Rz. 83

Die Vorschrift entspricht weitgehend dem früheren § 105c Abs. 1 Nr. 4 Alt.1 GewO. Nach der 1. Variante des § 10 Abs. 1 Nr. 15 dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit Tätigkeiten zur Verhütung des Verderbens von Naturerzeugnissen oder Rohstoffen beschäftigt werden.

 

Rz. 84

Naturerzeugnisse sind tierische und pflanzliche Erzeugnisse, die in naturbelassenem Zustand verbraucht oder zu anderen Produkten verarbeitet werden.[1] Unter den Begriff der Rohstoffe fallen sowohl die aus der Natur gewonnenen tierischen, pflanzlichen und mineralischen Erzeugnisse, also etwa Getreide, Früchte, Milch, Fleisch und Fische, als auch die daraus hergestellten Zwischenprodukte. Daher werden auch zur Weiterverarbeitung bestimmte Halbfabrikate wie etwa flüssige Glasmasse oder Siliziumplatten für die Mikrochipherstellung erfasst.

 

Rz. 85

Ein Verderben dieser Produkte ist gegeben, wenn sich die Rohstoffe oder Naturerzeugnisse infolge der Unterbrechung der Arbeit an Sonn- und Feiertagen so verändern, dass sie nicht oder nicht mehr bestimmungsgemäß verwandt werden können. Maßgeblich ist dabei die Verwendungsmöglichkeit des jeweiligen Produkts, die von seiner Zweckbestimmung und auch den Anforderungen der Kunden bestimmt wird. Daher kann bereits eine Qualitätsminderung, die bei objektiver Betrachtungsweise aus Sicht des Abnehmers das Produkt für den geplanten Einsatzzweck unbrauchbar macht, genügen. Dies gilt auch dann, wenn sich die Naturerzeugnisse oder Rohstoffe noch einem anderen als den geplanten Einsatzzweck zuführen lassen.

Eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist daher auch zulässig, wenn nicht das völlige Verderben des Naturerzeugnisses oder das völlige Misslingen des Arbeitserzeugnisses zu befürchten ist, sondern auch dann, wenn die Unterlassung der Arbeit eine Verschlechterung der Qualität des Produkts zur Folge hätte.[2] Maßgeblich ist dabei der konkrete Einzelfall.

 
Praxis-Beispiel

Bei Lebensmitteln sind die Anforderungen der Endverbraucher an das Erscheinungsbild maßgeblich. So verhindert bereits eine Veränderung des Aussehens der Produkte (schwarze Flecken auf Bananen, beginnender Schimmel bei Früchten) einen Weiterverkauf, obwohl die Waren weiterhin genießbar sind.

Bei einem Halbfabrikat droht ein Verderben bereits dann, wenn eine Qualitätsminderung zu befürchten ist, die eine Weiterverwendung zwar zulässt, dies aber nur bei Einsatz unverhältnismäßiger hoher Kosten oder eines nicht vertretbaren Zeitaufwands möglich wäre.

 

Rz. 86

Streitig ist, ob der Arbeitgeber alle ihm möglichen und zumutbaren organisatorischen und technischen Maßnahmen ausschöpfen muss, um ein Verderben auch ohne die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zu verhindern. Als mögliche Maßnahmen werden dabei Kühlung, Einfrieren, Trocknen, Einsalzen oder eine besondere Verpackung angeführt.

Im Hinblick auf den Wortlaut und den Regelungszweck der Bestimmung ist der Arbeitgeber aber nur zu solchen Maßnahmen verpflichtet, die er auch an Werktagen zum Schutz seiner Produkte ergreift. Dagegen kann von ihm nicht verlangt werden, über den normalen Betrieb an Werktagen hinausgehende Vorsorge gegen eventuell drohendes Verderben der Erzeugnisse zu treffen, etwa durch eine besondere Kühlung oder Verpackung.[3]

 

Rz. 87

Zulässig sind aber nur Arbeiten, die das Verderben der Naturerzeugnisse und Rohstoffe verhindern sollen. Darüber hinausgehende Arbeiten sind nicht zulässig. Arbeitnehmer können Tätigkeiten verrichten, um eine notwendige Beschaffenheit der Produkte zu sichern.

 
Praxis-Beispiel
  • Schneller Weitertransport der Rohstoffe zum Kunden,
  • Maßnahmen zur Konservierung wie Verpackung, Kühlung, Einfrieren, Trocknen, Einsalzen, Erhitzen.
 

Rz. 88

Ausnahmsweise kann auch die Fortführung der Weiterverarbeitung oder Herstellung gestattet sein, wenn dies die einzig zumutbare Maßnahme darstellt, um ein Verderben zu verhindern. Dies ist der Fall, wenn ein bereits am Werktag vor dem Sonn- und Feiertag begonnenes Fertigungsverfahren nicht am Sonn- oder Feiertag unterbrochen werden kann, da ansonsten eine Qualitätsminderung des Produkts eintritt, etwa weil bestimmte chemische Prozesse weiterlaufen und nicht gewollte Veränderungen herbeiführen. Auch die fehlende Lagerfähigkeit von (Zwischen-)Produkten aufgrund ihrer Beschaffenheit oder nicht ausreichender Lagerkapazitäten kann die Fortsetzung der Produktion bedingen.[4]

[1] ErfK/Wank § 10 ArbZG Rz. 21.
[2] Dafür ErfK/Wank § 10 ArbZG Rz. 21; Neumann/Biebl § 10 ArbZG Rz. 44; Roggendorf § 10 ArbZG Rz. 36
[3] So auch MünchArbR/Anzinger § 301 Rz. 33; Anzinger/Koberski § 10 ArbZG Rz. 139; Baeck/Deutsch § 10 ArbZG Rz. 117.
[4] Vgl. Anzinger/Koberski § 10 ArbZG Rz. 178ff.; Baeck/Deutsch § 10 ArbZG Rz. 122.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge