Rz. 32

Das Gesetz enthält in § 22 Abs. 1 eine komplizierte und nicht besonders geglückte Regelung zur Frage, ob Praktikanten einen Anspruch auf Mindestlohn haben. Zweck der Regelung ist es, Praktikanten, die nach Abschluss ihrer Ausbildung ein nicht vorgeschriebenes Praktikum leisten – insbesondere über einen längeren Zeitraum oder wiederholt hintereinander ("Generation Praktikum") –, einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung zu verschaffen.

 

Rz. 33

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 gelten Praktikanten als Arbeitnehmer und haben einen Mindestlohnanspruch, wenn ihr Praktikum ein sonstiges Berufsbildungsverhältnis i. S. d. § 26 BBiG ist, es sei denn, sie sind ausdrücklich nach § 22 Abs. 1 Satz 3 vom Mindestlohn ausgenommen. Ein sonstiges Berufsbildungsverhältnis in diesem Sinne liegt vor, wenn eine Person eingestellt worden ist, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um ein Arbeitsverhältnis oder um eine Berufsausbildung handelt.

 

Rz. 34

Zur Klarstellung hat der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG zusätzlich noch eine allgemeine Definition des Praktikanten aufgenommen und beschrieben, was ein Praktikant i. S. d. § 26 BBiG ist:

"Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des BBiG oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt."

 

Rz. 35

Vergleichbar sind systematische innerbetriebliche Ausbildungen über einen längeren Zeitraum, um bestimmte berufliche Qualifikationen zu erlangen, ohne dass ein anerkannter Ausbildungsberuf erlernt wird oder auch Berufsausbildungen wie z. B. Tanzlehrer, die nicht vom BBiG erfasst werden.

 

Rz. 36

Praktikanten mit Mindestlohnanspruch fallen seit 16.8.2014 unter das Nachweisgesetz. Der Arbeitgeber hat ihnen gegenüber folgende Verpflichtungen[1]:

  • Nachweis (Niederschrift) ist unverzüglich nach Vertragsabschluss, spätestens vor Aufnahme der Tätigkeit zu erteilen;
  • der Nachweis muss unter anderem enthalten: Die mit dem Praktikum verfolgten Lern- und Ausbildungsziele, Beginn und Dauer des Praktikums, Dauer der regelmäßigen täglichen Praktikumszeit, Zahlung und Höhe der Vergütung, Dauer des Urlaubs, und ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf ggf. anzuwendende Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen.
 

Rz. 37

Kein Praktikant i. S. d. § 22, sondern von vorneherein Arbeitnehmer ist der sogenannte "Scheinpraktikant": Steht die Erbringung von Arbeitsleistung im Vordergrund, besteht in Wirklichkeit ein Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf übliche Vergütung, mindestens ein Mindestlohnanspruch. Abgrenzungskriterien hierfür sind:

  • Steht die Arbeitsleistung oder die Aus-/Fortbildung im Vordergrund des Vertragsverhältnisses?
  • Entscheidend kommt es dabei auf die Gewichtung der vertraglichen Pflichten an.[2]
  • Der Zweck des "Erwerbs von Berufserfahrung" genügt nicht, um ein Arbeitsverhältnis auszuschließen. Für die Annahme eines Praktikums ist die Vermittlung zusätzlicher Kenntnisse über den bisherigen Kenntnisstand hinaus erforderlich.
  • Praktika von bereits fertigen Absolventen eines einschlägigen Studiums, die lediglich dem Einstieg in den Arbeitsmarkt dienen, jedoch überwiegend mit üblichen Arbeitsaufgaben von Arbeitnehmern verbunden sind, sind Scheinpraktika und Arbeitsverhältnisse. Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Zu seinen Gunsten können jedoch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast greifen.[3]
 
Hinweis

Darlegungs- und Beweislast

Bereits deshalb, weil bei einer Überprüfung seitens des Zolls ggf. der Arbeitgeber nachweisen muss, dass die Aus- und Fortbildung des Praktikanten im Vordergrund stand und nicht die Erbringung von Arbeitsleistung, ist es dringend zu empfehlen, die Regelungen des § 2 Abs. 1a NachwG zu beachten und insbesondere in den Nachweis aufzunehmen, welches die Aus- und Fortbildungsziele sind.

Macht hingegen ein Praktikant Anspruch auf Mindestlohn geltend, muss er nur darlegen, dass er entweder als Arbeitnehmer oder als Praktikant i. S. d. § 26 BBiG tätig gewesen ist. Möchte sich nun der Arbeitgeber auf eine der nachfolgend aufgeführten 4 Ausnahmen berufen, hat er deren tatsächliche Voraussetzungen darzulegen und ggf. zu beweisen.

 

Rz. 38

Das Gesetz macht von dem Grundsatz, dass Praktikanten als Arbeitnehmer gelten, 4 ausdrückliche Ausnahmen[4]:

Praktikanten gelten nicht als Arbeitnehmer i. S. d. MiLoG und haben daher keinen Mindestlohnanspruch, wenn sie

  • Nr. 1: ein Praktikum verpflichtend aufgrund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Beruf...

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