Das GeschGehG beschreibt bestimmte Verhaltensweisen, die nicht den Verboten des § 4 GeschGehG unterliegen. Der Gesetzgeber hat hierbei folgendes Regelungssystem gewählt: In § 3 GeschGehG sind Verhaltensweisen geregelt, die erlaubt sind, d. h. von vornherein nicht den Verboten des § 4 GeschGehG unterliegen. In § 5 GeschGehG hingegen sind Verhaltensweisen geregelt, die eigentlich den Verboten des § 4 GeschGehG unterliegen, aber aus bestimmten Gründen ausnahmsweise von den Verboten ausgenommen wurden. In strafrechtlicher Hinsicht bedeutet im Ergebnis beides dasselbe: Liegen diese zulässigen Verhaltensweisen vor, ist der objektive Tatbestand des § 23 GeschGehG nicht erfüllt. Nachfolgend sollen zwei besonders praxisrelevante zulässige Verhaltensweisen dargestellt werden.

4.2.1 Reverse Engineering

Reverse Engineering meint einen Vorgang, bei dem durch Beobachten, Testen, Untersuchen oder Rückbau von erworbenen Mitbewerberprodukten versucht wird, an das im Produkt enthaltene Know-how zu gelangen.[1] Von der Ausnahme der Offenkundigkeit des Geheimnisses abgesehen, war ein solches Verhalten nach der alten Rechtslage grundsätzlich nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG a. F. strafbar.[2] § 3 GeschGehG lässt Reverse-Engineering nun grundsätzlich in zwei Fällen zu:

  1. uneingeschränkt, wenn das Produkt oder der Gegenstand öffentlich verfügbar gemacht wurde und
  2. wenn der Beobachtende, Untersuchende, Rückbauende oder Testende das Produkt oder den Gegenstand in seinem rechtmäßigen Besitz hat, aber nur dann, wenn er keiner Pflicht zur Beschränkung der Erlangung des Geschäftsgeheimnisses unterliegt.

Für Unternehmen folgt daraus, dass sie das Reverse-Engineering vertraglich ausschließen müssen, wenn sie ihre Geschäftsgeheimnisse effektiv schützen wollen. Die neue Regelung des § 3 GeschGehG wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur bereits als die Begründung eines "Paradigmenwechsels" verstanden.[3]

[1] Apel/Walling, DB 2019, S. 896.
[2] Ausgangspunkt für diese Ansicht war die "Stiefeleisenpressen-Entscheidung" des Reichsgerichts aus dem Jahre 1935, RGZ 149, 334; siehe auch Ohly, GRUR 2019, 447.
[3] So Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, S. 143 m. w. N.

4.2.2 Whistleblowing

Bereits im obigen arbeitsrechtlichen Teil des Beitrags wurde kurz auf die Regelungen zum Whistleblowing eingegangen. Der Umgang mit Whistleblowern ist eine der zentralen strafrechtlichen Fragen bei dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen, weshalb sie auch aus dieser Perspektive noch einmal beleuchtet werden soll. Unter Whistleblowing versteht man im Allgemeinen die Meldung von Fehlverhalten im Unternehmen an interne Stellen, Behörden oder die Presse.[1] Die alten Strafnormen des UWG enthielten für diesen Fall keine Spezialregelung, etwa in Form eines Rechtfertigungsgrundes. Weil allerdings durchaus anerkannt war, dass das Whistleblowing unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar sein sollte, wurden unterschiedliche "Auswege" vorgeschlagen. Teilweise wurde bereits davon ausgegangen, dass ein Fehlverhalten in diesem Sinne schon kein Geschäftsgeheimnis darstellen kann. Die überwiegende Auffassung hat indes – mit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise – ein Geschäftsgeheimnis angenommen und eine Rechtfertigung, insbesondere über § 34 StGB für möglich gehalten.[2] Hierbei stellten sich jedoch erhebliche Probleme, insbesondere wenn es sich um ein Fehlverhalten handelte, das in der Vergangenheit lag.

Das Geschäftsgeheimnisgesetz enthält mit § 5 Nr. 2 GeschGehG eine Regelung, die das Whistleblowing unter bestimmten Voraussetzungen schon aus dem Tatbestand der Strafnorm herausnimmt. Dass nun eine solche Regelung existiert, soll zunächst als Fortschritt gegenüber der ursprünglichen Rechtslage zu begreifen sein. Allerdings ist diese Vorschrift mit erheblichen Unsicherheiten behaftet:

Neben der Aufdeckung eines rechtswidrigen Handelns oder eines beruflichen Fehlverhaltens soll auch die Aufdeckung eines "sonstigen Fehlverhaltens" zulässig sein. Die Bundesregierung führt in der Gesetzesbegründung aus, dass hiervon Aktivitäten erfasst sein können, "die ein unethisches Verhalten darstellen, aber nicht notwendigerweise gegen Rechtsvorschriften verstoßen."[3] Als Beispiele dafür werden etwa Kinderarbeit oder gesundheits- oder umweltschädliche Produktionsbedingungen genannt, die im Ausland durchgeführt werden und dort nicht rechtswidrig sind. Das OLG Oldenburg[4] hat entschieden, dass Informationen über Giftstoffexporte eines Unternehmens in die USA, die dort zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet werden, unter das Merkmal "ethisch zu missbilligendes Verhalten" zu fassen sind. Im Übrigen ist gänzlich unklar, was der Gesetzgeber mit "unethischem Verhalten" meint, bzw. welchen Grenzen dieser Begriff unterliegt. Die Unbestimmtheit des Begriffs "sonstiges Fehlverhalten" hat sowohl für den Unternehmer als auch für den Whistleblower erhebliche Konsequenzen: Der Whistleblower unterlässt möglicherweise die Offenlegung (sowie daneben ein Erlangen und Nutzen), weil er sich nicht imstande sieht, im Vorhinein seine Strafbarkeit sicher auszusch...

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