Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen. Niederlassungsfreiheit. Unternehmerische Freiheit. Nationale Regelung, die einer Verwaltungsbehörde die Befugnis verleiht, nach Würdigung der Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und der Belange der nationalen Wirtschaft Massenentlassungen zu untersagen. Schwere Wirtschaftskrise. Besonders hohe nationale Arbeitslosenquote

 

Normenkette

Richtlinie 98/59/EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 16; AEUV Art. 49

 

Beteiligte

AGET Iraklis

Anonymi Geniki Etairia Tsimenton Iraklis (AGET Iraklis)

Ypourgos Ergasias, Koinonikis Asfalisis kai Koinonikis Allilengyis

 

Tenor

1. Die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der ein Arbeitgeber bei Fehlen einer Einigung mit den Arbeitnehmervertretern über eine beabsichtigte Massenentlassung eine solche Entlassung nur vornehmen kann, wenn die zuständige nationale Behörde, der dieses Vorhaben anzuzeigen ist, innerhalb der in dieser Regelung vorgesehenen Frist nach Prüfung der Akten und Abwägung der Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und der Belange der nationalen Wirtschaft keine mit Gründen versehene Entscheidung erlässt, alle oder einen Teil der beabsichtigten Entlassungen nicht zu genehmigen, grundsätzlich nicht entgegensteht. Anders verhält es sich jedoch, wenn diese Regelung – was gegebenenfalls zu prüfen, Sache des vorlegenden Gerichts ist – in Anbetracht der drei Beurteilungskriterien, auf die sie Bezug nimmt, und deren Anwendung durch diese Behörde im konkreten Fall unter der Kontrolle der zuständigen Gerichte dazu führt, dass den Bestimmungen dieser Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit genommen wird.

Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer nationalen Regelung wie der in Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 dieses Tenors genannten entgegensteht.

2. Auf die in Nr. 1 dieses Tenors gegebenen Antworten kann es keinen Einfluss haben, wenn in einem Mitgliedstaat Rahmenbedingungen vorliegen sollten, die von einer schweren Wirtschaftskrise und einer besonders hohen Arbeitslosenquote gekennzeichnet sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) mit Entscheidung vom 7. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 29. April 2015, in dem Verfahren

Anonymi Geniki Etairia Tsimenton Iraklis (AGET Iraklis)

gegen

Ypourgos Ergasias, Koinonikis Asfalisis kai Koinonikis Allilengyis,

Beteiligte:

Enosi Ergazomenon Tsimenton Chalkidas,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça und E. Juhász, der Kammerpräsidentinnen M. Berger und A. Prechal (Berichterstatterin) und des Kammerpräsidenten M. Vilaras sowie der Richter A. Rosas, A. Borg Barthet, D. Šváby und E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Anonymi Geniki Etairia Tsimenton Iraklis (AGET Iraklis), vertreten durch C. Theodorou, A. Vagias, C. Synodinos, S. Staes Polet, A. Papastavrou, dikigoroi, sowie durch Rechtsanwalt F. Montag und durch F. Hoseinian, avocat,
  • der Enosi Ergazomenon Tsimenton Chalkidas, vertreten durch E. Tzovla, dikigoros,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis und A. Dimitrakopoulou als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,
  • der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch C. Zatschler und M. Moustakali als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16) sowie der Art. 49 und 63 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Anonymi Geniki Etairia Tsimenton Iraklis (AGET Iraklis) gegen den Ypourgos Ergasias, Koinonikis Asfalisis kai Koinonikis Allilengyis (Minister für Arbeit, soziale Sicherheit und Solidarität der Gesellschaft, im Folgenden: Minister) über dessen Weigerung, AGET Iraklis die Genehmigung zur Vornahme von Massenentlassungen zu erteilen.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 98/59

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 1 bis 4 und 7 der Richtlinie 98/59 heißt es:

„(1) Aus Gründen der Übersichtl...

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