Auch bei der Reduzierung oder Streichung der außer- oder übertariflichen Zulagen kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht. Der große Senat des BAG hat bereits 1991 entschieden, dass unter dem Stichwort der Verteilungsgerechtigkeit der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht haben kann, wenn die Zulagen reduziert werden sollen.[1]

In der Folgezeit haben das BAG und die Untergerichte diese Entscheidung anhand verschiedener Ausgangslagen konkretisiert und folgende Grundsätze aufgestellt:

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hängt bei der Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen davon ab, ob bei der Entscheidung des Arbeitgebers über die Anrechnung ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber eine Tariferhöhung nur teilweise auf die übertarifliche Zulage anrechnet.

Nimmt ein Arbeitgeber bei zeitlich gestaffelten oder aufeinander aufbauenden Erhöhungen des Tarifentgelts anlässlich der 1. Erhöhung keine, anlässlich der 2. Erhöhung dagegen eine vollständige und gleichmäßige Anrechnung vor, hängt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats davon ab, ob mehrere voneinander unabhängige Entscheidungen des Arbeitgebers über eine mögliche Anrechnung vorliegen oder den Entscheidungen eine einheitliche Konzeption zugrunde liegt. Entscheidet der Arbeitgeber von vornherein, die beiden Erhöhungen unterschiedlich zu behandeln, besteht ein Mitbestimmungsrecht. Wenn der Arbeitgeber aber zunächst die Entscheidung trifft, die erste Erhöhung nicht anzurechnen, sich aber später dazu entscheidet, die zweite Erhöhung gleichmäßig anzurechnen, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.[2]

Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine einheitliche Gesamtkonzeption vorliegt, sind die Umstände des Einzelfalls. Dabei ist insbesondere der zeitliche Abstand zwischen den Anrechnungsmaßnahmen von wesentlicher Bedeutung. Außerdem kann die Frage, ob eine einheitliche Tarifentgelterhöhung oder mehrere selbstständige Tarifentgelterhöhungen vorliegen, eine erhebliche Rolle spielen. Verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, führt dies insgesamt zur Unwirksamkeit der Anrechnung.[3]

Dies gilt unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolgt oder sich automatisch vollzieht.

Anrechnung bzw. Widerruf sind dagegen mitbestimmungsfrei, wenn dadurch das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt wird oder die Tariferhöhung vollständig und gleichmäßig auf die über-/außertariflichen Zulagen angerechnet wird.

Ohne Bedeutung ist insoweit, dass der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei entscheiden kann, ob und inwieweit er die für die Zulage insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel verringern will.[4]

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen setzt nicht voraus, dass die Zulage neben dem Tarifentgelt ausdrücklich ausgewiesen ist. Entscheidend ist, ob auf das Arbeitsverhältnis ein tarifliches oder betriebliches Entgeltsystem anwendbar ist und die Gesamtvergütung daher in einen tariflichen und einen übertariflichen Bestandteil aufgeteilt werden kann.

Hat der Betriebsrat der Einführung eines Zulagensystems zugestimmt, löst eine Änderung der Verteilungsgrundsätze durch unterschiedliche Anrechnung einer Tariferhöhung auf die Zulagen einzelner Arbeitnehmer dann kein erneutes Mitbestimmungsrecht aus, wenn diese Änderung ihre Ursache allein im Vollzug der mitbestimmten Regelung hat.[5]

Eine rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren über eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit kann präjudizielle Bindungswirkung für Individualstreitigkeiten entfalten. Davon ist auszugehen, wenn in einem Beschlussverfahren rechtskräftig entschieden ist, dass der Betriebsrat bei der Anrechnung von Tariferhöhungen auf eine freiwillige übertarifliche Zulage nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat. In solch einem Fall hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf ungekürzte Zahlung der freiwilligen Zulage.[6]

Mitbestimmungsfrei nach der aktuellen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, insbesondere des BAG, sind der vollständige Widerruf der Zulagen oder die gleichmäßige Kürzung der Zulagen durch Anrechnung allgemeiner Entgelterhöhungen.

Beim vollständigen Widerruf der Zulage gegenüber allen Beschäftigten, die eine solche Zulage haben, verbleiben keine freiwilligen Zulagen mehr, über deren Verteilung der Betriebsrat mitbestimmen kann. Allerdings ist darauf zu achten, ob arbeitsvertraglich gegenüber dem einzelnen Beschäftigten ein Widerruf statthaft und zulässig ist.

Gleiches gilt, wenn allgemeine Entgelterhöhungen vollständig auf die Zulagen angerechnet werden. Entscheidend ist dabei alleine, dass der Betrag, der dem einzelnen Beschäftigten aus der allgemeinen Entgelterhöhung zusteht, mit der Zulage vollständig verrechnet wird. Wenn dann bei dem einen Beschäftigten noch ein "Rest" der Zulage verbleibt, der andere Beschäftigte eine Erhöhung erhält, weil seine Zulag...

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