Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutz. feststellender Verwaltungsakt. Gefahr, abstrakte –. Gefahr, Begriff der – (hier: Mutterschutzrecht). Gefahrenabwehr. Gesundheitsvorsorge. Restrisiko. Infektionsgefahren durch Aids- und Hepatitisviren. Mutterschutzgesetz, Anwendbarkeit des – auf Assistenzzahnärztinnen. –, feststellender Verwaltungsakt. –, Beschäftigungsverbote des – als Instrument der Gefahrenabwehr. – Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bei infektionsgefährlichen Arbeiten. Restrisiko und Mutterschutzrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Für ein mutterschutzrechtliches Beschäftigungsverbot, mit dem der Gefahr einer Infektion mit Aids- oder Hepatitisviren vorgebeugt werden soll, genügt bereits eine sehr geringe Infektionswahrscheinlichkeit.

 

Normenkette

MuSchG § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 2 Nr. 6, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 S. 1; GefStoffV § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 26 Abs. 5 S. 3, § 38

 

Verfahrensgang

OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.10.1989; Aktenzeichen 12 A 72/88)

VG Mainz (Urteil vom 10.03.1988; Aktenzeichen 1 K 128/87)

 

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Oktober 1989 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 10. März 1988 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer mutterschutzrechtlichen Anordnung des Beklagten, mit der dieser dem Kläger aufgegeben hat, die in seiner Zahnarztpraxis beschäftigte schwangere Assistenzzahnärztin Dr. S.-M. ab sofort nicht mehr mit Arbeiten zu beschäftigen, bei denen die Gefahr besteht, daß die Schutzfunktion der verwendeten persönlichen Schutzausrüstung (wie Mundschutz, Schutzhandschuhe) z.B. durch den Umgang mit möglicherweise infizierten spitzen, schneidenden, stechenden oder scharfen Gegenständen aufgehoben wird.

Die unter dem 16. April 1987 ergangene Anordnung enthält in ihrer Begründung folgende Erläuterung: „Dies bedeutet konkret, daß eine schwangere Zahnärztin keine invasiv-operativen Tätigkeiten wie dentalchirurgische Eingriffe, Zahnextraktionen, Injektionen ausführen darf und alle übrigen Behandlungen wie konservierende Arbeiten nur dann ausgeführt werden dürfen, wenn eine Verletzungs- und damit Infektionsgefahr ausgeschlossen wird.” Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger Anfechtungsklage, die er im Laufe des Verfahrens auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellte, weil der Arbeitsvertrag der Assistenzzahnärztin zum 30. April 1987 ausgelaufen war. Die Klage hatte im ersten und im zweiten Rechtszug Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil im wesentlichen wie folgt begründet:

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die vom Kläger begehrte Feststellung getroffen. Die Klage sei entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO wegen der bestehenden Wiederholungsgefahr zulässig. Sie habe auch in der Sache Erfolg. Denn die getroffene Anordnung finde keine Rechtfertigung in den maßgeblichen Vorschriften des Mutterschutzgesetzes. Zwar sei das Mutterschutzgesetz auf die Beigeladene anzuwenden, weil diese nach dem Inhalt des Anstellungsvertrages beim Kläger als Arbeitnehmerin und nicht als selbständige Zahnärztin tätig geworden sei. Es fehle jedoch an einer Ermächtigungsgrundlage für die vom Beklagten erlassene mutterschutzrechtliche Anordnung. Sie lasse sich weder auf § 4 Abs. 4 MuSchG in Verbindung mit § 26 Abs. 5 Satz 3 Gefahrstoffverordnung noch auf § 4 Abs. 2 Nr. 6 oder § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 MuSchG stützen. Denn alle diese Vorschriften verlangten, daß die werdende Mutter Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt sein müsse. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor. Der Begriff „ausgesetzt” erfordere einen Kontakt mit den gesundheitsgefährdenden Stoffen von einer gewissen Häufigkeit. Das sei bei der zahnärztlichen Tätigkeit zu verneinen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Beigeladene gerade mit Blut und Speichel eines infizierten Patienten in Berührung komme, sei von vornherein nicht sehr hoch. Sie vermindere sich noch auf einen sehr geringen Grad, wenn bei der Behandlung des Patienten Schutzkleidung getragen werde. Zwar bleibe ein Restrisiko bestehen, weil ein „Inberührungkommen” mit infiziertem Blut und Speichel auch bei Gebrauch von Schutzkleidung im Falle einer Verletzung durch schneidende oder stechende Instrumente nicht völlig ausgeschlossen werden könne. Doch reiche diese Möglichkeit angesichts ihrer geringen Wahrscheinlichkeit nicht aus, um ein „Ausgesetztsein” begründen zu können. Die angefochtene Anordnung könne auch nicht auf § 4 Abs. 5 Satz 2 MuSchG gestützt werden, denn diese Verbotsermächtigung im Einzelfall setze ebenfalls voraus, daß die Gesundheitsgefahr mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestehe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt. Er rügt zum einen die Verletzung des § 4 Abs. 4 MuSchG in Verbindung mit § 26 Abs. 5 Satz 3 Gefahrstoffverordnung, des § 4 Abs. 2 Nr. 6 und des § 4 Abs. 1 MuSchG und zum anderen die Verletzung von § 4 Abs. 5 Satz 2 MuSchG. Die Beschäftigungsverbote des Mutterschutzgesetzes stellten nicht darauf ab, wie häufig der Umgang mit tatsächlich infiziertem Blut sei, sondern auf die Häufigkeit des Umangs mit einem Stoff, der infiziert sein könne. Das Berufungsgericht räume selbst ein, daß die Hepatitisinfektion bei Zahnärzten eine relativ häufige Erkrankung darstelle. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wie das Berufungsgericht aus dieser Tatsache den Schluß ziehen könne, daß die Wahrscheinlichkeit eines Kontaktes der schwangeren Frau mit infiziertem Blut oder Speichel nicht sehr hoch sei. Auch für § 4 Abs. 5 Satz 2 MuSchG reiche es aus, wenn ein – wenn auch geringer – Grad an Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes bestehe.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die mutterschutzrechtliche Anordnung des Beklagten sei rechtswidrig, verletzt Bundesrecht. Das Oberverwaltungsgericht hätte das verwaltungsgerichtliche Urteil aufheben und die Klage abweisen müssen.

Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, daß das Mutterschutzgesetz – MuSchG – in der hier maßgeblichen Fassung des § 38 des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S. 2154) auf die Beigeladene Anwendung findet. Abgesehen von weiblichen in Heimarbeit Beschäftigten und ihnen Gleichgestellten (§ 1 Nr. 2) gilt dieses Gesetz nur für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen (§ 1 Nr. 1). Dabei wird ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts vorausgesetzt (vgl. BSG, Urteile vom 28. Oktober 1965 – 3 RK 73/61 – ≪Breithaupt 1966 Nr. 66≫, vom 9. November 1977 – 3 RK 63/76 – ≪BSGE 45, 114/116≫ sowie vom 24. November 1983 – 3 RK 35/82 – ≪USK 83151 S. 707/708≫). Das Vorliegen eines solchen Arbeitsverhältnisses hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die im Anstellungsvertrag vom 2. Mai 1985 zum Ausdruck gekommene persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit der Beigeladenen bejaht. Hiergegen wendet sich der Kläger zu Unrecht. Daß Gegenstand des Anstellungsvertrags eine zahnärztliche Tätigkeit ist, zwingt – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht zur Annahme eines selbständigen Dienstverhältnisses. Denn ärztliche Tätigkeiten können auch im Rahmen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden (vgl. BAG, Urteil vom 27. Juli 1961 – 2 AZR 255/60 – ≪NJW 1961, 2085 f.≫).

Die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit, die Arbeitsverhältnisse prägt, ist auch der Grund, warum der Gesetzgeber es für erforderlich gehalten hat, Arbeitnehmerinnen im Fall der Schwangerschaft mit dem Arbeitgeber auferlegten Beschäftigungsverboten in Schutz zu nehmen, um den Widerstreit zwischen den Aufgaben der Frau als Mutter und ihrer Stellung im Berufsleben als Arbeitnehmerin im Interesse der Gesunderhaltung von Mutter und Kind auszugleichen (vgl. BVerfGE 37, 121 ≪125≫). Daß Zahnärztinnen von solchen Verboten erfaßt werden, wenn sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig sind, nicht hingegen, wenn sie als Selbständige praktizieren, verstößt entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn die besondere Schutzbedürftigkeit von in persönlicher Abhängigkeit vom Arbeitgeber erwerbstätigen Müttern ist ein sachlich einleuchtender Differenzierungsgrund (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 1983 ≪a.a.O. S. 709≫).

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist die vom Kläger angegriffene mutterschutzrechtliche Anordnung auch inhaltlich durch die Regelungen des Mutterschutzgesetzes gedeckt.

Nach § 4 Abs. 1 MuSchG dürfen werdende Mütter u.a. nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen ausgesetzt sind. Diese Generalklausel konkretisiert § 4 Abs. 2 Nr. 6 MuSchG dahingehend, daß von diesem Beschäftigungsverbot insbesondere Arbeiten erfaßt werden, bei denen Berufserkrankungen im Sinne der Vorschriften über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten entstehen können, sofern werdende Mütter infolge ihrer Schwangerschaft bei diesen Arbeiten in besonderem Maße der Gefahr einer Berufserkrankung ausgesetzt sind. Um einen möglichst lückenlosen Mutterschutz zu gewährleisten, ermächtigt § 4 Abs. 4 Nr. 1 MuSchG den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen der werdenden oder stillenden Mütter und ihrer Kinder durch Rechtsverordnung Arbeiten zu bestimmen, die unter die Beschäftigungsverbote der Absätze 1 und 2 fallen. Auf dieser Grundlage verbietet § 26 Abs. 5 Satz 3 der Verordnung über gefährliche Stoffe (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV) vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1470) dem Arbeitgeber, werdende oder stillende Mütter mit Stoffen, Zubereitungen oder Erzeugnissen, die ihrer Art nach erfahrungsgemäß Krankheitserreger übertragen können, zu beschäftigen, wenn sie den Krankheitserregern ausgesetzt sind. § 4 Abs. 2 Nr. 6 MuSchG bleibt unberührt (§ 26 Abs. 5 Satz 4 GefStoffV). Die genannten Beschäftigungsverbote treten – wie sich aus der Bußgeldbewehrung in § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 4 MuSchG in Verbindung mit § 38 GefStoffV ergibt – unmittelbar kraft Gesetzes ein; sie bedürfen keiner Umsetzung durch eine aufsichtsbehördliche Verbotsverfügung im Einzelfall (vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. Mai 1992 – BVerwG 6 P 5.90 – ≪Buchholz 251.0 § 79 BaWüPersVG Nr. 13 = DVBl 1992, 1369/ 1370.≫). Allerdings kann im Einzelfall Unklarheit bestehen, ob eine Arbeit unter ein Beschäftigungsverbot des § 4 Abs. 1 bis 3 MuSchG oder der vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gemäß § 4 Abs. 4 MuSchG erlassenen Verordnung fällt. § 4 Abs. 5 Satz 1 MuSchG ermächtigt deshalb die Aufsichtsbehörde, dies durch feststellenden Verwaltungsakt im Einzelfall klarzustellen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. Mai 1992 ≪a.a.O.≫). Hiervon hat der Beklagte mit seiner Anordnung vom 16. April 1987 ohne Rechtsfehler Gebrauch gemacht.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht das Eingreifen des in § 26 Abs. 5 Satz 3 GefStoffV normierten Beschäftigungsverbotes für die Beigeladene an der geringen Wahrscheinlichkeit eines „Inberührungkommens” mit infiziertem Blut oder Speichel eines Patienten scheitern lassen. Die Beschäftigungsverbote des Mutterschutzgesetzes sind Instrumente der Gefahrenabwehr. Das kommt im Mutterschutzgesetz wiederholt zum Ausdruck. So läßt die Generalklausel des § 4 Abs. 1 MuSchG, soweit sie den arbeitsrechtlichen Immissionsschutz für die Schwangere und ihr Kind umschreibt, erkennen, daß er auf die Abwehr schädlicher Einwirkungen, vor allem von „gesundheitsgefährdenden Stoffen”, gerichtet ist. Zweck des Beschäftigungsverbots des § 4 Abs. 2 Nr. 6 MuSchG ist es, werdende Mütter vor der „Gefahr einer Berufskrankheit” zu schützen. Ebenso ist die Verordnungsermächtigung des § 4 Abs. 4 MuSchG dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung „zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen der werdenden oder stillenden Mütter und ihrer Kinder” anvertraut. Der hierauf gestützte § 26 Abs. 5 Satz 3 GefStoffV, den der Beklagte in erster Linie zur Rechtfertigung seiner Anordnung herangezogen hat, dient im Sinne des gesetzlichen Ermächtigungszwecks speziell dem Schutz der werdenden Mutter und ihres Kindes vor Schäden, die aus der Übertragung von Krankheitserregern entstehen können. Die Abwehr von Gesundheitsgefahren für Mutter und Kind als Schutzzweck der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote kommt weiter im Wortlaut des § 3 Abs. 1 MuSchG zum Ausdruck, wenn dort als tatbestandliche Voraussetzung eines individuellen Beschäftigungsverbots verlangt wird, daß nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist.

Dem durch diese Regelungen gekennzeichneten Schutzkonzept wird das Berufungsgericht nicht gerecht, wenn es annimmt, bei der von ihm festgestellten geringen bzw. sehr geringen Wahrscheinlichkeit eines „Inberührungkommens” mit infiziertem Blut oder Speichel sei das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern lediglich dem Bereich des Restrisikos zuzuordnen, gegen das zu schützen nicht Aufgabe der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote sei. Von einem Restrisiko spricht man dann, wenn es nach den Maßstäben praktischer Vernunft ausgeschlossen ist, daß Schadensereignisse für die von der jeweiligen Rechtsnorm geschützten Rechtsgüter eintreten werden (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪143≫; BVerwGE 61, 256 ≪263≫).

Einen dementsprechenden Sachverhalt hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt. Denn es zieht aus den von ihm eingeholten Stellungnahmen des Bundesgesundheitsamtes und der Bundeszahnärztekammer nicht den Schluß, daß die Möglichkeit, trotz zahnärztlicher Schutzkleidung wie Handschuhen, Mundschutz und Brille mit infiziertem Blut und Speichel eines Patienten in Berührung zu kommen, nach den Maßstäben praktischer Vernunft ausgeschlossen werden kann, sondern spricht lediglich von einer geringen bzw. sehr geringen Wahrscheinlichkeit eines Kontaktes mit infizierten Körperflüssigkeiten eines Patienten. Gesundheitsgefährdungen aber, die nicht nach den Maßstäben praktischer Vernunft ausgeschlossen sind, sondern nach diesen Maßstäben durchaus möglich, wenn auch nur gering wahrscheinlich bleiben, unterfallen entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht dem Bereich des zu vernachlässigenden Restrisikos.

Da die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote, wie ausgeführt, unmittelbar kraft Gesetzes Geltung beanspruchen und die Konkretisierung durch aufsichtliche Verbotsverfügungen im Einzelfall nicht voraussetzen, richten sie sich gegen abstrakte Gesundheitsgefahren für Mutter und Kind, d.h. sie regeln Arbeitssituationen, bei denen eine generell-abstrakte Betrachtung im Hinblick auf die damit verbundenen Gesundheitsgefahren für Mutter und Kind zu dem Ergebnis führt, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1970 – BVerwG 4 C 99.67 – ≪Buchholz 445.4 § 34 WHG Nr. 2 = NJW 1970. 1890/1892≫). Bei dem hierfür erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu differenzieren: Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muß um so größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie darf um so kleiner sein, je schwerer der etwaige Schaden wiegt (vgl. BVerwGE 62, 36 ≪39≫; 88, 348 ≪351≫). Das bedeutet, daß bei der Gefahr besonders großer Schäden für besonders gewichtige Schutzgüter für die Bejahung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1970 ≪a.a.O.≫).

Eine solche Rechtslage ist bei den mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten, mit denen Infektionsgefahren vorgebeugt werden soll, gegeben. Denn Leben und Gesundheit von Mutter und Kind, die nach dem Mutterschutzgesetz geschützt werden, sind Rechtsgüter von sehr hohem Rang. Des weiteren kann die Schädigung von Mutter und Kind durch berufsbedingte Infizierung mit Krankheitserregern im Einzelfall äußerst schwerwiegend sein (vgl. etwa BVerfGE 45, 376 ≪390≫). Das liegt für Aidsviren auf der Hand, gilt aber nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagten, der durch die vom Berufungsgericht eingeholte Auskunft der Bundeszahnärztekammer vom 18. Mai 1989 bestätigt wird, auch für Hepatitisviren. Zu Recht ist deshalb der Beklagte davon ausgegangen, daß eine auch nur sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer Infektion der werdenden Mutter mit Aids- oder Hepatitisviren für ein das Beschäftigungsverbot des § 26 Abs. 5 Satz 3 GefStoffV auslösendes „Ausgesetztsein” ausreicht.

Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des in § 26 Abs. 5 Satz 3 GefStoffV geregelten Beschäftigungsverbots hat das Berufungsgericht zu Recht bejaht. Zu den Stoffen, die ihrer Art nach erfahrungsgemäß Krankheitserreger übertragen können, gehören auch menschliches Blut und Speichel (siehe auch Weinmann/ Thomas, Gefahrstoffverordnung mit Chemikaliengesetz ≪Stand: Oktober 1991≫ RdNr. 1 zu § 15 GefStoffV). Als Vorschrift des Dritten Abschnitts gilt § 26 Abs. 5 Satz 3 GefStoffV sowohl für den Umgang mit dem Gefahrstoff als auch für Tätigkeiten in dessen Gefahrenbereich (vgl. § 14 Abs. 1 GefStoffV). Das Berufungsgericht hat deshalb zutreffend eine „Beschäftigung” mit Blut und Speichel bei zahnärztlichen Eingriffen in der Mundhöhle bejaht.

Die Anordnung des Beklagten vom 16. April 1987 weist auch im übrigen keine Rechtsfehler auf. Nachdem der Kläger auf die in dem Belehrungsschreiben des Gewerbeaufsichtsamts vom 5. Januar 1987 enthaltenen Hinweise auf gesetzliche Beschäftigungseinschränkungen für schwangere Zahnärztinnen abweisend reagiert hatte, hat das Gewerbeaufsichtsamt zu Recht einen entsprechenden Klarstellungsbedarf gesehen und von seiner Ermächtigung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 MuSchG Gebrauch gemacht, im Einzelfall das Eingreifen eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots verbindlich festzustellen. Die Anordnung entspricht schließlich auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Denn das Gewerbeaufsichtsamt hat sie ausdrücklich auf die Tätigkeiten beschränkt, bei denen durch die Benutzung bestimmter Gegenstände die Gefahr besteht, daß die Schutzfunktion der verwendeten Schutzausrüstung aufgehoben und die schwangere Zahnärztin Infektionsgefahren ausgesetzt wird. Damit ist auf die betrieblichen Belange des Klägers in dem Maße Rücksicht genommen worden, wie dies nach Lage der Dinge hier möglich gewesen ist.

Nach alledem waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Rojahn

 

Fundstellen

DVBl. 1993, 1277

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