Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 23.02.1972; Aktenzeichen L 4 U 16/71)

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. Februar 1972 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger ist Inhaber einer Fleischwarenfabrik mit etwa 50 bis 60 Beschäftigten (Schlachter, Verkäuferinnen und Arbeiter). Ein Betriebsrat ist in seinem Betrieb nicht gewählt worden. Am 30. Dezember 1965 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß der zum Sicherheitsbeauftragten bestellte Schlachtermeister K. ausgeschieden sei. Es sei ihm noch nicht gelungen, einen neuen Sicherheitsbeauftragten zu finden. Nachdem der Kläger im Oktober 1966 und im März 1967 Einladungen der Beklagten zu Schulungskursen des Sicherheitsbeauftragten mit „Fehlanzeige” beantwortet und auch einen neuen Sicherheitsbeauftragten nicht bestellt hatte, setzte ihm die Beklagte am 31. März 1967 eine Frist zur Bestellung des Sicherheitsbeauftragten bis zum 1. Mai 1967. Der Kläger teilte daraufhin mit, daß er keinen Sicherheitsbeauftragten benennen könne, da sich jeder Mitarbeiter sträube, diesen Posten zu übernehmen. Unter Übersendung des Merkblatts „Wenn niemand Sicherheitsbeauftragter werden will….” wiederholte die Beklagte am 10. April 1967 ihre Aufforderung zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten bis zum 1. Mai 1967. Der Kläger antwortete darauf, daß er nach wie vor bemüht bleiben werde, einen Sicherheitsbeauftragten zu finden; er könne keinen dazu zwingen.

Durch Bescheid vom 7. November 1967 setzte die Beklagte wegen eines „beharrlichen Verstoßes” gegen § 7 Abs. 1 und 2 der Unfallverhütungsvorschriften „Allgemeine Vorschriften” (VBG 1) nach § 710 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 13 VBG 1 gegen den Kläger eine Ordnungsstrafe von 150,– DM fest. Am 10. November 1967 benannte der Kläger den Schlachter H. als Sicherheitsbeauftragten. Mit dem Widerspruch gegen den Ordnungsstrafbescheid machte der Kläger geltend, daß er wiederholt versucht habe, unter den Betriebsangehörigen einen geeigneten Sicherheitsbeauftragten zu finden. Wegen der damit verbundenen Verantwortung habe keiner das Amt übernehmen wollen. Er habe nicht die Möglichkeit gehabt, einen Beschäftigten gegen seinen Willen zum Sicherheitsbeauftragten zu bestellen. Ihm könne nicht der Vorwurf gemacht werden, daß er seine Pflichten in irgendeiner Form verletzt habe. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1968 zurück. Die vom Kläger vorgetragenen Gründe hätten sie nicht davon überzeugt, daß er alles ihm Mögliche getan habe, um den ihm auferlegten Pflichten nachzukommen. Er habe sich offenbar nicht einmal mit dem Sinn und Zweck der Einrichtung des Sicherheitsbeauftragten vertraut gemacht. Bei der Bestellung habe er sich nicht an den im Gesetz angegebenen und von der Berufsgenossenschaft (BG) empfohlenen Weg gehalten. Unter diesen Umständen habe er nicht das getan, was ihm zur Erfüllung der Unfallverhütungsvorschriften zugemutet werden könne. Überdies sei bezeichnend, daß er am Tage nach Erhalt der Straffestsetzung einen Sicherheitsbeauftragten gemeldet habe.

Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat die Klage nach Vernehmung des Schlachters H. abgewiesen (Urteil vom 15. September 1970). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 23. Februar 1972): Der Kläger habe keinen Arbeitnehmer gegen seinen Willen zum Sicherheitsbeauftragten bestellen können. Selbst wenn aus arbeitsrechtlicher Sicht dagegen keine Bedenken bestünden, könne jedoch nicht außer Betracht gelassen werden, daß ein auf diese Weise gegen seinen Willen mit einer zusätzlichen Aufgabe betrauter Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis kündigen und somit dem Betrieb als Arbeitskraft verloren gehen könnte. Angesichts des Arbeitskräftemangels sei keinem Arbeitgeber zuzumuten, sich dieser Gefahr auszusetzen. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge deshalb davon ab, ob festzustellen sei, daß der Kläger sich nicht in zumutbarer Weise bemüht habe, einen Betriebsangehörigen zu finden, der das Amt des Sicherheitsbeauftragten freiwillig zu übernehmen bereit gewesen sei. Durch die Aussage des Zeugen H. vor dem SG sei das Gegenteil bewiesen. Danach habe der Kläger alsbald nach dem Ausscheiden des früheren Sicherheitsbeauftragten die Mitarbeiter des Betriebes unter Hinweis darauf, daß der Betrieb einen Sicherheitsbeauftragten haben müsse, nicht einmal, sondern laufend gefragt, ob jemand zur Übernahme dieses Amtes bereit sei. Damit habe er alles getan, was seiner Macht gestanden habe, um einen Sicherheitsbeauftragten zu finden. Daß er mit diesen Bemühungen keinen Erfolg gehabt habe, könne ihm nicht als Verschulden zur Last gelegt werden. Nach der Überzeugung des Senats falle die Nichtbestellung eines Sicherheitsbeauftragten hier in den Verantwortungsbereich der Beklagten, weil sie es unterlassen habe, einen Aufsichtsbeamten oder einen sonstigen Bediensteten in das Unternehmen zu entsenden, nachdem ihr bekanntgeworden sei, daß die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten in dem Unternehmen des Klägers auf Schwierigkeiten gestoßen war. Dieser hätte die Belegschaftsmitglieder an Ort und Stelle eindringlich davon überzeugen können, daß sich jemand zur Übernahme des Amts des Sicherheitsbeauftragten bereitfinden müsse.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten nach § 719 Abs. 1 RVO erfordere keinesfalls einen besonderen Vortrag, eine besondere Vereinbarung oder ein besonderes Abkommen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Vielmehr sei die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten ein einseitiger Akt des Unternehmers. Der Unternehmer trage dem Unfallversicherungsträger gegenüber die Verantwortung dafür, daß er einen geeigneten Angehörigen seines Betriebes zum Sicherheitsbeauftragten gemacht habe. Daher sei der von ihm ausgewählte Betriebsangehörige nicht dazu berufen, über die notwendige Eignung mitzuentscheiden. Es liege hier ähnlich wie bei der Bestellung eines Vormundes durch das Vormundschaftsgericht, nur daß dort die Möglichkeit der Verweigerung der Amtsübernahme ausdrücklich geregelt sei, während eine solche Möglichkeit für den zum Sicherheitsbeauftragten Bestellten nicht vorgesehen sei. Die arbeitsrechtlichen Beziehungen spielten gegenüber Vorschriften, Rechtslagen und Rechtsbeziehungen, die den Schutz aller Versicherten in ihrer Allgemeinheit bezweckten, keine Rolle. Es sei zudem kaum vorstellbar, daß ein verantwortungsbewußter Arbeitnehmer das ihm vom Arbeitgeber übertragene Amt des Sicherheitsbeauftragten ablehne oder schlecht verwalte, wenn er zuvor vom Arbeitgeber ausreichend über die Bedeutung des Amts, den dadurch begründeten Arbeitskreis und über die Tätigkeit eines Sicherheitsbeauftragten aufgeklärt worden sei. Bedenken gegen die Übernahme des Amts als Sicherheitsbeauftragter könnten durch entsprechenden Arbeitseinsatz und entsprechende Arbeitseinteilung oder in Einzelfällen sogar durch ein höheres Entgelt zerstreut werden. Auch der Zeuge H. habe, wie offenbar auch jedes andere Belegschaftsmitglied des Klägers, befürchtet, durch das Amt des Sicherheitsbeauftragten zusätzliche, unbezahlte Mehrarbeit aufgebührdet zu bekommen. Dies zeige, daß der Kläger nicht im entferntesten dasjenige getan habe, was notwendig gewesen sei, um einen von ihm als Sicherheitsbeauftragten für geeignet gehaltenen Mann dazu zu bewegen, das Amt auch zu übernehmen. Der Kläger habe sich nach der Aussage des Zeugen H. darauf beschränkt, mehr oder weniger gelegentlich immer einmal wieder, nicht einmal laufend, sondern nur „fast laufend” im Betrieb herumzufragen, ob nicht jemand da sei, der das auch ihm offenbar unangenehme Amt des Sicherheitsbeauftragten übernehmen wolle. Der Kläger habe sich auch nicht einmal an seine BG gewandt, damit sie ihm Rat und Hilfe zukommen lasse. Es könne entgegen der Ansicht des LSG keine Rede davon sein, daß die BG von sich aus verpflichtet gewesen wäre, in den Betrieb des Klägers einzugreifen und für die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten zu sorgen. Das Verhalten des Klägers könne geradezu auf eine vorsätzliche, wenn nicht gar absichtliche Verletzung des § 719 RVO hinauslaufen. Zumindest sei sein Verhalten fahrlässig oder grob fahrlässig gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. Februar 1972 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 15. September 1970 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zu verwerfen,

hilfsweise zurückzuweisen.

Die Revision müsse ungeachtet ihrer Zulassung als unzulässig verworfen werden, weil die Revisionsbegründung entgegen den gesetzlichen Vorschriften nicht die verletzte Rechtsnorm bezeichne. Die Revision sei zudem nicht mit der unterlassenen oder falschen Anwendung von Bestimmungen des Bundesrechts begründet worden. Zumindest sei die Revision aber zurückzuweisen. Die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten sei kein einseitiger Akt des Unternehmers. Die Bestellung hänge vielmehr von der Annahme des Amts durch den Bestellten ab. Der Unternehmer habe keine rechtliche Möglichkeit, den Ausgewählten zur Übernahme des Amts zu zwingen. Die Schrift der Beklagten, wie Schwierigkeiten bei der Bestellung von Sicherheitsbeauftragten behoben werden könnten, enthalte zwar gute Hinweise, sei zeige aber keinen Weg, wie der Unternehmer zum Ziel komme, wenn die Betriebsangehörigen die Weigerung aufrechterhielten. Es gehe aber nicht an, daß die Beklagte ohne Prüfung im Einzelfall eine Ordnungsstrafe verhänge. Sie müsse an Ort und Stelle untersuchen, warum kein Sicherheitsbeauftragter habe bestellt werden können, um ein Verschulden des Unternehmers herauszufinden und ihm das im Ordnungsstrafbescheid vor Augen führen. Das angefochtene Urteil habe ausdrücklich festgestellt, daß er sich nachdrücklich um die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten bemüht und alles getan habe, was in seiner Macht gestanden habe. Der ausgebliebene Erfolg könne ihm nicht als Vorschulden zur Last gelegt werden. Zu Recht habe das angefochtene Urteil der Beklagten den Vorwurf gemacht, daß sie nichts getan habe, um dem Kläger in seinen besonderen Nöten zu helfen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des SozialgerichtsgesetzesSGG –).

Die Revision der Beklagten ist zulässig und insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Zu Unrecht ist der Kläger der Ansicht, daß die Revision der Beklagten nicht zulässig sei. Sein Hinweis, daß die Revision nur darauf gestützt werden könne, daß die Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 Abs. 2 SGG) uns daß die Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm bezeichnen müsse (§ 164 Abs. 2 SGG), gibt zwar die Rechtslage zutreffend wieder, jedoch entspricht die Revisionsbegründung der Beklagten diesen Erfordernissen. Die verletzte Rechtsnorm braucht nicht in der Weise angegeben zu werden, daß die betroffene Vorschrift ausdrücklich angeführt wird; es genügt, wenn sich aus der Revisionsbegründung klar ergibt, welche Vorschrift als verletzt angesehen wird (Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 4 zu § 164 S. III/80–114– mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbegründungsschrift u. a. ausgeführt, daß ihrer Ansicht nach § 719 Abs. 1 RVO die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten durch einseitigen Akt des Unternehmers zuläßt, während das LSG im angefochtenen Urteil dies ablehnt. Damit ist von der Revision hinreichend deutlich die Verletzung einer dem Bundesrecht zuzurechnen – den Rechtsnorm gerügt worden. Da die Ordnungsstrafbefugnis der Beklagten aus § 710 RVO hergeleitet ist und nur schuldhafte Verstöße durch eine Ordnungsstrafe geahndet werden dürfen, sind die Ausführungen der Revision über die Maßnahmen, die der Kläger zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten entgegen der Ansicht des LSG hätte ergreifen können oder müssen, als Rügen einer Verletzung des § 710 RVO zu verstehen.

Der vom LSG festgestellte Sachverhalt reicht zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der verhängten Ordnungsstrafe nicht aus.

Nach § 719 Abs. 1 RVO in der hier noch anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (BGBl I 1885) hat der Unternehmer in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten einen oder mehrere Sicherheitsbeauftragte zu bestellen. Die Zahl der Sicherheitsbeauftragten ist gemäß § 719 Abs. 4 RVO unter Berücksichtigung der nach der Eigenart der Unternehmen bestehenden Unfallgefahr und der Zahl der Arbeitnehmer zu bestimmen. Gleichartige Regelungen enthalten § 7 Abs. 1 und 2 der aufgrund der §§ 708, 709 RVO erlassenen VBG 1; in einem Anhang zu ihnen ist für Unternehmen mit 21 bis 100 Arbeitnehmern ein Sicherheitsbeauftragter vorgesehen. Bei Verstößen gegen die Verpflichtung zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten sind die für Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften geltenden Ordnungsstrafvorschriften des § 710 RVO anzuwenden, obwohl § 719 RVO nicht unter den Unfallverhütungsvorschriften, sondern unter den Überwachungsvorschriften aufgeführt ist, denen keine eigenen Strafbestimmungen zugeordnet sind. Die VBG 1 regeln die Verpflichtung zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten als eine Unfallverhütungsvorschrift und unterstellen sie durch § 13 VBG 1 den dafür vorgesehenen Ordnungsstrafvorschriften. Es rechtfertigt sich daher, auch bei Verstößen gegen § 719 RVO eine Ordnungsstrafe aus § 710 RVO festzusetzen. Nach dieser Vorschrift hat der Vorstand gegen Unternehmer, die vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen, Ordnungsstrafen bis zu 10.000,– DM festzusetzen; bei sonstigen fahrlässigen Verstößen kann er solche Ordnungsstrafen festsetzen. Bei fahrlässigen Verstößen kann der Vorstand nach § 710 Abs. 2 RVO aber auch von der Festsetzung einer Ordnungsstrafe absehen, wenn die Schuld des Täters und die durch den Verstoß verursachte Gefährdung gering sind.

Der Kläger, in dessen Unternehmen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind, hat nach dem Ausscheiden des Sicherheitsbeauftragten K. Ende des Jahres 1965 bis zur Festsetzung der Ordnungsstrafe durch Bescheid vom 7. November 1967 keinen neuen Sicherheitsbeauftragten bestellt, obwohl er dazu nach § 719 RVO i.V.m. § 7 VBG 1 verpflichtet war. Damit hat er gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen. Dieser Verstoß war auch schuldhaft, wenn auch Art. und Schwere des Verschuldens aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beurteilt werden können.

Mit der Neugestaltung des 3. Buches der RVO durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz – UVNG – vom 30. April 1963 (BGBl I 241) hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß die erste Aufgabe der Unfallversicherung in der Verhütung von Arbeitsunfällen besteht (§ 537 Nr. 1 RVO). Der primären Bedeutung der Unfallverhütung entspricht es auch, daß den Trägern der Unfallversicherung zur Aufgabe gemacht worden ist, mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu sorgen (§ 546 Abs. 1 RVO). Die Verpflichtung der Träger der Unfallversicherung geht jedoch nicht so weit, das sie selbst dem Unternehmer die ihm obliegenden Pflichten zur Schaffung und Erhaltung von Einrichtungen zur Unfallverhütung abzunehmen hätten. Die Träger der Unfallversicherung sorgen für die Verhütung von Arbeitsunfällen u. a. durch Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften und die Überwachung der vom Unternehmer durchgeführten Unfallverhütungsmaßnahmen. In diesem Rahmen kommt dem Sicherheitsbeauftragten nach § 719 Abs. 2 RVO eine den Unternehmer unterstützende Funktion zu; er hat sich insbesondere von dem Vorhandensein und der ordnungsgemäßen Benutzung der vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen fortlaufend zu überzeugen. Die Verantwortung des Unternehmers für die Durchführung der Unfallverhütung wird durch die Einsetzung eines Sicherheitsbeauftragten nicht berührt (vgl. § 7 Abs. 3 VBG 1).

Einer weiteren Erhöhung des Wirkungsgrades der Unfallverhütung dient das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (aaO), das unter Beibehaltung der Sicherheitsbeauftragten die zusätzliche Bestellung von verantwortlichen Fachkräften für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieure, -techniker, -meister) vorsieht. Den Fachkräften für Arbeitssicherheit werden anders als den Sicherheitsbeauftragten im einzelnen bestimmte Aufgaben (§ 6 des Gesetzes vom 12. Dezember 1973) durch den Arbeitgeber übertragen (§ 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 1973). Damit hat der Gesetzgeber den primären Rang der Unfallverhütung erneut deutlich gemacht.

Entsprechend der Bedeutung der Unfallverhütung im Rahmen der Unfallversicherung und der Stellung, die der Gesetzgeber darin dem Sicherheitsbeauftragten zugewiesen hat, kann ein Verstoß gegen die Pflicht zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten nicht leicht wiegen.

Der Kläger hat seiner Verpflichtung zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten nicht dadurch genügt, daß er die Mitarbeiter seines Betriebs unter Hinweis darauf, daß der Betrieb einen Sicherheitsbeauftragten haben müsse, laufend –nur– gefragt hat, ob jemand zur Übernahme der Tätigkeit des Sicherheitsbeauftragten bereit sei. Er hätte, wie die Revision zutreffend vorträgt, den für die Tätigkeit eines Sicherheitsbeauftragten in Aussicht genommenen Arbeitnehmer eingehend und umfassend über die Aufgaben des Sicherheitsbeauftragten unterrichten und aufklären müssen. Dazu bot das ihm von der Beklagten zugesandte Merkblatt: „Wenn niemand Sicherheitsbeauftragter werden will …” gute Anhaltspunkte. Der Kläger hätte beispielsweise deutlich machen müssen, daß bereits jeder einzelne Beschäftigte des Betriebes die Pflicht habe, im Betrieb für seine und seiner Mitarbeiter Sicherheit zu sorgen (§ 11 VBG 1) und auch die Treuepflicht aus dem Arbeitsverhältnis die Anzeige einer gefährlichen Beschaffenheit von Betriebseinrichtungen, das Fehlen oder die Nichtbenutzung von Schutzvorrichtungen und anderer die Sicherheit im Betrieb bedrohender Sachverhalte umfaßt (Maus, Handbuch des Arbeitsrechts, V. Teil, S. 8). Mit dem bloßen Befragen seiner Mitarbeiter hat der Kläger bei weitem nicht das getan, was von ihm als Unternehmer unter den gegebenen Umständen erwartet werden kann.

Der Senat ist allerdings nicht der Auffassung der Revision, daß der Kläger einen Sicherheitsbeauftragten wirksam durch einseitigen Akt hätte bestellen können und er schon deshalb schuldhaft gehandelt habe, weil diese Möglichkeit von ihm nicht genutzt worden sei. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, daß der Unternehmer sich einem Arbeitnehmer gegenüber, den er zum Sicherheitsbeauftragten bestellen möchte, nicht in einer nach Meinung der Beklagten vergleichbaren Lage wie ein Vormundschaftsgericht gegenüber einem zum Vormund ausgewählten Bürger befindet. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) enthält in § 1785 ausdrücklich eine Vorschrift, die jeden Deutschen, der vom Vormundschaftsgericht ausgewählt wird, zur Übernahme der Vormundschaft verpflichtet, sofern nicht bestimmte gesetzlich normierte Gründe entgegenstehen (§ 1786 BGB). Die Übernahme der Vormundschaft ist eine allgemeine Staatsbürgerpflicht öffentlich-rechtlicher Natur (Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl., Anm. 3 vor § 1773). Der zum Vormund Ausgewählte kann durch Ordnungsstrafen zur Übernahme der Vormundschaft angehalten werden (§ 1788 BGB). Die RVO und die VBG 1 enthalten für die Übernahme der Tätigkeit eines Sicherheitsbeauftragten keine annähernd vergleichbaren Vorschriften. Lediglich die Tatsache, daß § 719 Abs. 1 RVO den Unternehmer verpflichtet, einen Sicherheitsbeauftragten zu bestellen, kann bei aller Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Sicherheitsbeauftragten im Rahmen der Unfallverhütung beimißt, nicht zu dem Schluß führen, daß der Unternehmer den Sicherheitsbeauftragten durch einseitigen – wie das Vormundschaftsgericht den Vormund durch öffentlich-rechtlichen – Akt bestellen könnte. Während der Vormund die Stellung eines amtlichen Organs hat (Soergel/Siebert, aaO), wird der Sicherheitsbeauftragte innerhalb seines Beschäftigungsverhältnisse beobachtend und beratend als Hilfsperson des Unternehmers tätig, ohne Anweisungen geben oder korrigierende Maßnahmen ergreifen zu können oder auch im geringsten, was die Verantwortlichkeit für die Betriebssicherheit betrifft, an die Stelle des Unternehmers zu rücken.

Die Festsetzung der Ordnungsstrafe ist von der in der Revision vertretenen Ansicht der Beklagten über die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten durch einseitigen Akt des Unternehmers allerdings nicht beeinflußt. Erkennbar ging die Meinung der Beklagten damals dahin, daß die Bestellung eines Arbeitnehmers zum Sicherheitsbeauftragten sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebe. Im Merkblatt „Wenn niemand Sicherheitsbeauftragter werden will…” und im Schreiben vom 10. April 1967, mit dem die Beklagte dem Kläger das Merkblatt übersandte, ist ausgeführt, daß der Unternehmer im äußersten Falle von seiner Autorität Gebrauch machen und einen geeigneten Betriebsangehörigen als Sicherheitsbeauftragten einsetzen könne. Dieser müsse aufgrund des zwischen ihm und dem Unternehmer bestehenden Arbeitsvertrages der Bestellung Folge leisten. In diesem Sinne ist auch der Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1968 zu verstehen, wo in Erwiderung auf das Vorbringen des Klägers ausgeführt ist, daß der Unternehmer nicht die Belegschaft um Vorschläge für den Sicherheitsbeauftragten zu bestellen habe.

Der Verpflichtung des Unternehmers zur Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten steht in § 719 Abs. 1 RVO allerdings nicht die Verpflichtung des dafür vom Unternehmer ausgewählten Arbeitnehmers gegenüber, diese Aufgabe –auch gegen seinen Willen– wahrzunehmen (vgl. Rundschreiben des BMA vom 25. Mai 1964, Die Gemeindeunfallversicherung 1964, 71). Die Verpflichtung kann sich für den Arbeitnehmer jedoch aus dem Arbeitsvertrag, einem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergeben (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 5 c zu § 719; Nickenig, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1966, 136, 138). Sie ist aber grundsätzlich nicht dem Arbeitsverhältnis immanent und kann daher in der Regel nicht durch das Direktionsrecht des Unternehmers verwirklicht werden (vgl. Bobrowski/Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, 6. Aufl. F X, S. 448; a.A. Ilgenfritz, Aufgaben und Stellung des Sicherheitsbeauftragten, BB 1964, 263). Nähere Feststellungen darüber durfte das LSG aber nicht deshalb für entbehrlich halten, weil seiner Ansicht nach keinem Arbeitgeber im Hinblick auf den bestehenden Arbeitskräftemangel zuzumuten sei, die etwa aufgrund des Arbeitsverhältnisses zulässige Bestellung eines Arbeitnehmers zum Sicherheitsbeauftragten gegen dessen Willen auch vorzunehmen, weil der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis dann kündigen könnte. Der Unternehmer muß bei der Bestellung des Sicherheitsbeauftragten, falls andere Wege nicht zum Erfolg führen, auch die bestehenden Arbeitsverträge durch sein Direktionsrecht inhaltlich voll ausschöpfen, um seiner gesetzlichen Verpflichtung aus § 719 RVO nachzukommen. Das LSG darf daher bei seiner erneuten Entscheidung nicht dahingestellt sein lassen, ob der Kläger einen geeigneten Arbeitnehmer seines Betriebes auch gegen dessen Willen zum Sicherheitsbeauftragten zu bestellen berechtigt war. Es hat vielmehr die dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, wozu vorab Ermittlungen darüber anzustellen sind, welche Arbeitnehmer seines Betriebes der Kläger für die Tätigkeit eines Sicherheitsbeauftragten damals als geeignet angesehen hat.

Unabhängig von dem Ergebnis einer weiteren Sachaufklärung ist dem Kläger als Verschulden auch vorzuwerfen, daß er nichts unternommen hat, um einen von ihm für die Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter als geeignet angesehenen Arbeitnehmer unter Änderung des Arbeitsvertrages zur Übernahme dieser Tätigkeit zu bewegen. Der Kläger hätte beispielsweise dem betreffenden Arbeitnehmer eine Regelung des Arbeitsablaufs anbieten müssen, die diesem ohne Mehrarbeit ausreichend Zeit zur Wahrnehmung der Aufgaben eines Sicherheitsbeauftragten neben seinen sonstigen beruflichen Pflichten gelassen hätte. Auch hätte der Kläger für die Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter einen zusätzlichen finanziellen Anreiz bieten können, welcher der Bedeutung dieser Tätigkeit für die Betriebsarbeit gerecht geworden wäre.

Nach den Feststellungen, die vom LSG schon bisher getroffen worden sind, hat der Kläger diejenige Sorgfalt außer acht gelassen, die nach den gegebenen Umständen von ihm als Unternehmer bei der vom Gesetz geforderten Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten zu erwarten gewesen wäre. Sein Verhalten war daher zumindest ein fahrlässiger Verstoß gegen § 719 RVO:

Der Senat ist jedoch gehindert, in der Sache abschließend zu entscheiden. Erst nach Zurückverweisung an das LSG kann geklärt werden, ob der Kläger schon aufgrund seines Direktionsrechts einen geeigneten Arbeitnehmer zum Sicherheitsbeauftragten hätte bestellen können und dann auch müssen. Die festgesetzte Ordnungsstrafe von 150,– DM ist der Höhe nach auch dadurch bestimmt, daß der Kläger nach Meinung der Beklagten ein entsprechendes Direktionsrecht gehabt und davon keinen Gebrauch gemacht hat. Die ergangenen Bescheide sind daher hinsichtlich der Strafhöhe nur dann rechtmäßig, wenn die Beklagte auch insoweit von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Sollte das LSG nach erneuter Verhandlung einen solchen Sachverhalt feststellen, dann würde es nahe liegen, einen grob fahrlässigen Verstoß gegen die Unfallverhütungsvorschriften anzunehmen.

Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG hat der Senat daher das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – zurückverwiesen.

 

Unterschriften

Brackmann, Küster, Friedrich

 

Fundstellen

BSGE, 262

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