Leitsatz (amtlich)

Eine unentgeltliche Tätigkeit für eine Gemeinde kann auch dann als ehrenamtliche Tätigkeit unfallversicherungsrechtlich geschützt sein, wenn sie nur gelegentlich ausgeübt wird (Fortentwicklung von BSG 1972-04-27 2 RU 14/69 = BSGE 34, 163 = SozR Nr 28 zu § 539 RVO; BSG 1974-12-18 2/8 RU 34/73 = BSGE 39, 24 = SozR 2200 § 539 Nr 4; BSG 1975-08-19 8 RU 234/74 = BSGE 40, 139 = SozR 2200 § 539 Nr 10; BSG 1976-12-07 8 RU 18/76 = SozR 2200 § 539 Nr 29).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 13 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 24.11.1981; Aktenzeichen L 3 U 200/80)

SG München (Entscheidung vom 04.03.1980; Aktenzeichen S 23 U 507/79)

 

Tatbestand

Der Kläger wurde am 24. August 1976 beim Herstellen einer Holzkrone von einem Beil, das sich vom Stiel löste, am Auge verletzt. Er war mit Vorbereitungen für das alljährlich in seinem Heimatort O. veranstaltete Bergfeuer zum Andenken an den bayerischen König Ludwig II. befaßt. Der Beklagte lehnte eine Unfallentschädigung ab, weil das Feuer nicht von der Gemeinde als "ihr Unternehmen" veranstaltet sei (Bescheid vom 26. Juni 1979).

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, einen Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger Leistungen der Unfallversicherung zu gewähren (Urteil vom 4. März 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. November 1981). Im Gegensatz zum SG hat es nicht angenommen, der Kläger sei bei dem Unfall wie ein Beschäftigter für die Gemeinde O. tätig geworden (§ 539 Abs 2 iVm § 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Die Gemeinde sei nicht die "Unternehmerin" der König Ludwig-Feier gewesen, bei der ein Holzfeuer abgebrannt wird. Vielmehr habe es sich um eine "eigenwirtschaftliche Tätigkeit" der beteiligten Bürger gehandelt, die an der Erhaltung dieses Brauchtums interessiert seien; sie fänden sich ohne Auftrag und Weisung der Gemeindeverwaltung zu jener Veranstaltung zusammen. Daran ändere eine finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde nichts. Der Kläger sei auch nicht nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO versichert gewesen; er habe kein übertragenes Ehrenamt ausgeübt.

Der Kläger stützt sich zur Begründung seiner - vom LSG zugelassenen Revision - auf das Urteil des SG und betont, daß er, wie die übrigen beteiligten Bürger, eine Aufgabe der Gemeinde erfüllt habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Das SG hat zu Recht einen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 RVO angenommen, dessen Folgen vom Beklagten zu entschädigen sind.

Der Kläger wurde beim Herrichten von Feuerholz, das für das Abbrennen des König Ludwig-Feuers bestimmt war, entgegen der Ansicht des LSG ehrenamtlich für seine Heimatgemeinde tätig und war deshalb nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO (idF seit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - BGBl I 241 -) versichert.

Die Unentgeltlichkeit seiner Mitarbeit war eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Voraussetzung der Ehrenamtlichkeit (BSGE 34, 163, 165 = SozR Nr 28 zu § 539 RVO). Das ausschließlich von der Gemeinde gebotene Essen und Trinken mit einem Wert von 10,-- DM war nichts anderes als eine Aufwandsentschädigung für eine ehrenamtliche Tätigkeit.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) und ihm folgend der 8. Senat haben indes in einigen Entscheidungen zu § 539 Abs 1 Nr 13 RVO darauf abgehoben, daß der Verunglückte jeweils ein Amt im Sinne des Besorgens eines Kreises von Geschäften hätte ausüben müssen (BSGE 34, 163, 165 f, 167 f; 39, 24, 27 ff = SozR 2200 § 539 Nr 4; SozR 2200 § 539 Nr 29; BSGE 40, 139, 142 ff = SozR 2200 § 539 Nr 10; anders für eine "ehrenamtliche Tätigkeit" im Kirchendienst: SG Ulm, Sozialgerichtsbarkeit 1967, 134 mit zustimmender Anmerkung von Schieckel, aaO, 137). Ein solches Amt hatte der Kläger bei seiner Beteiligung an der König Ludwig-Veranstaltung nicht. Er wirkte nur vorübergehend mit, wenn auch alljährlich sich wiederholend. Gleichwohl ist diese Tätigkeit als "ehrenamtlich" im engeren Sinn zu bewerten und gehört deshalb ebenso wie die Ausübung eines Ehrenamtes der zuvor bezeichneten Art zu den "ehrenamtlichen" Tätigkeiten im Sinne des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO. Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht von der dargelegten Rechtsprechung ab. In den zitierten Fällen ging es jeweils bloß darum, ob der Verunglückte im kirchlichen Dienst nach evangelischem oder römisch-katholischem Kirchenrecht ein "Amt" ausübte. Der 2. Senat hat betont, er habe nicht abschließend über einzelne Begriffsmerkmale einer ehrenamtlichen Tätigkeit iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO entschieden (BSGE 39, 27). In keinem der zitierten Urteile sah der jeweils erkennende Senat einen Anlaß, eine ehrenamtliche Tätigkeit vorübergehender Art von derjenigen nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO schlechthin auszuschließen.

Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dieser Vorschrift muß eine vorübergehende ehrenamtliche Tätigkeit ebenfalls zu den nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO geschützten Tätigkeiten gerechnet werden. Zwar werden in einzelnen Bestimmungen die Begriffe "Ehrenamt" und "ehrenamtliche Tätigkeit" nicht inhaltlich unterschieden (zB Art 19 und 20 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern -bGO- in den Fassungen vom 5. Dezember 1973 - GVBl 599 -/20. Juli 1982 - GVBl 471 -; Überschriften zu §§ 40 und 41, Text der §§ 40 und 53 Abs 1 Satz 2 SGB IV vom 23. Dezember 1976 - BGBl I 3845 -; § 11 Abs 1 Bundeswahlgesetz vom 1. September 1975 - BGBl I, 2325 -/ 7. Dezember 1982 - BGBl I 1613 -). Aber diese Sprachübung rechtfertigt nicht, vorübergehende "ehrenamtliche Tätigkeiten" vom Unfallversicherungsschutz des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO auszunehmen. Im übrigen wird allgemein in der Rechtssprache, insbesondere im Kommunalrecht, nach dem der Fall des Klägers zu beurteilen ist, und im Sozialversicherungsrecht von der vorübergehenden "ehrenamtlichen Tätigkeit", zB als Wahlhelfer oder Viehzähler, das "Ehrenamt" als ein Wirkungsbereich, der verschiedene Geschäfte umfaßt und auf Dauer angelegt ist, abgegrenzt; beide Arten werden vielfach in Gesetzen mit dem Oberbegriff "ehrenamtlich" zusammengefaßt (§ 5 Abs 1 Satz 1, § 24 Abs 2 des Gesetzes über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 22. Februar 1951 - BGBl I 124 - / 10. Februar 1962 - BGBl I 69 -/ 23. August 1967 - BGBl I 918 -; Abs 2 Satz 1 der Ausführungsanweisung zu § 22 der Deutschen Gemeindeordnung; dazu Suren in: Suren/Loschelder, Die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935, 1. Band 1940, § 22, Anm 1; § 21 Abs 1 Satz 1 Hessische Gemeindeordnung vom 25. Februar 1952 - GVBl 11 -; § 21 Abs 1 Satz 1 iVm § 23 Abs 2 Nr 2 der Hessischen Gemeindeordnung vom 1. April 1981 - GVBl I 66 -; dazu Schlempp/Schlempp, Kommentar zur Hessischen Gemeindeordnung, Stand: September 1982, § 21, Anm IX; § 17 Satz 1 Selbstverwaltungsgesetz für Rheinland-Pfalz vom 5. Oktober 1954 GVBl 117 -; § 18 Abs 1 und 2 Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz vom 14. Dezember 1973 - GVBl 491 -/ 20. Juli 1982 - GVBl 264 -; § 20 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Oktober 1952 - GV.NW 269 -/ 1. Oktober 1979 - GV.NW 594 -; Görg in: Peters - Hg -, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Band 1957, 44, 62 f, 96; Köttgen, aaO, 1. Band, 1956, 185, 232, 233; Korte in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 3, 1961, 27, 28, 30; Pagenkopf, Kommunalrecht, 1971, 137f; aaO, Band 2, 2. Aufl, 1975, 153; Wolff, Verwaltungsrecht, II, 1962, 150; aaO, 3. Aufl 1970, 189; Wolff/Bachof, aaO, 4. Aufl 1976, 201; (ähnlich Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, 73, 139 f). "Ehrenamtliche Tätigkeiten", zu denen die Bürger nach Art 132 der Weimarer Reichsverfassung verpflichtet waren, wurden zwar von einzelnen Autoren hauptsächlich als "Ehrenämter" im oben bezeichneten Sinn verstanden, während die übrigen unter die "persönlichen Dienste" iS des Art 133 gerechnet wurden (zB Peters in: Nipperdey - Hg -, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 2. Band 1930, 290 ff, besonders 294 f, 300, 301; ähnlich W. Jellinek in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 2. Band, 1932, 20, 28). Das erklärt sich aber aus den verschiedenen Regelungen der genannten Art. Die heute allgemein anerkannte Unterscheidung ist seit Jahrzehnten üblich, war es jedenfalls schon vor 1963, als § 539 Abs 1 Nr 13 RVO geschaffen wurde. Es gibt keinen einleuchtenden Gesichtspunkt, der die einengende, vom Wortlaut abweichende Auslegung geböte, mit "ehrenamtlicher Tätigkeit" in § 539 Abs 1 Nr 13 RVO sei gerade nicht die üblicherweise ebenso bezeichnete Mitwirkung vorübergehender Art gemeint, sondern allein ein "Ehrenamt".

In der Begründung dieser Vorschrift werden wohl als Beispiele schutzbedürftiger Leistungen für öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen ausdrücklich die Tätigkeiten ehrenamtlicher Richter und der Mitglieder von Selbstverwaltungskörperschaften, also der Inhaber von "Ehrenämtern" genannt (Begründung des Entwurfes eines UVNG -BT-Drucks IV/120, S 52). Doch ist nicht erkennbar, daß diese Aufzählung erschöpfend gemeint gewesen wäre und die ehrenamtliche Tätigkeit, wie sie allgemein dem juristischen Sprachgebrauch entspricht, hätte ausschließen sollen. Der Gesetzgeber muß sich vielmehr nach dem üblichen Sinn dieses Rechtsbegriffes gerichtet haben, es sei denn, er hätte das Gegenteil zum Ausdruck gebracht, was nicht der Fall ist. Die Bemühung des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik um eine "klarere" Fassung, die alle diejenigen nennen sollte, die nicht schon nach § 539 Abs 1 RVO versichert sind (schriftl. Bericht - BT-Drucks IV/938 -), läßt gerade den Willen erkennen, den Kreis der Versicherten weit zu ziehen. Wenn der Bundesrat danach die jetzige Gesetzesfassung beschlossen hat (BR-Drucks 94/63), dann hat er nicht zu erkennen gegeben, er wolle nur die Inhaber von Ehrenämtern geschützt wissen. Den Mitgliedern des Bundesrates muß aus verschiedenen Landesgesetzen der zuvor dargelegte Sprachgebrauch von "ehrenamtlich" und "Ehrenamt" bekannt gewesen sein.

Diese Auslegung des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO wird auch durch Sinn und Zweck der Regelung geboten. Die Vorschrift soll die Tätigkeit von Privatpersonen, die dem öffentlichen Interesse und Wohl dient, bei Unfällen schützen, was auch für verschiedene andere Tatbestände gilt (für Hilfeleistungen bei Unglücksfällen sowie gemeiner Gefahr oder Lebensgefahr, für die Unterstützung eines öffentlichen Bediensteten bei einer Diensthandlung, für die Verfolgung und Festnahme eines Straftatverdächtigen, für Blut- und Gewebespender sowie Luftschutzangehörige). Der Schutz soll den Gemeinsinn der Bürger, der sie sich derart für die Allgemeinheit betätigen läßt (vgl Art 117 Satz 2 der Verfassung für den Freistaat Bayern -BV- vom 2. Dezember 1946 - Bayer. BS I 3), fördern. Dieser Zweck steht in Übereinstimmung mit dem Schutzgedanken, der der gesamten gesetzlichen Unfallversicherung zugrunde liegt. Sie soll nach einem der grundlegenden Motive die Bürger durch die Pflichtversicherung an den Staat heranführen (Stolleis, Quellen zur Geschichte des Sozialrechts, 1976, 33 f, 105 f; Born, Die Angestelltenversicherung 1981, 437, 438, 440 f). Schutzbedürftig ist in den bezeichneten Fällen jede besondere ehrenamtliche Leistung für die Allgemeinheit (vgl für Vereinsmitglieder mit Leistungen außerhalb der Mitgliederpflichten: BSG SozR Nr 27 zu § 539 RVO; 220, § 539 Nrn 68 und 81; BSGE 52, 11 = SozR § 539 Nr 81). Die Interessenlage ist bei vorübergehender ehrenamtlicher Tätigkeit, die verschiedenen anderen Diensten für die Allgemeinheit gleicht, nicht grundlegend anders als bei einem Wirkungsbereich von Geschäften im Sinn des "Ehrenamtes".

Der Kläger ist auch ehren-"amtlich" beim Holzhacken "für" seine Gemeinde tätig geworden.

Er handelte in einem öffentlichen Bereich (vgl dazu Püttner in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 3, 2. Aufl, 1983, 3, 4; von Münch in: Erichsen/Martens -Hg-, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl 1981, 1, 5, 6, 7 f). Dieser ist seiner Heimatgemeinde iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO zuzurechnen; denn sie hat sich für diese Veranstaltung, als ihr "Unternehmen" (§ 657 Abs 1 Nr 1 RVO; vgl dazu § 654 Abs 1 Nr 4 und BSG SozR 2200 § 657 Nr 4), zuständig erklärt. Verantwortung für eine ehrenamtliche Tätigkeit in diesem Sinn kann sich gerade dann ergeben, wenn die Gemeinde kein übliches Unternehmen im gewerberechtlichen Sinn und keine übliche Einrichtung der öffentlichen Verwaltung betreibt, wie dies für eine Beschäftigung gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO und eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit gemäß § 539 Abs 2 RVO erforderlich ist. Zwar könnte Holzschlagen - anders als zB das ehrenamtliche Mitwirken bei einer Volkszählung oder in einem Wahlvorstand - allgemein auch in einem privaten Arbeits- oder Dienstverhältnis verrichtet werden. Aber die Tätigkeit, bei der der Kläger sich verletzte, war als Vorbereitung, für die König Ludwig-Feier notwendig und Vorbereitungshandlungen werden vom Versicherungsschutz erfaßt (BSG SozR 2200 § 539 Nr 63). Diese Veranstaltung hat die Gemeinde in ihrem öffentlichen Aufgabenbereich übernommen. Die Mitarbeit des Klägers liegt eher im Bereich der Dienste, zu denen die Gemeinde ihre Bürger verpflichten kann (zB Hand- und Spanndienste; § 24 Abs 1 Nr 4 bGO; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1974, 305), als im Kreis von Beschäftigungen, deren Besonderheit auch einen Anhalt für die Zuordnung nach § 539 Abs 2 RVO bieten kann (Müller-Volbehr, Zeitschrift für Rechtspolitik 1982, 270, 272).

In der Gemeinde des Klägers wird seit etwa 100 Jahren zur dankbaren Erinnerung an den bayerischen König Ludwig II. am 24. August eines jeden Jahres ein Feuer auf einem Berg abgebrannt; dies wird mit einem Musikumzug verbunden. Was die im einzelnen rechtserheblichen Tatsachen anlangt, so geht der Senat von den Bekundungen des Klägers und des als Zeugen gehörten Ersten Bürgermeisters aus. Das LSG hat diese Bekundungen als Feststellungen übernommen. Die König-Ludwig-Feier ist als alter Brauch eine gesetzmäßige, nicht monarchistische und damit etwa verfassungsrechtlich bedenkliche Veranstaltung der Gemeinde (zur kommunalen Brauchtumspflege: Bayer. LSG, Breithaupt 1961, 896). Sie ist zum einen als Akt der "örtlichen Kulturpflege" eine durch Verfassung und Gemeindeordnung gebotene Aufgabe im eigenen Wirkungsbereich der bayerischen Gemeinden (Art 83 Abs 1 BV, Art 57 Abs 1 Satz 1 bGO). Zum anderen sollen die bayerischen Gemeinden "in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die öffentlichen Einrichtungen schaffen und erhalten, die nach den örtlichen Verhältnissen für das wirtschaftliche Wohl ihrer Einwohner erforderlich sind" (Art 57 Abs 1 Satz 1 bGO). In einer Fremdenverkehrsgemeinde, in der das wirtschaftliche Wohl der Einwohner vom Zustrom der Gäste abhängt, rechnet zu dieser Aufgabe eine Attraktion wie die König Ludwig-Feier, auf die nach der Bekundung des Ersten Bürgermeisters die Gäste in Prospekten besonders hingewiesen werden. Der Brauch ist demnach für die Gemeinde insgesamt bedeutsam (vgl dazu BSG, USK 1977, 77219), wohingegen das auf einzelne Bürger beschränkte Interesse für eine ehrenamtliche Tätigkeit iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO nicht genügen könnte (LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1969, 390; Bayer. LSG, Breithaupt 1956, 127; 1978, 733). Die hierzu zitierten und die im folgenden ausgewerteten Vorschriften des Landesrechtes sind ergänzend bei der Auslegung und Anwendung der bundesrechtlichen Bestimmung des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, weil das LSG dies unterlassen hat (zB BSG SozR § 657 Nr 4).

Die Gemeinde konnte allerdings im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts (Art 11 Abs 2 BV, Art 1, 6 und 7 bGO) frei darüber befinden, ob sie eine Veranstaltung wie die König Ludwig-Feier als ihre eigene besorgen will (Püttner, aaO, Band 3, 3 f und 5; Scholler/Broß, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl 1979, 42). Sie hat sich dafür entschieden, und damit ist dies zu einer -"amtlichen"kommunalen Angelegenheit geworden, für die der Kläger sich betätigt hat. Angesichts des alten Brauchtums war es nicht notwendig, daß der Gemeinderat sie durch förmlichen Beschluß - etwa sogar alljährlich - zu einer öffentlichen Aufgabe der Gemeinde erklärte. Auch brauchte der Erste Bürgermeister, der für die laufenden Angelegenheiten zuständig ist (Art 37 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bGO), nicht selbst oder durch Bedienstete die Veranstaltung eingehend organisatorisch zu leiten und die einzelnen ehrenamtlich zu beteiligenden Bürger zu beauftragen und anzuweisen.

Die Gemeinde ist, wie das LSG auf Grund der Äußerung des Ersten Bürgermeisters festgestellt hat, an der Fortführung der König-Ludwig-Feier interessiert; das ist aus den dargelegten Gründen auch selbstverständlich.

Die Gemeinde läßt das Feuer auf ihrem Grundstück abbrennen und betreibt die Veranstaltung auf eigene Rechnung. Sie trägt die gesamten Kosten. Sie gewährt für die Veranstaltung nicht nur einen Zuschuß, wie dies sonst bei der Förderung von Vereinen und anderen Zusammenschlüssen, zB zur Pflege von Musik, auch in der Öffentlichkeit, geschieht. Allerdings braucht das Feuerholz nur teilweise aus dem Gemeindewald geliefert zu werden. Das übrige benötigte Material - Petroleum, Benzin, Draht, Nägel, Fackeln und Leuchtkugeln - wird nach den Auskünften des Ersten Bürgermeisters und der Verwaltung, auf die das LSG Bezug genommen hat, aus der Haushaltsstelle "Fremdenverkehr, sonstige Förderung von Wirtschaft und Verkehr, Veranstaltungen" bezahlt, und zwar teilweise in Natur geliefert, im übrigen durch Erstattung der Auslagen. Das Essen, bei dem der Erste Bürgermeister den Feuermachern jedesmal zu danken pflegt, wird aus einem entsprechenden Haushaltstitel bestritten. Der Gemeinderat billigt diese vom Ersten Bürgermeister veranlaßten Ausgaben, indem er entsprechende Mittel im Rahmen seiner selbständigen Haushaltswirtschaft bewilligt (Art 22 Abs 2, Art 63, 64 bGO). Das Interesse der kommunalen Körperschaft an der König Ludwig-Feier als öffentlicher Veranstaltung kommt auch darin zum Ausdruck, daß nach dem Unfall des Klägers - vorsorglich - eine private Unfallversicherung für die Teilnehmer abgeschlossen wurde. Schließlich würde, wie der Erste Bürgermeister erklärt hat, die Gemeindeverwaltung durch ihn die Bürger ermuntern, die Feier wieder zu begehen, falls diese Tradition abgebrochen würde. So bemühte er sich 1977, als das Feuer infolge eines allgemein in der Bevölkerung herrschenden Streites ausfiel, um die Fortsetzung, allerdings in jenem Jahr erfolglos angesichts der Zerstrittenheit. Daß die Verwaltung damals nicht von sich aus - ausnahmsweise - die Veranstaltung betrieb, läßt nicht darauf schließen, sie sei auch sonst nicht iS des § 539 Abs 1 Nr 13 iVm § 657 Abs 1 Nr 1 RVO zuständig. Ohne die ehrenamtliche Mitwirkung der Bürger könnte die Gemeinde die Feier nicht durchführen. Wenn 1976 eine Besprechung zwischen Sprechern der beteiligten Bürger und der Forstverwaltung wegen der Waldbrandgefahr im Rathaus stattfand, so bekräftigt dies den kommunalen Charakter der Veranstaltung. Demnach nimmt die körperschaftlich organisierte Bürgerschaft durch ihre gesetzlichen Organe die "ehrenamtlichen" Dienste einzelner Bürger an und läßt auf diese Weise eine eigene - gemeinsame - Angelegenheit, die Pflege eines Brauchtums, durch die mitwirkenden Einwohner gestalten.

Im übrigen braucht sich die Gemeindeverwaltung nicht in die Organisation der König Ludwig-Feier "einzumischen"; sie braucht nicht die erforderlichen Bürger zur Mitwirkung aufzufordern und braucht nicht deren Tätigkeiten genau zu steuern und zu kontrollieren, wie das an sich bei einer öffentlichen Veranstaltung der Gemeinde erforderlich wäre (Püttner, aaO, Band 3, 435, 439; von Münch, aaO, 8).

Wie der Kläger nach dem in Bezug genommenen Protokoll, vom Ersten Bürgermeister bestätigt, berichtet hat, klappt die Organisation "von der Tradition her" ohne derartige Weisung und Aufsicht. In einem solchen Fall ist die amtliche Leitung, die die Verwaltung zudem überfordern würde, überflüssig. Die reibungslose, von Bürgern freiwillig getragene Organisation ist ein Idealfall der Gemeinde-Demokratie (vgl dazu Gönnenwein aaO, 39; Mayer in: Mang/ Mayer/Obermeyer, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 4. Aufl 1975, 98; Scheuner in: Püttner, aaO, Band 1, 2. Aufl 1981, 7, 17). In rechtlicher Hinsicht ist das tatsächliche Fehlen einer verantwortlichen Mitwirkung von Gemeindebediensteten einerseits und das selbständige Handeln der Einwohner andererseits nicht als Zeichen für eine private Veranstaltung zu werten; bei diesem alten, in langer Übung gepflegten Brauch ist ein ordnungsmäßiger Ablauf gewährleistet. Die Gemeindeverwaltung wird auch den überschaubaren Kreis der Mitwirkenden aus der verhältnismäßig kleinen Gemeinde kennen. Sie kann sich schließlich aufgrund langer Erfahrung auf die Feuermacher insoweit verlassen, daß keine Ausschreitungen oder sonstigen Fehlhandlungen auftreten, die die Körperschaft zu verantworten hätte, wenn ihr die Veranstaltung iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO zuzurechnen ist.

Wenn der Kläger als Motiv seiner Mitwirkung angegeben hat, der Brauch gefalle ihm und solle erhalten bleiben, so ist dies die Grundlage seiner freiwilligen Mitarbeit, aber nicht ein Merkmal für eine rein private, von ihm und anderen Bürgern getragene Veranstaltung. Er hat nach seiner Bekundung gemeint, das Abbrennen des König Ludwig-Feuers entspreche dem mutmaßlichen Willen der kommunalen Körperschaft, und hat sich als Beauftragter angesehen, der ehrenamtlich für die Gemeinde tätig wurde. Das genügte unter den besonderen, bereits erörterten Umständen dieses Falles, um eine öffentliche Angelegenheit, die der Gemeinde zuzurechnen ist, annehmen zu können; das Verhalten der Gemeindeverwaltung entsprach dem. Allerdings könnten Einwohner, zB als Mitglieder eines Vereins oder als Anhänger einer Bürgerinitiative, von sich aus nicht beliebig das, was sie als dem allgemeinen Wohl dienend ansehen, der körperschaftlich organisierten Allgemeinheit als deren - neue - Veranstaltung aufzwingen, also von sich aus allein bestimmen, daß sie "für" die Gemeinde ehrenamtlich tätig werden. Ob zB eine Musikkapelle oder ein Chor bei einer einzelnen Veranstaltung der Gemeinde iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO dient (vgl dazu LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1964, 101), muß die Gemeindeverwaltung von Fall zu Fall selbst entscheiden. Diese Zurechnung folgt nicht zwingend allein daraus, daß Tätigkeiten von solchen Vereinigungen als "Einrichtungen der örtlichen Kultur" angesehen werden können (vgl dazu Zuhorn in: Peters, aaO, 2. Band 1957, 165, 168, 169, 170 ff).

In eine solche ehrenamtliche Funktion muß ein Bürger von der Körperschaft, für die er tätig werden soll, grundsätzlich berufen werden. Auch insoweit waren die Voraussetzungen für eine nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO geschützte Tätigkeit gegeben. Jeder Einwohner, der mitwirken will, wächst in eine vorgegebene, seit alters festgefügte Organisation hinein, die für die ganze Gemeinde entstanden ist. Die Gemeindeverwaltung beauftragt stillschweigend durch die laufende Förderung der Feier jeden einzelnen, der derart mitarbeitet; jeder einzelne wird, entsprechend ihrem mutmaßlichen Willen, für die Gemeinde tätig. Das ist im öffentlichen Recht unter derartigen überschaubaren und überlieferten Umständen ebenso möglich wie allgemein bei einem privatrechtlichen Auftrag zur Besorgung eines "Geschäfts" des Auftraggebers (Staudinger/ Wittmann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl 1980, Vorbemerkung zu §§ 662 bis 676, RdNrn 21 und 27 mN; zur Geschäftsführung ohne Auftrag: BGHZ 33, 251, 254 ff; allgemein zum Auftragsverhältnis bei ehrenamtlicher Tätigkeit: Kriebel, DÖV 1962, 766). Die Mitwirkenden brauchen nicht in individuellen Rechtsverhältnissen zur Gemeinde wie bei einem Arbeits- oder Dienstverhältnis (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) angestellt und dementsprechend der Weisungsbefugnis der Gemeindeverwaltung (vgl zB BSG SozR 2200 § 539 Nr 68) unterstellt zu werden (vgl dazu BSGE 39, 29 f). Schon gar nicht ist eine förmliche Bestellung oder Wahl wie beim Ausüben eines Ehrenamtes oder bei einem Ehrenbeamten notwendig.

Nach alledem ist die Verurteilung des Beklagten im Ergebnis berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 569

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge