Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte für den Kläger Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a der Reichsversicherungsordnung (RVO) auch für einen Zeitraum zu entrichten hat, für den gemäß § 183 Abs. 3 RVO der Anspruch auf Krankengeld wegen Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entfallen ist.

Wegen einer am 26. November 1973 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit gewährte die Beklagte dem Kläger Krankengeld. Nach einer Bezugsdauer von zwölf Kalendermonaten entrichtete sie als Rehabilitationsträger ab 1. Dezember 1974 für den Kläger nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a i.V.m. § 1385 Abs. 4 Buchst. g RVO Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter. Nach Zugang des Bescheides der Landesversicherungsanstalt Hessen (am 10. April 1975) über die Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 RVO ab 1. September 1974 stellte die Beklagte die Zahlung des Krankengeldes mit dem 10. April 1975 ein. Auf Anfrage des Klägers vom 10. Mai 1975 teilte die Beklagte zunächst mit formlosem Schreiben vom 15. Mai 1975 und sodann mit Bescheid vom 15 Juni 1975 mit, daß mit der Beendigung des Krankengeldanspruchs dem Grunde nach am 10. April 1975 auch die Rentenversicherungspflicht nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a RVO geendet habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. August 1975). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Kassel den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verurteilt, für den Kläger über den 10. April 1975 hinaus Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchst. a RVO zu zahlen. Das SG hat aus der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 7/1237, S. 69) geschlossen, daß sich die Versicherungspflicht nach dieser Vorschrift allein nach der einjährigen Bezugsdauer des Krankengeldes beurteile. Die Dauer der Versicherungspflicht bestimme sich in erster Linie nach der Dauer des Krankengeldbezuges, in zweiter Linie aber - bei dessen Beendigung - im Rahmen der Höchstdauer von weiteren 24 Kalendermonaten nach der Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger sei über die Beendigung des Krankengeldanspruchs hinaus weiter arbeitsunfähig gewesen, so daß auch seine Versicherungspflicht weiter bestanden habe. Ein bestehender Anspruch auf Krankengeld sei nicht Grundvoraussetzung hierfür. Nach dem Wortlaut der Vorschrift komme es nicht darauf an, warum kein Krankengeld mehr bezogen werde. Da der Gesetzgeber die Versicherungspflicht des Rehabilitanden nicht vom Bestehen eines Anspruchs auf Krankengeld, sondern vom Bezug des Krankengeldes abhängig gemacht habe, könne auch für die Zeit nach Beendigung des Krankengeldbezuges und fortdauernder Arbeitsunfähigkeit dem Anspruch keine entscheidende Bedeutung zukommen. Während bei der durch den Bezug von Übergangsgeld ausgelösten Versicherungspflicht für eine Verlängerung im Anschluß daran keine Notwendigkeit bestehe, weil das Übergangsgeld ohne zeitliche Begrenzung bis zum Ende der Rehabilitationsmaßnahme gezahlt werde, habe es der Gesetzgeber wegen der zeitlichen Begrenzung des Krankengeldes auf 78 Wochen und der oft langen Dauer der Rehabilitationsmaßnahmen offenbar für erforderlich gehalten, die Versicherungspflicht der von der Krankenkasse betreuten Rehabilitanden auf eine weitere Zeit der Arbeitsunfähigkeit auszudehnen.

Die Beklagte hat unter Vorlage einer schriftlichen Zustimmung des Klägers die - vom SG im Urteil zugelassene - Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a und § 1385 Abs. 3 Buchst. f., Abs. 4 Buchst. g RVO. Zwar spreche der Gesetzeswortlaut dem ersten Anschein nach für die Auffassung des SG; diese sei aber systemwidrig und laufe dem Gesetzgebungszweck zuwider. Es sei deshalb eine Auslegung über den Wortlaut hinaus notwendig. Aus § 12 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) werde der Grundsatz erkennbar, daß die Beitragspflicht nach diesem Gesetz als "ergänzende Leistung" das rechtliche Schicksal der dazugehörigen Hauptleistung teile. Zwar stehe die Rehabilitationsmaßnahme selbst als Hauptleistung in keinem Sachzusammenhang mit der Begründung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht nach dem RehaAnglG, doch solle diese die sonst durch die Entgeltzahlung bedingte Beitragspflicht ersetzen. Daher sei das Krankengeld als Hauptleistung der "ergänzenden Leistung" anzusehen. Dieser Zusammenhang zwischen Krankengeld und Rentenversicherungs- bzw. Beitragspflicht beziehe sich - unabhängig von der der Verwaltungsvereinfachung dienenden zwölfmonatigen Krankengeldzahlung für den Eintritt der Versicherungspflicht - auf den Anspruch auf Krankengeld. Den Krankengeldanspruch berührende Tatbestände wirkten sich daher gleichermaßen auf die Versicherungs- und Beitragspflicht zur Rentenversicherung aus. Aufgrund dieser Akzessorietät ende bei Wegfall des , Krankengeldanspruchs durch die Zubilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente auch die Rentenversicherungspflicht nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a RVO. Dies sei auch daraus zu folgern, daß nach der Gesetzesbegründung in der BT-Drucksache 7/1237 zu Nr. 55 Buchst. a für die Verlängerung der Rentenversicherungspflicht über den Ablauf des Krankengeldbezugs dessen Beendigung nach 78 Wochen allein bedeutsam gewesen sei. Mit der Zubilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente scheide der Rentenempfänger aus dem Kreis der Erwerbstätigen aus und die Bezugsgrundlage für die Arbeitsunfähigkeit, nämlich die bisher ausgeübte Beschäftigung, sei nicht mehr existent. Bei der Normierung der Versicherungspflicht für Krankengeldbezieher sei an jene Fälle gedacht worden, in denen die Wartezeit für einen Rentenanspruch nicht erfüllt gewesen sei und bei denen in regelmäßigen Abständen der Träger der Krankenversicherung Krankengeld zu leisten gehabt habe, obwohl der Krankheitszustand des Versicherten zu Leistungen der Rentenversicherung genötigt hätte.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, mit der neu eingeführten Rentenversicherungspflicht für langfristig arbeitsunfähig kranke Versicherte sei deren Versicherung für das Alter, die durch die bisherige Ausfallzeitenregelung nur unzureichend abgesichert gewesen sei, wesentlich verbessert worden. Hätte der Gesetzgeber die Beendigung der Rentenversicherungspflicht bei Zubilligung der Erwerbsunfähigkeit gewollt, hätte er dies zum Ausdruck gebracht. Er hätte sie dann erst gar nicht einzuführen brauchen, weil sie für den Erwerbsunfähigen keine Verbesserung bedeute, für die übrigen Krankengeldbezieher - Berufsunfähigkeitsrentner - die bestehende Ausfallzeitenregelung aber ausreichend gewesen wäre.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Der erkennende Senat vermag der Rechtsauffassung des SG nicht zu folgen. Die Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Arbeiter nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a RVO besteht nicht über die wegen der Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente eingetretenen Beendigung des Krankengeldbezuges hinaus fort, auch wenn weiterhin Arbeitsunfähigkeit anzunehmen ist. Nach dieser mit § 21 Nr. 63 RehaAnglG in die RVO eingefügten Vorschrift werden Personen, denen ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zwölf Kalendermonate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat, für die Zeit des weiteren Bezugs von Krankengeld, darüber hinaus für höchstens weitere 24 Kalendermonate einer Arbeitsunfähigkeit in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert. Die Pflichtbeiträge sind von der Krankenkasse als dem Träger der Rehabilitation allein zu tragen (§ 1385 Abs. 4 Buchst. g RVO). Das SG meint, daß es für die Rentenversicherungspflicht nach der Beendigung des Krankengeldbezug nicht darauf ankomme, ob ein Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach weiter bestehe, weil dies weder dem Gesetzeswortlaut noch der Begründung des Gesetzes zu entnehmen sei. Dem ist insoweit beizupflichten, als in der Tat der Wortlaut des Gesetzes selbst nichts darüber aussagt, daß die auf höchstens 24 Kalendermonate begrenzte weitere Versicherungspflicht nicht nur vom Weiterbestehen der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch von einem dem Grunde nach weiterbestehenden und lediglich wegen Erreichens der zeitlichen Höchstdauer von 78 Wochen nicht mehr zahlbaren Anspruch auf Krankengeld abhängig sein soll. Auch aus den Gesetzesmaterialien zum RehaAnglG (BT-Drucksache 7/1237 S. 69) geht dies nicht unmittelbar hervor. Andererseits läßt sich auch die von der Beklagten vertretene Auffassung, die Versicherungspflicht beurteile sich allein nach einer bestimmten Bezugsdauer des Krankengeldes und für die Versicherungspflicht sei demnach Grundvoraussetzung, daß ein Anspruch auf Krankengeld bestehe (vgl. Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung sowie der Bundesanstalt für Arbeit vom 19. September 1974, S. 13; Verbands-Komm zur RVO, § 1227 Rdnr. 30 b), nicht ohne weiteres aus der zitierten Gesetzesbegründung ableiten. Demnach ist der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers in einer am Sinn und Zweck des Gesetzes orientierten Auslegung zu ermitteln. Hierbei ist auf den Sinnzusammenhang, und die Grundprinzipien, des RehaAnglG abzustellen. Dieses wird neben der unmittelbaren Gesetzesabsicht, das gegliederte System der Rehabilitation durch Koordination der Träger, Angleichung der Leistungen und Vereinheitlichung der Vorschriften von den bisherigen Nachteilen zu befreien und wirkungsvoller zu machen (vgl. BT-Drucksache 7/1237 S. 50) vor allem von dem Ziel geprägt, eine dauerhafte Eingliederung der Behinderten in Arbeit und Beruf zu erreichen.

Außerdem wird insbesondere der Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" herausgestellt (§ 7 RehaAnglG), wonach die Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation der Bewilligung von (auf Erwerbsminderung gegründeten) Renten vorgeht (vgl. auch Beschl. des Großen Senats des BSG vom 10. Dezember 1976 - BSGE 43, 75, 81). Solche Renten sollen künftig erst festgesetzt werden, wenn das Rehabilitationsverfahren abgeschlossen ist, wenn es keinen Erfolg hatte, wenn wegen Art oder Schwere der Behinderung oder aus anderen Gründen ein Erfolg nicht zu erwarten ist (BT-Drucksache 7/1237 S. 56; BSG a.a.O.).

Die in § 12 Nr. 2 RehaAnglG als ergänzende Leistung vorgesehene Beitragszahlung der Rehabilitationsträger zur gesetzlichen Kranken-Unfall- und Rentenversicherung sowie zur Bundesanstalt für Arbeit ist Ausfluß des Grundanliegens der Rehabilitation, den Behinderten in das Erwerbsleben einzugliedern bzw. wiedereinzugliedern. Die Rehabilitanden sollen während der Rehabilitationsmaßnahme so gestellt werden, wie sie ohne die Behinderung durch Krankheit stehen würden, d.h. als wenn sie fähig wären, die Versicherungsbeiträge aus eigener Arbeitsleistung sicherzustellen. Die Versicherungspflicht auf Kosten der Rehabilitationsträger ist demnach im Rahmen der Rehabilitation ein Äquivalent für den durch die Behinderung bedingten Verlust der Fähigkeit, sich aus den Erträgnissen einer Erwerbstätigkeit selbst ausreichend gegen die von den gesetzlichen Versicherungen abgedeckten Risiken zu versichern. Sie setzt, das folgt aus ihrer Eigenschaft als ergänzende Leistung, ein laufendes Rebabilitationsverfahren voraus. Diese Anbindung an die Hauptmaßnahme - und nicht nur, wie die Beklagte meint, an die ebenfalls als ergänzende Leistung (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 RehaAnglG) von der Rehabilitationsmaßnahme abhängige Krankengeldzahlung - ergibt sich im Vergleich mit § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. b und c RVO, wonach das Ende der Rentenversicherungspflicht dem Ende des Übergangsgeldes entspricht, das wiederum grundsätzlich mit der Maßnahme endet (vgl. § 1241 e RVO ). Für § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst. a RVO kann nichts anderes gelten. Auch hier kann sich die Beitragspflicht der Krankenkasse als Rehabilitationsträger und damit die zugrundeliegende Rentenversicherungspflicht des Versicherten zeitlich nicht weiter erstrecken als die Rehabilitationsmaßnahme selbst. Diese muß aber nach dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" mit der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente als abgeschlossen angesehen werden. Die anschließend noch weiter erforderliche und von der Krankenkasse als Regelleistung zu erbringende Krankenbehandlung für die etwa nach wie vor vorhandene Erkrankung sei es aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Versicherungsfalles der Krankheit (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. II S. 383, 384), sei es als Anspruch aus der durch die Rentengewährung begründeten Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner, kann dann jedenfalls zunächst nicht mehr als Rehabilitationsmaßnahme mit der Zielrichtung der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben bzw. Erhaltung der Erwerbsfähigkeit angesehen werden. Damit ist aber auch die Grundvoraussetzung für die Beitragspflicht der Krankenkasse als ergänzende Leistung zur Rehabilitation und damit für die Rentenversicherungspflicht des Mitglieds weggefallen, wobei allerdings die Beendigung der Versicherungs- und Beitragspflicht nicht mit dem Beginn des Rentenbezugs, sondern mit der Beendigung der Krankengeldzahlung gekoppelt ist. Dieser Schlußfolgerung steht nicht entgegen, daß der Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" auch für die Rente wegen Berufsunfähigkeit gilt, bei deren Bezug gleichzeitig auch das um die Rente gekürzte Krankengeld weitergewährt wird. Hierbei ist nämlich zu beachten, daß der Berufsunfähigkeitsrentner nicht grundsätzlich aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, so daß für ihn die Krankenbehandlung den Charakter einer Rehabilitationsmaßnahme zur Erhaltung und Festigung seiner verbliebenen und für eine Erwerbstätigkeit noch ausreichenden Erwerbsfähigkeit nicht verloren hat. Insoweit ist der Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" zweistufig zu verstehen und vor der Entscheidung über die von einer unterschiedlichen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit abhängigen Renten jeweils gesondert anzuwenden. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber mit der Einführung der Rentenversicherungspflicht für Rehabilitanden auch die Sicherung der Behinderten für den Versicherungsfall des Alters nachhaltig verbessern wollte. Dies kann in Anbetracht der ohnehin zeitlich begrenzten Versicherungspflicht nicht ohne weiteres angenommen werden. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß mit der Ersetzung der Ausfallzeit durch Beitragszeit die, Erfüllung der Wartezeit erleichtert wird, so daß entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Rede davon sein kann, die Gesetzesänderung bedeute für den Erwerbsunfähigen keine Verbesserung.

Nach allem muß somit die Revision der Beklagten Erfolg haben. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 188

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