Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenübernahme für Fahrkosten bei ambulanter Behandlung auch bei einer nur einmal pro Woche stattfindenden Therapie

 

Leitsatz (amtlich)

Versicherte können die Übernahme der Fahrkosten für eine dauerhaft regelmäßig notwendige ambulante Behandlung beanspruchen, auch wenn die Therapie nur einmal pro Woche stattfindet.

 

Normenkette

SGB 5 § 13 Abs. 3, § 60 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2003-11-14, S. 3 Fassung: 2003-11-14, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12; SGB 10 § 45 Abs. 1, § 48 Abs. 1 S. 1; KrTRL § 8 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2004-12-21; KrTRL 2004 § 8 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2004-12-21; KrTRL Anl 2 Fassung: 2004-12-21; KrTRL 2004 Anl 2 Fassung: 2004-12-21

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.09.2007; Aktenzeichen L 5 KR 43/07)

SG Mainz (Urteil vom 28.11.2006; Aktenzeichen S 6 KR 140/05)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung und -übernahme für Fahrten zu einmal wöchentlich durchgeführten ambulanten LDL-Apherese-Behandlungen.

Die 1948 geborene Klägerin, die an einer schweren familiären Fettstoffwechsel-Erkrankung mit koronaren Beeinträchtigungen leidet, ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert. Nach Einschätzung der behandelnden Ärzte Dres. H. ist ihr Gesundheitszustand nur durch eine einmal wöchentlich stattfindende LDL-Apherese-Behandlung zu stabilisieren. Bei der Behandlungsform, die der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (seit 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss ≪GBA≫) mit Maßgaben als Behandlungsmethode anerkannt hat (Beschluss vom 24.3.2003, BAnz Nr 123, S 14486) , wird nach Punktion beider Oberarme LDL-Cholesterin aus dem Blutkreislauf herausgefiltert und das gereinigte Blut dem Körper anschließend wieder zugeführt. In Durchführung und Auswirkungen sei die Behandlung - so die Ärzte - einer Dialyse vergleichbar; während der Behandlung müsse die Klägerin ca 1 1/2 Stunden unbeweglich sitzen und sei anschließend für mehrere Stunden vermehrt blutungsgefährdet, sodass es sich empfehle, sie von einer Begleitperson zur Behandlung bringen und wieder abzuholen zu lassen.

Am 29.1.2004 beantragte die Klägerin gestützt durch ein Attest ihrer Ärzte die Kostenübernahme für die Fahrten von ihrem Wohnort B. zu den geschilderten ambulanten Behandlungsmaßnahmen im ca 60 km entfernten I. Die Beklagte übernahm aufgrund eines Bescheides vom 17.2.2004 zunächst die Kosten für PKW-Fahrten für die Monate Januar und Februar 2004 unter Abzug des gesetzlichen Eigenanteils. Mit Bescheiden vom 18.3. und 10.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2005 lehnte sie die Leistungsgewährung sodann "für die Zukunft" ab: Nach dem zum 1.1.2004 geänderten Gesetzesrecht und den am 22.1.2004 beschlossenen Richtlinien des GBA über die Verordnung von Krankenfahrten (KrTransp-RL) könnten Kosten für Fahrten zur ambulanten Behandlung nur noch in besonderen Ausnahmefällen übernommen werden, die bei der Klägerin nicht vorlägen; für eine Fahrkostengewährung seien mindestens zwei Behandlungen pro Woche erforderlich.

Die dagegen erhobene Klage ist beim Sozialgericht erfolglos geblieben (Urteil vom 28.11.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die "zwingende medizinische Notwendigkeit" in einem besonderen Ausnahmefall iS von § 8 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 KrTransp-RL setze ua voraus, dass der Versicherte mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt werde, das eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" aufweise. Eine solche Behandlungsfrequenz sei hier angesichts der gesetzlich vorgesehenen engen Ausnahmen von der grundsätzlich ausgeschlossenen Fahrkostenerstattung zu verneinen. Da die in Anlage 2 KrTransp-RL genannten Behandlungsformen (Dialysebehandlung, onkologische Strahlen- oder Chemotherapie) in der Regel mehr als eine Behandlung wöchentlich erforderten, erscheine es angemessen, auch sonst eine Therapiedichte von mindestens zwei Behandlungen wöchentlich zu verlangen (Urteil vom 6.9.2007).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 13 Abs 3, § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V und § 8 Abs 1 Satz 2 KrTransp-RL. Sie leide an der von den RL geforderten schweren Grunderkrankung mit erheblichem Therapiebedarf. Die Leistungspflicht einer KK hänge nicht von einer Therapiefrequenz von einmal oder zweimal pro Woche ab. Entscheidend sei, dass die Therapie für einen unbestimmten Zeitraum regelmäßig und konstant vorgegeben sei und das alltägliche Leben dauerhaft erheblich präge. Das sei bei ihr bei 180 Fahrten zwischen März 2004 und Juni 2007 mit je zweimal 60 km Fahrstrecke der Fall.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2007 und des Sozialgerichts Mainz vom 28. November 2006 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 18. März und 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2005 zu verurteilen,

1.   

ihr die ab März 2004 angefallenen Kosten bzw anfallenden Kosten für PKW-Fahrten zur ambulanten LDL-Apherese in Höhe von 24,08 Euro je Einzelfahrt zu erstatten,

2.   

diese Fahrkosten künftig für die Dauer der Therapie zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt ,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

2. Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 SGG) begründet.

Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, weil die beklagte KK und die Vorinstanzen einen Anspruch der Klägerin auf Fahrkosten zu Unrecht generell aus Rechtsgründen verneint haben. Ob die Klägerin Anspruch auf Erstattung und Übernahme der Kosten für PKW-Fahrten von ihrem Wohnort B. zu den ambulant-vertragsärztlichen LDL-Apherese-Behandlungen in I. und zurück in dem begehrten Umfang hat, lässt sich ohne weitere, vom LSG nachzuholende Feststellungen nicht beurteilen.

Für die Zeit vom 1.3.2004 bis zur letzten mündlichen Verhandlung des LSG kommt in Bezug auf die begehrten Fahrkosten ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte in Betracht, für die Zukunft grundsätzlich ein Kostenübernahmeanspruch (dazu im Folgenden 3.). Das LSG hat den Bewilligungsbescheid vom 17.2.2004, der den Anspruch der Klägerin auf Fahrkostenübernahme als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung konkretisierte und bindend festlegte, nicht hinreichend in den Blick genommen; das Berufungsgericht durfte den Anspruch vor allem nicht mit der Begründung verneinen, eine Fahrkostenübernahme erfordere künftig aus Rechtsgründen mindestens zwei ambulante Behandlungen pro Woche (dazu 4.). Ob der Klägerin die begehrten Fahrkosten dagegen wegen möglicherweise geänderter tatsächlicher Verhältnisse über den Monat Februar 2004 hinaus weiter zu gewähren sind, muss das LSG noch ermitteln (dazu 5.).

3. Die Klägerin kann gegen die Beklagte für die abgelaufene streitige Zeit ab 1.3.2004 einen Kostenerstattungsanspruch und für die Zukunft einen Kostenübernahmeanspruch haben.

a) Im Rahmen des § 60 SGB V (in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung von Art 1 Nr 37 des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 ≪GMG≫, BGBl I 2190) , der Ansprüche auf Fahrkosten abschließend regelt (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 2.11.2007 - B 1 KR 4/07 R, RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 9) , kommt als Anspruchsgrundlage für die Klägerin allein § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V in Betracht. Nur diese Rechtsnorm befasst sich nach der Gesetzessystematik (neben dem hier nicht einschlägigen § 60 Abs 2 Nr 4 SGB V) mit der Übernahme von Fahrten bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs zu einer als solchen allein erforderlichen ambulanten Behandlung.

Nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V "übernimmt" die KK die "Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung" unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 12 SGB V festgelegt hat. Hinsichtlich des Anspruchsinhalts der Kostenübernahme (dazu b) muss im Falle der Klägerin zwischen den Zeiträumen vom 1.3.2004 bis zur mündlichen Verhandlung beim LSG und der in der Zukunft liegenden Zeit (dazu c) unterschieden werden.

b) Zwar handelt es sich beim Krankentransport in der Regel um eine Naturalleistung, auch wenn § 60 SGB V selbst von der Übernahme von "Kosten" spricht (vgl Senatsurteile vom 2.11.2007 - B 1 KR 11/07 R, RdNr 10 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und B 1 KR 4/07 R, RdNr 10 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Der Gesetzgeber hatte bei dieser Konstruktion allerdings offensichtlich solche Krankentransporte im Blick, die ihrer Art nach eine KK als grundsätzlich dem Naturalleistungsprinzip unterliegender Leistungsträger (vgl § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) typischerweise überhaupt als Sach- oder Dienstleistung erbringen (lassen) kann (zB Rettungsfahrten, Rettungsflüge, Fahrten mit speziellen Krankenkraftwagen). Für Transporte demgegenüber, die einer KK bei wirklichkeitsnaher Betrachtung von vornherein nicht als "eigene" bzw eigenorganisierte Naturalleistung zugerechnet werden können (zB Fahrten des Versicherten im privaten PKW oder Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel), kann dies indessen nicht gleichermaßen gelten. In diesen Fällen ist der Anspruch des Versicherten aus § 60 Abs 1 SGB V vielmehr auf die "Kosten" als Ausgleich der entstandenen notwendigen finanziellen Aufwendungen selbst gerichtet. Zwar ist auch insoweit ein Anspruch auf Vorab-Freistellung von Fahrkosten in Form von Naturalleistungen denkbar (zB bei Verschaffung einer Fahrkarte oder deren Vorfinanzierung durch einen Fahrgutschein). Hat der Versicherte nach - als Anspruchsvoraussetzung von § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V ohnehin verlangter - erfolgter "vorheriger Genehmigung" der KK aber Kosten für eigeninitiierte und durchgeführte Fahrten bereits aufgewandt, erschiene die Annahme einer gleichwohl dabei stattfindenden Naturalleistungsgewährung der KK gekünstelt; der mit dem Sachleistungsprinzip ua verbundene Schutzgedanke, dass Versicherte aus Kostengründen nicht von der Inanspruchnahme notwendiger Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abgehalten werden sollen (vgl dazu zB BSGSozR 3-2500 § 81 Nr 7 S 31 mwN) , ist hier nicht einschlägig. In derartigen Fällen ist daher vielmehr schon der Anspruch aus § 60 SGB V selbst auf Erstattung der Kosten gerichtet und ein Rückgriff auf die Regelungen über die naturalleistungsersetzende Kostenerstattung (§ 13 Abs 3 SGB V) entbehrlich.

c) Vor diesem Hintergrund kommt für den Zeitraum ab 1.3.2004 bis zum Zugang des Bescheides vom 18.3.2004 aus der Fahrkostenregelung, die der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 17.2.2004 zur Konkretisierung des § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V getroffen hat (dazu 4.), ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung in Betracht. Bei der Klägerin waren im März 2004 nämlich schon vor Zugang des Aufhebungsbescheides vom 18.3.2004 Fahrkosten angefallen, die sie bisher nicht erstattet bekommen hat und deshalb mit ihrem Klagebegehren geltend macht; denn nach der im Berufungsverfahren eingereichten Behandlungsübersicht wurde sie noch am 3.3., 10.3. und 17.3.2004 behandelt (nächstfolgende Behandlung dann am 24.3.2004). Da in Bezug auf die in der Vergangenheit bereits angefallenen Kosten keine Naturalleistungsgewährung durch die Beklagte mehr möglich ist, richtet sich die Rechtsfolge des § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V insoweit auf Kostenerstattung unter Berücksichtigung des Eigenanteils bis zur Belastungsgrenze (§ 61 Satz 1, § 62 SGB V).

Auch für die Zeit ab Zugang des Bescheides vom 18.3.2004 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim LSG am 6.9.2007 kann die Klägerin Anspruch auf Kostenerstattung unter Berücksichtigung des Eigenanteils (§ 60 Abs 1 Satz 3, § 61 Satz 1 SGB V) bis zur Belastungsgrenze (§ 62 SGB V) für die notwendigen Fahrten zur LDL-Apherese haben. Auch in diesem abgeschlossenen Zeitraum sind Fahrkosten bei der Klägerin bereits angefallen, die von der Beklagten nicht mehr vorab "übernommen", sondern nur im Nachhinein "erstattet" werden können.

Anderes gilt für die Zeit nach Verkündung des LSG-Urteils. Insoweit bildet den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens die künftige Kostenübernahme für die Dauer der weiteren Therapie der Klägerin (Antrag zu 2.). Dieses Begehren ist grundsätzlich gerichtet auf Kostenfreistellung vorab und wäre nur für die bereits wiederum abgelaufenen Zeiträume ein reines Kostenerstattungsbegehren.

4. In der Sache darf der Klägerin ein Anspruch auf Fahrkostenerstattung und -übernahme schon aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 17.2.2004 nicht ohne Weiteres versagt werden. Dieser Bescheid regelt und konkretisiert den Anspruch der Klägerin auf Fahrkostenübernahme aus § 60 SGB V als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (dazu a). Er legt die Ansprüche der Klägerin für Fahrten zur ambulanten LDL-Apherese auch über das Ende des Monats Februar 2004 hinaus bindend fest und durfte durch den Bescheid vom 18.3.2004 (und den Folgebescheid vom 10.12.2004, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2005) nicht mit der Begründung aufgehoben werden, dass eine solche Fahrkostenübernahme aufgrund geänderter rechtlicher Verhältnisse mindestens zwei ambulante Behandlungen pro Woche erfordere (dazu b).

a) Mit dem Bescheid vom 17.2.2004 hat sich die Beklagte gegenüber der Klägerin dauerhaft zur Kostenübernahme für die privaten PKW-Fahrten zur ambulanten LDL-Apherese bei ihren behandelnden Ärzten unter Berücksichtigung des Zuzahlungsbetrages verpflichtet. Dies folgt aus dem Verfügungssatz des Bescheides, der hinsichtlich des zeitlichen Leistungsumfangs keine Einschränkung enthält. Die Beklagte formulierte wie folgt: "Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir die Kosten zu den ambulanten Behandlungen in der Praxis Dres. H. in I. übernehmen können"; eine Leistungseinschränkung wurde ausdrücklich nur in Bezug auf den jeweils zu zahlenden gesetzlichen Eigenanteil vorgenommen. Nach seinem wirksam gewordenen Inhalt (vgl § 39 Abs 1 Satz 1 und 2 iVm § 37 Abs 1 Satz 1 SGB X), wie er von der Klägerin als Antragstellerin der begehrten Sozialleistung und Empfängerin des darauf bezogenen Bescheides nach seinem objektiven Sinngehalt bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls verstanden werden musste (vgl allgemein zB Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 31 RdNr 26 mit umfangreichen Nachweisen) , handelt es sich dabei um einen ohne zeitliche Begrenzung für eine unbestimmte Vielzahl von Bedarfslagen (hier: Fahrten zur LDL-Apherese) erteilten Bescheid zur Bewilligung von Sozialleistungen (Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iS von § 48 SGB X). Die Beklagte traf auf den auf unbestimmte Zeit gerichteten Leistungsantrag der Klägerin vom 29.1.2004 hin eine entsprechende Regelung (vgl § 31 SGB X); sie gewährte der Klägerin dann auch selbst tatsächlich die Fahrkosten für Januar und Februar 2004, indem sie ihr in der Folgezeit einen der Höhe nach nicht im Streit befindlichen Geldbetrag überwies. Für die Fahrkosten in der Zeit ab 1.3.2004 enthält der Bescheid vom 17.2.2004 keine ausdrückliche oder stillschweigend anzunehmende Zäsur.

Ein zeitlich nur begrenzter Regelungsinhalt dieses Bescheides lässt sich nicht etwa daraus ableiten, dass nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V für die Übernahme von Fahrkosten jeweils die "vorherige Genehmigung" der KK einzuholen ist; denn dies ist mit dem Antrag der Klägerin vom 29.1.2004 insgesamt geschehen. Ein Genehmigungsantrag muss nicht vor jeder einzelnen Fahrt gestellt werden, vielmehr reicht es aus, dass um Genehmigung - wie hier - für alle im Rahmen einer konkreten Behandlungsmaßnahme notwendigen Fahrten ersucht wird (vgl zB Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand März 2008, § 60 SGB V, RdNr 12; Hasfeld in: jurisPK-SGB V, 2008, § 60 SGB V RdNr 70).

Der Bescheid der Beklagten vom 17.2.2004 blieb damit auch für Fahrten der Klägerin zur ambulanten LDL-Apherese ab dem 1.3.2004 maßgeblich, solange er nicht (wirksam) zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben wurde oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt war (§ 39 Abs 2 SGB X). Dass die Beklagte ihre Leistungsverpflichtung aus dem Dauerverwaltungsakt vom 17.2.2004 gegenüber der Klägerin mit Erlass des Bescheides vom 18.3.2004 "für die Zukunft" verneint und ihr die Fahrkosten (nur) für die Monate Januar und Februar 2004 erstattet hat, trägt rechtlich nicht (dazu b).

b) Die Beklagte durfte den Bewilligungsbescheid vom 17.2.2004 nicht wegen wesentlicher Änderung der rechtlichen Verhältnisse aufheben, weil das dafür von ihr der Sache nach zur Begründung herangezogene Tatbestandsmerkmal einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht vorliegt.

aa) § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X bestimmt: "Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben." Eine solche wesentliche Änderung ist - entgegen der Vorstellung der Beklagten - gegenüber dem Bescheid vom 17.2.2004 in rechtlicher Hinsicht nicht dadurch eingetreten, dass die auf § 60 Abs 1 Satz 3, § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 12 SGB V beruhenden Richtlinien des GBA über die Verordnung von Krankenfahrten (KrTransp-RL vom 22.1.2004, BAnz Nr 18, S 1342, geändert am 21.12.2004 mW vom 2.3.2005, BAnz 2005 Nr 41 S 2937) rückwirkend am 1.1.2004 in Kraft getreten sind.

bb) Unabhängig davon, dass der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der KrTransp-RL bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides vom 17.2.2004 gelegen hat, haben die RL die Beklagte schon sachlich nicht dazu berechtigt, ohne Änderung des Sachverhalts den Bewilligungsbescheid durch den Bescheid vom 18.3.2004 mit Wirkung für die Zeit ab Zugang dieses Bescheides aufzuheben. Denn die KrTransp-RL fordern entgegen der Ansicht der Beklagten und des LSG keine Behandlungsfrequenz von mehr als einmal wöchentlich, wenn wegen der Erkrankung der Versicherten auf unabsehbare Dauer mit einer entsprechend langfristigen, eventuell jahrelangen Transportnotwendigkeit zu rechnen ist.

Nach dem im Falle der Klägerin allein in Betracht kommenden § 8 Abs 1 Satz 1 KrTransp-RL können in besonderen Ausnahmefällen auch Fahrten zur ambulanten Behandlung "bei zwingender medizinischer Notwendigkeit" von der KK übernommen und vom Vertragsarzt verordnet werden; sie bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die KK. Voraussetzung für eine solche Verordnung und Genehmigung ist nach § 8 Abs 2 Satz 1 KrTransp-RL, "dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist, und dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist". Diese Voraussetzungen sind in den in Anlage 2 der RL genannten Ausnahmefällen erfüllt, wobei diese Liste nicht abschließend ist (§ 8 Abs 2 Satz 2 und 3 KrTransp-RL). Nach Anlage 2 sind Ausnahmefälle gemäß § 8 in der Regel Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie und onkologische Chemotherapie.

Wie der Senat entschieden hat, ist die gesetzeskonforme Konkretisierung der Ausnahme nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V durch die KrTransp-RL nicht aufgrund ranghöheren Rechts erweiternd auszulegen. Mit der Änderung des § 60 SGB V zum 1.1.2004 hat der Gesetzgeber vielmehr stärker als zuvor auf die medizinische Notwendigkeit der im Zusammenhang mit der KKn-Leistung erforderlichen Fahrt abgestellt und die Möglichkeit der KKn, Fahrkosten generell in Härtefällen zu übernehmen, verfassungskonform beseitigt ( vgl im Einzelnen BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 13 f) .

Das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" iS von § 8 Abs 2 KrTransp-RL ist danach zu bestimmen, ob die Behandlung, zu deren Ermöglichung die Fahrten durchgeführt werden sollen, mit den in Anlage 2 der RL genannten anderen Behandlungsformen von ihrem zeitlichem Ausmaß her wertungsmäßig vergleichbar ist; dabei ist die Häufigkeit einerseits und die Gesamtdauer andererseits gemeinsam zu den Regelbeispielen in Beziehung zu setzen. Dieser Maßstab ergibt sich aus der Absicht des Gesetzgebers, ab 1.1.2004 Fahrkosten in der ambulanten Behandlung grundsätzlich gar nicht mehr zu erstatten und nur in "besonderen" Ausnahmefällen etwas anderes gelten zu lassen, nicht aber schon breitflächig allgemein in Härtefällen. Vor diesem Hintergrund muss sich die Auslegung an den in Anlage 2 KrTransp-RL genannten, nicht abschließenden Beispielen der Dialysebehandlung, der onkologischen Strahlentherapie sowie der onkologischen Chemotherapie orientieren.

Der schon von § 60 Abs 1 Satz 1 SGB V geforderte Zusammenhang der Fahrkosten mit einer Hauptleistung der KK (dazu schonBSG, Urteil vom 2.11.2007 - B 1 KR 4/07 R, RdNr 12f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) , der auch Grundlage einer Vergleichbarkeit der Behandlungen mit den Regelbeispielen ist, wird hier grundsätzlich gewahrt; denn der GBA hat für die bei der Klägerin angewandte Methode in Nr 1 Anlage I der RL zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung eine positive Empfehlung abgegeben (vgl Beschluss vom 24.3.2003, BAnz Nr 123, S 14486) . Auch eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" ist für diese Behandlungsmethode zu bejahen, wenn die LDL-Apherese-Behandlungen einmal pro Woche dauerhaft notwendig sind.

Anders als das LSG meint, kann für die Behandlungshäufigkeit eine durchgehende Therapiedichte von mindestens zwei Mal pro Woche nicht allgemein gefordert werden. § 60 SGB V und die Bestimmungen der KrTransp-RL enthalten eine solche Voraussetzung nicht explizit. Selbst wenn die in Anlage 2 der RL genannten Beispiele in der Regel mehr als eine Behandlung wöchentlich erfordern, darf nicht außer Acht bleiben, dass onkologische Strahlen- und Chemotherapiebehandlungen - anders als die LDL-Apherese-Behandlung der Klägerin - keine Therapie von unbestimmter Dauer bedeuten, sondern auf bestimmte Behandlungsintervalle beschränkt sind. So hat auch die Beklagte im Berufungsverfahren unter Bezugnahme auf eigene medizinische Internet-Recherchen ausgeführt, eine zwischen 20 und 35 Bestrahlungen umfassende onkologische Strahlentherapie erstrecke sich meistens auf einen Zeitraum von vier bis sieben Wochen und eine onkologische Chemotherapie mit Behandlungszyklen von jeweils drei bis vier Wochen in mittleren und fortgeschrittenen Stadien beinhalte eine Behandlungsdauer von insgesamt etwa vier bis acht Monaten. In Anbetracht des Umstandes, dass die Klägerin zwar nur einmal wöchentlich behandelt werden muss, die LDL-Apherese aber über einen viel längeren Zeitraum als in den Beispielfällen erfolgen muss (nach den vorliegenden Unterlagen in der Vergangenheit durchgehend von 2004 bis 2007), ohne dass erkennbar ein Ende abzusehen ist, kann die streitige Anspruchsvoraussetzung der Behandlung nach einem Therapieschema, das iS von § 8 Abs 2 KrTransp-RL eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist, auch bei ihr nicht verneint werden.

Dieses Ergebnis entspricht den Vorstellungen des GBA. Dieser führt in seinem Internet-Auftritt (www.g-ba.de/institution/sys/faq/32, recherchiert am 4.6.2008) unter der Rubrik "Was bedeutet 'hohe Behandlungsfrequenz'?" Folgendes aus: "Der GBA hat bewusst keine Bezifferung der 'hohen Behandlungsfrequenz' (zB 2 x pro Woche) vorgenommen, weil hier eine konkrete Zahl nicht sachgerecht gewesen wäre. Dies liegt in erster Linie daran, dass bestimmte Krankheiten über einen kurzen Zeitraum in sehr hoher Frequenz und andere Krankheiten über einen sehr langen Zeitraum in mittlerer Frequenz behandelt werden müssen". Im letztgenannten Sinne verhält es sich auch bei der Klägerin.

c) Liegt nach alledem eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen, wie sie bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 17.2.2004 bestanden, nicht vor, können die darauf gestützten klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen nicht aufrechterhalten bleiben. Auch die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 SGB X wären schon wegen fehlender Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht erfüllt.

5. Obwohl ein Anspruch der Klägerin auf Fahrkosten ab 1.3.2004 nach alledem nicht mit der Begründung des LSG verneint werden darf, kann der Revision gleichwohl nicht im Sinne einer Verurteilung der Beklagten zur Leistungsgewährung stattgegeben werden. Denn das LSG hat nicht geprüft, ob die Aufhebung des Bewilligungsbescheides wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gerechtfertigt war, ausgehend von den im Falle der Klägerin maßgeblichen Umständen, wie sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2005 bestanden. Es steht in tatsächlicher Hinsicht noch nicht fest, dass sich die Verhältnisse nicht gegenüber jenen gebessert haben, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 17.2.2004 vorlagen. Das LSG muss entsprechende Feststellungen noch nachholen.

Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob bei Erlass der Aufhebungsbescheide im Vergleich zum Bewilligungsbescheid vom 17.2.2004 eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten war. Insoweit kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2005, mit dem über den Widerspruch der Klägerin gegen die Bescheide der Beklagten vom 18.3.2004 und 10.12.2004 entschieden wurde (zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Erlasses der Widerspruchsentscheidung für die Beurteilung des Vorliegens einer wesentlichen Änderung allgemein vgl BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 53) . Eine solche Änderung läge vor, wenn sich zu diesem Zeitpunkt die Prognose oder die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin so gebessert hätten, dass sie eines ärztlich verordneten (§ 2 KrTransp-RL) Transports mit einem PKW zu und von den ambulanten LDL-Apherese-Behandlungen nicht mehr bedurfte, dh die Fahrten nicht mehr aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig waren (§ 60 Abs 1 Satz 1 SGB V, § 8 Abs 1 Satz 1 KrTransp-RL) oder die Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf sie nicht mehr in einer Weise beeinträchtigten, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich war (§ 8 Abs 2 Satz 1 KrTransp-RL). Die Frage, ob die Beklagte berechtigt war/ist, nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2005 wegen im Verlaufe des Gerichtsverfahrens bei der Klägerin wesentlich geänderter tatsächlicher Verhältnisse den Bewilligungsbescheid vom 17.2.2004 aufzuheben, beeinflusst demgegenüber die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsbescheide nicht und ist im hiesigen Rechtsstreit nicht zu klären (vgl allgemein BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 53; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 5 S 25, jeweils mwN).

Darüber hinaus wird das LSG im Rahmen seiner weiteren Ermittlungen die konkrete Höhe der zu erstattenden notwendigen Kosten festzustellen haben. Dies muss geschehen unter Berücksichtigung des von der Klägerin zu tragenden Eigenanteils und der für sie geltenden - möglicherweise bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2005 anders zu bemessenden - Belastungsgrenze (§§ 61, 62 SGB V), wie von der Beklagten schon im Bewilligungsbescheid vom 17.2.2004 angesprochen. Zur Bezifferung der angefallenen, notwendigen Kosten, deren Erstattung begehrt wird, muss das LSG auf die prozessrechtlich gebotene Antragskonkretisierung hinwirken (vgl dazu zuletzt allgemein BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2, jeweils RdNr 6; BSG, Urteil vom 22.4.2008 - B 1 KR 22/07 R, RdNr 13 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2052116

FA 2009, 96

NZS 2009, 384

SGb 2008, 716

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