Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags ist die Bezeichnung "Gemeinschaftsrecht" nicht mehr richtig, sondern die früher als Gemeinschaftsrecht bezeichneten Normen heißen nun "Unionsrecht".

Trotz seiner völkerrechtlichen Grundlage unterscheidet sich das Europarecht erheblich von den aus dem klassischen Völkerrecht bekannten Mustern. So sind zahlreiche Bestimmungen des Unionsrechts ohne weiteren Umsetzungsakt unmittelbar in den Mitgliedstaaten wirksam und die Organe der EU können sogar selbstständig neues Recht schaffen, ohne dabei auf die Mitwirkung der nationalen Parlamente angewiesen zu sein. Aus Letzterem folgt die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrecht.

Zum Primärrecht, das an oberster Stelle der unionsrechtlichen Normenpyramide steht, zählen insbesondere die Vorschriften des EU-Vertrags und des AEU-Vertrags. Ähnlich wie eine nationale Verfassung enthalten diese Verträge zunächst einige fundamentale Rechtssätze wie etwa die Grundfreiheiten (AEUV), das Subsidiaritätsprinzip[1] oder das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.[2] Als Grundfreiheiten werden dabei die Vertragsvorschriften bezeichnet, die den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der EG garantieren. Hierzu gehört auch die in Art. 45 AEUV enthaltene Garantie der Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Art. 6 Abs. 1 EUV erklärt die Charta der Grundrechte der EU zum primären Unionsrecht. Art. 6 Abs. 2 EUV gibt der EU die rechtliche Grundlage für einen Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention, der nach Art. 59 Abs. 2 EMRK nunmehr möglich ist.[3]

Das Primärrecht eröffnet den Organen der Union die Kompetenz, selbstständig neues Recht zu setzen. Dieses von den Organen geschaffene Recht wird als Sekundärrecht bezeichnet. Es muss stets auf einer primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen und in allen seinen Teilen primärrechtskonform sein. Die meisten sekundärrechtlichen Vorschriften ergehen in Form von Richtlinien und Verordnungen.[4] Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Typen von Rechtsakten besteht darin, dass Richtlinien lediglich Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten enthalten und daher grundsätzlich noch der Umsetzung in nationales Recht bedürfen[5], um Wirkungen für Bürger und Unternehmen in den Mitgliedstaaten zu entfalten. Verordnungen gelten dagegen wie nationale Gesetze unmittelbar.[6]

[3] Vgl. dazu: Geiger/Khan/Kotzur-Geiger, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2017, Art. 6 EUV Rz. 22; vgl. aber die mittelfristige Blockade eines Beitritts durch EuGH, Gutachten v. 18.12.2014, C-2/13; dazu Anmerkung Streinz, JuS 2015, S. 567.
[4] Wegen der einschlägigen Kompetenznormen des AEU-Vertrags für Sekundärrecht im Bereich des Arbeitsrechts sind dort in erster Linie Richtlinien und nur wenige Verordnungen erlassen worden; vgl. ErfK-Schlachter, 22. Aufl. 2022, Vorb. zum AEUV, Rz. 21.

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