Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung. Bedingungen für den Zugang zu Beschäftigung und Beruf. Begriff. Öffentliche Äußerungen, mit denen die Einstellung homosexueller Personen ausgeschlossen wird. Rechtsschutz. Sanktionen. Juristische Person, die ein Kollektivinteresse vertritt. Klagebefugnis, ohne dass im Namen einer bestimmten beschwerten Person gehandelt wird oder ein Geschädigter vorhanden ist. Anspruch auf Schadensersatz

 

Normenkette

Richtlinie 2000/78/EG Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 11 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1

 

Beteiligte

Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI

NH

Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI – Rete Lenford

 

Tenor

1. Der Begriff „Bedingungen … für den Zugang zu [einer] Erwerbstätigkeit” in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass unter diesen Begriff Äußerungen einer Person fallen, wonach sie niemals Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung einstellen noch in ihrem Unternehmen beschäftigen würde, die diese Person in einer Radio- oder Fernsehsendung zu einem Zeitpunkt machte, zu dem ein Einstellungsverfahren weder im Gange noch geplant war, sofern die Verbindung dieser Äußerungen zu den Bedingungen für den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit in diesem Unternehmen nicht hypothetisch ist.

2. Die Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach eine Vereinigung von Rechtsanwälten, deren satzungsmäßiger Zweck darin besteht, namentlich Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung vor Gericht Beistand zu leisten sowie die Kultur und die Achtung der Rechte dieser Personengruppe zu fördern, aufgrund dieses Zwecks und unabhängig von ihrer etwaigen Gewinnerzielungsabsicht automatisch befugt ist, ein gerichtliches Verfahren zur Durchsetzung der Ansprüche aus dieser Richtlinie einzuleiten und gegebenenfalls Schadensersatz geltend zu machen, wenn Tatsachen eintreten, die den Tatbestand einer Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie gegenüber dieser Personengruppe erfüllen könnten und sich kein Geschädigter feststellen lässt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 30. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 2. August 2018, in dem Verfahren

NH

gegen

Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI – Rete Lenford

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, M. Vilaras, E. Regan, P. G. Xuereb und I. Jarukaitis (Berichterstatter), der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, der Richterin C. Toader, des Richters F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und N. Piçarra,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von NH, vertreten durch C. Taormina und G. Taormina, avvocati,
  • der Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI – Rete Lenford, vertreten durch A. Guariso, avvocato,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Socio, avvocato dello Stato,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch E.-M. Mamouna als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 31. Oktober 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2, 3 und 9 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NH und der Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI – Rete Lenford (im Folgenden: Associazione) wegen der Äußerungen, die NH in einer Radiosendung machte und denen zufolge er in seiner Anwaltskanzlei nicht mit homosexuellen Personen zusammenarbeiten wolle.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Charta

Rz. 3

Art. 11 „Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit”) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) bestimmt in seinem Abs. 1:

„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen un...

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