Die Blogparade #NewPay offenbarte eine weitere gesellschaftliche Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung von Gehalt: Viele Beiträge setzten sich kritisch mit dem Thema Arbeitszeit auseinander. Die Autoren hinterfragten dabei 2 scheinbar unveränderliche Eckpfeiler unserer Arbeitswelt: Die Vergütung nach Arbeitszeit und den Achtstundentag in einer Fünftagewoche.

Die Autoren bemängelten die Präsenzkultur in vielen Unternehmen: Belohnt wird immer noch, wer lange im Büro anwesend ist. Jegliche Form der Abwesenheit und sei es, um im Homeoffice zu arbeiten, werden weiterhin oft kritisch betrachtet. Diese Haltung beruht oft auf der Annahme, dass Mitarbeiter in mehr (Arbeits-)Zeit auch mehr leisten – und das vor allem dann, wenn sie präsent sind. Diese Annahme trifft aus unserer Sicht nur dann zu, wenn die Beschäftigten stark standardisierte Tätigkeiten ausführen, die in nahezu beliebig viele Prozessschritte zerlegbar sind. Doch diese Aufgaben übernehmen heute immer häufiger Maschinen oder Computer. Somit ist diese Haltung ein Indiz, dass tradierte Arbeitskonzepte aus dem Industriezeitalter beharrlich auf heutige Tätigkeitsbereiche ausstrahlen, die nach anderen Logiken funktionieren.

Bei dem einen oder anderen mehren sich Zweifel, dass die zunehmende Dynamik und Komplexität der Arbeitsanforderungen sich in Achtstundentagen abarbeiten lassen. Wer kann schon die Konzentration für hochkomplexe Aufgaben 8, 9 oder gar 10 Stunden am Tag aufrechterhalten? Auch Kreativität hält sich eher selten an Zeitvorgaben und vorgegebene Arbeitsorte und ist nicht beliebig reproduzierbar.

Diesen Überlegungen lassen erste Unternehmen Taten folgen, indem sie mit alternativen Arbeitszeitmodellen experimentieren. Weltweites Aufsehen erregten Unternehmen in den USA und Schweden, die einen 5-Stunden-Tag bei gleichem Lohn erprobten bzw. dauerhaft einführten. Wie z. B. die Firma Tower Paddle Board in Kalifornien, USA. Stephan Aarstol, Gründer des Surfbrettherstellers, inspirierte viele mit seinem Buch "The five-hour workday: live differently, unlock productivity, and find happiness". Doch dort ist der 5-Stunden-Tag aktuell lediglich auf die Sommermonate Juni bis September begrenzt.

Und auch in Deutschland sorgt ein Unternehmen für Furore: Rheingans Digital Enabler aus Bielefeld, eine Digitalagentur mit rund 15 Mitarbeitern, mit der Mission, Unternehmen in der digitalen Transformation zu begleiten und zu beraten. Hier arbeitet die Belegschaft seit November 2017 nur noch 25 Stunden pro Woche und das bei vollem Lohnausgleich. Gestartet als Experiment für ein paar Monate, arbeitet das Unternehmen auch ein Jahr später noch in diesem neuen Arbeitszeitmodell. Die Presseresonanz ist beeindruckend: Allein in den ersten 9 Monaten nach der Umstellung auf den 5-Stunden-Tag erschienen rund 90 Beiträge im In- wie Ausland über diesen alternativen Ansatz.

Warum löst ein Arbeitszeitexperiment in einem kleinen Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe diese Resonanz aus? Warum erscheint es so revolutionär, den Arbeitstag in Anbetracht veränderter Arbeitsanforderungen zu überdenken und neue Wege zu erproben?

Fakt ist, der Achtstundentag ist in unsere kulturelle DNA derart verwoben, dass viele Menschen sich eine andere Gestaltung der Arbeitszeit schlicht nicht vorstellen können. Doch die Idee des Achtstundentags ist erst rund 200 Jahre alt und war ursprünglich eine Forderung der Arbeiterbewegungen. 1856 erstmals in Australien gesetzlich verankert, dauerte es noch bis 1918 bis der Achtstundentag erstmals auch in Deutschland gesetzlich festgeschrieben wurde. Damals allerdings noch im Rahmen einer Sechstagewoche.[1]

Erleben wir auch heute wieder einen solchen Einschnitt beim Thema Arbeitszeit? Die Reaktionen auf das Experiment in Bielefeld, die von Begeisterung bis zu absoluter Ablehnung reichen, halten uns den Spiegel vor: Unsere Arbeitswelt wird immer noch geprägt von Glaubenssätzen wie "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!". Dass das Vergnügen länger andauern könnte als die Arbeit, erscheint vielen in unserem kulturellen Kontext für undenkbar.

Insbesondere die protestantisch-calvinistische Ethik findet sich in den Tugenden, die der preußische Staat unter Friedrich Wilhelm I. propagierte und förderte, wieder. Daraus entstanden "deutsche Tugenden" wie Pünktlichkeit, Ordnung oder Fleiß.

Diese Werte haben unsere Wirtschaft im Industriezeitalter erfolgreich gemacht. Ob sie uns auch in der Wissens- und Informationsgesellschaft weiterhelfen werden, bleibt fraglich. Die Möglichkeit von Planung und Kontrolle sind in einer hoch-vernetzen, komplexen und zum Teil auch chaotischen Umwelt begrenzt. Dafür benötigen wir neue Kompetenzen und Verhaltensweisen. Und wenn wir nach neuen Formen der Arbeit suchen, tun wir gut daran, alle Parameter zu hinterfragen und kritisch zu prüfen.

Aktuell erleben wir, dass frei verfügbare Zeit für Menschen immer bedeutsamer wird. Das zeigt sich zum einen in einer steigenden Nachfrage nach Sabbaticals und in einem über alle Altersgruppen gestiegenem Bedürfnis nach ...

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