Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiwillige Krankenversicherung. einkommensloser Versicherter Beitragsberechnung. Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht

 

Orientierungssatz

Bei freiwillig Versicherten ist für die Beitragsbemessung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten insgesamt zu berücksichtigen, wozu bei Ehepaaren auch das Einkommen des Ehegatten gehört. Dies verstößt nicht gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art. 2 § 4; RVO § 180; SGB V § 240 Abs. 1 S. 2; EWGRL 7/79 Art. 4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 16.01.1992; Aktenzeichen L 1 Kr 1195/89)

SG Wiesbaden (Urteil vom 29.08.1989; Aktenzeichen S 2 Kr 20/88)

 

Tatbestand

Streitig ist, in welcher Höhe die Beklagte von der Klägerin Beiträge zur Krankenversicherung verlangen darf.

Die Klägerin war seit 1983 zunächst bis zum 10. Oktober 1984 und, nachdem zwischenzeitlich Versicherungspflicht bestanden hatte, wieder seit dem 14. Mai 1986 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Diese hatte den Beitrag der Klägerin nach einer Änderung ihrer Versicherungsbedingungen (VB), die Teil ihrer Satzung waren, zum 1. Januar 1983 von bisher monatlich 46,00 DM auf monatlich 219,00 DM erhöht. Im anschließenden Gerichtsverfahren schlossen die Beteiligten vor dem Landessozialgericht (LSG) 1985 einen Vergleich, der lautete: “Die Beklagte erteilt der Klägerin für die hier streitbefangene Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 10. Oktober 1984 hinsichtlich des zu entrichtenden Beitrags aus der freiwilligen Versicherung nach entsprechender Änderung ihrer Satzung unter Beachtung der tragenden Gründe des Beschlusses des Großen Senats des BSG vom 24. Juni 1985 einen neuen rechtsbehelfsfähigen Bescheid.” Nachdem die Beklagte ihre VB geändert hatte, stufte sie die Klägerin in die Versicherungsklasse 451 ein (monatlicher Beitrag vom 1. Januar 1983 bis zum 31. Dezember 1983 185,00 DM und vom 1. Januar 1984 bis 10. Oktober 1984 180,00 DM; Bescheid vom 12. Juni 1987). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1987).

Die Klägerin war seit dem 11. Oktober 1984 versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog sie bis zum 13. Mai 1986 Arbeitslosengeld, was ebenfalls zur Versicherungspflicht führte. Am 14. Mai 1986 nahm sie eine wegen Geringfügigkeit versicherungsfreie Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von wöchentlich sieben bis acht Stunden und einem Bruttoarbeitsentgelt von monatlich 350,00 bis 400,00 DM auf. Die Klägerin teilte dies der Beklagten unter dem 3. Juni 1986 mit und beantragte die freiwillige Mitgliedschaft. Die Beklagte stufte die Klägerin in Versicherungsklasse 461 ein (monatlicher Beitrag 226,00 DM, Bescheid vom 23. Juni 1986). Sie berücksichtigte für die Einstufung die monatlichen Gesamtbezüge der Klägerin von 350,00 DM und das geschätzte Bruttoeinkommen des Ehemannes von 4.200,00 DM. Mit weiterem Bescheid vom 10. Juli 1986 teilte die Beklagte mit, daß es bei dieser Beitragseinstufung bleibe, da die Klägerin keine Angaben über das aktuelle Gesamtfamilieneinkommen gemacht habe. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, daß die Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehemannes wegen ihrer eigenen Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung nicht zulässig sei. Während des Widerspruchsverfahrens stufte die Beklagte die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1987 in die Klasse 471 ein (Monatsbeitrag 261,00 DM; Bescheid vom 29. Dezember 1986). Nachdem die Klägerin Gehaltsnachweise ihres Ehemannes vorgelegt hatte, hob die Beklagte den Bescheid vom 29. Dezember 1986 auf und stufte die Klägerin in die Versicherungsklasse 461 ein (Monatsbeitrag 226,00 DM; Bescheid vom 18. Februar 1987). Den weitergehenden Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 9. März 1987).

Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 12. Juni 1987 und den Bescheid vom 23. Juni 1986 Klagen erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die verbundenen Klagen abgewiesen (Urteil vom 29. August 1989).

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16. Januar 1992). Die Neuberechnung der Beiträge seit dem 1. Januar 1983 sei wegen der Neufassung der VB nach § 48 Abs 1 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren (SGB X) zulässig gewesen. Nach der maßgeblichen Fassung der VB setzten sich die Gesamtbezüge der nichterwerbstätigen Mitglieder, deren Ehegatten nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehörten, aus den eigenen regelmäßigen monatlichen Gesamtbezügen und dem nachzuweisenden Bruttoeinkommen des Ehegatten zusammen. Für die Einstufung in die Versicherungsklassen 401 ff werde die Hälfte dieses Betrages, höchstens bis zur halben Beitragsbemessungsgrenze, berücksichtigt. Geringfügige Beschäftigungen bewirkten keine Änderung der Personenkreiszugehörigkeit.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt, daß die VB der Beklagten gegen höherrangiges Recht verstießen. Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Aufbauverordnung sei keine Ermächtigungsgrundlage für die VB. § 180 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe keine Rechtsgrundlage dafür geboten, das Bruttoeinkommen des Ehemannes bei der Festsetzung der Beiträge für ein freiwillig versichertes Mitglied mitzuberücksichtigen. Die Regelung verstoße auch gegen Art 6 des Grundgesetzes (GG). Sie, die Klägerin, würde einen niedrigeren Beitrag zahlen, wenn sie allein leben und einen eigenen Haushalt führen würde. Als getrennt lebende oder geschiedene Frau hätte sie höchstens einen Anspruch in Höhe von 2/5 des Nettoeinkommens gegen ihren Ehemann. Außerdem müßte sich die getrennt lebende Ehefrau das eigene Arbeitseinkommen auf den Unterhaltsanspruch anrechnen lassen. Art 3 GG werde dadurch verletzt, daß die Beklagte zwischen versicherungspflichtigen Mitgliedern und geringfügig Beschäftigten unterscheide. Bei versicherungspflichtigen Mitgliedern werde nur das eigene Arbeitseinkommen berücksichtigt. Auch dürfe der Ehemann nicht gezwungen werden, sein Bruttoeinkommen zu offenbaren. Die VB seien auch mit europäischem Recht unvereinbar, soweit sie auf geringfügig Beschäftigte zugeschnitten seien. Es liege eine mittelbare Diskriminierung nach dem Geschlecht vor, weil geringfügige Teilzeitarbeit nach wie vor Frauenarbeit sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 16. Januar 1992 und das Urteil des SG vom 29. August 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 1986 mit den Folgebescheiden vom 10. Juli 1986 und vom 18. Februar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1987 und dem Bescheid vom 12. Juni 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1987 insoweit aufzuheben, als eine höhere Beitragseinstufung als in der Beitragsklasse 401 vorgenommen worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil für zutreffend.

Den Beteiligten ist eine Abschrift des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C 317/93 (= NJW 1996, 445) übersandt worden. In der mündlichen Verhandlung ist außerdem auf das Urteil des EuGH vom selben Tage (NJW 1996, 446) hingewiesen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Die Beklagte hat in diesen Bescheiden die Beiträge der Klägerin so festgesetzt, wie das ihre VB, die Teil ihrer Satzung waren, vorsahen. Die VB Abschnitt D Unterabschnitt – Beiträge und Einstufung der Nichtversicherungspflichtigen – Nr 6 und Nr 9 in der seit 1. Juli 1985 geltenden Fassung lauteten:

“6. Bei nichterwerbstätigen Mitgliedern, deren Ehegatte nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehört, setzen sich die Gesamtbezüge aus den eigenen regelmäßigen monatlichen Gesamtbezügen und dem nachzuweisenden Bruttoeinkommen des Ehegatten zusammen. Für die Einstufung in die Versicherungsklassen 401 ff wird die Hälfte dieses Betrages berücksichtigt, höchstens bis zur halben Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gilt nicht, wenn die eigenen regelmäßigen monatlichen Gesamtbezüge des Mitgliedes die halbe Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung überschreiten oder über dem Bruttoeinkommen des Ehegatten liegen.

Soweit andere Unterhaltsberechtigte vorhanden sind, gilt Absatz 1 Satz 1 mit der Maßgabe, daß dieser Betrag um ein Sechstel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV, auf volle 10,00 DM aufgerundet, für jeden Unterhaltsberechtigten gekürzt wird. Absatz 1 Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

Mitglieder der Versicherungsklassen 401 ff/801 ff haben auf Verlangen der Kasse die regelmäßigen monatlichen Gesamtbezüge nachzuweisen. Sofern und solange der Nachweis nicht erbracht ist, hat die Kasse das Recht, solche Mitglieder in die jeweils höchste Versicherungsklasse einzustufen.

9. Versicherungsfreie geringfügige Beschäftigungen/geringfügige selbständige Tätigkeiten begründen keine Änderung der Personenkreiszugehörigkeit.”

Die tatsächliche Einstufung in die Versicherungsklassen in den angefochtenen Bescheiden entspricht den VB. Für die Zeit von Januar 1983 bis Oktober 1984 und seit dem 1. Januar 1987 hat die Beklagte die eigenen Einkünfte der Klägerin und die Einkünfte ihres Ehemannes addiert, von der Summe einen Freibetrag für ein unterhaltsberechtigtes Kind (Januar 1983 bis Oktober 1984) bzw Freibeträge für zwei unterhaltsberechtigte Kinder (ab Mai 1986) abgezogen und die Hälfte dieses Betrages als beitragspflichtige Einnahmen berücksichtigt. Die Einstufung in die Versicherungsklasse 461 durch die Bescheide vom 23. Juni und 10. Juli 1986 für die Zeit vom 14. Mai 1986 bis 31. Dezember 1986 beschwert die Klägerin jedenfalls nicht. Für diese Zeit hatte die Klägerin die monatlichen Gesamtbezüge nicht nachgewiesen. Die Beklagte wäre nach Nr 6 Abs 3 der VB sogar berechtigt gewesen, die Klägerin in die höchste Versicherungsklasse einzustufen.

Die Beklagte war auch berechtigt, die VB in der seit dem 1. Juli 1985 geltenden Fassung für die Beitragsfestsetzung von Januar 1983 bis Oktober 1984 zugrunde zu legen. Die maßgebliche Änderung der VB zum 1. Juli 1985 bestand darin, daß die aus den eigenen Einkünften der Klägerin und dem Bruttoeinkommen ihres Ehegatten berechneten Gesamtbezüge um Beträge in Höhe von einem Sechstel der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV für jede unterhaltsberechtigte Person zu vermindern sind. Die Beklagte hat mit dieser Änderung der VB die Grundsätze beachtet, die der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Beschluß vom 24. Juni 1985 (BSGE 58, 183 = SozR 2200 § 180 Nr 27) für die Beitragserhebung von den freiwilligen Mitgliedern der Allgemeinen Ortskrankenkassen, der Betriebs- und Innungskrankenkassen (Pflicht- oder RVO-Kassen) nach § 180 Abs 4 RVO aufgestellt hat. Die Beitragsfestsetzung aufgrund der so geänderten VB entspricht dem im Vorprozeß vor dem LSG abgeschlossenen Vergleich. Dieser sah vor, daß die Beklagte der Klägerin nach Satzungsänderung unter Beachtung des oa Beschlusses des Großen Senats des BSG vom 24. Juni 1985 (BSGE 58, 183 = SozR 2200 § 180 Nr 27) einen neuen rechtsbehelfsfähigen Beitragsbescheid erteilte.

Die VB der Beklagten, die insoweit unverändert auch für die Versicherungsklasseneinstufung seit dem 14. Mai 1986 maßgebend waren, hielten sich im Rahmen der maßgebenden Ermächtigungsgrundlage und verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Grundlage der VB für freiwillige Weiterversicherte der Beklagten war Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Aufbauverordnung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I S 1537). Danach galten für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Vorschriften der Satzung. Die Beklagte hat sich im Rahmen dieser Ermächtigung gehalten, wenn sie bei freiwilligen Mitgliedern sowohl deren eigenes Erwerbseinkommen als auch das Bruttoeinkommen des Ehegatten für die Einstufung in die Beitragsklassen berücksichtigte. Die Ersatzkassen waren aufgrund dieser Vorschrift in der bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) geltenden Fassung in der Beitragsgestaltung für die freiwilligen Mitglieder freier gestellt als die sog RVO-Kassen. Die Befugnis der Krankenkassen, bei freiwillig Versicherten beide Einkommensarten zu berücksichtigen, hat der Senat aber auch für die sog RVO-Kassen bejaht (vgl BSG SozR 3-2200 § 180 Nr 3). Die Beklagte war auch befugt, bei fehlendem Nachweis der Gesamtbezüge eine Einstufung in die höchste Versicherungsklasse vorzunehmen (vgl Urteil vom 21. Juni 1990, SozR 3-5428 § 4 Nr 1). Die Klägerin räumt selbst ein, daß der hier zu entscheidende Fall dem mit Urteil vom 21. Juni 1990 entschiedenen vergleichbar ist. Durch die Satzungsregelung wird auch weder Art 3 GG verletzt noch die durch Art 6 GG geschützte Ehe und Familie verfassungswidrig benachteiligt. Dies gilt auch, soweit bei Ehepaaren nicht auf einen hypothetischen Unterhaltsanspruch, sondern das gemeinsame Bruttoeinkommen abgestellt wird. Der Senat hat schon in mehreren Entscheidungen die VB der Beklagten und vergleichbaren Satzungsregelungen insoweit für rechtmäßig befunden (vgl BSG SozR 3-5428 § 4 Nr 1, SozR 3-2500 § 240 Nrn 1 und 15; BSG SozR 3-2200 § 180 Nr 3). Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht darauf hin, daß die Beitragsbelastung der Versicherten je nach Status des Versicherten – pflichtversichert oder freiwillig versichert – und Familienstand unterschiedlich ist, auch wenn im Einzelfall die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vergleichbar erscheinen mag. Dies ist aber Folge der unterschiedlichen Prinzipien der Beitragsbemessung bei Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten. Bei Pflichtversicherten ist Bemessungsgrundlage in der Regel das (Brutto)Arbeitsentgelt, daneben Entgeltersatzleistungen sowie Erwerbseinkommen (vgl § 226 SGB V; früher: § 180 Abs 6 RVO). Der Gesetzgeber geht zulässigerweise davon aus, daß diese Einkünfte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der als Arbeitnehmer Pflichtversicherten typischerweise wesentlich bestimmen, auch wenn dies im Einzelfall nicht zutrifft, sondern gemessen an den gesamten wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherten – ggf mit Berücksichtigung von Familieneinkünften – eine höhere Beitragsbelastung angemessen erscheinen könnte. Bei freiwillig Versicherten ist für die Beitragsbemessung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten insgesamt zu berücksichtigen, wozu bei Ehepaaren auch das Einkommen des Ehegatten gehört. Die unterschiedlichen Prinzipien der Beitragsbemessung können dazu führen, daß ein bisher einkommensloser freiwillig Versicherter, der wegen des hohen Einkommens seines Ehegatten selbst hohe Beiträge zu zahlen hat, durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie insgesamt erhöht und gleichzeitig nur noch nach seinem Arbeitsentgelt bemessene niedrigere Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung zu entrichten braucht. Dieses ist aber notwendige Folge davon, daß die Arbeitnehmer, soweit sie nicht geringfügig beschäftigt oder wegen der Höhe des Arbeitsentgelts versicherungsfrei sind, grundsätzlich versicherungspflichtig sind und zwar unabhängig von der individuellen Schutzbedürftigkeit. Damit werden Arbeitnehmer begünstigt, die neben dem Arbeitsentgelt noch andere nicht beitragspflichtige Einkünfte haben oder deren nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherter Ehegatte über eigene höhere Einkünfte verfügt. Darin liegt aber kein Grund dafür, bei freiwillig Versicherten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht auch unter Berücksichtigung der Einkünfte des Ehegatten zu beurteilen.

Die ungleiche Beitragsbelastung von einkommenslosen Mitgliedern bzw Versicherten abhängig davon, ob der Ehegatte selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist – dann beitragslose Familienhilfe nach § 205 RVO (seit 1. Januar 1989: beitragslose Versicherung nach § 10 SGB V) – oder nicht – dann Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes nur durch Beitragszahlung – ist Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, über die Familienhilfe (§ 205 RVO; seit 1. Januar 1989: Familienversicherung nach § 10 SGB V) die Familien der Mitglieder in den Krankenversicherungsschutz einzubeziehen. Die Familienhilfe nach § 205 RVO bietet dem Mitglied für den Fall, daß bei seinem Ehegatten wegen zu geringen (Gesamt)Einkommens ein vermuteter Unterhaltsbedarf besteht, eine Entlastung von Aufwendungen für den Krankenversicherungsschutz. Es besteht kein sachlicher Grund, dem einkommenslosen Ehegatten eines nicht gesetzlich Krankenversicherten einen vergleichbaren kostenfreien oder auch nur besonders kostengünstigen Krankenversicherungsschutz zu gewähren, denn dieser beteiligt sich nicht mit Beiträgen, die seinem Arbeitsentgelt entsprechen, an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Schließlich ist auch kein Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu erkennen, soweit die Klägerin gehalten ist, auch das Bruttoeinkommen ihres Ehemannes für die Beitragsklasseneinstufung nachzuweisen. Auch dies hat der Senat bereits entschieden (vgl BSG SozR 3-5428 § 4 Nr 1). Die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫ vom 19. April 1994 – 1 BvR 1467/90).

Die gesetzlichen Vorschriften, die wegen der nur geringfügigen Beschäftigung der Klägerin keine Versicherungspflicht begründeten, und die VB der Beklagten verstoßen auch nicht gegen europäisches Recht. Soweit die Klägerin geltend macht, die VB seien mit Art 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl II S 766 – EWGVtr) unvereinbar, ist darauf hinzuweisen, daß dieser Artikel lediglich die Lohngleichheit vorschreibt und nicht für Regelungen der sozialen Sicherheit gilt. Es liegt auch kein Verstoß gegen die hier einschlägige Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der Sozialen Sicherheit vom 19. Dezember 1978 (Amtsbl Nr L 6/24) vor. Der maßgebende Art 4 dieser Richtlinie sieht vor, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung den “Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (beinhaltet), insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im besonderen betreffend:

  • den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
  • die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,
  • die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Leistungen.

Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts, das in diesem Artikel der Richtlinie 79/7/EWG ausdrücklich bestätigt wird, sieht die Klägerin dadurch verletzt, daß die von ihr ausgeübte geringfügige Beschäftigung nicht zur Versicherungspflicht geführt habe. Der EuGH hat dazu jedoch in zwei Urteilen vom 14. Dezember 1995 (Rechtssachen C-317/93 und C-444/93 = NJW 1996, 445 und 446) entschieden, daß die deutschen Vorschriften über die Versicherungs- bzw Beitragsfreiheit in der Kranken-, Renten und Arbeitslosenversicherung bei geringfügigen Beschäftigungen durch hinreichende sozialpolitische Ziele des Gesetzgebers gerechtfertigt sind und nicht gegen das Verbot mittelbarer Diskriminierung wegen des Geschlechts in Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG verstoßen, auch wenn erheblich mehr Frauen als Männer geringfügig beschäftigt sind. Die in der Rechtsprechung geäußerten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit bei geringfügigen Beschäftigungen (vgl zB Urteil des BSG vom 15. November 1995 – 7 RAr 106/94 – allerdings nur zur Beitragsfreiheit nach § 169a des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫) sind damit jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang gegenstandslos.

Ein Verstoß gegen Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG besteht auch aus anderen Gründen nicht. Der Senat unterstellt hierbei zugunsten der Klägerin, daß sie jedenfalls für die Zeit ab 14. Mai 1986 – nach Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld – Arbeitslosenhilfe (Alhi) nur wegen der anzurechnenden Bezüge ihres Ehemannes nicht erhalten hat und weiterhin als arbeitssuchend beim Arbeitsamt gemeldet war. Der Senat geht weiter davon aus, daß Alhi-Ansprüche wegen anzurechnenden Einkommens des Ehegatten häufiger bei Frauen als bei Männern entfallen. Eine mittelbare Diskriminierung hinsichtlich des Endes des Anspruchs auf Alhi iS des Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG liegt darin jedoch nicht, denn die Einstellung der Leistung wegen anzurechnender Unterhaltsansprüche ist durch hinreichende sozialpolitische Ziele gerechtfertigt. Der EuGH hat das für eine vergleichbare Regelung des belgischen Rechts bereits bestätigt (Rechtssache C-229/89, Urteil vom 7. Mai 1991, EuGHE 1991 I, 2205 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 3). Der Senat hat keine Bedenken, daß die Berechtigung, die Sozialleistung wegen anderweitiger Unterhaltsansprüche einzustellen, auch die Berechtigung umfaßt, einen im Rahmen der Sozialleistung gewährten Krankenversicherungsschutz zu beenden. Dieser ist an die Sozialleistung gebunden und besteht nicht unabhängig von ihr.

Durch die Art der Berechnung der Beiträge wird Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG ebenfalls nicht verletzt. Es entspricht der Beitragsgerechtigkeit, daß bei einkommenslosen Ehegatten, die freiwillig versichert sind, für die Beitragserhebung auch das Einkommen des nicht versicherten Ehegatten berücksichtigt wird. Eine Krankenversicherung, die sich in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Versicherten finanziert, muß diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt und dabei auch die Einkommenssituation des unterhaltsverpflichteten Ehegatten berücksichtigen.

Auch unter Beachtung der Entscheidungsgründe im Urteil des BVerfG vom 17. November 1992 (BVerfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3) ist keine andere Beurteilung der VB der Beklagten geboten. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, daß es verfassungsrechtlich zulässig ist, den Anspruch auf Alhi durch die Bedürftigkeit des Arbeitslosen zu begrenzen und die Bedürftigkeit auch unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten zu beurteilen. Der Anspruch auf Alhi kann bei fehlender Bedürftigkeit auch völlig entfallen. Das BVerfG hat jedoch § 138 Abs 1 Nr 2 und Abs 3 Nr 9 AFG wegen Verstoßes gegen Art 3 iVm Art 6 GG insoweit für verfassungswidrig erklärt, als nach dieser Vorschrift nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten durch eine zu weitgehende Einkommensanrechnung ungünstiger behandelt werden als getrennt lebende Ehegatten. Es hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß dann, wenn eine solche Anrechnung unter nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zum völligen Wegfall der Alhi führe, auch der gesetzliche Krankenversicherungsschutz entfalle. Wenn der Ehegatte nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehöre, habe der Arbeitslose nur die Möglichkeit der Weiterversicherung, für die aber Beiträge in beträchtlicher Höhe entrichtet werden müßten. Für diese nachteiligen Folgen der zu weitgehenden Einkommensanrechnung seien sachliche Gründe nicht ersichtlich. Sie benachteiligten daher in verfassungswidriger Weise nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten gegenüber den Vergleichsgruppen (vgl BVerfGE 87, 234, 262 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3 S 34/35).

Das Urteil des BVerfG ist nicht so zu verstehen, daß der Gesetzgeber im Rahmen einer zulässigen Einkommensanrechnung zwar berechtigt ist, die der Unterhaltssicherung dienende Hauptleistung – die Alhi – einzustellen, aber die Nebenleistung – die Krankenversicherung – kostenlos oder zu Mindestbeiträgen sicherstellen muß, wenn der unterhaltsverpflichtete Ehepartner nicht seinerseits in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist (möglicherweise aA Winkler Info also 1994 S 59, 66). Eine solche Ansicht hätte zur Folge, daß der Staat die nach § 188 AFG vom Bund, dh aus Steuermitteln finanzierte Lohnersatzleistung Alhi einstellen darf, wenn der Unterhalt des Anspruchsberechtigten anderweitig gesichert ist. Die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung müßten demgegenüber die Krankenversicherung beitragsfrei oder zu Mindestbeiträgen sichern. Vorschriften des Grundgesetzes, die eine solche Lastenverteilung gebieten, sind nicht zu erkennen. Dies hat der Senat im Urteil vom 26. März 1995 (12 RK 5/95, zur Veröffentlichung bestimmt) dargelegt.

Die Revision der Klägerin erwies sich danach als unbegründet. Sie war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

RegNr 22458, (BSG-Intern)

USK 9621, (Gründe)

Die Beiträge 1996, 435-443 (red. Leitsatz 1 und Gründe)

EzS, 55/193 (Gründe)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge