Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz, Landshut, Am Alten Viehmarkt 2, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren hat.

Die Klägerin - jugoslawische Staatsangehörige und in Jugoslawien wohnhaft - beantragte im Juni 1986 über den jugoslawischen Versicherungsträger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte wies den Antrag mit Bescheid vom 12. August 1987 ab, der der Klägerin am 18. August 1987 zuging. Für die Einlegung des Rechtsbehelfs wurde in dem Bescheid eine Frist von drei Monaten genannt. Den von der Klägerin mit Schreiben vom 14. Januar 1988 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte als unzulässig mit Bescheid vom 8. April 1988 zurück.

Mit Urteil vom 19. April 1989 wies das Sozialgericht (SG) die Klage ab. Die Berufung der Klägerin wies das Landessozialgericht (LSG) mit Entscheidung vom 15. März 1990 zurück. Es sah wie die Beklagte und das SG die Einlegung des Widerspruchs durch die Klägerin als verspätet an und begründete dies im Kernsatz damit, daß ein Versicherungsträger eine von ihm in der Rechtsbehelfsbelehrung fälschlich zu lang angegebene Frist zwar grundsätzlich gegen sich gelten lassen müsse, daß aber die Klägerin im vorliegenden Fall selbst diesen - konkret bis 19. November 1987 - erweiterten zeitlichen Rahmen nicht eingehalten habe.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 66 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. März 1990 aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise,Berufsunfähigkeit nach den gesetzlichen Vorschriften an die Klägerin zu verurteilen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Klägerin ist im Sinn der Zurückverweisung des Rechtsstreites an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Die Vorinstanzen sind zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. August 1987 zu spät Widerspruch eingelegt hat.

Gemäß § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Wie der 9a-Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 13. August 1986 - 9a RV 8/85; SozR 1500 § 84 Nr. 5 -entschieden hat, beträgt auch bei Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des SGG die Widerspruchsfrist in Anwendung des § 84 Abs. 1 SGG nur einen Monat, nicht entsprechend § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG drei Monate. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung im Ergebnis an.

Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. Wie das Berufungsgericht - mangels entsprechender zulässiger und begründeter Verfahrensrügen für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindend - festgestellt hat, erhielt die Klägerin den Bescheid der Beklagten vom 12. August 1987 am 18. August 1987 durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein. Die Beklagte verwendete damit als Form der Bekanntgabe ihres Bescheides i.S. von § 37 des Sozialgesetzbuches X -Verwaltungsverfahren- (SGB X) die erleichterte Zustellung, die Art 32 Satz 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl. II 1969 S. 1438) i.d.F. des Abkommens zur Änderung dieses Abkommens vom 30. September 1974 (BGBl. II 1975 S. 390) bei Aufenthalt eines Beteiligten in Jugoslawien zuläßt. Für diese Zustellung galten in jedem Fall - d.h. gleichviel, ob die Beklagte zu ihr (etwa nach § 1631 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) verpflichtet war oder sie auch freiwillig wählen konnte - die Vorschriften des Verwaltungszustellungsrechts (BSG Urteil vom 26. Oktober 1989, 12 RK 21/89; Schroeder-Printzen, SGB X, Komm 2. Aufl 1990, Anm. 8 zu § 38, allerdings mit offensichtlichem Druckfehler "Verwaltungsvollstreckungsgesetz"). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) war mithin als Bekanntgabedatum der als Zeitpunkt des Zugangs vom Berufungsgericht festgestellte Tag (18. August 1987) maßgebend. Bei im übrigen ordnungsgemäßer Verfahrensweise hätte der Lauf der Ein-Monats-Frist zur Einlegung des Widerspruchs demzufolge am 19. August 1987 begonnen und nach einem Monat geendet; das Schreiben der Klägerin vom 14. Januar 1988 wäre dann, da nach Fristablauf eingegangen, für die Bestandskraft des Bescheides der Beklagten in der Tat bedeutungslos gewesen.

Ein derartiger Fristenverlauf wurde jedoch dadurch verhindert, daß die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig i.S. von § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG war. Die - als solche ordnungsgemäße - Bekanntgabe vom 18. August 1987 bewirkte daher nicht den Beginn der Rechtsbehelfsfrist nach § 66 Abs. 1 SGG. Sie löste allerdings die Jahresausschlußfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG aus (so ständige Rechtsprechung: BFH in BFHE 158, 494; BGH in MDR 1980, 132; BSG in SozR 1500 § 66 Nr. 15; BVerwG in NJW 1967, 591) mit der Folge, daß der Widerspruch der Klägerin rechtzeitig war. Dem Umstand, daß die Beklagte in ihrem Bescheid eine Rechtsbehelfsfrist von drei Monaten genannt hatte, kam dabei keinerlei rechtliche Bedeutung zu.

Unrichtig i.S. des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG ist jede Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht zumindest die Merkmale zutreffend wiedergibt, die § 66 Abs. 1 SGG als Bestandteile der Belehrung nennt: den Rechtsbehelf als solchen (dh seiner Art nach), die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist. Ob es darüber hinaus weitere Merkmale gibt, deren Nichtbeachtung dieselbe Wirkung hat, kann hier offenbleiben, da für die zu treffende Entscheidung allein die Belehrung über die Frist zur Rede steht. Welche konkreten Einzelangaben eine Belehrung enthalten muß, um in diesem Sinn richtig zu sein, ergibt sich aus den an anderer Gesetzesstelle für die verschiedenen Rechtsbehelfe getroffenen spezifischen Regelungen. Im Fall des Widerspruchs nach § 83 SGG ist als Frist gemäß § 84 Abs. 1 SGG - und zwar, wie schon dargelegt, auch bei Bekanntmachung im Ausland - ein Monat festgesetzt. Jede Abweichung davon, gleichviel in welcher zeitlichen Richtung, d.h. ob fristverkürzend oder -verlängernd, bedeutet Unrichtigkeit i.S. von § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG und hat die zuvor bezeichnete Folge: trotz ordnungsgemäßer Bekanntmachung kein Beginn der spezifischen Rechtsbehelfsfrist, gerade wegen ordnungsgemäßer Bekanntmachung aber Beginn der Ausschlußfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG und damit die Möglichkeit, den Widerspruch noch bis zu deren Ende wirksam einzulegen.

Von diesem generell geltenden gesetzlichen Beurteilungsschema konnte die Beklagte zum einen nicht durch konkreten Rechtsanwendungsakt - ihren Bescheid vom 12. August 1987 mit Wirkung allein für den vorliegenden Einzelfall abweichen. Voraussetzung für eine derartige gewissermaßen verbandsautonome Rechtsgestaltung wäre gewesen, daß es neben den im Gesetz angeordneten Rechtsbehelfsfristen verfahrensrechtlich auch "gewillkürte" Rechtsbehelfsfristen gibt, sei es aufgrund gegenseitigen Einvernehmens aller Verfahrensbeteiligter, sei es aufgrund einseitiger Bestimmung eines Beteiligten. Weder in der einen noch in der anderen Beziehung läßt sich aber ein entsprechender Prozeßrechtsgrundsatz feststellen. Die gesetzlichen Rechtsbehelfsfristen sind nicht in dem Sinn disponibel, daß die Verfahrensbeteiligten i.S. von § 69 SGG (einzeln oder zusammen) oder auch das Gericht eine Frist abweichend von der gesetzlichen Vorgabe festsetzen können. Die Fristen dienen vielmehr - zumindest auch - der Rechtssicherheit und sind insofern nicht in das Belieben individueller Personen oder Institutionen gestellt. Der erkennende Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung schon darauf hingewiesen, daß bei Vorschriften über Möglichkeiten und Grenzen von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln ein besonderes Bedürfnis nach Klarheit und Eindeutigkeit besteht, damit der Berechtigte, der sich fristgebunden entscheiden muß, keinem Zweifel über seine Rechte unterliegt (vgl. zuletzt Urteil vom 6. März 1991, 13/5 RJ 52/90). Mit einer solchen Tendenz läßt sich nicht vereinbaren, daß ein Sozialleistungsträger einseitig von sich aus mit rechtlicher Verbindlichkeit Rechtsbehelfsfristen für den Einzelfall anders als das Gesetz bemißt, gleichviel, ob dies auf eine Verlängerung oder Verkürzung hinausläuft.

Die von § 84 Abs. 1 SGG abweichende Bemessung der Widerspruchsfrist durch die Beklagte ist zum anderen für die Streitentscheidung auch nicht unter systemübergreifendem Gesichtspunkt in dem Sinn maßgebend, daß die Beklagte die selbstgesetzte längere Frist trotz objektiver Unrichtigkeit 'gegen sich gelten lassen muß'. Der hierbei der Sache nach angewendete allgemeine Rechtsgrundsatz, daß ein widersprüchliches Verhalten dann mißbräuchlich und demzufolge als unzulässig ausgeschlossen sein kann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (venire contra factum proprium; S. Palandt/Heinrichs, Komm …GB 48. Aufl 1989, Anm. 4 … zu § 242 m.w.N.), vermag nach Wortlaut des § 66 SGG und Gesetzessystematik eine Ausnahmebehandlung des speziellen Falles unrichtiger Fristverlängerung nicht zu begründen. Es macht für die Beurteilung der Rechtslage keinen Unterschied, ob die vom Gesetz abweichende Bezeichnung der Rechtsbehelfsfrist in der Rechtsbehelfsbelehrung zu einer gegenüber der gesetzlichen Vorgabe kürzeren oder längeren Frist führt.

Zwar werden in Rechtsprechung und Schrifttum beide Fallgruppen deutlich gegeneinander abgehoben und die Rechtsfolgen entsprechend divergierend bestimmt: Bei Nennung einer zu kurzen Frist wird in weitgehender Übereinstimmung angenommen, daß weder die im Rechtsbehelf angeführte noch die gesetzliche Frist, sondern nur die Jahresausschlußfrist laufe (s z.B. zu § 66 SGG RVO-GesK/Bley Anm. 5e; Hennig/Danckwerts/König, Komm …GG Anm. 3.1; Peters/Sautter/Wolff, Komm …GG 4. Aufl Anm. 3e; zu § 36 SGB …auck/Haines, Komm …GB …dNr 9; Zweng/Scherer/Buschmann, HdB der Rentenversicherung 2. Aufl Anm. 3; zu § 58 VwGO Eyermann/Fröhler, Komm …wGO 9. Aufl RdNr 10; Kopp, Komm …wGO 7. Aufl RdNr 14; Redeker/von Oertzen, Komm …wGO 9. Aufl RdNr 8). Bei Angabe einer zu langen Frist teilen sich die Ansichten: Die einen erklären, daß die Belehrung unrichtig sei und zielen inhaltlich auf die Anwendung bloß der Jahresausschlußfrist (zu § 55 FGO so Tipke/Kruse, Komm …O/FGO 13. Aufl RdNr 7; Gräber/Koch, Komm …GO 2. Aufl RdNr 23; zu § 66 SGG Peters/Sautter/Wolff a.a.O.). Andere meinen, anstelle der gesetzlichen Frist gelte die angegebene längere Frist und laufe ab Bekanntgabe (Bley, Eyermann/Fröhler, Hauck/Haines, Hennig/Danckwerts/König, Kopp, Redeker/von Oertzen, Zweng/Scherer/Buschmann a.a.O.; SGB-SozVers GesK/Schneider-Danwitz, Anm. 22c zu § 36 SGB X; Ziemer/Birkholz, Komm …GO 3. Aufl RdNr 22 zu § 55; VGH Baden-Württemberg VerwRspr 10 ≪1958≫, 628 Nr. 56; im Ergebnis auch BVerwG in NJW 1967, 591, 592). Der Gedanke an einen Vertrauensschutz, der den zuletzt zitierten Ansichten offensichtlich als tragende Begründung dient (vereinzelt wird er auch ausdrücklich angeführt, S. BVerwG, Eyermann/Fröhler, VGH Baden-Württemberg a.a.O.; unter dem Leitwort der "Begünstigung des Beschwerten" auch LSG Berlin Breithaupt 1977, 659 Nr. 185), erweist sich aber bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig.

Die abstrakt im Gesetz getroffene Regelung der Rechtsbehelfsbelehrung gestattet nicht, von ihr aufgrund eines Vertrauenstatbestands der angenommenen Art eine Ausnahme zu machen. Der an erster Stelle hierfür bedeutsame Wortlaut des § 66 SGG verdeutlicht nicht bloß in Absatz 1 der Vorschrift, daß der Beginn des Fristenlaufs an strikte, von Vertrauensschutzüberlegungen unabhängige Voraussetzungen gebunden ist ("beginnt u laufen"). Die Anknüpfung hieran in Absatz 2 mit der Wendung "so ist die Einlegung … S. …. lf. S… . " läßt vielmehr auch erkennen, daß eine unrichtige oder unterbliebene Belehrung an der spezifischen Ausgestaltung des betreffenden Rechtsbehelfs, die im Gesetz an anderem Ort getroffen ist, von der Frist abgesehen, nichts verändert. Vorbehalten bleibt freilich die Möglichkeit, innerhalb der Jahresausschlußfrist eine richtige Belehrung nachzuschieben und damit den Mechanismus des § 66 Abs. 1 SGG selbständig und neu in Bewegung zu setzen. Für eine Variation der Rechtsfolge unter dem Blickwinkel von Treu und Glauben gibt diese in sich plausible und konsequente Gesamtregelung des § 66 SGG keinen Raum.

Der Gedanke an einen Vertrauensschutz ist zudem aus gesetzessystematischer Sicht kein geeignetes Mittel zur Auslegung des § 66 SGG. Denn in solcher Eigenschaft dürfte er nicht bloß punktuell für den Sonderfall der Angabe einer zu langen Frist herangezogen werden, sondern müßte für alle in § 66 Abs. 1 SGG aufgeführten Inhaltsmerkmale einer Rechtsbehelfsbelehrung gelten. Dies aber würde dazu führen, daß es außer irregulären Fristverlängerungen ebenso irreguläre Bestimmungen von Rechtsbehelfsart und funktioneller oder örtlicher Zuständigkeit kraft Vertrauensschutzes gäbe. Eine derartige Aufweichung der Voraussetzungen für die wirksame Einlegung des Rechtsbehelfs wäre ebenso wie eine Differenzierung zwischen zu langer Frist und anderen Fehlern auch mit dem bereits erwähnten Grundsatz der Rechtsmittelklarheit nicht zu vereinbaren, wie gerade die kontroverse Diskussion um die Bedeutung einer zu langen Frist zeigt.

Außerdem müßte dann auch Vertrauensschutz gewährt werden, wenn Gerichte Belehrungen über Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel - beide nennt § 66 Abs. 1 SGG ausdrücklich - erteilen. Für die Belehrungen dieser Institutionen ist aber - soweit ersichtlich - die Möglichkeit, daß ein Berechtigter auf eine unrichtige Belehrung durch das Gericht vertrauen darf und das Gericht seine falsche Belehrung 'gegen sich gelten lassen muß', zu Recht noch nicht erwogen worden.

Schließlich nötigt auch nicht die Eigenart des vorliegenden Falles, daß die Klägerin als die durch die Angabe einer zu langen Frist 'Begünstigte' noch nicht einmal diesen erweiterten Zeitraum genutzt, sondern erst danach Widerspruch eingelegt hat, zu einer vom bisher dargelegten Verständnis abweichenden Interpretation des § 66 SGG. Denn eine aktuelle Kausalität in dem Sinn, daß die Unrichtigkeit der Belehrung das konkrete Verhalten des Berechtigten real beeinflußt hat, wird im Gesetz für die angeordneten Rechtsfolgen nicht vorausgesetzt und - soweit ersichtlich - auch nirgendwo in Rechtsprechung und Schrifttum gefordert (vgl. BFH in BFHE 149, 120). Lediglich dort, wo die Belehrung zusätzliche Angaben enthält und diese fehlerhaft oder unvollständig sind (BSG SozR 1500 § 93 Nr. 1), wird verlangt, daß die Unrichtigkeit nach Lage der Dinge Einfluß auf die verspätete Einlegung des Rechtsbehelfs gehabt haben könnte (potentielle Ursächlichkeit). In diesen Fällen ist der vom Gesetz geforderte Inhalt der Belehrung für sich genommen richtig und somit die Voraussetzung des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG zunächst nicht gegeben; Unrichtigkeit tritt hier nur ein, wenn die zusätzlichen Angaben geeignet sind, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder den Berechtigten von Erkundigungen über weitere Möglichkeiten abzuhalten (BSG a.a.O., ferner BSG Breithaupt 1984, 107; BVerwG Buchholz 310, § 58 VwGO Nr. 34 und Nr. 56; BGH VersR 1964, 746). Ein derartiger Fall der Unrichtigkeit zusätzlicher Angaben ist aber im vorliegenden Rechtsstreit nicht gegeben.

Die grundsätzliche Möglichkeit, innerhalb der Jahresausschlußfrist rechtzeitig eine richtige Rechtsbehelfsbelehrung nachzuschieben und damit den Mechanismus des § 66 Abs. 1 SGG neu in Gang zu setzen, wurde von der Beklagten nicht genutzt und scheidet daher von vornherein als Gesichtspunkt für die vom Senat zu treffende Entscheidung aus.

Nach alledem ist der von der Klägerin mit Schreiben vom 14. Januar 1988 eingelegte Widerspruch nicht als verspätet anzusehen. Seine Zurückweisung als unzulässig wegen Fristversäumung stellt sich demzufolge als Verstoß gegen § 66 SGG dar. Da das LSG die Zurückweisung der Berufung ebenfalls mit der Verfristung des Widerspruchs begründet hat, mußte sein Urteil aufgehoben und die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 9

NVwZ 1993, 406

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