Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Unter den Beteiligten ist in Streit, in welcher Höhe die beklagte Bundesknappschaft - in ihrer Eigenschaft als Trägerin der knappschaftlichen Krankenversicherung - dem Kläger die Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe zu erstatten hat (§ 185b der Reichsversicherungsordnung -RVO-).

Der 1933 geborene, verheiratete Kläger, von Beruf Obersteiger, hat sechs Kinder; sie waren im Juni 1974 drei, fünf, acht, zwölf, fünfzehn und achtzehn Jahre alt; die beiden ältesten besuchten damals das Gymnasium.

Die Ehefrau des Klägers wurde vom 4. bis 24. Juni 1974 in einem Krankenhaus stationär behandelt. Für diese Zeit konnte die Beklagte dem Kläger auf Anfrage keine Ersatzkraft stellen. Hierauf nahm die berufstätige, in Mülheim wohnende Schwägerin des Klägers, Frau H … (H.), für diese Zeit -bezahlten- Urlaub und führte dem Kläger den Haushalt; sie war an jedem Wochentag - einschließlich der Samstage, an denen der Kläger arbeiten mußte - ganztägig anwesend. Als Vergütung zahlte ihr der Kläger vereinbarungsgemäß neben der Erstattung der Fahrtkosten pro Werktag 40,-- DM, insgesamt 700,-- DM.

Am 14. August 1974 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm diese Kosten zu erstatten. Mit dem streitigen Bescheid vom 23. August 1974 erklärte sich die Beklagte bereit, die Fahrtkosten und werktäglich einen Betrag von 10,-- DM zu übernehmen. Eine höhere Kostenerstattung sei nicht möglich, weil die Schwägerin eine familiäre Verpflichtung übernommen habe, die nicht mit einer fremden Haushaltshilfe gleichgestellt und entschädigt werden könne. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1974).

Vor dem Sozialgericht (SG) hat sich die Beklagte in einem Teilvergleich verpflichtet, der Schwägerin des Klägers die in der Zeit vom 4. bis 24. Juni 1974 entstandenen notwendigen Reisekosten zu erstatten. Am 21. Mai 1975 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger 640,-- DM - für 16 Werktage jeweils 40,-- DM - zu bezahlen. Mit dem angefochtenen Urteil vom 25. März 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) die - zugelassene - Berufung der Beklagten hiergegen zurückgewiesen: § 185b RVO biete keinen Anhalt dafür, daß für Verwandte oder Verschwägerte keine oder eine vergleichsweise geringere Entschädigung zu zahlen sei. Vielmehr lasse der Verlauf der Gesetzgebung den gegenteiligen Schluß zu. Der Gesetzesentwurf habe eine Kostenerstattung für Verwandte und Verschwägerte bestimmter Grade ausgeschlossen; das Gesetz habe diesen Ausschluß nicht übernommen. Auch nach moralischen Normen hätte an die Schwägerin des Klägers kaum das Verlangen herangetragen werden können, ihren Erholungsurlaub für die Führung des Haushalts des Klägers zu verwenden. Ob die gesetzliche Regelung in ihrer jetzigen Form als geglückt anzusehen sei, habe das LSG nicht zu entscheiden.

Gegen dieses Urteil hat der erkennende Senat auf die Beschwerde der Beklagten die Revision zugelassen (Beschluß vom 27. August 1976).

Die Beklagte hat die Revision eingelegt. Sie trägt vor, finde sich ein Verwandter zur Haushaltshilfe bereit, so tue er dies in erster Linie auf Grund seiner Verwandtschaft, also seiner sittlichen und moralischen Verpflichtung und nicht, um unbedingt ein Entgelt für seine Hilfe zu erhalten. Die Angemessenheit der Höhe der Vergütung der Ersatzkraft sei danach zu bestimmen, welcher Personenkreis die Haushaltshilfe durchführe. Es sei zwischen dem Kreis der mit dem Versicherten oder seiner Ehefrau verwandten und den mit ihnen nicht verwandten Ersatzkräften zu unterscheiden. Verwandte Ersatzkräfte könnten nur die ihnen tatsächlich entstandenen und von ihnen nachgewiesenen Aufwendungen erhalten. Seien der Ersatzkraft Aufwendungen nicht entstanden oder von ihr nicht entsprechend nachgewiesen, könne nur ein Pauschbetrag gezahlt werden. Da höhere Reisekosten nicht geltend gemacht worden seien, habe sie einen Pauschbetrag von 10,-- DM pro Tag, insgesamt also 130,-- DM für die Zeit vom 4. bis 24. Juni 1974 an den Kläger ausgezahlt. Auch die Spitzenverbände der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die Bundesanstalt für Arbeit hätten sich in einem gemeinsamen Rundschreiben vom 2. Dezember 1974 festgelegt, für die angesprochenen Personenkreise unterschiedliche Vergütungssätze zu gewähren. Vom 2. Dezember 1974 an werde hiernach für verwandte Haushaltshilfskräfte ein Betrag von 12,-- DM pro Tag gezahlt, sofern der Versicherte Kosten nicht nachgewiesen habe. Wenn auch der Gesetzgeber den Begriff "angemessene Höhe" nicht näher definiert habe, so müsse doch davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber der Hilfe nahestehender Angehöriger keinesfalls ein kommerzielles Gepräge habe verschaffen wollen. Das werde durch das Beihilferecht und die Erweiterung des Kreises der zu unentgeltlicher Hilfeleistung Verpflichteten bewiesen.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er führt aus, Frau H. sei gesetzlich nicht zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet gewesen, da zwischen ihm - Kläger - und seiner Schwägerin kein Verwandtschaftsverhältnis bestehe. Er habe seine Schwägerin nicht zwingen können, unentgeltliche Hilfe zu leisten. Es dürfe ernstlich nicht streitig sein, daß eine Stundenvergütung von 5,-- DM an der unteren Grenze dessen liege, was als angemessen zu betrachten sei. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf, nach dem eine Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft im Falle der Verwandtschaft oder Schwägerschaft ausgeschlossen gewesen sei, sei nicht Gesetz geworden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zugelassene Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1974 ist ein § 185b in die Reichsversicherungsordnung eingefügt worden (vgl. § 1 Nr. 2 des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 19. Dezember 1973 - BGBl. I 1925 -). Diese Vorschrift gilt gemäß § 20 Satz 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) auch für die knappschaftliche Krankenversicherung (vgl. auch § 53a der Satzung der Bundesknappschaft in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung des 13. Satzungsnachtrages). Nach § 185b Abs. 1 Satz 1 RVO erhalten Versicherte Haushaltshilfe in Form der Gestellung einer Ersatzkraft (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.), wenn ihnen oder ihrem Ehegatten u.a. wegen Aufenthalts in einem Krankenhaus die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht führen kann. Voraussetzung für die Haushaltshilfe ist ferner, daß im Haushalt ein Kind lebt, das das achte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert oder auf Hilfe angewiesen ist (Abs. 1 Satz 2 a.a.O.). Unter anderem dann, wenn der Krankenversicherungsträger eine Ersatzkraft nicht stellen kann, sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft in angemessener Höhe zu erstatten (Abs. 2 Satz 2 a.a.O.).

Das Begehren des Klägers auf - höhere - Kostenerstattung scheitert nicht schon daran, daß andere im Haushalt lebende Personen während der Zeit vom 4. bis 24. Juni 1974, in der sich die Ehefrau und Mutter im Krankenhaus befand, den Haushalt hätten weiterführen können. Es bedarf keiner Ausführungen, daß es dem Kläger angesichts der Größe und Zusammensetzung seiner Familie nicht möglich war, den Haushalt neben seiner Berufstätigkeit weiterzuführen. Auch den größeren Kindern des Klägers war dies neben ihrer Schulausbildung nicht möglich. Dagegen könnte es dem Kläger unter Umständen möglich gewesen sein, bezahlten oder unbezahlten Urlaub zu nehmen und sodann den Haushalt zu führen. Indessen schließt eine solche Möglichkeit der Beurlaubung des gesunden berufstätigen Ehegatten den Anspruch aus § 185b RVO nicht aus. Die Vorschrift zielt dadurch, daß sie für die Zeit des Krankenhausaufenthalts des haushaltsführenden Ehegatten primär Anspruch auf Gestellung einer "Ersatzkraft" gibt, gerade darauf ab, daß die Mitglieder des Haushalts die berufliche Rolle beibehalten können, die sie vor der Aufnahme des erkrankten Ehegatten ins Krankenhaus innehatten. § 185b Abs. 1 Satz 1 RVO sieht hiernach in der Berufstätigkeit des gesunden Ehegatten einen Grund dafür, daß dieser "den Haushalt nicht weiterführen kann".

Das gleiche muß für die im Haushalt lebenden größeren Kinder gelten; es läßt sich nicht annehmen, daß § 185b RVO den Kindern des Versicherten zumuten will, ihre Berufs- oder Schulausbildung wegen der Erkrankung des haushaltsführenden Elternteils zu unterbrechen.

Im Haushalt des Klägers. lebten im Juni 1974 zwei Kinder unter acht Jahren. Nach alledem hätte der Kläger damals auf Grund des § 185b Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 RVO die Gestellung einer Ersatzkraft fordern können. Da die Beklagte dem Kläger eine solche Kraft nicht stellen konnte, ist dessen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft nach Abs. 2 Satz 2 a.a.O. dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die Höhe eines Kostenerstattungsanspruches ist im Regelfall unproblematisch; der Ersatzberechtigte hat Anspruch auf einen Betrag in Höhe der ihm tatsächlich entstandenen Kosten. Diesen Grundsatz schränkt § 185b Abs. 2 Satz 2 RVO dahin ein, daß des Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten des Versicherten für eine zulässigerweise selbstbeschaffte Ersatzkraft nur in angemessener Höhe zu erstatten hat. Damit stellt das Gesetz sicher, daß eine überhöhte Vergütung der Ersatzkraft nicht zu Lasten der Gemeinschaft der Krankenversicherten geht. § 185b Abs. 2 Satz 2 RVO gibt mithin einen Anspruch in Höhe des Betrages, der eine angemessene Entschädigung der Ersatzkraft für die Führung des Haushalts des Versicherten darstellt.

Zu Unrecht hält die Beklagte den vom Kläger erhobenen Anspruch der Höhe nach schon deswegen für unangemessen, weil einer mit dem Versicherten oder seiner Ehefrau verwandten oder verschwägerten Ersatzkraft allenfalls ein Anspruch auf Aufwendungsersatz, nicht aber eine Vergütung für die im Haushalt erbrachte Arbeitsleistung zustehe. Es kann dahinstehen, inwieweit sich Geschwister oder Verschwägerte "sittlich und moralisch" zur Hilfe verpflichtet sind. Da eine solche Verpflichtung außerrechtlicher Art wäre, konnte weder der Kläger noch seine Ehefrau von Frau H. verlangen, daß sie in deren Haushalt unentgeltlich tätig wurde; eine gesetzliche Unterhaltspflicht, die eine Hilfeleistung der hier vorliegenden Art einschließen könnte, besteht zwischen Geschwistern und Verschwägerten nicht (vgl. §§ 1601ff des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Die Tatsache der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft machte es mithin noch nicht unangemessen im Sinne des Gesetzes, daß der Kläger Frau H. nicht nur ihre Auslagen ersetzte, sondern auch ihre Arbeitsleistung im Haushalt vergütete. Dieser Auffassung ist offensichtlich auch das Gesetz; zutreffend hat das LSG darauf hingewiesen, daß der ursprüngliche Gesetzesentwurf (BT-Drucks. VI/3588), der die Kostenerstattung für Verwandte und Verschwägerte ausgeschlossen hatte, nicht Gesetz geworden ist.

Was nun die Frage betrifft, mit welchem Betrag die Arbeitsleistung der Frau H. angemessen vergütet ist, so sind folgende Überlegungen anzustellen: Das LSG hat festgestellt, daß Frau H. dem Kläger den Haushalt an 16 Werktagen geführt und werktäglich 40,-- DM gefordert und vom Kläger erhalten hat. Diese Vergütung erscheint angesichts der Umstände des Falles nicht überzogen. Zwar darf die Beklagte von Verwandten bzw. Verschwägerten erwarten, daß sie bei der Vergütung einer Hilfeleistung, die sie einander erbringen, besondere Zurückhaltung üben. Andererseits durfte die Beklagte in einem solchen Fall aber auch nicht außer acht lassen, daß Frau H. einen 8-Personen-Haushalt zu führen hatte; diese weit Überdurchschnittliche Beanspruchung der Frau H. durfte der Kläger bei der Bemessung der Vergütung berücksichtigen (vgl. hierzu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Teil II/1, Anm. 4d zu § 185b, S. 17/401). Hinzu kommt, daß Frau H. selbst berufstätig war und ihren Erholungsurlaub dazu verwendet hat, bei, ihrer Schwester auszuhelfen. Auch für den Verzicht auf Freizeit und Erholung durfte sie daher vom Kläger eine billige Entschädigung verlangen. Berücksichtigt man diese Besonderheiten, so erscheint eine Vergütung von 40,-- DM pro Tag der Haushaltsführung auch unter Würdigung des bestehenden Verwandtschafts- bzw. Schwägerschaftsverhältnisses als noch angemessen.

Ein anderes Ergebnis rechtfertigt auch nicht der weitere Vortrag der Beklagten, eine Kostenerstattung in Höhe von 10,-- DM pro Tag der Haushaltsführung entspreche den von ihr von vornherein festgelegten Sätzen; hierbei werde allein zwischen den Personenkreisen der verwandten und der nichtverwandten Ersatzkräfte unterschieden. Nach der Auffassung des erkennenden Senats kann es vor allem zur Sicherung einer gleichmäßigen Sachbehandlung sinnvoll sein, wenn der Versicherungsträger in Verwaltungsregelungen - die freilich die Gerichte grundsätzlich nicht binden - feste Sätze der nach § 185b Abs. 2 Satz 2 RVO zu erstattenden Kosten festlegt. Indessen kann nicht gebilligt werden, daß die Krankenversicherungsträger bei der Festlegung dessen, was als Vergütung angemessen ist, nur zwischen verwandten und nichtverwandten Ersatzkräften unterscheiden; bei der Frage der Angemessenheit der Vergütung müssen alle Sachverhaltselemente berücksichtigt werden, die unter sachlichen Gesichtspunkten geeignet sind, die Höhe der Vergütung der Ersatzkraft wesentlich zu beeinflussen. Schon deshalb kann der Senat der Praxis der Beklagten nicht folgen.

Das angefochtene Urteil trifft nach allem zu, so daß die Revision der Beklagten hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war. Soweit die Beklagte zugesagte Leistungen bereits an den Kläger erbracht hat, darf sie diese mit der von den Vorinstanzen zugesprochenen Summe allerdings verrechnen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518742

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