Rz. 6

Auch im Anwendungsbereich des MiLoG richten sich die gegenseitigen Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis grundsätzlich nach den Vereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Dies können der Arbeitsvertrag, die maßgeblichen Tarifverträge oder andere kollektivrechtliche Regelungen wie z. B. Betriebsvereinbarungen sein. In Entsendefällen gilt dies auch für Arbeitsverhältnisse nach ausländischem Recht.[1]

 

Rz. 7

Welches Recht auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung findet, richtet sich für Arbeitsverträge nach deutschem Recht bzw. nach dem Recht des EU-Mitgliedstaates, aus dem der Arbeitnehmer entsandt ist. Sofern die Arbeitsverträge vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden, richtet sich das anzuwendende Recht nach dem Kollisionsrecht des EGBGB. Für ab dem 17. Dezember 2009 geschlossene Arbeitsverträge gilt die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (sog. Rom-I-VO).[2]

 

Rz. 8

Ein Arbeitsvertrag unterliegt, unabhängig davon, ob das EGBGB oder die Rom-I-VO Anwendung findet, grundsätzlich dem Recht, das die Arbeitsvertragsparteien gewählt haben.[3] Bei Fehlen einer von den Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich oder konkludent getroffenen Rechtswahl gilt, dass Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates unterliegen, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.[4] Dabei darf die Rechtswahl nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm aufgrund zwingender Vorschriften des ohne Rechtswahl anwendbaren Rechts zustünde.[5]

 

Rz. 9

Unabhängig davon, welches Recht für das Arbeitsverhältnis gilt, finden die sogenannten Eingriffsnormen des Staates, in dem der Arbeitnehmer seine Beschäftigung ausübt, für den Zeitraum der Beschäftigung in diesem Staat in jedem Fall Anwendung. Eingriffsnormen sind zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrnehmung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation angesehen wird, dass sie auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssen. Erforderlich ist, dass die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden.[6]

Nach Auffassung des BAG erfüllt § 20 diese Voraussetzungen. § 20 ist Eingriffsnorm im vorgenannten Sinne. Mit dieser Norm verfolge der Gesetzgeber nicht nur Individual-, sondern auch Gemeinwohlinteressen, indem umfassend alle abhängig Beschäftigten vor den Folgen einer unangemessen niedrigen Vergütung geschützt werden. Durch die Normierung eines angemessenen Verhältnisses von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt soll die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) für alle im Inland tätigen Arbeitnehmer gewährleistet und damit zugleich die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden.

[7]

Mit § 20 werde das Arbeitsortsprinzip konsequent mit der Folge angewendet, dass das MiLoG sowohl Inlandssachverhalte als auch Entsendefälle erfasst. Weil § 20 MiLoG den Arbeitgeber mit Sitz im Ausland gegenüber seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern nach denselben Grundsätzen zur Zahlung des Mindestlohns verpflichte, wie sie für einen Arbeitgeber mit Sitz im Inland gelten, sind nach Auffassung des BAG arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die den inländischen gesetzlichen Mindestlohnanspruch unterschreiten oder vereiteln, nach § 3 Satz 1 MiLoG unwirksam, unabhängig davon, welchem Recht der Arbeitsvertrag ansonsten unterliegt. Daher verdränge § 20 als Eingriffsnorm etwaig abweichendes ausländisches Recht.

[8]

 

Rz. 10

Die Rechtsauffassung, dass §  20 Eingriffsnorm i. S. v. Art. 9 Rom I-VO ist, wird im Ausland teilweise nicht geteilt (siehe auch Rz. 14). Der Oberste Gerichtshof in Wien[9] entschied, das MiLoG sei auf das zwischen einem österreichischen Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer geschlossene Arbeitsverhältnis nicht hinsichtlich jener Zeiten anwendbar, in denen der Arbeitnehmer vorübergehend in Deutschland tätig ist. Dem Urteil lag der Fall eines Mietwagenfahrers zugrunde, der Fahrgäste von Salzburg zum Flughafen München und zurück fuhr. Für die Zeiten seiner Fahrtätigkeit in Deutschland begehrte dieser die Differenz zwischen dem Mindestlohn nach dem MiLoG und dem niedrigeren österreichischen Tariflohn. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, die Wirkung einer Norm als Eingriffsnorm komme nur dann in Betracht, wenn dies Art und Zweck der Norm unter Berücksichtigung der Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden, gebieten. Diese Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor. Das Gericht stellte auf die eher geringeren finanziellen Auswirkungen für den Kläger ab. Die Differenz zwischen dem tariflichen Stundenlohn und dem deutschen Mindestlohn sei gering, von den deutschen Lebenshaltungskosten sei er nicht in besonderem Maße ...

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