Rz. 52

Zweifelhaft war in der Vergangenheit, ob der Progressionsvorbehalt für ausl. Einkünfte nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nrn. 25 EStG nur anwendbar ist, wenn das jeweilige DBA oder internationale Abkommen die Berücksichtigung der steuerfreien (ausl.) Einkünfte bei der Ermittlung der Progressionsstufe für die inländischen Einkünfte vorsieht, oder ob die Anwendung des Progressionsvorbehalts auch ohne eine solche Regelung in dem Abkommen möglich ist.[1]

Zwar hat das BVerfG[2] entschieden, dass ein Progressionsvorbehalt nur angewendet werden darf, wenn dies in dem jeweiligen Abkommen vereinbart ist, begründet dies aber ausdrücklich damit, dass das EStG (zum damaligen Zeitpunkt) keine Bestimmung enthalte, wonach der Steuersatz unter Einbeziehung der aufgrund internationaler Verträge steuerfreien Bezüge in die Bemessungsgrundlage zu ermitteln sei. Da § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG jetzt eine solche Vorschrift darstellt, muss diese Frage erneut untersucht werden.[3]

 

Rz. 53

Der Wortlaut des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG war unklar (in der alten Fassung bis Vz 2006, s. Rz. 59). Ursprünglich war die Anwendung des Progressionsvorbehalts nicht von einer Zulassung in einem DBA oder sonstigen Abkommen abhängig, sondern hatte immer zu erfolgen, wenn Einkünfte nach einem internationalen Abkommen steuerfrei zu lassen waren.[4] Durch G. v. 22.12.1989[5] wurde der Tatbestand des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG erweitert um Einkünfte, die nach einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen steuerfrei sind. Dabei wurde zwischen den beiden Fällen eine klare Trennung gezogen. Ausl. Einkünfte, die nach DBA steuerfrei waren, unterlagen dem Progressionsvorbehalt ohne weitere Voraussetzung; Einkünfte, die nach einem sonstigen Abkommen steuerfrei waren, unterlagen dem Progressionsvorbehalt nur, wenn dieses Abkommen einen Progressionsvorbehalt vorsah. Der Satzteil "unter Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer" bezog sich grammatikalisch eindeutig nur auf die Fälle der Freistellung durch "sonstige" zwischenstaatliche Übereinkommen, nicht auf die Freistellung durch DBA.

Der Wortlaut änderte sich zunächst durch das JStG 1996[6], in dem der § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG in Nr. 3 umnummeriert und neu gefasst wurde. Dies hing zusammen mit der damaligen Einfügung des neuen § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG und der Ergänzung des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG um die Fälle des § 1 Abs. 3, § 1a und § 50 Abs. 5 S. 4 Nr. 2 EStG (aktuell: § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 EStG). Bei dieser Neufassung wurde der bisherige Wortlaut so geändert, dass sich der Satzteil "unter Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer" grammatikalisch sowohl auf die Steuerfreistellung durch die "sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen" als auch auf diese und die Steuerfreistellung durch DBA beziehen kann.[7]

Es kann bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber die Problematik der Anwendung des genannten Satzteils auf die Steuerfreistellung nach DBA gesehen hat; eindeutig dem Willen des Gesetzgebers entspricht m. E. nur die Anwendung des genannten Satzteils auf die Steuerfreistellung durch sonstige Abkommen. Hinsichtlich der Steuerfreistellung durch DBA ist sowohl die Ansicht, der genannte Satzteil beziehe sich grammatikalisch auch auf diese Fälle, als auch die Ansicht, nach der Gesetzgebungshistorie beziehe er sich nur auf die Steuerfreistellung durch "sonstige" Abkommen, möglich.

 

Rz. 54

Die Formulierung in § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG ist als "verunglückt" angesehen und im Ergebnis von der Rspr. ignoriert worden.[8] Ein Progressionsvorbehalt ist nach dieser Ansicht nur dann ausgeschlossen, wenn ein DBA oder ein sonstiges internationales Abkommen ein ausdrückliches Verbot des Progressionsvorbehalts enthält. Im Ergebnis würde der BFH also den Progressionsvorbehalt auch dann anwenden, wenn ein DBA überhaupt keine Aussage über den Progressionsvorbehalt treffen würde.

Die Ansicht des BFH ist problematisch.[9] Sie ist nur haltbar, wenn man, wie es der BFH tut, Art. 23A Abs. 3 OECD-MA als deklaratorisch (und damit letztlich als überflüssig) ansieht. Zusätzlich muss die Formulierung in § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG (Fassung bis Vz 2006), dass das zwischenstaatliche Einkommen einen Progressionsvorbehalt gestattet, als nicht existent ("verunglückt") angesehen werden.

Es sind 2 Fragen gedanklich zu unterscheiden, nämlich erstens, ob die Anwendung eines Progressionsvorbehalts abkommensrechtlich davon abhängig ist, dass dieser Progressionsvorbehalt in dem Abkommen selbst zugelassen worden ist, und zweitens, ob nach innerstaatlichem Recht der Progressionsvorbehalt davon abhängig ist, dass er in einem zwischenstaatlichen Abkommen zugelassen worden ist. Die erste Frage entscheidet sich durch Auslegung des Abkommens, die zweite Frage durch Auslegung des nationalen Rechts, hier des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG (Fassung bis Vz 2006). Nur wenn man Art. 23A Abs. 3 OECD-MA (bzw. die entsprechenden Formulierungen in den DBA) als deklaratorisch ansieht (Rz. 55), und zusätzlich die Bes...

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