Beteiligte

gesetzlich vertreten durch …, Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Erstattung der Kosten für eine selbst beschaffte Krankenpflegeperson.

Die Klägerin ist seit dem 28. April 1977 bei der Beklagten pflichtversichert. Sie leidet an einer Gehirnerkrankung. Nach einer Bescheinigung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D… in M… vom 20. September 1977 war bei ihr nach der Art und Schwere der Erkrankung eine Krankenhauspflege erforderlich, die jedoch "durch Hauspflege eingespart" werden konnte. Eine in ihrem Haushalt lebende Person, die diese Pflege hätte ausführen können, stand nicht zur Verfügung. Auch konnte die Beklagte keine Krankenpflegefachkraft stellen. Der Pfleger der Klägerin beantragte deshalb am 25. September 1977 die Übernahme der Kosten für die von ihm beschaffte Pflegekraft, Frau M. Diese - eine ungelernte Kraft - war vom 26. September 1977 bis 28. Mai 1978 bei der Klägerin tätig. Sie verrichtete weder die Arbeiten einer Haushaltshilfe, noch wirkte sie als Gesellschafterin. Ihr oblagen vielmehr die Versorgung der Klägerin mit Tabletten und Tropfen, ihre Beruhigung und Aufheiterung sowie die Anleitung bei häuslichen Tätigkeiten und der Versuch, mit der Klägerin produktiv zu arbeiten, beispielsweise Bastel- und Handarbeiten zu verrichten, auch ihre Begleitung bei Arztbesuch, Spaziergängen und Einkäufen.

Mit Bescheid vom 17. Oktober 1977 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, weil Frau M. keine Krankenpflegeperson i.S. des § 185 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat eine Auskunft des Dr. D… eingeholt und die Beklagte für verpflichtet erklärt, der Klägerin die Aufwendungen für die selbst beschaffte Pflegeperson zu erstatten. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar könne der Ansicht der Beklagten, die Klägerin habe durch Frau M. keine Krankenpflege, sondern eine andersartige Betreuung erhalten, nicht gefolgt werden. Die von Frau M. verrichteten Tätigkeiten seien als echte Krankenpflegeleistungen zu betrachten; sie seien den Tätigkeiten des Pflegepersonals in psychiatrischen Krankenhäusern inhaltlich vergleichbar. Der Klägerin stehe jedoch keine Kostenerstattung zu, weil es sich bei Frau M. nicht um eine Krankenpflegeperson gehandelt habe. Unter einer solchen seien nur die in § 185 Abs. 1 Satz 1 RVO aufgezählten Fachkräfte zu verstehen.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 185 Abs. 3 RVO. Diese Vorschrift weise nicht darauf hin, daß die selbst beschaffte Krankenpflegeperson zum Kreis der hier genannten Fachkräfte gehören müsse. Zudem könne nach § 185 Abs. 2 RVO die häusliche Krankenpflege auch von einer im Haushalt des Kranken lebenden Person ausgeführt werden. Damit erkenne der Gesetzgeber an, daß häusliche Krankenpflege auch durch Nichtfachkräfte geleistet werden könne.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend, meint jedoch weiterhin, es habe sich bei der Betreuung der Klägerin durch Frau M. nicht um eine häusliche Krankenpflege gehandelt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet; das LSG hat das der Klage stattgebende Urteil des SG zu Unrecht aufgehoben.

Nach § 185 RVO in seiner durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl. I 1069) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 geschaffenen (Art 1 § 1 Nr. 11, Art 2 § 17 Abs. 1 KVKG) und deshalb hier in Betracht kommenden Fassung, die die Beklagte wörtlich in ihre Versicherungsbedingungen (VB) übernommen hat (§ 13 Nr. 2 Buchst d Abs. 3 VB), erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Pflege durch Krankenpfleger, Krankenschwestern, Krankenpflegehelfer, Krankenpflegehelferinnen oder Kinderkrankenschwestern, wenn Krankenpflege geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wem Krankenhauspflege dadurch nicht erforderlich wird (Abs. 1). Diese "häusliche Krankenpflege" wird nur insoweit gewährt, als eine im Haushalt lebende Person sie nicht durchführen kam (Abs. 2). Kann ein Krankenpfleger, eine Krankenschwester, ein Krankenpflegehelfer, eine Krankenpflegehelferin oder eine Kinderkrankenschwester nicht gestellt werden oder besteht Grund, von einer Gestellung abzusehen, so sind die Kosten für eine selbst beschaffte "Krankenpflegeperson" in angemessener Höhe zu erstatten (Abs. 3). Die häusliche Krankenpflege ist mithin eine Pflichtleistung, die die Krankenkasse dem Versicherten als Sachleistung zu erbringen hat. Das entspricht dem System der gesetzlichen Krankenversicherung, das nicht vom Kostenerstattungs-, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt wird (vgl. u.a. BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 RVO Nr. 4; BSGE 44, 41, 42 = SozR 2200 § 508 RVO Nr. 2 sowie Urteile des Senats vom 19. Dezember. 1978 3 RK 34/78 - KVRS 2020/4, vom 24. April 1979 - 3 RK 32/78 SozR 2200 § 184 RVO Nr. 13 und vom 11. Oktober 1979 - 3 RK 72/78). Der Versicherte muß deshalb, falls er beabsichtigt, häusliche Krankenpflege in Anspruch zu nehmen, zunächst einen Antrag auf Gewährung dieser Sachleistung an die Krankenkasse richten. Hat er das getan und sind die Voraussetzungen der Leistungsgewährung erfüllt, ist die Krankenkasse jedoch nicht in der Lage, ihm eine der genannten Fachkräfte zu stellen, oder besteht Grund, von der Gestellung einer solchen Fachkraft abzusehen, dann ist der Versicherte berechtigt, sich eine "Krankenpflegeperson" selbst zu beschaffen und von der Krankenkasse Erstattung der ihm dadurch erwachsenden Kosten zu fordern. Die Krankenkasse ist dann verpflichtet, ihm diese Kosten - in angemessener Höhe - zu erstatten; sein die häusliche Krankenpflege betreffender Sachleistungsanspruch wandelt sich damit in einen Kostenerstattungsanspruch um. Eine solche Umwandlung könnte auch dann erfolgen, wenn die Krankenkasse einen Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung "häusliche Krankenpflege" rechtswidrig abgelehnt hat und der Versicherte dadurch gezwungen gewesen ist, sich eine Krankenpflegeperson selbst zu beschaffen, oder schließlich, wenn ein Notfall vorliegt, der es dem Versicherten unmöglich macht, den mit der Antragstellung beginnenden regelmäßigen Beschaffungsweg zu beschreiten.

Ein solcher Fall der Umwandlung des Sachleistungsanspruchs auf Gewährung häuslicher Krankenpflege in einen Kostenerstattungsanspruch liegt hier vor. Die Voraussetzungen für die Gewährung häuslicher Krankenpflege waren gegeben; denn die bei der Klägerin nach der Art und Schwere ihrer Gehirnerkrankung gebotene Krankenhauspflege wurde bei Gewährung häuslicher Krankenpflege nicht erforderlich, im Haushalt der Klägerin lebte aber niemand, der ihre häusliche Krankenpflege hätte durchführen können. Die Beklagte andererseits war nicht in der Lage, der Klägerin eine der in § 185 Abs. 1 und 3 RVO genannten Krankenpflegefachkräfte, also einen Krankenpfleger, eine Krankenschwester, einen Krankenpflegehelfer oder eine Krankenpflegehelferin (eine Kinderkrankenschwester kam ohnehin nicht in Betracht) zu stellen. Insoweit werden von der Beklagten auch keine Revisionsrügen vorgebracht. Die Klägerin war mithin berechtigt, sich eine Krankenpflegeperson selbst zu beschaffen. Auch das bestreitet die Beklagte nicht.

Entgegen der Auffassung des LSG kommen aber als vom Versicherten selbst zu beschaffende "Krankenpflegepersonen" i.S. des § 185 Abs. 3 RVO nicht nur die in dieser Vorschrift genannten Krankenpflegefachkräfte in Betracht. Das läßt sich auch dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen; denn der Absatz 3 des § 185 spricht im Zusammenhang mit der Kostenerstattung lediglich von einer selbst beschafften "Krankenpflegeperson", nicht dagegen von den sowohl in diesem als auch im ersten Absatz der Vorschrift aufgezählten Fachkräften. Auch der zweite Absatz des § 185 RVO erwähnt diese Fachkräfte nicht. Er ordnet aber an, daß häusliche Krankenpflege nur insoweit gewährt wird, "als eine im Haushalt lebende Person die häusliche Krankenpflege nicht durchführen kann". Daraus muß entnommen werden, daß eine im Haushalt lebende Person für die Durchführung der häuslichen Krankenpflege auch dann in Betracht kommen kann, wenn sie nicht dem genannten Kreis von Krankenpflegefachkräften angehört; denn in aller Regel werden die im Haushalt eines Versicherten lebenden Personen nicht zu diesem Kreis von Fachkräften gehören. Kann aber die häusliche Krankenpflege in diesem Fall auch von einer Nichtfachkraft durchgeführt werden, so ist nicht ersichtlich, weshalb das nicht auch dann möglich sein sollte, wenn die für die Durchführung der häuslichen Krankenpflege in Betracht kommende Person nicht schon im Haushalt des Versicherten lebt, sondern von ihm wegen einer Erkrankung erst beschafft werden muß. Zudem ist nach § 185 Abs. 3 RVO (Erste Alternative) Voraussetzung für die Berechtigung des Versicherten, sich eine "Krankenpflegeperson" selbst zu beschaffen und Erstattung der damit zusammenhängenden Kosten zu fordern, daß ihm die Krankenkasse keine Krankenpflegefachkraft stellen kann. Kann aber schon die Krankenkasse keine derartige Fachkraft stellen, so wird es dem Versicherten in den meisten Fällen erst recht nicht gelingen, sich eine solche zu beschaffen. Wäre es ihm nicht gestattet, sich mit einer Nichtfachkraft zu begnügen, so wäre in derartigen Fällen die häusliche Krankenpflege nicht durchführbar, es müßte also die kostenmäßig aufwendigere Krankenhauspflege gewährt werden. Damit würde der Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung weitgehend verfehlt, denn es darf schließlich nicht übersehen werden, daß diese Regelung erst durch das KVKG, also durch ein Gesetz geschaffen worden ist, dessen Ziel es war, die Krankenversicherungskosten möglichst zu senken.

Ist der Versicherte mithin bei der Beschaffung einer Krankenpflegeperson entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf den Kreis der in § 185 Abs. 1 und 3 RVO genannten Krankenpflegefachkräfte beschränkt, so muß die von ihm selbst beschaffte Krankenpflegeperson aber doch für die Durchführung der häuslichen Krankenpflege geeignet sein; denn andernfalls kann sie diese Pflege nicht ordnungsmäßig verrichten. Die an ihre Eignung zu stellenden Anforderungen richten sich nach der Art und Schwere der Erkrankung der zu pflegenden Person. Sie können deshalb unterschiedlich hoch sein und in entsprechenden Fällen auch Kenntnisse und Fähigkeiten krankenpflegerischer Art voraussetzen, die nur durch eine der insoweit in Betracht kommenden Ausbildungen erworben werden können und in manchen Fällen sogar ausschließlich bei den in § 185 Abs. 1 und 3 RVO genannten Krankenpflegefachkräften vorhanden sein werden (vgl. hierzu Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl. § 185 RVO Anm. 8 Stand August 1978). Daß ein solcher derartige Kenntnisse und Fähigkeiten krankenpflegerischer Art erfordernder Fall bei der Klägerin vorgelegen haben könnte, ist weder ersichtlich noch wird es von der Beklagten behauptet. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D.… hat in seiner vom SG eingeholten Auskunft ausdrücklich erklärt, die von der Klägerin als Krankenpflegeperson selbst beschaffte Frau M. sei für die von ihr durchzuführenden pflegerischen Arbeiten völlig geeignet gewesen.

Der Auffassung der Beklagten schließlich, es habe sich bei der von Frau M. verrichteten Tätigkeit nicht um Krankenpflege, sondern um eine andersartige Betreuung der Klägerin gehandelt, kann nicht gefolgt werden. Das hat schon das LSG zutreffend ausgeführt. Die Beklagte übersieht, daß die häusliche Krankenpflege gleich der bis zum 30. Juni 1977 in § 185 RVO a.F. als Ermessensleistung normierten sog. "Hauspflege" keine besondere Art der Hilfeleistung ist, sondern lediglich eine in bestimmter Richtung ausgestaltete Krankenpflege darstellt (vgl. BSGE 30, 144, 145 = SozR § 185 RVO Nr. 1; BSGE 44, 139, 140 = SozR 2200 § 185 RVO Nr. 1). Sie erfolgt neben der ärztlichen Behandlung, die sie in derselben Weise ergänzen und sichern soll, wie das bei der Krankenhauspflege geschieht, an deren Stelle sie tritt. Es sind bei ihr mithin dieselben Pflegemaßnahmen durchzuführen, die sonst im Krankenhaus vorgenommen werden. Dazu gehören sowohl Hilfeleistungen medizinischer Art, wie beispielsweise die Verabreichung von Medikamenten, als auch die je nach Art und Schwere der Erkrankung im Einzelfall in unterschiedlicher Weise erforderlichen Maßnahmen der sog. Grundpflege, wie etwa Hilfeleistungen bei der Körperpflege (vgl. im einzelnen Heinze in RVO-Gesamtkommentar § 185 Anm. 6 Stand Juni 1979). In einem Krankheitsfall wie dem der Klägerin waren deshalb von der Krankenpflegeperson etwa dieselben Tätigkeiten zu verrichten, die das Pflegepersonal in psychiatrischen Krankenhäusern zu leisten hat. Daß das geschehen ist, ergibt sich aus den auf die Ausführungen Dr. D… gestützten Feststellungen des LSG. Wenn die Beklagte bei teilweise ungenauer bzw. falscher Wiedergabe der Ausführungen Dr. D… diese Tätigkeiten anders bewerten zu müssen glaubt und deshalb zu der Auffassung gelangt, bei der von Frau M. ausgeübten Tätigkeit habe es sich nicht um Krankenpflege, sondern um eine andersartige Betreuung der Klägerin gehandelt, so muß das auf die Entscheidung ohne Einfluß bleiben.

Nach alledem hat das SG der Klage zu Recht entsprochen. Auf die Revision der Klägerin ist deshalb das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten muß zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 73

Breith. 1981, 660

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