Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Beklagte der bei ihr versicherten Klägerin die Mietkosten für eine elektrische Milchpumpe zu erstatten hat.

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes im Dezember 1989 gebrauchte die Klägerin in der Zeit vom 12. Februar bis 2. Juni 1990 eine elektrische Milchpumpe, die sie für diese Zeit gemietet hatte. Ihren im August 1990 gestellten Antrag auf Erstattung der Kosten in Höhe von insgesamt 253,-- DM (2,-- DM Mietkosten täglich zuzüglich 29,-- DM für den Erwerb eines Milchpumpen-Sets) lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß Milchpumpen aus der Versorgung mit Hilfsmitteln ausgeschlossen seien (Bescheid vom 3. August 1990; Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1990).

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Münster vom 28. Juni 1991; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1992). Das LSG hat die zugelassene Berufung der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Klägerin die tatsächlich entstandenen Kosten zu erstatten seien. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, daß die Klägerin die Kostenerstattung erst nach der Inanspruchnahme des Hilfsmittels beantragt habe. Denn die Sachleistung wäre ihr in jedem Fall verweigert worden, weil nach § 2 Nr. 16 der "Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischem Nutzen oder von geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung" vom 13. Dezember 1989 (BGBl. I, 2237; künftig: HMVO) die Kosten für Milchpumpen nicht mehr übernommen würden. Diese Regelung habe indessen einen Sachleistungsanspruch der Klägerin nicht ausgeschlossen; denn elektrische Milchpumpen könnten selbst für den Fall, daß sie überhaupt von der genannten Regelung erfaßt würden, nicht als Hilfsmittel "von geringem Abgabepreis" angesehen werden. Deshalb sei ihr Ausschluß von der Verordnungsermächtigung in § 34 Abs. 4 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) nicht gedeckt. Der Kaufpreis für elektrische Milchpumpen liege je nach Ausführung zwischen 150,-- DM und 1.000,-- DM. Selbst wenn man von dem günstigsten Endverkaufspreis von 150,-- DM ausgehe, könne angesichts des Normzwecks und seiner Konkretisierung in der Gesetzesbegründung sowie unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung von einer Geringfügigkeit nicht die Rede sein. Der Einsatz einer elektrischen Milchpumpe sei bei der Klägerin auch notwendig gewesen, weil er den übermäßigen Milcheinschuß in die Brustdrüsen ausgeglichen und eine Stauungsmastitis mit der Folge des Versiegens der Milchproduktion verhindert habe. Bei einem Milchüberschuß von 400 ml pro Nacht habe eine handbetriebene Milchpumpe mit einem Fassungsvermögen von lediglich ca 25 ml nicht ausgereicht; demgegenüber habe die elektrische Milchpumpe ein Fassungsvermögen von 250 ml.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Beklagte geltend, daß der Einsatz einer handbetriebenen Milchpumpe ausreichend gewesen sei. Auch wenn deren Benutzung unzumutbar gewesen wäre, folge daraus nicht bereits die Notwendigkeit der Versorgung mit einer elektrischen Milchpumpe. Darüberhinaus sei der Ausschluß auch von elektrischen Milchpumpen - anders als das LSG meine -durch die Verordnungsermächtigung gedeckt. Denn der Preis für eine solche Pumpe liege noch in dem Bereich, den der Gesetzgeber als geringfügig angesehen habe. Das ergebe sich einerseits aus der Gesetzesbegründung, die z.B. orthopädische Schuheinlagen - mit einem Abgabepreis zwischen 64,-- DM und 254,-- DM - als Hilfsmittel mit geringem Abgabepreis genannt habe. Andererseits habe der Parlamentarische Staatssekretär Vogt in einer Äußerung vom 10. August 1990 (BT-Drucks 11/7698 vom 17. August 1990) bestätigt, daß die Verordnung auch den Ausschluß von elektrischen Milchpumpen habe umfassen sollen. Im übrigen seien vorliegend nicht die Anschaffungskosten, sondern nur die monatlichen Mietkosten in Ansatz zu bringen, die mit 65,-- DM (monatlich) nur eine geringe Belastung bedeuteten.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1992 und des Sozialgerichts Münster vom 28. Juni 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zu Recht verurteilt worden, der Klägerin die für den Gebrauch der Milchpumpe entstandenen Kosten zu erstatten.

Da sich der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin spätestens mit dem Ende der Benutzung des Hilfsmittels realisiert hat, kommt es auf die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt an (vgl. die Urteile des erkennenden Senats in Sachen 1 RK 17/91 und 31/92 vom 10. Februar 1993). Anzuwenden sind daher die Vorschriften des SGB V in der vor dem 1. Januar 1993 gültig gewesenen Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I, 2477).

Der Kostenerstattungsanspruch scheitert nicht bereits daran, daß sich die Klägerin das Hilfsmittel selbst beschafft hat, ohne hierzu durch eine (unrechtmäßige) Ablehnung der Beklagten gezwungen gewesen zu sein. Zwar darf nach dem hier einschlägigen § 13 Abs. 2 SGB V (seit 1. Januar 1993 § 13 Abs. 3 SGB V) Kostenerstattung grundsätzlich nur dann gewährt werden, wenn - abgesehen von Fällen eines dringlichen Bedarfs - die Krankenkasse eine (Sach) Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind; in diesem Fall sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ob und inwieweit von dem in dieser Norm liegenden Erfordernis einer vorherigen Geltendmachung der Sachleistung Ausnahmen zuzulassen sind, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 182 der Reichsversicherungsordnung a.F. (RVO) gemacht worden sind (vgl. insbesondere BSG SozR 2200 § 182 Nr. 86; SozR 3-2500 § 13 Nr. 2 m.w.N.), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen von vornherein feststand, daß eine durch Gesetz oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden würde, und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen, kann er nicht anders behandelt werden, als wenn die Krankenkasse die Leistung ausdrücklich abgelehnt hätte. Ein solcher Fall liegt hier vor, denn die Klägerin war, bevor sie die Milchpumpe gemietet hat, sowohl von ihrem Arzt als auch von ihrem Apotheker auf den Ausschluß der Versorgung mit Milchpumpen hingewiesen worden, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der vom LSG getroffenen Feststellungen ergibt. In einem solchen Fall ist das Bemühen um die Gewährung der Sachleistung von vornherein aussichtslos, ohne daß es auf die Prüfung ankommen kann, ob die Leistung als solche vom Sachleistungsanspruch umfaßt bzw. das Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich ist. Bedenken, jedenfalls in diesen Fällen auf eine vorherige Antragstellung zu verzichten, bestehen daher nicht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert die Kostenerstattung auch nicht daran, daß der Klägerin kein Anspruch auf die Sachleistung als solche zugestanden hätte (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 2). Zwar ist bei Schwangerschaft und Mutterschaft eine Versorgung mit Hilfsmitteln nicht vorgesehen (§ 195 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Die Klägerin konnte jedoch im Rahmen der Krankenbehandlung (§§ 27 ff. SGB V) von der Beklagten verlangen, ihr für das Abpumpen des Milchüberschusses eine Milchpumpe zur Verfügung zu stellen. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um u.a. eine Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen ist. Dabei kann die Krankenkasse dem Versicherten das erforderliche Hilfsmittel auch leihweise überlassen (§ 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V).

Der Milchüberschuß von ca 400 ml täglich ist als Behinderung im vorgenannten Sinne anzusehen, weil er das Maß der infolge Schwangerschaft und Geburt auftretenden natürlichen Veränderungen und Beschwerden übersteigt und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung auch erheblich ist (vgl. BSG SozR 2200 § 182b Nr. 18 m.w.N.). Nach den vom LSG getroffenen und unangegriffenen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), war das Abpumpen der überschüssigen Milch notwendig, um eine Stauungsmastitis - mit der Folge des Versiegens der Milchproduktion - und eine antibiotische Behandlung zu verhindern. Zur Erreichung dieses Zwecks war im konkreten Einzelfall der Einsatz einer Milchpumpe erforderlich, und zwar in der elektrisch betriebenen Ausführung, weil eine handbetriebene Pumpe mit einem Fassungsvermögen von nur 25 ml nicht ausgereicht hätte, den starken Milchüberschuß von ca 400 ml täglich in einer geeigneten, dem Umfang der Stauung entsprechenden Weise zu beseitigen. Stehen - wie hier - mehrere Ausführungen eines notwendigen Hilfsmittels zur Verfügung, ist das nach den individuellen Verhältnissen objektiv zweckmäßigere (wirksamere) Mittel zu gewähren (vgl. BSGE 39, 167, 171), wobei auch der Stand der Technik und Wissenschaft zu berücksichtigen ist (vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - SGB V -, § 33 Rz 23). Der Einsatz einer elektrischen Milchpumpe mit einem Fassungsvermögen von 250 ml ist gegenüber einer handbetriebenen Pumpe nach den vorliegenden Besonderheiten das wirksamere und damit zugleich das erforderliche Mittel iSv § 33 Abs. 1 SGB V.

Daß es sich bei Milchpumpen nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V), liegt auf der Hand. Denn als solche sind in der Regel nur Gegenstände anzusehen, die üblicherweise in einem normalen Haushalt vorhanden sind (Höfler in KassKomm, § 33 Rz 23). Das ist bei einer Milchpumpe nicht der Fall, weil sie ausschließlich im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft benötigt wird.

Der Anspruch der Klägerin scheitert schließlich auch nicht daran, daß seit 1. Januar 1990 nach § 2 Nr. 16 der HMVO die Kosten für "Milchpumpen" nicht mehr übernommen werden. Ob damit überhaupt Kosten für elektrische Milchpumpen erfaßt werden sollten, kann der Senat offenlassen. Selbst wenn dies der Fall wäre, entspräche die Regelung, soweit sie auch elektrische Milchpumpen aus der Versorgung ausnimmt, weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in § 34 Abs. 4 Satz 1 SGB V (hier in der bis 31. Dezember 1991 geltenden Fassung durch das SGB V). Danach kann der zuständige Bundesminister durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates u.a. Hilfsmittel "von geringem Abgabepreis" bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. Bei einem Verkaufspreis von mindestens 150,-- DM für elektrische Milchpumpen bzw. bei entsprechend hohen Kosten der Gebrauchsüberlassung handelt es sich jedoch nicht um ein Mittel von geringem Abgabepreis, so daß der Ausschluß eines solchen Mittels wegen Verstoßes gegen die Ermächtigungsnorm wirkungslos wäre (so auch J. Schroeder-Printzen, NZS 1992, 137 f.; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 34 Rz 13; von Maydell in GK-SGB V, § 34 Rz 86).

§ 34 Abs. 4 SGB V genügt zwar als Ermächtigungsgrundlage den Bestimmtheits-anforderungen des Art 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Unschädlich ist insbesondere, daß die Ermächtigungsnorm keine Definition des Begriffs "geringerer Abgabepreis" enthält oder dessen Obergrenze festlegt. Denn der Gesetzgeber muß die Ermächtigung nicht derart substantiieren; es genügt vielmehr, wenn sich Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus der Ermächtigungsnorm und dem in ihr enthaltenen "Programm" hinreichend bestimmen lassen (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Komm, Art 80 Rz 28 ff.). Das ist - wie noch auszuführen sein wird - bei der streitigen Ermächtigungsnorm der Fall. Der beabsichtigte Ausschluß von Hilfsmitteln von geringem Abgabepreis deckt jedenfalls nicht den Ausschluß von Mitteln, deren Abgabepreis auf dem Markt bei mindestens 150,-- DM liegt.

Anhaltspunkte dafür, was der Gesetzgeber unter "geringem Abgabepreis" versteht, ergeben sich aus dem Zweck des Gesetzes. Durch das GRG sollte der gesteigerten Ausgabenflut im Gesundheitswesen begegnet werden (vgl. BT-Drucks 11/2237, S. 132 f. unter A. Allgemeiner Teil). Gerade auch im Bereich der Heil-und Hilfsmittelversorgung sollte das überproportionale Wachstum der Ausgaben dauerhaft auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden (BT-Drucks a.a.O., S. 139 zu Nr. 4 Heil- und Hilfsmittel). Dabei sollten Leistungen, die keiner solidarischen Absicherung bedürfen, aus dem Leistungskatalog herausgenommen werden, insbesondere - neben den Arzneimitteln des § 34 Abs. 1 SGB V - durch Rechtsverordnung auch sog. "Bagatell"arzneimittel, "Bagatell"heil- und -hilfsmittel sowie Heil- und Hilfsmittel von geringem medizinischen Nutzen aus der Versorgung ausgeschlossen werden können (BT-Drucks a.a.O., S. 148 zu V. 1a) bb) ). Wie sich insoweit der Begründung zu § 34 SGB V entnehmen läßt, war hierfür der Gedanke maßgebend, daß die Tragung solcher Kosten im Rahmen der Eigenvorsorge allgemein zumutbar ist (BT-Drucks a.a.O., S. 174 zu § 34 Abs. 1 und 2 des Entwurfs). Zur Ausgrenzung sächlicher Heil- und Hilfsmittel von geringem Abgabepreis heißt es in der Begründung zu § 34 Abs. 3 des Entwurfs, daß dabei von der objektiven Verkehrsanschauung und nicht von den Vermögensverhältnissen des einzelnen Versicherten auszugehen sei (BT-Drucks 11/2237, S. 175). Aus dieser "Objektivierung" des Begriffs "geringer Abgabepreis", der nicht aus der Sicht des einzelnen Versicherten und seiner Leistungsfähigkeit zu beurteilen ist (so auch v. Maydell in GK-SGB V, § 34 Rz 83; aA Maaßen in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, § 34 Rz 24), und aus der in der Gesetzesbegründung gegebenen Aufzählung bestimmter Bagatellmittel wie Augenklappen, Fingerlinge, Armbinden, Fingerschienen, Gummihandschuhe uä läßt sich erkennen, daß grundsätzlich nur an Mittel gedacht war, deren Kosten allgemein als gering, d.h. wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallend anzusehen sind, und die keiner solidarischen Absicherung bedürfen, weil sie der Versicherte wegen ihrer Geringfügigkeit selbst aufzubringen vermag. Das bedeutet aber, daß die Ausgrenzung nur solcher Mittel zumutbar und ermächtigungsgedeckt ist, für die der Versicherte nur wenige DM aufbringen muß (v. Maydell in GK-SGB V, § 34 Rz 86). In diesem Sinne hat auch der Verordnungsgeber die Regelung verstanden, denn die in § 2 der HMVO aufgeführten Hilfsmittel haben - unter Einschluß handbetriebener Milchpumpen - nach den Feststellungen des LSG sämtlich einen Abgabepreis von unter 20,-- DM. Darin hat das LSG zutreffend einen Hinweis dafür gesehen, was nach der Verkehrsanschauung allgemein unter geringem Abgabepreis zu verstehen ist. Daß der Gesetzgeber in der Begründung zu § 34 Abs. 3 des Entwurfs auch - möglicherweise teurere - orthopädische Einlagen als Beispiel für ein Hilfsmittel mit geringem Abgabepreis genannt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung; denn abgesehen davon, daß der Verordnungsgeber selbst orthopädische Einlagen - aus welchen Gründen auch immer - durch die HMVO nicht ausgeschlossen hat, müßte auch hier in Frage gestellt werden, ob erheblich höhere Abgabepreise (nach Angaben der Beklagten zwischen 64,-- DM und 254,-- DM) nach der Verkehrsanschauung noch als gering anzusehen wären.

Nach § 2 Abs. 2 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) ist bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Da durch den dem Verordnungsgeber ermöglichten Ausschluß von Heil- und Hilfsmitteln ein Anspruch auf an sich notwendige Leistungen eingeschränkt wird, muß bei der Auslegung des Begriffs "geringer Abgabepreis" ein enger Maßstab angelegt werden. Das ergibt sich auch schon daraus, daß es für den Begriff geringer Abgabepreis nicht auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten ankommen soll und folglich in diesem Bereich keine Härteregelungen vorgesehen sind, die bei unzumutbarer Belastung des einzelnen Versicherten eine Kostenübernahme zuließen. Deshalb kann unter diesem Begriff nur ein Abgabepreis verstanden werden, der allgemein - für alle Bevölkerungsgruppen - als gering und dessen Tragung allgemein als zumutbar angesehen werden kann. Bei welchem Betrag die Grenze eines geringen Abgabepreises zu ziehen ist und ob eine zeitlich unbeschränkte Grenzziehung angesichts inflationärer Entwicklungen sinnvoll wäre, kann hier dahinstehen. Ein Abgabepreis in Höhe von 150,-- DM und mehr für eine elektrische Milchpumpe steht jedenfalls außerhalb dessen, was allgemein noch als "gering" und damit als zumutbar angesehen werden kann. Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch, der unter geringem Abgabepreis nur wenige DM versteht, sondern auch eine Konkretisierung des Begriffs "geringwertig" in anderen Bereichen, beispielsweise im Bereich der Fahrkostenerstattung oder auch im Strafrecht. So geht der Gesetzgeber in § 60 Abs. 2 SGB V, wie dessen Entstehungsgeschichte zeigt, davon aus, daß den Versicherten zugemutet werden kann, geringfügige Fahrkosten selbst zu tragen (vgl. zu § 194 Abs. 1 RVO i.d.F. des KVKG vom 27. Juni 1977, BR-Drucks 76/77, S. 28); das sind in den Fällen des § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V zur Zeit 20,-- DM je einfache Fahrt, wobei jedoch in diesen wie in den übrigen Fällen zusätzlich Härteregelungen (§§ 61, 62 SGB V) bestehen. Im Strafrecht wurde im Jahre 1990 die obere Grenze der "Geringwertigkeit" im Rahmen des § 248a des Strafgesetzbuchs [StGB] (Diebstahl geringwertiger Sachen) bei 50,-- DM angesetzt (Dreher/Tröndle, Komm zum StGB, 46. Aufl., § 248a Rz 5). Ebenso wurde in dieser Zeit bei der Beurteilung eines belanglosen Schadens iSv § 142 StGB ein Wert von 40,-- bis 50,-- DM angenommen (Dreher/Tröndle, a.a.O., § 142 Rz 11).

Der Senat kann offenlassen, ob der Begriff "Abgabepreis", der außer dem Kaufpreis auch den Miet- oder Leasingpreis umfaßt, ausschließlich auf letzteren zu beziehen wäre, wenn dieser etwa erheblich unter dem Kaufpreis läge und nach den vorgenannten Kriterien noch als geringfügig anzusehen wäre. Denn wie der vorliegende Fall zeigt, können jedenfalls Mietkosten, die bei einem üblichen Tagesmietpreis von ca 2,-- DM bereits bei zweimonatiger Nutzung ca 150,-- DM betragen würden (einschließlich der Kosten für den Erwerb eines Pumpensets), nicht als gering bezeichnet werden. Dafür, daß es im Rahmen des § 34 Abs. 4 SGB V auf die Geringwertigkeit des monatlichen oder täglichen Abgabepreises ankommen sollte, finden sich weder in der gesetzlichen Ermächtigungsnorm selbst noch in der Verordnung Anhaltspunkte; vielmehr sollte der Gesamtpreis für die Abgabe des jeweiligen Hilfsmittels Maßstab sein, wobei der Senat ausdrücklich offen läßt, wie die Fälle zu beurteilen sind, in denen bestimmte Bagatellhilfsmittel (zB Einmalhandschuhe) fortlaufend benötigt werden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 SGB V a.F. sind im übrigen die Kosten in der dem Versicherten für den Gebrauch des notwendigen Mittels tatsächlich entstandenen Höhe zu erstatten, und zwar selbst dann, wenn die selbstbeschaffte Leistung teurer war, als es die Kassenleistung gewesen wäre (BT-Drucks 11/2237, S. 164 zu § 13 Abs. 2 des Entwurfs).

Letztlich begegnet es auch keinen Bedenken, daß die von der Klägerin zu entrichtenden Mietkosten über dem Preis liegen, zu dem eine einfachere elektrisch betriebene Pumpe im Handel (Endverkaufspreis ab 150,-- DM) hätte erworben werden können. Abgesehen davon, daß die Krankenkasse in Fällen einer zulässigen Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V a.F. die Kosten in der tatsächlich entstandenen Höhe zu erstatten hat, wäre zu dem Zeitpunkt, zu dem der Einsatz einer Milchpumpe erforderlich wurde, noch nicht voraussehbar gewesen, wie lange der Einsatz erforderlich und ob danach der Kauf oder die Miete günstiger sein würden. Muß der Versicherte im Rahmen einer - zulässigen - Eigenversorgung diese Prognose selbst treffen, kann es ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sich bei einer zunächst unabsehbaren Nutzungsdauer auf die vermeintlich günstigere Miete des Hilfsmittels beschränkt.

Nach allem konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.1 RK 37/92

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Breith. 1994, 353

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