Entscheidungsstichwort (Thema)

Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Haftung des Mitgliedstaats wegen verspäteter Umsetzung einer Richtlinie. Begrenzung der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen für die Befriedigung nichterfüllter Ansprüche der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt. Auslegung des Begriffs „Eintritt der Zahlungsunfähigkeit” in Art. 3 Abs. 2 erster Gedankenstrich und Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 80/987 hinsichtlich des Zeitpunktes. Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Bürger durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen. Rückwirkende vollständige Anwendung der Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie auf Arbeitnehmer, die die verspätete Umsetzung geschädigt hat

 

Normenkette

EGV Art. 177; EGVtr Art. 234; Richtlinie 80/987/EWG des Rates Art. 2; Richtlinie 80/987/EWG des Rates Art. 3 Abs. 2; Richtlinie 80/987/EWG des Rates Art. 4 Abs. 2; Richtlinie 80/987/EWG des Rates Art. 4 Abs. 3; Richtlinie 80/987/EWG des Rates Art. 10; italienischen Decreto Legislativo Nr. 80 Art. 2 Abs. 7, 4

 

Beteiligte

Maso

Federica Maso u. a

Graziano Gazzetta u. a

Italienische Republik

Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS)

 

Verfahrensgang

Pretura circondariale di Venezia (Italien)

 

Tenor

1.

Ein Mitgliedstaat kann im Rahmen des Ersatzes des Schadens, der Arbeitnehmern durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers entstanden ist, die verspätet erlassenen Durchführungsmaßnahmen einschließlich der Antikumulierungsbestimmungen oder sonstigen Begrenzungen der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtung rückwirkend anwenden, sofern die Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt worden ist. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, darauf zu achten, daß der den Betroffenen entstandene Schaden angemessen wiedergutgemacht wird. Eine rückwirkende, ordnungsgemäße und vollständige Anwendung der Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie genügt hierfür, sofern die Begünstigten nicht das Vorliegen zusätzlicher Einbußen dartun, die ihnen dadurch entstanden sind, daß sie nicht rechtzeitig in den Genuß der durch die Richtlinie garantierten finanziellen Vergünstigungen gelangen konnten; für diese wären sie ebenfalls zu entschädigen.

2.

Der „Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers” im Sinne der Artikel 3 Absatz 2 und 4 Absatz 2 der Richtlinie 80/987 ist der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung, wobei die garantierte Leistung nicht vor der Entscheidung über die Eröffnung eines solchen Verfahrens oder – bei unzureichender Vermögensmasse – der Feststellung der endgültigen Schließung des Unternehmens gewährt werden kann.

3.

Ein Mitgliedstaat darf nach den Artikeln 4 Absatz 3 und 10 der Richtlinie 80/987 den gleichzeitigen Bezug der durch die Richtlinie garantierten Beträge und einer Entschädigung wie der Mobilitätsentschädigung im Sinne der Artikel 4 und 16 des Gesetzes Nr. 223 vom 23. Juli 1991, die der Sicherstellung des Lebensunterhalts eines entlassenen Arbeitnehmers in den drei Monaten dient, die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgen, nicht ausschließen darf.

4.

Der Begriff „die drei letzten Monate des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses” in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 80/987 bedeutet drei ganze Monate.

 

Gründe

1.

Die Pretura circondariale Venedig hat mit Beschluß vom 3. November 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 29. November 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 2, 3 Absatz 2, 4 Absätze 2 und 3 sowie 10 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23; im folgenden: Richtlinie) sowie des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden, die dem Bürger durch eine dem Staat zuzurechnende Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstanden sind, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.

Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen Federica Maso und elf weiteren Personen sowie Graziano Gazzetta und siebzehn weiteren Personen (Kläger) und dem Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) über den Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schadens.

3.

Die Richtlinie soll den Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers unbeschadet günstigerer Bestimmungen der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene einen Mindestschutz gewährleisten. Zu diesem Zweck sieht sie u. a. spezielle Garantien für die Befriedigung nichterfüllter Ansprüche der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt vor.

4.

Nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten vor dem 23. Oktober 1983 alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um ...

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