Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.03.1991)

SG Trier (Urteil vom 29.10.1990)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. März 1991 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 29. Oktober 1990 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Kläger in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) versicherungspflichtig geworden ist.

Der 1954 geborene Kläger erlangte nach einem Studium von 1973 bis 1983 den Abschluß als Diplom-Biologe. Im Rahmen eines Landesprogramms zur Schaffung von Arbeitsplätzen für arbeitslose Sozialhilfeempfänger war er ab Oktober 1984 für zwei Jahre befristet erwerbstätig und anschließend erneut arbeitslos. Im September 1988 nahm er ein zweijähriges Aufbaustudium „Europäisches Diplom in Umweltwissenschaften” in Belgien auf, das er von April 1989 bis September 1990 an der Universität Trier fortsetzte.

Seinen Antrag, ihn während des Aufbaustudiums ab 1. April 1989 von der freiwilligen Versicherung in die KVdS zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. September 1989 und Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1990 ab mit der Begründung, das Studium sei als Zweitstudium und nicht als Aufbaustudium zu werten; Gründe, die eine Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigten, lägen nicht vor.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 29. Oktober 1990 stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 7. März 1991 zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Bei Beginn eines Studiums nach Vollendung des 30. Lebensjahres sei die Versicherungspflicht nicht ausgeschlossen. Beim Kläger rechtfertige die Art der Ausbildung als Aufbaustudium die Überschreitung der Altersgrenze. Ein enger zeitlicher Zusammenhang mit dem Grundstudium sei nicht erforderlich. Die vom Kläger angestrebte Verbesserung der Berufsaussichten sei ein anzuerkennender Grund iS der Ausnahmeregelung.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 5 Abs 1 Nr 9 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 7. März 1991 und das Urteil des SG vom 29. Oktober 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig. Für den Kläger bestand in der Zeit von April 1989 bis September 1990 keine Versicherungspflicht in der KVdS.

Nach § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 1 SGB V, der zum 1. Januar 1989 durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) eingeführt worden ist, sind Studenten grundsätzlich nur noch bis zum Abschluß des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig. Der 1954 geborene Kläger hatte bei Inkrafttreten dieser Regelung am 1. Januar 1989 sowohl die Höchstdauer des Studiums von 14 Fachsemestern ausgeschöpft, als auch das 30. Lebensjahr vollendet. Da er zu Beginn des Jahres 1989 nicht als Student versicherungspflichtig war, kam bei ihm ein Fortbestand der Versicherungspflicht nach der Übergangsvorschrift des Art 56 Abs 6 GRG bis zum 31. März 1989 nicht in Betracht. Er konnte mit der Aufnahme des Aufbaustudiums im Inland am 1. April 1989 nur aufgrund der Ausnahmeregelung in Halbs 2 des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V versicherungspflichtig werden. Danach sind Studenten nach Abschluß des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen. Dieses ist beim Kläger nicht der Fall.

Fraglich ist bereits, ob der Kläger, der vor Vollendung des 30. Lebensjahres ein längeres Studium als Diplom-Biologe abgeschlossen hatte, während des Aufbaustudiums überhaupt noch in der KVdS versicherungspflichtig werden konnte. Dieses wäre beim Kläger, der bereits im Alter von 19 bis 29 Jahren studiert hatte, jedenfalls nach Überschreiten der Altersgrenze von 30 Jahren ausgeschlossen, wenn bei Anwendung des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V das Aufbaustudium als neuer Studiengang losgelöst von dem ursprünglichen Biologie-Studium zu betrachten wäre. Allenfalls wenn Studium und Aufbaustudium als Einheit angesehen werden, kann bei ihm der erneute Eintritt der Versicherungspflicht während des Aufbaustudiums erwogen werden. Selbst dann ist jedoch zweifelhaft, ob die Art der Ausbildung außer der Überschreitung der Höchstdauer der Fachstudienzeit auch die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigt oder ob der Kläger nicht außer dem Biologie-Studium auch das Aufbaustudium in den elf Jahren zwischen dem Abitur (1973) und der Vollendung des 30. Lebensjahres (1984) hätte abschließen können. Selbst wenn aber zugunsten des Klägers auch noch davon ausgegangen wird, Studium und Aufbaustudium seien eine Einheit und hätten die rund zwölf Jahre beansprucht, die er tatsächlich darauf verwandt hat, trat Versicherungspflicht in der KVdS während des Aufbaustudiums im Alter von etwa 35 Jahren nicht mehr ein, weil der Kläger nicht daran gehindert war, sogleich im Anschluß an das Biologie-Studium und dessen Abschluß weiter zu studieren.

Wie die gesetzliche Regelung in § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V ergibt und der Senat in seinem Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 40/91, zur Veröffentlichung bestimmt) unter Berücksichtigung der Entwicklung der studentischen Krankenversicherung und der Gesetzesbegründung näher darlegt, ist die KVdS im Gegensatz zum früheren Recht begrenzt worden. Dabei hat sich der Gesetzgeber nicht auf die Abwehr einer mißbräuchlichen Begründung der KVdS beschränkt, sondern allgemeine Grenzen nach einer Höchstdauer der Fachstudienzeit von 14 Semestern und dem Alter von 30 Jahren eingeführt. Eine Überschreitung der Altersgrenze kommt nur in Betracht, wenn und soweit sie durch besondere Gründe gerechtfertigt ist. Hieraus folgt, daß nach Unterbrechung eines als Einheit angesehenen Studiums von fachbedingter Länge (hier: Biologie-Studium und Aufbaustudium von zusammen zwölf Jahren) bei Fortsetzung des Studiums nach Vollendung des 30. Lebensjahres Versicherungspflicht in der KVdS nur dann wieder eintritt, wenn die unterbrechungsbedingte weitere Überschreitung der Altersgrenze durch familiäre oder persönliche Gründe iS des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V gerechtfertigt ist. Dieses trifft beim Kläger nicht zu.

In dem erwähnten Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 40/91) führt der Senat aus, daß die Ausnahmeregelung des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V einschränkend zu verstehen ist. Die familiären oder persönlichen Gründe, die eine Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigen, müssen von solcher Art und solchem Gewicht sein, daß sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme eines Studiums oder seinen Abschluß verhindern oder als unzumutbar erscheinen lassen (Hinderungsgründe). Das Studium aufzuschieben, weil dieses als zweckmäßig oder sinnvoll erscheint, reicht nicht aus. Dementsprechend wird in jenem Urteil die Aufnahme einer Berufstätigkeit mit anschließender Berufsausübung grundsätzlich nicht als Hinderungsgrund anerkannt, auch dann nicht, wenn dadurch Erfahrungen in der Arbeitswelt vermittelt werden, die in einem Studium nützlich sein und später die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verbessern können.

Diese Grundsätze gelten nicht nur, wenn ein Abiturient nach der Reifeprüfung in das Erwerbsleben eingetreten ist und in dem später aufgenommenen Studium die Altersgrenze überschritten hat, sondern auch, wenn – wie beim Kläger – ein als Einheit angesehenes Studium nach dem Abitur begonnen, aber später unterbrochen und dann nach Vollendung des 30. Lebensjahres fortgesetzt worden ist. Allerdings ist der Kläger nach dem Abschluß des Biologie-Studiums zunächst arbeitslos, dann im Rahmen eines Landesprogramms zur Schaffung von Arbeitsplätzen ab Oktober 1984 für zwei Jahre befristet erwerbstätig und anschließend erneut arbeitslos gewesen. Deswegen ist er jedoch nicht an einem weiteren Studium gehindert gewesen. Wenn er nach Abschluß des Studiums zunächst versucht hat, als Diplom-Biologe eine Stelle zu finden, dieses nicht gelungen ist und er sich deshalb etwa fünf Jahre nach Abschluß des Biologie-Studiums zu dem Aufbaustudium entschlossen hat, so erscheint das zwar als sinnvoller Weg zur Verbesserung der Berufsaussichten. Versicherungspflicht als Student tritt deswegen jedoch weit nach Überschreiten der Altersgrenze nicht mehr ein. Die gegenteilige Auffassung würde der Einführung der Altersgrenze in der KVdS bei Aufbaustudiengängen oder sogar bei Studiengängen allgemein weitgehend ihre Wirkung nehmen.

Hiernach erwies sich die Revision der Beklagten als begründet. Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

NJW 1993, 959

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