Beteiligte

Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagter

Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der klagende Konkursverwalter für die Zeit nach Konkurseröffnung Beiträge und ggf. in welcher Höhe an die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) zu zahlen hat.

Über das Vermögen der F… und A.…L… KG, M… (Gemeinschuldnerin) eröffnete das Amtsgericht M… am 18. Februar 1976 den Konkurs und ernannte den Kläger zum Konkursverwalter. Schon vor Konkurseröffnung hatte die Gemeinschuldnerin die Arbeitsverträge mit ihren Arbeitnehmern fristgerecht gekündigt. Spätestens mit der Konkurseröffnung wurden die Arbeitnehmer von der Arbeit freigestellt. Sie bezogen seitdem vom Arbeitsamt Arbeitslosengeld (Alg). Der Kläger zahlte ihnen bis zur fristgerechten Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse den Unterschiedsbetrag zwischen dem Alg und dem vertraglichen Entgelt in Höhe von insgesamt 77.129,-- DM. Unter Anlehnung an die von der Gemeinschuldnerin für das Jahr 1975 eingereichten Nachweisungen und anteilmäßig nach den einzelnen Gefahrklassen forderte die Beklagte von dem Kläger für die Zeit ab 18. Februar 1976 insgesamt 2.044,96 DM an Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung (Bescheid vom 8. 12. 1977). Der Kläger hat diesen Betrag unter Vorbehalt bezahlt. Seinen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 1978 zurück. Der Kläger hat dem Arbeitsamt die gezahlten Arbeitslosengelder erstattet.

Auf die Anfechtungsklage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Mannheim die Beklagte verpflichtet, dem Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung einen Bescheid über die Neuveranlagung der F… und A… L… KG, M… zu den Gefahrklassen für die Zeit ab 18. Februar 1976 und für die entsprechende Beitragsforderung zu erteilen. Es war der Auffassung, der Kläger sei grundsätzlich beitragspflichtig. Der Gefahrtarif der Beklagten gelte für die Unternehmen mit regelrechten Betriebsverhältnissen. Im Einzelfall könne die Beklagte jedoch nach Nr. 2 ihres Gefahrtarifs die Gefahrklassen um 10 bis 50 v.H. herabsetzen, wenn die Betriebsweise von der üblichen erheblich wegen geringerer Gefahren abweiche. Mangels einer besonderen Gefahrklasse für Arbeitnehmer, die nach Konkurseröffnung von der Arbeit freigestellt seien, sei von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen (Urteil vom 10. Mai 1979).

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 8. Mai 1980).

Sowohl der Kläger als auch die Beklagte haben Revision eingelegt. Sie rügen eine Verletzung der §§ 723, 725 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und vertreten weiterhin ihre Rechtsstandpunkte, nämlich einerseits der Kläger: Der Konkursverwalter sei jedenfalls, wenn er das Unternehmen nicht fortführe, sondern lediglich abwickle- und die Arbeitnehmer von der Arbeit freistelle, nicht Unternehmer und daher nicht beitragspflichtig; andererseits die Beklagte: Auch der Konkursverwalter sei, solange das Unternehmen abgewickelt werde, beitragspflichtiger Unternehmer und habe die Beiträge entsprechend den Gefahrklassen, in denen die freigestellten Arbeitnehmer sonst beschäftigt wären, und entsprechend den tatsächlich gezahlten Lohnsummen zu leisten.

Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Mai 1980, des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Mai 1979 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1978 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Mai 1980 und des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Mai 1979 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtenen Urteile des Landessozialgerichts (LSG) und des Sozialgerichts (SG) sind aufzuheben. Der angefochtene Beitragsbescheid der Beklagten ist ersatzlos aufzuheben, Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf die geforderten Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung.

Rechtsgrundlage für den Beitragsanspruch der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) ist § 723 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Danach werden die Mittel für die Ausgaben der BGen durch Beiträge der Unternehmer aufgebracht, die versichert sind oder Versicherte beschäftigen. Die Höhe der Beiträge richtet sich grundsätzlich nach dem Entgelt der Versicherten in den Unternehmen (Lohnsumme) und nach dem Grade der Unfallgefahr in dem Unternehmen (§ 725 Abs. 1 RVO). Nicht jeder Unternehmer i.S. von § 658 RVO ist daher beitragspflichtiges Mitglied der sachlich zuständigen BG. Nicht beitragspflichtig ist derjenige, auf dessen Rechnung ein Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht, auf den die Satzung der zuständigen BG die Versicherung aber nicht erstreckt (§ 543 RVO), der der Unfallversicherung auch nicht freiwillig beigetreten ist (§ 545 RVO) und keine Versicherten beschäftigt. Es kann hier unentschieden bleiben, ob im Fall des Konkurses des Unternehmers der Gemeinschuldner - hier die, mit der Eröffnung des Konkurses aufgelöste F… und A… L… KG (§§ 131 Nr. 3, 161 Handelsgesetzbuch - HGB -) - bis zur endgültigen Abwicklung Unternehmer i.S. von § 658 RVO bleibt und - ob der Konkursverwalter unter keinen Umständen Unternehmer sein kann. Denn die früheren Arbeitnehmer waren seit der Konkurseröffnung nicht mehr als Versicherte im Unternehmen beschäftigt. Die von dem Kläger an sie bis zur fristgerechten Beendigung der Arbeitsverträge gezahlten Beträge (Unterschied zwischen den Leistungen des Arbeitsamtes und den vertraglichen Entgeltansprüchen) führen deshalb nicht zur Beitragspflicht nach §§ 723, 725 RVO. Seit der Einstellung der Betriebstätigkeit und der endgültigen und unbefristeten "Freistellung" von der Arbeit bis zum fristgerechten Ende der Arbeitsverträge waren die früheren Arbeitnehmer nicht mehr beschäftigt, sie leisteten keine nichtselbständige Arbeit (§ 7 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften - SGB 4 -) im Unternehmen mehr, sie waren nicht mehr in das Unternehmen eingegliedert, der Arbeitgeber hatte auf sein Weisungsrecht verzichtet. Damit hatten die vertraglichen Arbeitsverhältnisse, auch wenn sie wegen der einzuhaltenden Kündigungsfristen fortbestanden, einen anderen Inhalt bekommen. Es bestand nur noch die einseitige Verpflichtung des Arbeitgebers, das vertraglich vereinbarte Entgelt weiter zu zahlen, ohne daß dafür die Gegenleistung in Form der unselbständigen Arbeit im Unternehmen zu erbringen war. Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß auch arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer oder solche, die im Urlaub sind, keine Arbeit leisten. Sie bleiben in den Betrieb eingegliedert und unterliegen, wenn auch eingeschränkt, dem Weisungsrecht des Arbeitgebers; ihr Beschäftigungsverhältnis besteht fort. Hier ist es jedoch ausdrücklich beendet worden. Diese früheren Arbeitnehmer sind nicht mehr beschäftigt. Sie sind vielmehr arbeitslos i.S. von § 101 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Dementsprechend haben diese früheren Arbeitnehmer vom Arbeitsamt nach den Feststellungen des LSG Arbeitslosengeld (Alg) bezogen. Entscheidend ist nicht, ob das Arbeitsverhältnis rechtlich noch weiter besteht und Entgelt gewährt oder beansprucht wird, wenn der Arbeitgeber eine Verfügungsgewalt nicht mehr beansprucht. Der Antragsteller steht dann nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis. Dies ergibt sich schon aus dem Zusammenhang zu der Regelung in § 117 Abs. 1 AFG (Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz Anm. 4 zu § 101 AFG und Anm. 3 zu § 117 AFG). Tatsächlich kam jemand nicht gleichzeitig beschäftigt und arbeitslos sein. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung, nämlich der Ablösung der privatrechtlichen Haftung der Unternehmer wegen der Unfallschäden gegenüber ihren Arbeitnehmern. Sind in einem Unternehmen keine versicherten Arbeitnehmer (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) beschäftigt, so besteht für den Unternehmer kein Unfallrisiko, das von der gesetzlichen Unfallversicherung zu tragen wäre. Es besteht deshalb auch kein Grund, von einem Unternehmer nur deshalb Beiträge zu fordern, weil er wegen seiner arbeitsrechtlichen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag noch Zahlungen an seine früheren Arbeitnehmer zu leisten hat, die aber tatsächlich nicht mehr im Unternehmen beschäftigt sind.

Die Beklagte kann ihre Beitragsforderung auch nicht auf den gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) stützen. Danach hängt es davon ab, ob ein Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt ausgeübt wird, ob die gewährten Bezüge lohnsteuerpflichtig sind. Ob jedoch ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis überhaupt besteht, richtet sich allein nach sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (BSGE 15, 65, 68, 69; 19, 265, 267 m.w.N.). Was insoweit für die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gilt, kann für die gesetzliche Unfallversicherung nicht anders beurteilt werden. Auch diese knüpft die Versicherung an die Beschäftigung und nicht allein an die Zahlung eines Entgelts an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.8/8a RU 48/80

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

BSGE, 76

Breith. 1982, 587

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