Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Auf einen Arbeitsvertrag anwendbares Recht. Zeitlicher Anwendungsbereich. Begriff ‚Eingriffsnormen’. Anwendung von Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten als des Staates des angerufenen Gerichts. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die wegen einer Haushaltskrise eine Kürzung der Gehälter im öffentlichen Sektor vorsehen. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit

 

Normenkette

EGVO Nr. 593/2008 Art. 28, 9

 

Beteiligte

Nikiforidis

Republik Griechenland

Grigorios Nikiforidis

 

Tenor

1. Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) ist dahin auszulegen, dass ein vor dem 17. Dezember 2009 begründetes vertragliches Arbeitsverhältnis nur dann in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, wenn es durch gegenseitiges Einvernehmen der Vertragsparteien, das sich ab diesem Zeitpunkt manifestiert hat, in einem solchen Umfang geändert wurde, dass davon auszugehen ist, dass ab diesem Zeitpunkt ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen wurde, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist.

2. Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 593/2008 ist dahin auszulegen, dass er es dem angerufenen Gericht nicht erlaubt, andere Eingriffsnormen als die des Staates des angerufenen Gerichts oder des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, als Rechtsvorschriften anzuwenden, ihm jedoch nicht verbietet, solche anderen Eingriffsnormen als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit das nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag anwendbare nationale Recht dies vorsieht. Diese Auslegung wird durch den in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht in Frage gestellt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2015, in dem Verfahren

Republik Griechenland

gegen

Grigorios Nikiforidis

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen und T. von Danwitz sowie der Richter A. Borg Barthet, A. Arabadjiev, E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund, C. Vajda, S. Rodin, F. Biltgen und C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Nikiforidis, vertreten durch Rechtsanwalt G. Zeug,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Kemper und J. Mentgen als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch S. Charitaki und A. Magrippi als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Kraehling als Bevollmächtigte und M. Gray, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. April 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV sowie von Art. 9 Abs. 3 und Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, Berichtigung in ABl. 2009, L 309, S. 87, im Folgenden: Rom-I-Verordnung), die nach ihrem Art. 24 in den Mitgliedstaaten an die Stelle des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (ABl. 1980, L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom), getreten ist.

Rz. 2

Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Republik Griechenland und Herrn Grigorios Nikiforidis, einem griechischen Staatsangehörigen, der als Lehrer an der Griechischen Volksschule in Nürnberg (Deutschland) angestellt ist. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist insbesondere die Kürzung des Bruttogehalts von Herrn Nikiforidis nach dem Erlass zweier Gesetze durch die Republik Griechenland, mit denen eine Reduzierung des Haushaltsdefizits erreicht werden soll.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rom-I-Verordnung

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 6, 7, 16 und 37 der Rom-I-Verordnung lauten:

„(6) Um den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer zu machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern, müssen die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, dasselbe Recht bestimmen.

(7) Der materielle Anwend...

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