Beteiligte

…Kläger und Revisionskläger

…Beklagte und Revisionsbeklagte, beigeladen: 1. …2. …

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wie ein versicherungspflichtig Beschäftigter zu behandeln ist, weil für ihn vom 1. Januar 1964 bis 31. Juli 1983 aufgrund seiner Tätigkeit als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Beiträge zur Angestelltenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) entrichtet worden sind.

Der Kläger war seit Gründung der Landwirtschaftlichen Vertriebsstelle GmbH in L im Jahre 1960 deren Geschäftsführer und wurde als solcher mit Wirkung vom 1. Januar 1964 gegen Gehalt angestellt. Mit Wirkung vom selben Tage ab wurde er am 31. Januar 1964 bei der Beklagten (Einzugsstelle) zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung angemeldet. Bis zum 31. Juli 1983 wurden für ihn auch ununterbrochen Beiträge entrichtet.

An der GmbH, deren Gesellschaftskapital 20.000,-- DM betrug, war der Kläger selbst mit einem Kapital von 19.500,-- DM beteiligt.

Als weitere Gesellschafterin hielt seine Ehefrau den restlichen Kapitalanteil von 500,-- DM.

In der Zeit von 1965 bis 1979 führte die Beklagte sieben Betriebsprüfungen ohne Beanstandungen durch. Auf der Grundlage einer am 22. August 1983 anläßlich der Einstellung des Betriebes durchgeführten abschließenden Betriebsprüfung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 1983 fest, daß der Kläger nicht abhängig beschäftigt gewesen sei und deshalb der Versicherungspflicht nicht unterlegen habe. Die in der Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Juli 1983 abgeführten Beiträge seien zu Unrecht entrichtet worden. Der Widerspruch des Klägers ist erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1984).

Das Sozialgericht (SG) Aurich hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. März 1985). Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Da der Kläger mit 97,5 vH am Stammkapital der GmbH beteiligt gewesen sei und deshalb überwiegenden und maßgeblichen Einfluß in der Gesellschafterversammlung habe ausüben können, sei er nicht als ein der Sozialversicherung unterliegender Arbeitnehmer (Angestellter) anzusehen. Er könne sich auch nicht darauf berufen, durch die unbeanstandete Annahme der Versicherungsbeiträge sei Versicherungspflicht begründet worden. Betriebsprüfungen könnten nicht zu einem Zustand führen, der gegen geltendes Recht verstoße. Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich auch aus § 145 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), daß die irrtümliche Annahme von Beiträgen gerade nicht zur Begründung der Versicherungspflicht führe. Auch aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs könne der Kläger nicht verlangen, daß die Beklagte von der Feststellung des Nichtvorliegens der versicherungspflichtigen Beschäftigung absehe. Den Ersatz des ihm entstandenen Schadens könne er ebenfalls nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend machen.

Mit der - vom SG durch Beschluß vom 29. August 1985 zugelassenen - Sprungrevision räumt der Kläger ein, daß er wegen seiner Kapitalbeteiligung an der GmbH als Geschäftsführer nicht versicherungspflichtig beschäftigt war. Das SG sei jedoch zu Unrecht der Ansicht, die tatsächliche Behandlung durch die Beklagte hinsichtlich der Beitragsabrechnung sei ohne Einfluß auf die rechtliche Würdigung geblieben. Mit der Entgegennahme der Pflichtversicherungsbeiträge sowie der Prüfung und Bestätigung seines Gehaltskontos habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen, durch den für ihn ein Leistungsanspruch gegenüber den Trägern der Sozialversicherung entstanden sei. Der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Sozialstaatsklausel gemäß Art 20 des Grundgesetzes (GG) verböten es, ihn auf den Rechtsstatus zu verweisen, der ohne Schaffung dieses Vertrauenstatbestandes für ihn gelten würde.

Der Kläger beantragt,das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. August 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1984 aufzuheben und festzustellen, daß er vom 1. Januar 1964 bis 31. Juli 1983 renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm im Wege der Wiederherstellung den Schaden zu ersetzen, der durch die unbeanstandete Entgegennahme der Versicherungsbeiträge und Prüfung der Versicherungsposition entstehe.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 2)die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) weist darauf hin, daß die in der Versicherungskarte Nr 7 für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 1972 enthaltenen "Pflichtbeiträge" gemäß § 145 Abs 2 AVG besitzgeschützt sind. Die für die Zeit vom 1. Januar 1973 bis 31. Juli 1983 entrichteten Beiträge beanstandet sie ausdrücklich. Sie erklärt sich jedoch bereit, diese Beiträge als Pflichtbeiträge gemäß § 2 Abs 1 Nr 11 AVG (Antragspflichtversicherung für Selbständige) anzuerkennen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Juli 1983 als Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Vertriebsstelle GmbH nicht versicherungspflichtig beschäftigt war und daß er auch keinen Anspruch darauf hat, für diese Zeit wie ein versicherungspflichtig Beschäftigter behandelt zu werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung führende abhängige Beschäftigung voraus, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist, dh daß diese Beschäftigung weisungsgebunden, also fremdbestimmt ausgeübt wird. Daß diese Voraussetzung bei dem Geschäftsführer einer GmbH, der selbst Gesellschafter mit überwiegendem Kapitalanteil ist, nicht bejaht werden kann, weil er aufgrund seiner Kapitalbeteiligung einen so maßgebenden Einfluß auf die Entscheidungen der GmbH hat, daß er jeden Beschluß, insbesondere jede ihm nicht genehme Weisung eines "Dienstherrn", verhindern kann, hat das BSG bereits mehrfach entschieden (vgl BSGE 13, 196, 199; 38, 53, 57 f; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; Urteile des Senats vom 31. Juli 1974 in SozR 4600 § 56 Nr 1 und vom 24. Juni 1982, 12 RK 45/80 und 43/81, USK 82160 und 82166). Daß dies auch beim Kläger zutraf, wird von ihm selbst eingeräumt.

Zutreffend hat das SG auch der vom Kläger geltend gemachten Tatsache der fast 20 Jahre lang unbeanstandeten Beitragsentrichtung keine rechtsbegründende Wirkung beigemessen. Die Beitragspflicht des Versicherten folgt aus der Versicherungspflicht, setzt diese also voraus. Hingegen kann die Versicherungspflicht nicht umgekehrt aus der tatsächlichen Entrichtung von Beiträgen abgeleitet werden. Diese Systematik hat im Gesetz mehrfach Ausdruck gefunden. So knüpft § 145 Abs 1 AVG (= § 1423 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) an die in einer aufgerechneten Versicherungskarte bescheinigte Beschäftigungszeit lediglich die Vermutung eines zugrunde liegenden gültigen Versicherungsverhältnisses und einer rechtzeitigen Beitragsentrichtung; nach seinem Abs 2 können noch zehn Jahre nach Aufrechnung der Versicherungskarte zu Unrecht entrichtete Beiträge beanstandet werden und erlangen solche Beiträge erst nach Ablauf dieses Zeitraums Bestandsschutz. Auch aus § 104 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) wird deutlich, daß die Beitragsentrichtung allein keine unmittelbare Rechtswirkung für Leistungen nach dem AFG entfaltet. Nach dieser Vorschrift wird nämlich für die Erfüllung der Anwartschaftszeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) nur das Bestehen einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung verlangt, ohne daß auch die tatsächliche Entrichtung der Beiträge als unerläßlich gefordert wird. Ist andererseits eine Beschäftigung nicht beitragspflichtig, so dient eine derartige Zeit der Erfüllung der Anwartschaftszeit auch dann nicht, wenn irrtümlich Beiträge entrichtet wurden (BSGE 13, 98, 101 unten; 44, 193, 197). Das Vertrauen darauf, durch die Beitragsentrichtung werde bei Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Anspruch auf Alg begründet, wird vom Gesetz nicht geschützt (Gagel/Steinmeyer, AFG § 104 Anm 6 und 7).

Dieser sozialversicherungsrechtliche Grundsatz steht nicht im Widerspruch zur Sozialstaatsklausel des Art 20 GG. Durch das Sozialstaatsprinzip wird die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers lediglich insoweit eingeschränkt, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (vgl BVerfGE 40, 121, 133 f). Wenn aber Beiträge, die ohne die rechtliche Voraussetzung ihrer Wirksamkeit, dh der Versicherungs- bzw Beitragspflicht, entrichtet worden sind, grundsätzlich nicht zu Leistungsansprüchen führen können, dann entspricht gerade das dem im Sozialversicherungsrecht verwirklichten Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Hierdurch wird nämlich gewährleistet, daß die gesetzlich vorgesehenen Sozialleistungen nur dem vom Gesetzgeber als schutzbedürftig angesehenen Personenkreis zugute kommen. Andererseits wird der durch die irrtümliche Beitragsentrichtung entstandene Nachteil dadurch weitgehend ausgeglichen, daß die zu Unrecht entrichteten Beiträge zu erstatten sind (§ 146 AVG aF, § 1424 RVO aF, § 185a AFG, § 26 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches -SGB 4-). Darüber hinaus gewährleisten im Bereich der Rentenversicherung die Vorschriften des § 145 Abs 2 AVG und § 1423 Abs 2 RVO zur Vermeidung unbilliger Härten für die länger als zehn Jahre zurückliegenden Beiträge trotz ihres fehlenden Rechtsgrundes vollen Bestandsschutz mit der Wirkung, daß sie wie gültige Beiträge behandelt werden. Die Regelungen über das rechtliche Schicksal zu Unrecht entrichteter Beiträge sind hiernach insgesamt sozial ausgewogen, so daß auch unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips der Bescheid der Beklagten nicht zu beanstanden ist.

Schließlich hat das SG auch zu Recht erkannt, daß die von der Beklagten in den Jahren 1965 bis 1979 durchgeführten Betriebsprüfungen keinen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, kraft dessen die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 2) verpflichtet wären, den Kläger so zu stellen, als habe er die Beiträge wirksam entrichtet. Welche Bedeutung den Betriebsprüfungen durch Bedienstete der Einzugsstelle zukommt, hat der Senat in seinem Urteil vom 30. November 1978 (BSGE 47, 194, 198 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 17 f) in einem Fall unterlassener Beitragsentrichtung im einzelnen dargelegt und dabei ein die Einzugsstelle bindendes Verwirkungsverhalten selbst dann nicht angenommen, wenn die Prüfer gelegentlich der Betriebsprüfungen bestimmte Rechtsansichten geäußert haben. Dies folgt daraus, daß der Prüfer nicht zur Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht der einzelnen Bediensteten des geprüften Unternehmens befugt ist und deshalb weder einen Verwaltungsakt erlassen noch eine verbindliche Zusage machen kann. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn es wie hier nicht um die Nachforderung von Beiträgen, sondern um die Rechtmäßigkeit entrichteter Beiträge geht.

Ob die Beklagte für das Verhalten der Prüfer dann einzustehen hätte, wenn diese bei den Prüfungen erkannt hatten oder hätten erkennen müssen, daß der Kläger keine abhängige Beschäftigung ausübte, kann dahingestellt bleiben. Vom Kläger wird nicht vorgetragen und auch sonst ergibt sich kein Anhalt dafür, daß die Prüfer anläßlich der Betriebsprüfungen vor 1983 die Verteilung des Gesellschaftskapitals der GmbH kannten oder - wozu sie nicht verpflichtet waren - überprüften. Da GmbH-Geschäftsführer, die nicht oder nicht überwiegend am Gesellschaftskapital beteiligt sind, grundsätzlich Angestellte der GmbH sind, mußten sich den Prüfern Zweifel über die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht aufdrängen.

Da sonach das Verhalten der Prüfer der Beklagten bei den fraglichen Betriebsprüfungen nicht zu beanstanden ist, fehlt es schon deshalb an der Grundvoraussetzung für den vom Kläger hilfsweise geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Im übrigen ist dem Kläger durch die Bereiterklärung der Beigeladenen zu 2), die nicht bestandsgeschützten Beiträge in vollem Umfange als Pflichtbeiträge zur Pflichtversicherung der Selbständigen anzuerkennen, rentenversicherungsrechtlich im Ergebnis ein ausgleichsfähiger Schaden nicht verblieben. Im Rahmen der Arbeitslosenversicherung ist ein solcher Ausgleich allerdings nicht möglich, weil dort der Kreis der Beitragspflichtigen nicht auf die Selbständigen ausgedehnt worden ist.

Nach alledem ist die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518059

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