Rz. 43

Ein weiteres Problem für die Berechnung der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns stellt sich, wenn eine leistungsbezogene Vergütung vereinbart worden ist. Das kann durch Provisionsvereinbarungen bzw. umsatzabhängige Vergütung oder sonstige erfolgsabhängige Vergütung geschehen, aber auch durch die Vereinbarung von Stücklohn, wie es z. B. bei Akkordlohn-Vereinbarungen üblich ist.

 

Rz. 44

Die Vereinbarung von Stücklöhnen und Akkordlöhnen bleibt auch nach Einführung des Mindestlohns zulässig, wenn gewährleistet ist, dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird. Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung[1], die explizit darauf hinweist, dass die Erzielung des Mindestlohns auch bei einer Stücklohnvergütung gesichert sein muss.

Es stellt sich mithin das Problem, ob bei der dargestellten Frage der Sicherung des Mindestlohns auf den Durchschnittsarbeitnehmer abzustellen ist oder ob in jedem Fall eine individuelle Betrachtung vorzunehmen ist.[2]

 
Praxis-Beispiel

Ein Zeitungszusteller wird nach eingeworfener Stückzahl bezahlt, um einen Anreiz für eine möglichst rasche Verteilung der Zeitungen zu setzen. Das bedeutet, der Zeitungszusteller erhält einen bestimmten Betrag für jede zugestellte Zeitung. Der durchschnittliche Zeitungszusteller schafft damit den gesetzlichen Mindestlohn "locker", während ein Rentner, der sich auf diese Art und Weise seine Rente aufbessern will und nicht mehr so gut zu Fuß ist, nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn kommt.

Diese Problematik ist völlig offen. Das Gesetz selbst gibt keine Antwort auf die Frage. Es bietet sich jedoch folgende Lösung an:

Zunächst ist der Stücklohn so zu bemessen, dass der Mindestlohn pro Stunde mit einer Durchschnittsleistung bzw. "Normalleistung" erreichbar ist. Das lässt sich mithilfe von arbeitsanalytischen Verfahren dokumentieren und gewährleisten.

Wenn ein Arbeitnehmer diese Leistung aber aus unverschuldeten personenbedingten Gründen nicht erreichen kann, muss er das begründen und hat dann einen Anspruch auf Mindestlohn. Für diese tendenziell individuelle Betrachtungsweise spricht, dass ein Arbeitnehmer seine vertragliche Leistungspflicht nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht erst dann erfüllt, wenn er eine Durchschnittsleistung erbringt, sondern schon dann, wenn er unter Ausschöpfung der ihm möglichen Leistungsfähigkeit arbeitet. Das gilt selbst dann, wenn er im Ergebnis gleichwohl unterdurchschnittlich arbeitet. Der Prüfungsmaßstab, ob ein Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt, bezieht sich deshalb nicht auf die Durchschnitts- oder Normalleistung, sondern ist individuell definiert. Das BAG hatte es einmal so formuliert[3]: "Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll und zwar so gut wie er es kann." Wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in einem Rechtsstreit über die Vergütungszahlung vorwirft, er habe die Pflicht zur Leistung des Mindestlohns nicht erfüllt, besteht eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Demnach hat der Arbeitnehmer zunächst von sich aus darzulegen, dass er aus persönlichen unverschuldeten Gründen nicht in der Lage gewesen ist, den Mindestlohn durch die mögliche Arbeitsleistung zu erzielen.

Nach richtiger Auffassung ist nach dem MiLoG keine "Normalleistung" möglich. Vielmehr ist allein auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit abzustellen. Im Ergebnis muss also der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden im jeweiligen Monat und unabhängig davon, ob der Mitarbeiter durchschnittlich, überdurchschnittlich oder unterdurchschnittlich gearbeitet hat, erreicht werden.[4]

 

Rz. 45

Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer leistungsabhängig durch Provisionszahlungen vergütet wird. Auch hier sollte die Provision zunächst so bemessen sein, dass der Mindestlohn mit der Normalleistung erreichbar ist. Wenn der Arbeitnehmer diese Leistung aus individuellen Gründen nicht erreichen kann, muss er das begründen und hat dann Anspruch auf Mindestlohn.[5]

 
Praxis-Beispiel

Eine Vertreterin für Staubsauger mit monatlich 160 Arbeitsstunden erhält ein Fixum i. H. v. 900 EUR. Aufgrund von Provisionen erzielt sie i. d. R. weitere 1.000 – 1.200 EUR pro Monat, sodass ihr Gesamteinkommen bei etwa 2.100 EUR liegt. Zahlt der Arbeitgeber der Vertreterin tatsächlich 2.100 EUR aus und steht die Provisionszahlung nicht unter dem Vorbehalt, dass diese ggf. aufgrund späterer Nachprüfungen mit anderen Vergütungsansprüchen verrechnet werden kann, hätte die Vertreterin 13,12 EUR (= 2.100 EUR/160 Stunden) und damit mehr als 12,41 EUR pro Stunde erhalten.

Ein Problem ergibt sich dann, wenn

  1. die Provisionszahlungen immer erst dann geleistet werden, wenn z. B. der Kunde auch den Staubsauger bezahlt hat und es damit zu zeitlichen Verzögerungen kommt,
  2. die Provisionszahlungen damit nicht den einzelnen Monaten zugeordnet werden können, da diese für mehrere Monate in Summe gezahlt werden oder aber
  3. der Arbeitnehmer nicht die erforderlichen Provisionen erwirtschaftet und dann gezahlte Vorschüsse mit anderen Vergütungsansprüchen verrechnet ...

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