Entscheidungsstichwort (Thema)

Genehmigung zur Errichtung einer Betriebskrankenkasse

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.09.1991)

 

Tenor

Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1991 werden zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene haben als Gesamtschuldner die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren je zur Hälfte zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die im April 1988 von der Klägerin beantragte Genehmigung zur Errichtung einer Betriebskrankenkasse (BKK) für ihre Betriebsstätten in Bocholt und Hamminkeln lehnte das beklagte Landesversicherungsamt (VA) Nordrhein-Westfalen mit der Begründung ab, daß durch die Errichtung der BKK die Leistungsfähigkeit der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) gefährdet werde (Bescheid vom 7. November 1988; Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1988). Auf die hiergegen von der Klägerin erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Münster mit Urteil vom 10. Januar 1990 das beklagte VA verurteilt, die Errichtung der BKK zu genehmigen. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen wurden mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1991 zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, daß die Begründetheit der Verpflichtungsklage auf der Grundlage des ab 1. Januar 1989 geltenden Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) zu beurteilen sei und daß deshalb der voller gerichtlicher Nachprüfung unterliegende Begriff der „Gefährdung der Leistungsfähigkeit” in § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V unter Berücksichtigung der §§ 145, 221, 266 und 267 SGB V auszulegen sei. Dabei hat sich das LSG im wesentlichen auf die Gründe des Urteils des erkennenden Senats vom 17. Juli 1985 (BSGE 58, 254 f = SozR 2200 § 250 Nr 10, ferner das Urteil vom 17. April 1991 – 1 RR 2/89 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) gestützt und ausgeführt, es folge den dort aufgestellten Grundsätzen, an deren Maßgeblichkeit das SGB V – abgesehen von einer Neubewertung der Gefährdungsgrenze – nichts geändert habe. Insbesondere biete das neue Recht keinen Grund, nunmehr den „Bedarfssatz” durch den „Beitragssatz” als Bezugspunkt für die Leistungsgefährdung zu ersetzen, weil die maßgeblichen Vorschriften des neuen Rechts (§§ 145 Abs 1 Nr 1, 266 Abs 1 und 267 Abs 1 SGB V) sämtlich auf den Bedarfssatz abstellten, während die von dem Beklagten herangezogenen Vorschriften – § 145 Abs 1 Nr 2 und § 221 Abs 1 SGB V – in bezug auf den Gefährdungstatbestand nicht einschlägig seien. Vor allem sei weiterhin auch unter der Geltung des SGB V von dem grundsätzlichen Bekenntnis des Gesetzgebers zum gegliederten Krankenversicherungssystem und auch von dem Finanzausgleichsmodell, wie es nunmehr in §§ 266, 267 SGB V geregelt sei, auszugehen mit der notwendigen Folge, daß der für die Feststellung der Leistungsgefährdung iS von § 147 SGB V erforderliche Vergleich der Bedarfssätze sich ebenfalls nur auf artgleiche Kassen erstrecke. Angesichts dessen, daß der Gesetzgeber die geplante Strukturreform der Kassenorganisation zurückgestellt und sich vorerst auf die Einführung bestimmter Verfahren zur Beseitigung von Beitragssatzunterschieden innerhalb einer Kassenart (§§ 266, 267, 145 SGB V) beschränkt habe, sehe der Senat keine Möglichkeit, den Gefährdungstatbestand an einem Vergleich mit artfremden Kassen auszurichten. Allerdings könne nach Inkrafttreten des SGB V eine Leistungsgefährdung nicht mehr erst dann angenommen werden, wenn der Bedarfssatz der von Mitgliederverlusten betroffenen AOK den durchschnittlichen Bedarfssatz ihres Landesverbandes um mehr als 20 % überschreite. Vielmehr sehe § 266 Abs 1 SGB V nunmehr einen obligatorischen Finanzausgleich und damit einen Gefährdungstatbestand, wie ihn § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V voraussetze, bereits dann vor, wenn der Bedarfssatz einer Krankenkasse den durchschnittlichen Bedarfssatz aller Verbandsmitglieder um mehr als 10 % übersteige. Ungeachtet der Frage, ob sich aus §§ 145, 221 und insbesondere §§ 266 und 267 SGB V möglicherweise weitere eigenständige Kriterien der Bestandsgefährdung ergäben, sei davon auszugehen, daß jedenfalls eine Bedarfssatzüberschreitung, die sich unterhalb der für den Finanzausgleich nach § 266 SGB V festgelegten Prozentzahl von 10 % bewege, weder eine Bestandsgefährdung noch eine Leistungsgefährdung zu indizieren vermöge. Dieser Grenzwert werde vorliegend aber, wie sich aus den festgestellten Zahlen ergebe, nicht erreicht. Selbst dann, wenn in den Vergleich nicht nur Bedarfssatzabweichungen einbezogen würden, die auf Mitgliederabgängen an die Klägerin (1025 Mitglieder) beruhten, sondern auch diejenigen, die sich aus weiteren Mitgliederverlusten an die zu errichtende BKK der Firma H. … und aus geplanten weiteren Anschlußerrichtungen von Innungskrankenkassen (IKK'en) ergäben (insgesamt 2809 Mitglieder), beliefen sich die Bedarfssatzabweichungen von den durchschnittlichen Bedarfssätzen des Landesverbandes in den Jahren 1988 bis 1990 auf maximal 8,38 %. Auch die vorgelegten Zahlen für 1991 ließen kein entscheidend anderes Bild erkennen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V, des Art 20 Abs 1 und des Art 3 des Grundgesetzes (GG) sowie des anerkannten Grundsatzes, daß der Verwaltung bei Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in Fällen von Prognoseentscheidungen ein unüberprüfbarer Beurteilungsspielraum zukomme. Bei der Frage der Leistungsgefährdung nach § 147 SGB V handele es sich um eine solche Prognoseentscheidung, die von den Gerichten nur daraufhin überprüft werden dürfe, ob die richtigen Tatsachen und Bewertungsgrundsätze zugrunde gelegt worden oder ob sachfremde Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen seien. Dagegen verstoße das LSG. Bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Leistungsgefährdung habe nicht auf Bedarfssätze, sondern auf Beitragssätze abgestellt werden müssen, denn nur der Beitragssatz spiegele die tatsächliche und aktuelle Vermögenssituation einer Krankenkasse wider, während der Bedarfssatz (§ 145 Abs 2 SGB V) für die wirtschaftliche Stärke oder Schwäche einer Krankenkasse kein zuverlässiger Indikator sei. Ein Abstellen auf die Beitragssätze – und nicht auf die Bedarfssätze – entspreche zudem dem System der gegliederten Krankenversicherung und der Absicht des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG), die bestehenden extremen Beitragssatzunterschiede abzubauen. Dabei müßten in den gebotenen Beitragssatzvergleich auch Kassen anderer Kassenarten einbezogen werden. Es treffe zwar zu, daß mit § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V nicht primär die Herstellung einer bestimmten Wettbewerbssituation bezweckt werde. Die Wettbewerbsfähigkeit der AOK habe jedoch unmittelbare Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit, weil für die Entscheidung der Arbeitnehmer bei der Abstimmung über die Errichtung einer BKK allein die Höhe des Beitragssatzes der AOK bzw der zu errichtenden BKK maßgeblich sei. Habe die betroffene AOK einen Beitragssatz, der den der BKK erheblich überschreite, sei sie bei der Abstimmung von vornherein chancenlos. Im übrigen führe der kassenarteninterne Vergleich zu grotesken Ergebnissen, weil dann BKK'en umso leichter errichtet werden könnten, je höher der durchschnittliche Beitragssatz der AOK'en eines Landesverbandes sei. Bei hohem Verbandsdurchschnitt sei die Leistungsfähigkeit der betroffenen AOK praktisch nie gefährdet, weil es den mit ihr zu vergleichenden AOK'en ebenfalls finanziell schlecht gehe. Diesen Fall habe das BSG in seinem Urteil vom 17. April 1991 (aaO) selbst als Ausnahmefall bezeichnet, der anderer Maßstäbe bedürfe. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor, weil die AOK'en im Landesverband Westfalen-Lippe einen durchschnittlichen Beitragssatz von 12,94 % hätten, der um 13,3 % über dem durchschnittlichen Beitragssatz der dort vorhandenen IKK'en und BKK'en (11,42 %) liege. Weiche die beigeladene AOK mit ihrem Beitragssatz von 14,2 % (1.7.1991) sogar um 24,34 % vom durchschnittlichen Beitragssatz der IKK'en/BKK'en ab, so werde – auch aus dem Zusammenhang mit § 145 Abs 1 Nr 2 SGB V -deutlich, daß bereits jetzt bei der Beigeladenen nicht mehr von einer Leistungsfähigkeit gesprochen werden könne. Das gelte selbst dann, wenn statt des Beitragssatzes der Bedarfssatz heranzuziehen sein sollte. Denn in diesem Fall könne keinesfalls von einem Grenzwert von 10 % ausgegangen werden, weil sowohl § 266 als auch § 267 SGB V davon ausgingen, daß sich die betroffene Krankenkasse bereits in einer konkreten Notlage befinde. § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V wolle aber bereits der Gefahr einer solchen Notlage vorbeugen, so daß der Toleranzwert weit unterhalb von 10 % liegen müsse. Eine andere Beurteilung, die letztlich dazu führe, daß ein Teil der Versicherten ohne Wahlfreiheit einen Beitragssatz zahlen müsse, der den der IKK'en und BKK'en um mehr als 24,34 % Punkte übersteige, sei mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar und enthalte auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1991 und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10. Januar 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene rügt eine Verletzung der §§ 147 Abs 1 Nr 3, 145 Abs 1 Nr 2, 266 Abs 1 sowie des § 221 SGB V und meint, auch wenn mit dem LSG von der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu den Gefährdungsklauseln der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgegangen werde, hätte das LSG zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. Da zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG bereits die für 1991 im Bundesgebiet zu erwartenden Bedarfssätze vorgelegen hätten, hätten diese Zahlen und nicht die Zahlen der vorhergehenden Jahre herangezogen werden müssen. Dabei wäre deutlich geworden, daß es nicht zulässig gewesen wäre, bei der Vergleichsberechnung auf den durchschnittlichen Bedarfssatz des Landesverbandes Westfalen-Lippe abzustellen. Denn dieser sei maßgeblich von bereits leistungsgefährdeten Kassen (Coesfeld und Dortmund) sowie weiteren leistungsschwachen Kassen mitgeprägt, so daß er keine aussagekräftige Vergleichsgröße im Sinne des Urteils des Senats vom 17. April 1991 sei. Deshalb könne nur der bundesdurchschnittliche Bedarfssatz der AOK'en als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Da dieser 1991 voraussichtlich bei 12,28 % liege, ergebe sich bei einem Bedarfssatz der beigeladenen AOK von 13,78 %, der infolge von Mitgliederverlusten an die BKK um 0,07 % Punkte auf 13,85 % steigen würde, eine Bedarfssatzabweichung von 12,8 %, die iS von § 266 SGB V eine Gefährdung anzeige. Im übrigen sei ein Vergleich von Bedarfs- oder Beitragssätzen innerhalb einer Kassenart systemfremd bzw systemvernichtend, weil dann, wenn der durchschnittliche Bedarfssatz des Verbandes bereits sehr hoch sei, die Errichtung von BKK'en oder IKK'en erleichtert werde. Damit werde der Begriff der Leistungsgefährdung unsachgemäß relativiert und habe zB in Baden-Württemberg oder Bayern einen anderen Inhalt als in Nordrhein-Westfalen; das sei der Rechtsordnung fremd. Deshalb seien die Bestimmungen über den Beitragssatz in §§ 221, 222 SGB V zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Leistungs- oder Bestandsgefährdung heranzuziehen, weil sie anders als die Abweichungsquoten nach §§ 145 und 266 SGB V keine relative, sondern eine absolute Betrachtungsweise ermöglichten.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Beklagten an.

Die Klägerin beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Genehmigung sei schon nach den – hier noch anzuwendenden – Regelungen der RVO zu erteilen gewesen. Aber auch bei Anwendung des neuen Rechts ergebe sich nichts anderes.

 

Entscheidungsgründe

II

Die statthaften und auch sonst zulässigen Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen sind in der Sache unbegründet. Zu Recht ist der Beklagte verpflichtet worden, die Errichtung der BKK der Klägerin zu genehmigen.

Bei Prüfung der Frage, ob die streitige Genehmigungsvoraussetzung erfüllt ist, hat das LSG zutreffend die am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Vorschriften des SGB V (Art 1 und 79 GRG vom 20. Dezember 1988, BGBl I, 2477) zugrunde gelegt. Zwar ist der Bescheid, mit dem die Genehmigung abgelehnt worden ist, in Anwendung der bis 31. Dezember 1988 geltenden Vorschriften der RVO ergangen. Da inzwischen die krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften der RVO durch das SGB V ersetzt worden sind, ist grundsätzlich dieses – geänderte – Recht anzuwenden, soweit es nicht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt oder nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen das frühere Recht noch anzuwenden ist bzw die frühere Sachlage noch maßgebend bleibt. Denn der Verpflichtungsanspruch, mit dem die Klägerin ihr Genehmigungsbegehren weiterverfolgt, muß – wenn die Klage Erfolg haben soll – nach dem materiellen Recht gegeben sein, das sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung für diesen Anspruch Geltung beimißt (vgl BVerwG NJW 1975, 2083; NJW 1976, 1760, 1762). Das SGB V enthält keine Übergangsregelungen, wonach für die bei seinem Inkrafttreten bereits eingeleiteten und noch nicht unanfechtbar abgeschlossenen Errichtungsverfahren noch altes Recht gelten soll. Auch dem Zweck dieses Gesetzes oder den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere denjenigen des intertemporalen Rechts, ist nicht zu entnehmen, daß auf den noch nicht erledigten Teil des Errichtungsverfahrens – die Genehmigung – noch altes Recht anzuwenden wäre bzw die etwa durch das alte Recht begründeten Ansprüche unberührt blieben. Allerdings bleibt für Verfahrensabschnitte des Errichtungsverfahrens, die bereits unter der Geltung des alten Rechts verwirklicht worden sind (zB Initiativakt des Arbeitgebers, Zustimmung der Arbeitnehmer), dieses maßgeblich (zur Problematik der Anwendung alten oder neuen Rechts bei „gestreckten Verwaltungsverfahren”, insbesondere bei der Errichtung von BKK'en und IKK'en, vgl Schnapp, DVBl 1989, 549 f). Hingegen ist der – nach altem Recht abgelehnte – Anspruch auf Erteilung der Genehmigung grundsätzlich auch dann nach neuem Recht zu beurteilen, wenn dieses verschärfte Anforderungen stellt. Ob der Umstand, daß die begehrte Genehmigung bereits nach damaligem Recht hätte erteilt werden müssen, es rechtfertigen würde, daß die Klägerin – etwa im Hinblick auf eine bereits erworbene grundrechtlich geschützte Position aus Art 12 GG – so gestellt würde, wie sie bei rechtmäßiger Entscheidung über die Genehmigung nach damaligem Recht gestanden hätte, kann der Senat letztlich offenlassen. Denn die Klägerin hat hier auch nach dem neuen Recht einen Anspruch auf Genehmigung, weil eine die Errichtung der BKK hindernde „Gefährdung der Leistungsfähigkeit” der beigeladenen AOK iS von § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V nicht anzunehmen ist.

Hinsichtlich der Anwendung der für diesen unbestimmten Rechtsbegriff heranzuziehenden Bewertungsmaßstäbe, die ungeachtet der von der Verwaltung zu treffenden Prognoseentscheidung voll der gerichtlichen Überprüfung unterliegen, hält der Senat an seinen bereits zu §§ 248 Nr 1, 251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgestellten Grundsätzen fest (BSGE 58, 254 = SozR 2200 § 250 Nr 10). Die dort geregelten Gefährdungsklauseln der RVO sind in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung unverändert in das SGB V übernommen worden (§ 147 Abs 1 Nr 3 und § 157 Abs 2 Nr 3 SGB V), ohne daß sie – etwa in bezug auf einschlägige Neuregelungen in §§ 266, 267 und 145 SGB V – näher konkretisiert worden wären. Das spricht dafür, daß der Gesetzgeber der bisherigen Rechtsprechung des BSG, die zur Auslegung des Begriffs der „Gefährdung der Leistungsfähigkeit” auf die Vergleichsmodalitäten des früheren Finanzausgleichsmodells zurückgegriffen hatte, nicht – jedenfalls vorerst nicht – entgegentreten wollte. Auch die in den Gesetzesmaterialien zu diesem Gesetz zum Ausdruck gekommenen Intentionen des Gesetzgebers bieten keinen Anhalt dafür, daß die zur Ermittlung der Leistungsgefährdung einer AOK erforderliche Vergleichsbewertung nunmehr nach anderen Maßstäben als bisher, insbesondere unter Heranziehung anderer „Vergleichskassen”, durchzuführen ist. Lediglich hinsichtlich der Gefährdungsgrenze bietet das neue Recht zu einer Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung Veranlassung, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 17. April 1991 (SozR 3-2200 § 248 Nr 1) angedeutet hat. Ansonsten ist angesichts der im wesentlichen unveränderten Organisationsstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung auch nach neuem Recht für die Frage, welches die maßgeblichen Vergleichskassen sind, auf welchen Wirtschaftsraum der Vergleich abzustellen ist und nach welchem Maßstab die Gefährdung der Leistungsfähigkeit der durch Mitgliederverluste betroffenen AOK zu messen ist, auf das Finanzausgleichsverfahren abzustellen, das bisher in § 414b Abs 2 a RVO – allerdings nur fakultativ – vorgesehen war und nunmehr in § 266 SGB V zwingend vorgeschrieben ist. Hätte der Gesetzgeber das nicht gewollt, wäre zumindest in den Motiven zu § 147 SGB V ein entsprechender Hinweis zu erwarten gewesen.

Vor allem ist – was die Vergleichskassen betrifft – auch unter der Geltung des neuen Rechts von dem grundsätzlichen Bekenntnis des Gesetzgebers zum gegliederten Krankenversicherungssystem auszugehen, das – wie insbesondere die §§ 266, 267 und 145 SGB V zeigen – Beitragssatzunterschiede im Verhältnis zwischen Kassen verschiedener Kassenarten weiterhin – jedenfalls noch – als systembedingt hinnimmt. Dabei hat der Gesetzgeber entgegen der Ansicht des Beklagten dem Kriterium der Ungleichbehandlung der Versicherten im Vergleich der Kassenarten untereinander bisher kein entscheidendes Gewicht beigelegt. Zwar hat er die Beitragssatzentwicklung insbesondere im Bereich der Ortskrankenkassen (OKK'en) zum Anlaß genommen, im Vorgriff auf eine zu erwartende Strukturreform des Kassenorganisationsrechts „Sofortmaßnahmen zum Abbau extremer Beitragssatzunterschiede” zu treffen (vgl die Begründung zum Regierungsentwurf des GRG, BT-Drucks 11/2237, unter A. Allgemeiner Teil, III 2d S 143). Dabei sind jedoch den OKK'en wiederum – und zunächst nur – Möglichkeiten zum Ausgleich ungünstiger Risikostrukturen innerhalb ihrer Kassenart und (im wesentlichen) innerhalb ihres Landesverbandes eröffnet worden und weitere Reformschritte, insbesondere auch hinsichtlich eines darüber hinausgehenden kassenartenübergreifenden Abbaus von Beitragssatzunterschieden, ausdrücklich zurückgestellt worden, weil dies erhebliche Veränderungen für die Kassenorganisation bedeutet hätte. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr bewußt auf die Einführung eines zwingenden Finanzausgleichs (§ 266 SGB V) und die Zulassung von Hilfen in besonderen Notlagen (§ 267 SGB V) – jeweils innerhalb einer Kassenart – sowie auf die Erweiterung der Möglichkeit einer auch zwangsweisen Vereinigung von Kassen derselben Kassenart (§ 145 SGB V) beschränkt.

Die Ausgestaltung dieser Maßnahmen bietet entgegen der Ansicht der Revisionskläger keinen Anlaß, die bisherige Rechtsprechung insgesamt oder auch nur hinsichtlich einzelner Bewertungskriterien zu ändern. Insbesondere besteht kein Grund, nunmehr den Vergleichsmaßstab des „Bedarfssatzes” durch denjenigen des

„Beitragssatzes” zu ersetzen. Dafür lassen sich weder § 221 Abs 1 SGB V noch § 145 Abs 1 Nr 2 SGB V mit Erfolg anführen, noch kann dies aus allgemeinen Erwägungen hergleitet werden.

Die in § 221 Abs 1 SGB V geregelte Beitragssatz-Obergrenze, die aus der bisherigen Regelung in § 389 RVO übernommen und angepaßt worden ist, spielt zwar in bezug auf die Beitragssatzgestaltung der Kasse eine wichtige Rolle. Sie hat jedoch nicht, wie der Beklagte offenbar meint, die Funktion einer objektiven Leistungsgrenze bzw Leistungsgefährdungsgrenze. Das ergibt sich schon daraus, daß das Gesetz – abgesehen von Übergangsregelungen in den neuen Bundesländern – keine Beitragssatz-Höchstgrenzen kennt, sondern weitere Erhöhungen des Beitragssatzes über die Grenze von 12 % hinaus ausdrücklich zuläßt und für diesen Fall lediglich eine qualifizierte Beschlußfassung der Vertreterversammlung verlangt. Eine Bindung des Beitragssatzes an bestimmte Höchstgrenzen und eine ergänzende Garantiehaftung der öffentlichen Hand, die es ermöglichte, darüber hinausgehende Beitragssatzsteigerungen mittels Zuschußleistungen von der Kasse abzuwenden, sieht das SGB V nicht mehr vor. Vielmehr ist bereits 1977 an die Stelle der früheren Garantiehaftung der Gemeindeverbände (ersatzweise des Bundes) in gewisser Weise das Finanzausgleichsverfahren getreten (vgl dazu im einzelnen BSGE 58, 134, 140 f = SozR 2200 § 385 Nr 14). Die in § 389 Abs 2 Satz 2 RVO aF geregelte beitragssatzsteuernde Funktion der Garantiehaftung der öffentlichen Hand, die für die OKK'en formell bis 30. Juni 1977 galt, jedoch schon damals weitgehend ihre Funktion verloren hatte, ist 1977 durch Aufhebung dieser Vorschrift beseitigt worden (kritisch dazu Behrends, DOK 1989, S 201 ff). Das seitdem eingeführte – fakultative – Ausgleichsverfahren nach § 414b Abs 2 a RVO (idF des Art 1 § 1 Nr 50 Buchst b des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes ≪KVKG≫ vom 27. Juni 1977, BGBl I, 1069) hat diese Funktion gleichsam in der Weise ersetzt, daß nunmehr zwischen Kassen einer Kassenart ein Ausgleich stattfinden konnte, wenn der Bedarfssatz einer Kasse den durchschnittlichen Bedarfssatz der Verbandsmitglieder in bestimmtem Umfang überschritten hatte. Das bereits damals vorgesehene, aber nicht Gesetz gewordene obligatorische Ausgleichsverfahren, auf dessen Ausgestaltung der Senat seinerzeit bei der Auslegung der Gefährdungsklauseln zurückgegriffen hatte (vgl BT-Drucks 8/166, Art 1 § 1 Nr 44, S 11/12; Begründung S 31/32), ist erst durch das SGB V – in § 266 – eingeführt worden.

Nach altem wie neuem Recht ist maßgebliches Kriterium für die Ausgleichsbedürftigkeit bzw Hilfsbedürftigkeit einer Kasse nicht der Beitragssatz, sondern der Bedarfssatz, wie er nunmehr in § 145 Abs 2 SGB V geregelt ist. Dieser spiegelt die die Höhe des Beitragssatzes einer Kasse wesentlich bestimmenden Faktoren wider, nämlich auf der Einnahmenseite die beitragspflichtigen Einnahmen (ohne die in § 270 Satz 4 Nrn 1 und 2 SGB V genannten Beträge) und auf der Ausgabenseite unterschiedliche Risikostrukturen (vor allem hinsichtlich Dauer und Schwere von Erkrankungen, Familienlasten usw), während andere beitragssatzsteigernde Faktoren wirtschaftlicher Art als nicht ausgleichsfähig von vornherein unberücksichtigt bleiben (zB die Ausgaben für versicherte Rentner nach Maßgabe des § 269 SGB V, für Mehr- und Erprobungsleistungen, für Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, und die von Dritten zu erstattenden Ausgaben; zu den Änderungen des § 145 Abs 2 SGB V im Vergleich zu dem früheren § 414d Abs 2 a Satz 2 und 3 RVO vgl Peters in Kasseler Kommentar, § 145 SGB V RdZiff 5). Mit diesen Ausgrenzungen hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß sich großzügige Kassen nicht auf Kosten sparsamer entlasten sollen. Insoweit ist aber der Bedarfssatz auch für die Vergleichsbewertung im Rahmen der Gefährdungsklauseln eine sachgerechte Grundlage, während der Beitragssatz, der die aktuelle, tatsächlich bestehende Vermögenssituation der betroffenen Kasse ausdrückt, dafür ungeeignet ist. Der Beklagte verkennt insoweit, daß mit dem Begriff der „Gefährdung der Leistungsfähigkeit” in § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V gerade nicht auf die vor Errichtung einer BKK bestehende faktische Vermögenssituation der betroffenen Kasse abzustellen ist. Maßgeblich ist vielmehr die „Leistungsfähigkeit” der betroffenen Kasse, deren Gefährdung – mangels einer Beitragssatzhöchstgrenze – nur in Relation zu vergleichbaren Kassen innerhalb eines bestimmten Wirtschaftsraums bestimmt werden kann: Eine Gefährdung ergibt sich nicht schon aus einer ungünstigen Vermögenslage der Kasse, sondern ist erst dann anzunehmen, wenn die Errichtung einer BKK (oder IKK) und der damit verbundene Mitgliederverlust bei der betroffenen OKK dazu führen würde, daß sie infolge einer Beitragssatzanhebung das Beitragsniveau der Vergleichskassen erheblich überschreiten müßte. Deshalb haben bei der vorzunehmenden Vergleichsbewertung alle Faktoren unberücksichtigt zu bleiben, die zwar die wirtschaftliche Entwicklung der Kasse beeinflussen, jedoch nicht kausal auf der in Frage stehenden Abgabe von Mitgliedern beruhen (so bereits BSGE 14, 71). Die Gefährdung liegt also nur in der Verschlechterung der Risikostruktur, die auf dem Abgang sog günstiger Risikogruppen beruht. Das entspricht auch der zu § 147 Abs 1 SGB V geäußerten Absicht des Gesetzgebers, eine zu starke „Entsolidarisierung” der OKK'en durch „Herauslösung besonderer Risikostrukturen” zu verhindern (vgl die Begründung zu § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V = § 156 Abs 1 Nr 3 des Entwurfs des GRG, BT-Drucks 11/2237, S 210), also die betroffene AOK, insbesondere ihre Versicherten davor zu schützen, daß sie infolge des Abgangs sog guter Risiken wesentlich höhere Beiträge als die Vergleichskassen zu zahlen haben. Dann ist aber der für den Finanzausgleich maßgebliche Bedarfssatz, den der erkennende Senat bereits in seinen früheren Entscheidungen als „bereinigten Beitragssatz” bezeichnet hat und den er, auch soweit er nur von Beitragssatz gesprochen hat, stets als solchen verstanden wissen wollte, auch für die Gefährdungsklauseln ein sachgerechter Indikator: Auch der Finanzausgleich soll dazu dienen, erhebliche Beitragssatzunterschiede aufgrund unterschiedlicher Risikostrukturen auszugleichen und knüpft daher mit dem Bedarfssatz konkret an die für den Beitragssatz maßgeblichen Risikostrukturen an (vgl die Begründung zu § 266 Abs 2 SGB V = § 275 Abs 2 des Entwurfs des GRG, BT-Drucks 11/2237, S 228/229).

Ferner kann der Beklagte hinsichtlich seiner Auffassung, daß anstelle des Bedarfssatzes der Beitragssatz maßgeblich sei, auch nicht mit Erfolg auf § 145 Abs 1 SGB V verweisen. Auch diese Regelung setzt für die Vereinigung von OKK'en innerhalb eines Landes zunächst voraus, daß der Bedarfssatz der betroffenen Krankenkasse den landesdurchschnittlichen Bedarfssatz der OKK'en in besonderer Weise (um mehr als 12,5 %) überschritten hat (Nr 1) und verlangt lediglich als zusätzliche Voraussetzung, daß der Finanzausgleich nach § 266 SGB V zu einem bestimmten – im Vergleich zum Bundesdurchschnitt immer noch zu hohen -Beitragssatz führen würde (Nr 2). Der Finanzausgleich selbst als das entscheidende Kriterium für die Vereinigung der Kassen ist aber gerade wiederum maßgeblich vom Bedarfssatz bestimmt.

Einer Orientierung der Gefährdungsklauseln an den Ausgleichsmodalitäten des Finanzausgleichsverfahrens kann auch nicht entgegengehalten werden, daß dieses Verfahren bereits eine Notlage der betroffenen Kasse voraussetze, während § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V eine solche verhindern wolle, also schon bei der Gefahr einer Notlage einsetze. Die Revisionskläger verkennen insoweit, daß der Gesetzgeber von einer „Notlage” bzw einer „notleidenden Kasse” – wie auch die Motive des Gesetzes zeigen – erst dann ausgeht, wenn die Voraussetzungen des § 267 SGB V (finanzielle Hilfe in besonderen Notlagen) oder des § 145 Abs 1 SGB V (Zwangsvereinigung von OKK'en) vorliegen. Beide Fälle setzen aber voraus, daß besonders hohe Bedarfssatzabweichungen vorliegen (vom Bundesdurchschnitt bzw vom Landesdurchschnitt der Kassenart um mehr als 12,5 %) und ein Finanzausgleich nach § 266 SGB V bereits durchgeführt worden ist bzw wirkungslos bliebe (vgl zu § 267 SGB V = § 276 des Entwurfs des GRG, BT-Drucks 11/2237, S 229 und zu § 145 SGB V = § 154 des Entwurfs, BT-Drucks aaO, S 209). Demgegenüber genügt für den Finanzausgleich bereits eine Bedarfssatzabweichung geringeren Ausmaßes (um mehr als 10 % vom Landesverbandsdurchschnitt), der insoweit – im Vergleich zu den Maßnahmen zur Beseitigung besonders hoher Bedarfssatzabweichungen – durchaus als Indikator für eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit der betroffenen Kasse angesehen werden kann. Im übrigen hat der Gesetzgeber in der Begründung zu § 147 SGB V klargestellt, daß in Fällen, in denen einer betroffenen AOK infolge der geplanten Errichtung einer BKK die Zwangsvereinigung droht, bereits eine Bestandsgefährdung im Sinne der Gefährdungsklauseln anzunehmen ist (BT-Drucks 11/2837, S 210). Auch dies spricht dafür, daß die „Vorstufe” der Zwangsvereinigung, nämlich der Finanzausgleich nach § 266 SGB V, als Leistungsgefährdungsgrenze herangezogen werden kann.

Soweit gegen die Heranziehung des Finanzausgleichsmodells eingewendet wird, dessen Ausgleichsmodalitäten würden dem Gebot der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der von BKK- bzw IKK-Gründungen betroffenen AOK nicht gerecht, wird außer acht gelassen – worauf der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 17. April 1991 (aaO) hingewiesen hat –, daß der sowohl nach altem wie auch nach neuem Recht im wesentlichen gleichgestaltete Gefährdungsschutz nicht – jedenfalls nicht primär – auf die Aufrechterhaltung oder Schaffung wettbewerbsrechtlicher Chancengleichheit gegenüber Kassen anderer Kassenarten abzielt. Vielmehr sollen die Gefährdungsklauseln im Rahmen der sozialpolitischen Grundentscheidung für das gegliederte Krankenversicherungssystem dazu dienen, das Basissystem der OKK'en vor Störungen „Entsolidarisierung”) durch Abwanderung besonderer Risikostrukturen zu schützen, und verhindern, daß sich einzelne Kassen hierdurch nicht mehr im Beitragsniveau dieses Basissystems halten können. Dabei kann es – wie bereits das LSG angedeutet hat -nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, die durch unterschiedlichste soziale und gesellschaftliche Wandlungen bewirkten Strukturveränderungen im Bereich der gegliederten Krankenversicherung (zB Risikoselektion zu Lasten der OKK'en und zugunsten der Wahlkassen als Folge zB der Änderung der Erwerbstätigen-Struktur) durch eine Auslegung der Gefährdungsklauseln im Sinne der Revisionskläger aufzufangen, jedenfalls solange nicht der Gesetzgeber das gegliederte System in einer umfassenden Strukturreform – im Sinne einer Verbesserung der Chancen für den Wettbewerb der verschiedenen Kassenarten – durch Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen umgestaltet hat. Würden zB in die Vergleichsbewertung nur die im Wirkungsbereich der betroffenen AOK vorhandenen Kassen anderer Kassenarten – einschließlich der Ersatzkassen – einbezogen (vgl Bauer, DOK 1990, S 317, 321), so könnte die weitere Errichtung von BKK'en bzw IKK'en in dieser Region langfristig daran scheitern, daß die bereits vorhandenen Kassen wesentlich günstigere Beitragssätze haben. Dies liefe aber letztlich auf Eingriffe in das dezentral gegliederte Krankenversicherungssystem hinaus, die nur der Gesetzgeber vornehmen kann.

Entgegen der Ansicht der Revisionskläger kann der Gefährdungstatbestand auch nicht deshalb am Vergleich mit artfremden Kassen ausgerichtet werden, weil vorliegend ein Ausnahmefall im Sinne des Urteils des erkennenden Senats vom 17. April 1991 (aaO) angenommen werden müßte. Auch dort ist für den angesprochenen Fall, daß die Vergleichskassen selbst schon ein Beitragsniveau erreicht haben, das ihre Leistungsfähigkeit oder ihren Bestand für die Zukunft gefährden könnte, ein Vergleich mit artfremden Kassen nicht erwogen worden. Ob – wovon die Beigeladene in Anlehnung an § 267 Abs 1 Satz 1 SGB V ausgeht – in diesem Fall bei der Vergleichsbewertung auf den bundesdurchschnittlichen Bedarfssatz der Kassenart abzustellen ist, ist in der genannten Entscheidung offengeblieben und kann auch jetzt offenbleiben; denn es ist weder vorgetragen noch auch sonst ersichtlich, daß im AOK-Landesverband Westfalen-Lippe bereits ein durchschnittlicher Bedarfssatz erreicht wäre, der die AOK'en dieser Region insgesamt als gefährdet auswiese und damit als Maßstab für die Leistungsgefährdung iS von § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V ungeeignet wäre. Vielmehr ergibt ein Vergleich des für 1991 zu erwartenden durchschnittlichen Bedarfssatzes des Landesverbandes Westfalen-Lippe (12,84 %) mit dem durchschnittlichen Bedarfssatz der OKK'en im Bundesgebiet (12,28 %, ohne neue Bundesländer), daß die Abweichung bei nur etwa 4,5 % liegt.

Schließlich kann der Bewertung der Leistungsgefährdung nach Bedarfssatzdifferenzen im Landesverbandsbereich auch nicht entgegengehalten werden, daß damit der – bundeseinheitliche – Begriff der Leistungsgefährdung in unzulässiger Weise relativiert werde. Diese „Relativierung” in bezug auf die einzelnen Landesverbände, die im übrigen auch dem Begriff der Ausgleichsbedürftigkeit nach § 266 SGB V zugrunde liegt, ist vielmehr die logische Konsequenz dessen, daß es für die Gefährdung der Leistungsfähigkeit einer Krankenkasse entscheidend auf ihre Stellung im Vergleich zu anderen gleichartigen Kassen innerhalb eines – durch ähnliche Verhältnisse geprägten – Wirtschaftsraumes ankommt (so schon BSGE 14, 71, 77 = SozR Nr 2 zu § 251 RVO). Darüber hinaus läßt die genannte Betrachtungsweise gerade eine angemessene Berücksichtigung des Einzelfalles – sowohl hinsichtlich der absoluten Bedarfssatzhöhe als auch dessen relativer Erhöhung – zu; denn bei einem bereits hohen Ausgangsbedarfssatz der betroffenen OKK fällt ggf schon eine durch Mitgliederverluste bedingte geringe Anhebung des Bedarfssatzes ins Gewicht, während bei einem niedrigen Bedarfssatz unterhalb des Vergleichsniveaus auch eine erhebliche Anhebung hinzunehmen sein kann (vgl BSGE 58, 254, 262 = SozR 2200 § 250 Nr 10). Liegt der Ausgangsbedarfssatz der betroffenen AOK bereits jenseits der Gefährdungsgrenze des § 266 SGB V, sind weitere (Anschluß-) Errichtungen von BKK'en/IKK'en grundsätzlich überhaupt nicht mehr zulässig, weil die AOK dann bereits in ihrer Leistungsfähigkeit gefährdet ist (aA offenbar Schneider, SGb 1989, 461, 462 unter Bezugnahme auf die – insoweit überholte – frühere Rechtsprechung des BSG). Ferner wird durch die vorgenannte Betrachtungsweise auch der von seiten der OKK'en beklagten „schrittweisen” Auszehrung betroffener OKK'en durch vorhergehende Errichtungsverfahren dadurch angemessen Rechnung getragen, daß bereits früher hinzunehmende Mitgliederverluste sich in dem zu berücksichtigenden – hohen – Ausgangsbedarfssatz niedergeschlagen haben.

Wenn es mithin auch nach neuem Recht gerechtfertigt erscheint, als Gefährdungsmaßstab den Bedarfssatz der betroffenen AOK im Vergleich zum durchschnittlichen Bedarfssatz ihres Landesverbandes festzulegen, bleibt nur noch die Frage, bei welchem Grenzwert eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit im Sinne der Gefährdungsklauseln anzunehmen ist. Wie der erkennenden Senat bereits in seinem Urteil vom 17. April 1991 (aaO) angedeutet hat, bieten die in den §§ 266, 267 SGB V und § 145 SGB V gesetzlich festgelegten Grenzwerte Anlaß zu einer Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung dahin, daß nunmehr für die in § 147 Abs 1 Nr 3 und § 157 Abs 2 Nr 3 SGB V verwendeten Begriffe der „Gefährdung der Leistungsfähigkeit” und der „Bestandsgefährdung” auf diese Grenzwerte abzustellen ist. Ist – wie sich aus dem oben Gesagten ergibt und woran auch unter der Geltung des neuen Rechts festzuhalten ist – für die Gefährdung der „Leistungsfähigkeit” iS von § 147 Abs 1 Nr 3 SGB V – im Unterschied zu der darüber hinausgehenden Gefährdung des „Bestandes” – der sachgerechte Parameter für die gebotene Vergleichsbewertung in der den – obligatorischen – Finanzausgleich regelnden Vorschrift des § 266 SGB V zusehen, so ist von einer Gefährdung der Leistungsfähigkeit entsprechend dem dort vorgesehenen Grenzwert grundsätzlich dann auszugehen, wenn der infolge von Mitgliederverlusten erhöhte Bedarfssatz der AOK den durchschnittlichen Bedarfssatz der Verbandskassen um mehr als 10 % übersteigt (so auch Schneider, SGb 1989, 461 f; Schnapp/Oltermann, SGb 1989, 273, 276; wohl auch Fröhlingsdorf, KrV 1989, 43 f; aA Kaack, BKK 1990, 191 f und Gitter in einem für den Bundesverband der BKK'en erstellten Gutachten, auszugsweise abgedruckt in BKK 1989, 762, 763, die beide eine Gefährdungsgrenze erst bei Bedarfssatzabweichungen von mehr als 12,5 % annehmen). Damit ist der bisher angenommene Grenzwert einer Bedarfssatzüberschreitung von 20 % überholt, weil der Gesetzgeber nunmehr klar zu erkennen gegeben hat, daß er Beitragssatzabweichungen von mehr als 10 vH in dem genannten Rahmen nicht mehr hinnimmt. Desgleichen wird angesichts dessen, daß bei Bedarfssatzabweichungen von mehr als 10 % ein Finanzausgleich obligatorisch durchzuführen ist und damit eine Gefährdungsgrenze eindeutig markiert ist, nicht mehr daran festgehalten, daß eine von der geplanten Errichtung einer BKK oder IKK betroffene AOK mit hohem Ausgangs-Bedarfssatz zunächst versucht haben müßte, über einen (damals fakultativen) Finanzausgleich zu einer Minderung der Beitragssatzdifferenzen beizutragen.

Der in § 266 Abs 1 SGB V vorgesehene Grenzwert von 10 % wird indessen weder nach den vom LSG für die Jahre 1988 bis 1990 zugrunde gelegten Zahlen noch nach den Zahlen zur Bedarfssatzentwicklung 1991 erreicht. Nach den Feststellungen des LSG, die von den Revisionsklägern nicht angegriffen wurden und daher für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), ergibt sich auch dann, wenn sowohl Mitgliederverluste an die Klägerin (1025 Mitglieder) als auch zusätzliche Mitgliederverluste an die in der Errichtung befindliche BKK der Firma H. … und weitere in Erweiterung begriffene IKK'en (insgesamt 2809 Mitglieder) berücksichtigt werden, eine Bedarfssatzabweichung für 1988 von 7,85 %, für 1989 von 8,83 % und für 1990 von 8,38 %. Auch die im letzten Verhandlungstermin von der Beigeladenen vorgelegten statistischen Unterlagen über die Bedarfssatzentwicklung 1991 ergeben – wie den Feststellungen des LSG zu entnehmen ist – kein anderes Bild. Danach beträgt der voraussichtliche Ausgangs-Bedarfssatz der beigeladenen AOK im Jahre 1991 13,78 %, der den voraussichtlichen durchschnittlichen Bedarfssatz des Landesverbandes Westfalen-Lippe (12,84 %) um 7,32 % übersteigt. Wird berücksichtigt, daß sich der Bedarfssatz der Beigeladenen infolge von Mitgliederabgängen an die Klägerin – wovon auch die Beigeladene selbst ausgeht – um 0,07 Prozentpunkte auf 13,85 % erhöhen würde, ergäbe sich gegenüber dem durchschnittlichen Bedarfssatz im Landesverband eine Bedarfssatzüberschreitung von ca. 7,8 %. Selbst wenn zusätzliche Mitgliederabgänge an die BKK der Firma H. … und weitere IKK'en in Betracht gezogen werden und eine Bedarfssatzanhebung um 0,23 Prozentpunkte angenommen wird (dies ist der Durchschnittswert der vom LSG zugrunde gelegten Anhebungen für die Jahre 1988 bis 1990), ergäbe sich bei einem Bedarfssatz von 14,01 % im Vergleich zum Durchschnittsbedarfssatz von 12,84 % eine Abweichung, die mit 9,1 % immer noch unter der maßgeblichen Grenze von 10 % liegt.

Bei dieser Sachlage kann der Senat – ebenso wie das LSG – im Ergebnis dahingestellt sein lassen, ob im konkreten Fall die möglicherweise zusätzlich zu erwartenden Mitgliederverluste der Beigeladenen infolge Errichtung einer weiteren BKK durch die Firma H. … sowie mehrerer IKK-Anschlußerrichtungen überhaupt zu berücksichtigen sind oder ob nicht umgekehrt erst in den Verfahren, die jene Errichtung bzw Anschlußerrichtungen betreffen, die möglichen Mitgliederverluste der Beigeladenen infolge der Errichtung der BKK der Klägerin zu berücksichtigen wären. Würde dem LSG gefolgt, daß auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist und im jeweiligen Verfahren nur diejenigen weiteren Errichtungsverfahren zu berücksichtigen sind, deretwegen schon vorher ein Verfahren in Gang gesetzt worden ist, hätten die vorliegend aus zusätzlichen Mitgliederverlusten errechneten Bedarfssatzanhebungen von vornherein außer Betracht zu bleiben; denn der Antrag der Klägerin ist unstreitig zuerst gestellt. Wäre dem nicht zu folgen und müßten die zusätzlichen Mitgliederverluste im anhängigen Errichtungsverfahren mitberücksichtigt werden, ergäbe sich auch dann kein für die Beigeladene günstigeres Ergebnis.

Insbesondere würde auch eine Annäherung an den in § 266 Abs 1 SGB V genannten Grenzwert von 10 % (hier: bei Berücksichtigung zusätzlicher Mitgliederverluste in Höhe von ca 9.1 %) nicht ausreichen, um bereits eine Gefährdung der beigeladenen AOK zu begründen. Hat der Gesetzgeber in § 266 SGB V nunmehr eine exakte Grenze vorgegeben, bei deren Überschreiten er die Funktionsfähigkeit einer Kasse innerhalb ihres regionalen Systems als gestört und damit auch als gefährdet ansieht, besteht kein ausreichend sachgerechter Grund, den Gefährdungstatbestand bereits bei Annäherungen an die Gefährdungsgrenze zu bejahen. Davon abgesehen genügt nach § 266 SGB V nicht einmal eine Bedarfssatzüberschreitung von 10 %, sondern nur eine solche von „mehr als 10 %”. Auch eine „Bereinigung” des durchschnittlichen Bedarfssatzes des Landesverbandes um die Bedarfssätze bereits gefährdeter Kassen kommt – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – von dem gegebenen Ausgangspunkt – dem Finanzausgleichsmodell – nicht in Betracht, weil eine solche Verfahrensweise nicht nur unpraktikabel wäre, sondern auch nicht mehr der Wirtschaftsstruktur des maßgeblichen regionalen Bereichs entspräche. Die Frage braucht hier jedoch nicht vertieft zu werden; denn selbst dann, wenn der durchschnittliche Bedarfssatz des Landesverbandes Westfalen-Lippe ohne die beiden Kassen berechnet würde, deren Bedarfssatz bereits die Grenze der Ausgleichsbedürftigkeit überschritten hat (Coesfeld, Dortmund), weicht der Bedarfssatz der Beigeladenen (nach Mitgliederverlusten an die BKK in Höhe von 13,85 %) von dem – derart bereinigten – durchschnittlichen Bedarfssatz des Landesverbandes (ca 12,78 %) noch nicht in einer gefährdenden Weise ab.

Ob eine Annäherung an den Grenzwert des § 266 Abs 1 SGB V jedenfalls dann ausreichen würde, wenn – als zusätzlicher Indikator für die Gefährdung – eine erhebliche Abweichung vom bundesdurchschnittlichen Bedarfssatz besteht, kann der Senat ebenfalls offenlassen. Dafür bestünde im Hinblick auf die Regelung des § 267 Abs 1 SGB V, die auf den bundesdurchschnittlichen Bedarfssatz erst nach Durchführung des Finanzausgleichs abstellt, allenfalls dann Anlaß, wenn bereits der Ausgangs-Bedarfssatz der betroffenen AOK (13,78 %) den bundesdurchschnittlichen Bedarfssatz (12,28 %) um mehr als 12,5 % überschritten hätte. Das ist aber bei der beigeladenen AOK nicht der Fall; die bei ihr bestehende Bedarfssatzabweichung gegenüber dem Bundesdurchschnitt in Höhe von 12,21 % ist noch nicht so erheblich, daß – bereits ohne Mitgliederverluste – von einer die Errichtung einer BKK von vornherein hindernden Gefährdungslage gesprochen werden müßte.

Nach allem konnten die Revisionen keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 153

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