Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherung. Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge. Einrede der Verjährung. Aufhebung eines zu Unrecht die Versicherungspflicht feststellenden Bescheides hat ex-tunc-Wirkung. Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs 2 S 1 SGB 4

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frist für die Verjährung des Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge beginnt auch dann mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, wenn der Anspruch erst später oder erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte (Aufgabe von BSG vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R = SozR 4-2400 § 27 Nr 2).

2. Die sozialgerichtliche Aufhebung eines Bescheids, der zu Unrecht die Versicherungspflicht als Beschäftigter feststellt, hat ex-tunc-Wirkung; die vor und nach Bescheiderlass vorgenommene Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen ist in einem solchen Fall nicht allein mit Blick auf die Wirksamkeit des Bescheids "zu Recht" erfolgt.

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 27 Abs 2 S 1 SGB 4 genügt den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS von Art 14 Abs 1 S 2 GG.

 

Normenkette

SGB 4 § 26 Abs. 2 Hs. 1 Fassung: 1988-12-20, Abs. 3 S. 1 Fassung: 1988-12-20; SGB 4 § 27 Abs. 2 S. 1; GG Art. 14 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.09.2013; Aktenzeichen L 16 AL 178/13)

SG Düsseldorf (Urteil vom 14.05.2013; Aktenzeichen S 13 AL 577/10)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung unter dem Gesichtspunkt der Verjährung.

Der 1962 geborene Kläger war ua vom 1.1. bis zum 30.11.2000 als Betriebsleiter für das Transportunternehmen seiner damaligen Ehefrau tätig, wofür - wegen angenommener Beschäftigung - ua Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichtet wurden. Ende September 2005 beantragte er bei der für ihn zuständigen BKK als Einzugsstelle die Klärung seines sozialversicherungsrechtlichen Status und machte geltend, insoweit selbstständig gewesen zu sein. Die mit Bescheid vom 5.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.5.2006 getroffene Feststellung der BKK, dass es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe, griff der Kläger vor dem SG an. Das SG hob mit - rechtskräftig gewordenem - Urteil vom 30.7.2009 die genannten Bescheide auf und stellte fest, dass der Kläger im genannten Zeitraum nicht in einem die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.

Am 17.12.2009 beantragte der Kläger bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der von ihm getragenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das lehnte diese ab, soweit es für den Zeitraum 1.1. bis zum 30.11.2000 geleistete Beiträge betraf, da der Erstattungsanspruch insoweit bereits verjährt sei (Bescheid vom 30.3.2010; Widerspruchsbescheid vom 18.6.2010).

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 14.5.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Zwar seien die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung nach § 26 Abs 2 SGB IV wegen der - wie aufgrund des Urteils des SG vom 30.7.2009 feststehe - zu Unrecht erfolgten Beitragsabführung erfüllt, da im streitigen Zeitraum keine Versicherungspflicht des Klägers bestanden habe. Der Erstattungsanspruch nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV sei jedoch verjährt. Der Zeitpunkt seines Entstehens falle nämlich mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem die Beiträge für die Tätigkeit rechtsgrundlos entrichtet worden seien. Da die maßgebende Vier-Jahres-Frist nach Ablauf des Jahres 2000 (= Zeitpunkt der Anspruchsentstehung) zu laufen begonnen habe, sei bezüglich des streitigen Erstattungsanspruchs mit Ablauf des Jahres 2004 Verjährung eingetreten. Daran ändere der Bescheid vom 5.12.2005 nichts, weil er durch das SG-Urteil vom 30.7.2009 mit Rückwirkung aufgehoben worden sei. Der Sachverhalt unterscheide sich von einem vom BSG entschiedenen Fall (SozR 4-2400 § 27 Nr 2), da der Erstattungsanspruch dort noch nicht verjährt gewesen sei, als ein - später aufgehobener - Bescheid rückwirkend fehlerhaft die Beitragszahlungspflicht festgestellt habe (Urteil vom 26.9.2013).

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 27 Abs 2 S 1, Abs 3 S 1 SGB IV. Erstmals mit Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005, wonach die Beitragserhebung im Jahr 2000 vermeintlich rechtmäßig gewesen sei, durch das SG am 30.7.2009 habe überhaupt ein Beitragserstattungsanspruch entstehen können, weil erst damit die zu Unrecht erfolgte Beitragsentrichtung festgestanden habe. Allein dieser Zeitpunkt könne daher für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist entscheidend sein. Eine andere Betrachtung der zu Unrecht erfolgten Entrichtung sei dagegen verfehlt, schon weil Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 5.12.2005 keine aufschiebende Wirkung gehabt hätten und dem Bescheid - trotz fehlender Bestandskraft - nach § 28h Abs 2 S 1 SGB IV Tatbestands- und Rechtswirkung für die Pflicht zur Beitragsentrichtung zugekommen sei. Spätestens der Widerspruch gegen den Bescheid müsse als Beitragserstattungsantrag gewertet werden. Der Lauf der Verjährungsfrist sei auf diese Weise gehemmt gewesen und habe nicht beginnen können. Überdies habe die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2013 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Mai 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 1104,34 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

Im Ergebnis zutreffend hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Kläger kann von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der von ihm für die Zeit vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen Arbeitnehmeranteile der nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichteten Beiträge nicht verlangen. Dem - bestehenden - Erstattungsanspruch des Klägers (dazu im Folgenden 1.) steht die Einrede der Verjährung entgegen (dazu 2.), die die Beklagte rechtsfehlerfrei erhoben hat (dazu 3.). Der Bescheid der Beklagten vom 30.3.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2010 ist rechtmäßig.

1. Die von dem Kläger für die genannte Zeit getragenen Beiträge sind grundsätzlich nach § 26 Abs 2 Halbs 1 iVm Abs 3 S 1 SGB IV zu erstatten, weil sie zu Unrecht entrichtet wurden.

Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV (idF des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2330, 2331) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Gemäß § 26 Abs 3 S 1 SGB IV (idF desselben Gesetzes) steht der Erstattungsanspruch demjenigen zu, der die Beiträge getragen hat.

Die von dem Kläger für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen Beiträge (Arbeitnehmeranteile) wurden - wie inzwischen feststeht - ursprünglich iS von § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV zu Unrecht entrichtet, weil sie im Zeitpunkt der Entrichtung - der maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist (BSGE 75, 298, 302 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6 S 27; Waßer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 26 RdNr 62) - ohne Rechtsgrund (= fehlende Versicherungs- und Beitragspflicht) gezahlt wurden. Das SG stellte nämlich mit seinem rechtskräftig gewordenen Urteil vom 30.7.2009 fest, dass der Kläger im oa Zeitraum im Unternehmen seiner Ehefrau nicht versicherungspflichtig beschäftigt war. Es hob die entgegenstehenden Bescheide der Einzugsstelle (vom 5.12.2005; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2006) bezogen auf den Zeitpunkt ihres Erlasses - ex tunc - auf (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts allgemein zB: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 131 RdNr 3a).

2. Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch - ausgehend von der insoweit einschlägigen Rechtsgrundlage (dazu im Folgenden a) - verjährt. Entgegen seiner Ansicht begann die Verjährungsfrist nicht erst mit Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009 zu laufen. Das war vielmehr schon nach Ablauf des Kalenderjahres der Fall, in dem die Beiträge entrichtet wurden, hier also mit Ablauf des Jahres 2000 (dazu b). Der Senat hält in diesem Zusammenhang nicht mehr an seiner Rechtsprechung (BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 Leitsatz und RdNr 13 ff) fest, wonach die Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des Erstattungsanspruchs beginnen kann und der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entsteht, solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht feststellt (dazu c).

a) Nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV verjährt der sich aus § 26 Abs 2 SGB IV ergebende Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.

Der Erstattungsanspruch des Klägers hinsichtlich der einschließlich noch im Jahr 2000 (für die Monate Januar bis November 2000) entrichteten Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung verjährte danach mit Ablauf des Jahres 2004.

b) Dass vorliegend der Lauf der Verjährungsfrist schon nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet wurden, also mit Ablauf des Jahres 2000 zu laufen begann, ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten: Zum einen kommt es nach dem Regelungsinhalt des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf an, wann der Erstattungsanspruch entsteht; die Verjährungsfrist beginnt danach vielmehr (generell) mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, also auch dann, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte (hierzu näher im Folgenden aa). Zum anderen entstand der vermeintlich maßgebliche Erstattungsanspruch vorliegend - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht erst im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009, sondern bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge (hierzu bb).

aa) Die Verjährungsfrist beginnt schon deshalb mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, weil es nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV für ihren Beginn nicht darauf ankommt, wann der Erstattungsanspruch entsteht (im Ergebnis ebenso: BSG Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 2/86, Juris RdNr 11 f; Waßer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 27 RdNr 34 - 36; offengelassen, aber im beschriebenen Sinne bereits angedeutet: BSG ≪10. Senat≫, BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13 f). Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV (hierzu ≪1≫), den Gesetzesmaterialien (hierzu ≪2≫), der Gesetzessystematik (hierzu ≪3≫) sowie dem Sinn und Zweck (hierzu ≪4≫) dieser Norm. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dieser Auslegung nicht entgegen (hierzu ≪5≫).

(1) Nach dem Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV ist der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht von dem Entstehen des Erstattungsanspruchs abhängig. Der Gesetzeswortlaut stellt vielmehr für den Beginn der Verjährungsfrist unzweideutig (nur) auf den "Ablauf des Kalenderjahrs" ab, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind". Zwar verjährt nach dem Wortlaut der Norm "der Erstattungsanspruch". Dieser muss also überhaupt existieren, dh entstanden sein. Der Gesetzeswortlaut schließt aber gleichwohl nicht aus, dass die Verjährungsfrist bereits vor Entstehen des Erstattungsanspruchs zu laufen beginnt bzw im Zeitpunkt des Entstehens dieses Anspruchs bereits abgelaufen ist.

(2) Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte der Norm. Zwar sollte sich nach den Gesetzesmaterialien zu § 27 SGB IV die für die Verjährung von Sozialleistungen in § 45 SGB I enthaltene Regelung auch auf Beitragserstattungsansprüche "erstrecken" (so Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs ≪SGB≫ - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, BT-Drucks 7/4122 S 34 zu §§ 22 bis 29). Nach § 45 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie "entstanden" sind. Dieser Wortlaut fand in § 27 Abs 2 S 1 SGB IV jedoch keinen Niederschlag. Hätte der Gesetzgeber in der letztgenannten Bestimmung "dieselbe" Regelung wie in § 45 SGB I gewollt, hätte an sich schon eine bloße Verweisung auf die Vorschrift genügt. Das geschah jedoch nicht, vielmehr wurde mit § 27 Abs 2 S 1 SGB IV eine eigenständige Regelung für die Verjährung von Erstattungsansprüchen eingeführt, die zwar ebenfalls auf "vier Jahre" wie in § 45 Abs 1 SGB I abstellt, nicht aber auch den dort geregelten Beginn des Laufs der Verjährungsfrist und die daran anknüpfende Dogmatik zum Entstehen von Ansprüchen auf Sozialleistungen (vgl § 40 SGB I) übernimmt (ebenso wohl Dahm in Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, 1. Aufl 2012, § 27 SGB IV RdNr 2; Udsching in Hauck/Haines, SGB IV, K § 27 RdNr 1, ≪Stand Einzelkommentierung II/04≫; unklar Seewald in Kasseler Komm, § 27 SGB IV RdNr 4, ≪Stand Einzelkommentierung März 2005≫: § 27 Abs 2 SGB IV "entspreche" § 45 SGB I).

(3) Die Gesetzessystematik bestätigt, dass § 27 Abs 2 S 1 SGB IV nicht (unausgesprochen) gleichwohl auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs als Verjährungsbeginn abstellt.

In §§ 25 ff SGB IV hat der Gesetzgeber nämlich bewusst ein sehr diffiziles und inhaltlich ganz unterschiedlich ausgestaltetes System in Bezug auf den Anknüpfungszeitpunkt für den Verjährungsbeginn aufgestellt. Insbesondere der Vergleich des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV mit § 25 Abs 1 S 1 SGB IV zeigt, dass nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV tatsächlich die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs der "Entrichtung" der Beiträge beginnt. Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche der Versicherungsträger auf Beiträge dagegen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie "fällig" geworden sind.

Ähnliches lässt sich auch aus Regelungen des BGB herleiten, deren sinngemäße Geltung § 27 Abs 3 S 1 SGB IV für die "Wirkung der Verjährung" anordnet: § 194 Abs 1 BGB, der allgemein aussagt, dass ein Anspruch der Verjährung unterliegt, kann nur entnommen werden, dass ein Anspruch überhaupt entstehen muss, um verjähren zu können; nicht aber folgt daraus auch, dass die Verjährungsfrist erstmals im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs zu laufen beginnt. Schon bei Schaffung des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV zum 1.7.1977 (BGBl I 1976, 3845, 3849) knüpfte auch das Zivilrecht nicht durchgehend an die Anspruchsentstehung an, wie zB die Regelungen in § 199 S 1 BGB (= Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Zulässigkeit der Kündigung) und in § 200 S 1 BGB (= Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Zulässigkeit der Anfechtung) belegen (jeweils in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung). In aktuellen Regelungen des Zivilrechts zur Verjährung verhält es sich ebenso, zB in § 199 Abs 3 S 1 Nr 2 BGB (idF des Gesetzes vom 24.9.2009, BGBl I 3142; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt des den Schaden auslösenden Ereignisses), § 200 BGB (idF des Gesetzes vom 2.1.2002, BGBl I 42; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist) und § 548 Abs 1 S 2 BGB (idF desselben Gesetzes; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt des Rückerhalts der Mietsache, vgl dazu auch BGHZ 162, 30: maßgebender Verjährungsbeginn trotz Anspruchsentstehung erst zu einem späteren Zeitpunkt).

(4) Schließlich unterstreichen Sinn und Zweck des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV, dass die Verjährung entsprechend dem Wortlaut bereits mit dem Ablauf des Jahres beginnen muss, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.

Das Institut der Verjährung ist geprägt durch die Gedanken des Schuldnerschutzes und der Herstellung von Rechtsfrieden. Beide Gesichtspunkte gebieten eine klare Anbindung an den Gesetzeswortlaut. Diese Erwägungen gelten hier in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Haushalte der Sozialversicherungsträger, die bei ihrer Aufgabenerfüllung nur zeitlich begrenzt auf vier Jahre - und nicht noch nach Ablauf langer Zeiträume - Ausgaben durch zu befriedigende Ansprüche ausgesetzt sein sollen (umfassend zu Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften gerade in Bezug auf das Arbeitsförderungsrecht: BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 10 f).

(5) Verfassungsrechtliche Bedenken stehen der aufgezeigten Auslegung nicht entgegen.

§ 27 Abs 2 S 1 SGB IV genügt insbesondere den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS von Art 14 Abs 1 S 2 GG, weil der Gläubiger eine faire Chance hat, seinen Erstattungsanspruch geltend zu machen (vgl zu dieser Anforderung BGH Urteil vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - Juris RdNr 19 mwN). Der Betroffene hat es selbst in der Hand, ihm nachteilige Bescheide zeitnah anzugreifen bzw vor Ablauf der Frist des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV nach § 44 SGB X überprüfen zu lassen oder Beiträge nur unter Vorbehalt zu entrichten (zur Auslegung eines Widerspruchs bzw einer nur unter Vorbehalt beglichenen Beitragsforderung als Erstattungsantrag iS von § 27 Abs 3 S 2 SGB IV vgl BSG SozR 2100 § 27 Nr 3 S 9). Die Gläubigerinteressen sind damit hinreichend gewahrt (kritisch im Zivilrecht demgegenüber BGH Urteil vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - Juris RdNr 19; für Verfassungswidrigkeit: Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl 2012, RdNr 9 Vor § 194).

bb) Die Verjährungsfrist beginnt im Falle des Klägers darüber hinaus noch aus einem weiteren Gesichtspunkt heraus bereits im Zeitpunkt des Ablaufs des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung. Entgegen der Ansicht des Klägers entstand der - seiner Auffassung nach für den Verjährungsbeginn maßgebliche - Erstattungsanspruch nicht erstmals im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009, sondern - mit Blick auf die ex-tunc-Wirkung des Urteils - bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge.

Im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge im Jahr 2000 als maßgebendem Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bestand nämlich kein Rechtsgrund für die Beitragszahlung (s oben 1.). An einem formellen, durch ein Verwaltungshandeln geschaffenen Rechtsgrund dafür fehlte es schon deshalb, weil ein Bescheid mit dem Inhalt der vermeintlichen Versicherungspflicht wegen Beschäftigung ohnehin erst am 5.12.2005 erlassen wurde. Dieser Bescheid konnte den im Zeitpunkt der jeweiligen Beitragsentrichtung entstandenen Erstattungsanspruch im Jahr 2000 daher schon deshalb nicht erstmals mit seiner späteren Aufhebung entstehen lassen, weil die Erstattungsansprüche bereits zuvor entstanden waren. Zudem führte der Bescheid weder zum Erlöschen solcher bereits entstandenen Erstattungsansprüche noch zu einer "neuen Anspruchsentstehung" erst im Zeitpunkt der Bescheidaufhebung durch das SG. Zwar wurde der Bescheid bei seinem Ergehen mit dem feststellenden Verfügungssatz wirksam, dass der Kläger im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Indessen wirkte die spätere Aufhebung durch das Urteil des SG vom 30.7.2009 auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses zurück, weshalb auch dieser formelle Rechtsgrund, aus dem vorübergehend die Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung abgeleitet werden konnte, mit Wirkung von Anfang an entfiel.

Zwar kann grundsätzlich nicht nur ein formell bestandskräftiger, sondern auch ein - wie hier - "nur" wirksam gewordener Verwaltungsakt (vgl § 39 SGB X) das Entstehen des Erstattungsanspruchs grundsätzlich verhindern. Dies hat der Senat bereits für Beitragsbescheide entschieden (BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 11 S 43 f; BSG SozR 2100 § 27 Nr 3 S 8). Ein rechtlicher Unterschied zwischen Versicherungspflichtbescheiden und Beitragsbescheiden hinsichtlich dieser Möglichkeit ist im Hinblick auf dieselbe in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG angeordnete Rechtsfolge, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage in beiden Fällen keine aufschiebende Wirkung zukommt, nicht gerechtfertigt. Jedoch kann ein wirksamer Verwaltungsakt auch nur dann das Entstehen eines Erstattungsanspruchs verhindern, wenn er bereits im Zeitpunkt der Entrichtung erlassen worden war, denn nur dann bildet er einen formellen Rechtsgrund für die Beitragsentrichtung und nur dann wurden die Beiträge im Zeitpunkt der Entrichtung "zu Recht" entrichtet.

c) Aus den unter 2. b) dargestellten Gründen hält der Senat an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung im Urteil vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R (SozR 4-2400 § 27 Nr 2), gegen die bereits der 10. Senat des BSG (Urteil vom 24.6.2010 - B 10 LW 4/09 R - BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13 f) inhaltliche Bedenken geäußert hat, nicht mehr fest. Seinerzeit hatte der 12. Senat des BSG entschieden, dass die Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des Erstattungsanspruchs beginnen könne und der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entstehe, solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht feststelle. Insbesondere die Anwendung der allgemein anerkannten Auslegungsmethoden zur Ermittlung des spezifischen Regelungsinhalts des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV führt zu dem Ergebnis, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf ankommen kann, wann der Erstattungsanspruch entsteht.

3. Die Beklagte war zur Ablehnung der Beitragserstattung in den angefochtenen Bescheiden unter dem Gesichtspunkt bereits eingetretener Verjährung berechtigt, weil sie ohne Rechtsfehler die Einrede der Verjährung erhob.

Insbesondere ist dem Bescheid vom 30.3.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2010) zu entnehmen, dass die Beklagte erkannte, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede zu treffen, und dass sie eine solche Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung von § 35 Abs 1 S 3 SGB X auch tatsächlich traf (vgl dazu allgemein auch BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 21 ff; BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 15 mwN). Für das Ermessen relevante Gesichtspunkte im Sinne des Vorliegens einer besonderen Härte, die ausnahmsweise dazu hätten Anlass geben können, das Interesse der Versichertengemeinschaft, unvorhergesehene Belastungen zu verhindern, hintanzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 2400 § 27 Nr 5, RdNr 21 ff) und von der Verjährungseinrede abzusehen, liegen nicht vor. Selbst wenn man in dem rechtswidrigen Bescheid vom 5.12.2005 ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln sähe, war - wie unter 2. ausgeführt - die Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits abgelaufen. § 7a Abs 1 S 2 SGB IV, wonach die Einzugsstelle einen Antrag auf Entscheidung, ob eine Beschäftigung vorliegt, bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu stellen hat, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers (§ 28a SGB IV) ergibt, dass der Beschäftigte insbesondere Angehöriger des Arbeitgebers ist, ist ebenfalls - erst nach Ablauf der Verjährungsfrist - mit Wirkung zum 1.1.2005 eingeführt worden (Art 4 Nr 3 iVm Art 61 Abs 1 des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I, 2954, 2975, 2999). Der Senat hat im Übrigen bereits entschieden, dass in der bloßen Entgegennahme der Beitragszahlung durch die Einzugsstelle kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln liegt, sondern dass vielmehr dem Arbeitgeber die eigenständige Prüfung der Versicherungs- und Beitragspflicht obliegt (BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 11; BSGE 58, 154, 159 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 16).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 8022036

BSGE 2016, 213

DB 2015, 7

NWB 2015, 3726

NZA 2015, 986

WzS 2015, 227

SGb 2015, 326

SGb 2016, 162

NWB direkt 2015, 1411

AiSR 2016, 16

Breith. 2015, 1082

info-also 2015, 213

info-also 2016, 139

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