DBA steuerfreie Einkünfte nach den deutschen Einkünfteermittlungsvorschriften zu berechnen sind.

 

Rz. 72

Ursprünglich waren die Auswirkungen des Progressionsvorbehalts durch eine "Schattenveranlagung" zu ermitteln.[3] Bei dieser Schattenveranlagung waren alle Folgerungen zu ziehen, die eintreten würden, wenn die ausl. Einkünfte im Inland stpfl. wären.

Das Erfordernis einer Schattenveranlagung hat zu praktischen Schwierigkeiten geführt. So konnte die Einbeziehung der steuerfreien Einkünfte Auswirkungen auf die Höhe des Altersentlastungsbetrags sowie durch Verlustvor- und -rücktrag auch auf frühere und folgende Besteuerungszeiträume haben.[4] Das Verfahren ist daher durch G. v. 11.10.1995[5] vereinfacht worden. Danach hat keine vollständige Schattenveranlagung mit allen Folgewirkungen zu erfolgen; vielmehr ist lediglich das zu versteuernde Einkommen um die steuerfreien Einkünfte, die nach dem maßgeblichen Internationalen Abkommen und § 32b Abs. 1 EStG in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen sind, zu erhöhen (positiver Progressionsvorbehalt) oder zu vermindern (negativer Progressionsvorbehalt). Damit treten keine Auswirkungen auf die Höhe des Altersentlastungsbetrags, des Verlustvortrags oder des Verlustrücktrags ein. Diese Neuregelung gilt ab Vz 1996; nach § 52 Abs. 23 EStG auch für Vz vor 1996 insoweit, als sonst Auswirkungen auf Vz ab 1996 eintreten würden. Damit wird verhindert, dass in Vz ab 1996 noch durch die Schattenveranlagung für 1995 oder früher sich verändernde Verlustvorträge berücksichtigt werden müssen.[6]

 

Rz. 73

Fraglich ist, wie der besondere Steuersatz nach § 32b EStG zu berechnen ist, wenn die stpfl. Einkünfte innerhalb des Grundfreibetrags liegen.

 
Praxis-Beispiel

Ermittlung des besonderen Steuersatzes bei Einkünften innerhalb des Grundfreibetrags

stpfl. Einkünfte 5.000 EUR

Lohnersatzleistungen 3.000 EUR

Anzuwenden ist der Grundfreibetrag 2022.

Nach § 32b EStG ist der besondere Steuersatz nach einem Einkommen von 8.000 EUR zu berechnen und dann auf die stpfl. Einkünfte von 5.000 EUR anzuwenden. Der Betrag von 5.000 EUR fällt aber in den Grundfreibetrag (für Vz 2022: 9.984 EUR), sodass die Ansicht vertretbar ist, dass die Steuer für den stpfl. Teil der Einkünfte 0 EUR beträgt, da stpfl. Einkommen im Bereich des Grundfreibetrags nicht versteuert werden soll.

Der Zweck des § 32b EStG besteht aber darin, dass der Stpfl. hinsichtlich des Tarifs nicht deshalb besser stehen soll, weil er steuerfreie Einnahmen bezogen hat. Das heißt aber, dass der Stpfl. alle Tariffaktoren nicht geltend machen kann, die nur auf dem um die steuerfreien Einnahmen verringerten Einkommen beruhen. Der Progressionsvorbehalt soll tarifliche Vorteile für das stpfl. Einkommen, die durch die steuerfreien Einnahmen entstehen können, abschöpfen; ein solcher tariflicher Vorteil ist aber auch der Grundfreibetrag. Auch innerhalb der Zone des Grundfreibetrags ist daher der besondere, nach § 32b EStG ermittelte Steuersatz anzuwenden. Das entspricht auch dem Zweck des Grundfreibetrags. Er soll das Existenzminimum steuerfrei stellen; durch die steuerfreien Leistungen wird aber die Leistungskraft über das Existenzminimum angehoben, sodass in diesen Fällen der Zweck des Grundfreibetrags die Freistellung nicht erfordert. Die Leistungsfähigkeit des Stpfl. ist durch die steuerfreien Einkünfte gesteigert, was durch den Progressionsvorbehalt gerade in verfassungskonformer Weise berücksichtigt werden soll.[7] Formal ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 32a Abs. 1 S. 2 EStG, wonach die Tarifvorschrift des § 32a EStG (zu der auch der Grundfreibetrag gehört, der also keine sachliche Steuerbefreiung ist), nur vorbehaltlich des § 32b EStG gilt; der Progressionsvorbehalt des § 32b EStG hat also Vorrang vor § 32a EStG und damit...

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