Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 30.11.1977; Aktenzeichen L 2 J 203/77)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. November 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Beigeladenen zu 2) die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Unter den Beteiligten ist in Streit, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) verpflichtet ist, der klagenden Berufsgenossenschaft (BG) Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter zu erstatten, die diese für den zu 2) beigeladenen Maurer M. L. (L) entrichtet hat.

Manfred L erlitt am 25. Oktober 1974 einen Arbeitsunfall und war bis 22. Dezember 1974 arbeitsunfähig. Sein Arbeitgeber weigerte sich zunächst, den Lohn fortzuzahlen. Die Klägerin zahlte L daraufhin Übergangsgeld bis 22. Dezember 1974 und führte zugleich an die Beklagte Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter (ArV) ab (§§ 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchst c, 1385 Abs. 4 Buchst g der Reichsversicherungsordnung – RVO). Im Dezember 1974 anerkannte der Arbeitgeber nachträglich seine Pflicht, L den Arbeitslohn bis 8. Dezember 1974 fortzuzahlen. Er erstattete der Klägerin auch das bis zu diesem Tag gezahlte Übergangsgeld.

Die Beklagte war nunmehr ihrerseits bereit, der Klägerin die Beiträge zur ArV bis 8. Dezember 1974 zu erstatten; für die Zeit vom 9. bis 22. Dezember 1974 – 206,50 DM – lehnte sie dies jedoch ab, weil L von der Klägerin tatsächlich Übergangsgeld länger als einen Monat bezogen habe.

Mit der gegen die Beklagte erhobenen Zahlungsklage hatte die Klägerin in zweiter Instanz Erfolg. Im angefochtenen Urteil vom 30. November 1977 verpflichtete das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte unter Aufhebung des abweisenden Ersturteils, für L gezahlte Beiträge im Betrag von 206,50 DM zu erstatten. In der Begründung ist das Gericht der Auffassung, die Pflicht der BG nach § 560 Abs. 1 RVO, bei verspäteter Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber zunächst Übergangsgeld zu zahlen, könne nicht dazu führen, den Arbeitnehmer durch zusätzliche Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung günstiger zu stellen.

Mit der zugelassenen Revision bekämpft die Beklagte dieses Urteil. Sie ist der Auffassung, der Wortlaut des § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 a Buchst c RVO spreche für sie. Der Gesetzgeber stelle darauf ab, daß der Rehabilitationsträger tatsächlich mindestens einen Monat Übergangsgeld zahle. Das habe die Klägerin vorliegend unstreitig getan. Daß der Arbeitgeber nachträglich doch noch den Lohn fortgezahlt habe, ändere hieran nichts. Das Übergangsgeld habe die Klägerin auch zu Recht an L gezahlt. Die Rechtsansicht der Beklagten werde durch die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2.2.1978 – 12 RK 59/76 und 12 RK 29/77 – gestützt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. November 1977 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, ihr sei das Übergangsgeld nachträglich erstattet worden, weil L wegen des Anspruchs auf Lohnfortzahlung gegen den Arbeitgeber hierauf keinen Anspruch gehabt habe. Das angefochtene Urteil treffe zu.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag und den Ausführungen der Beklagten an.

Der Beigeladene zu 2) ist im Verfahren vor dem BSG nicht vertreten

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Die Klägerin behauptet sinngemäß, die Beklagte habe von ihr den eingeklagten Geldbetrag ohne Rechtsgrund erhalten. Sie macht mithin einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend. Dieser ist Ausgestaltung des dem öffentlichen Recht angehörenden Rechtssatzes, wonach der Empfänger Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, an den Leistenden zurückzugeben hat (vgl. dazu zB mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum den erkennenden Senat in BSGE 38, 46, 47 = SozR 2200 § 1409 Nr. 1). Im einzelnen ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in den Fällen anzuerkennen, in denen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht oder sonstige unmittelbare Vermögensverschiebungen rechtsgrundlos vorgenommen worden sind (vgl. dazu OVG Münster in OVGE 25, 286, 290). Hierbei steht der Fortfall des rechtlichen Grundes seinem ursprünglichen Fehlen gleich (vgl. den erkennenden Senat aaO). Auch im vorliegenden Fall ist der Rechtsgrund, demzufolge die Klägerin an die Beklagte zugunsten des Beigeladenen L Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat, fortgefallen, so daß die Beklagte diese Beiträge rechtsgrundlos erhalten und mithin zu erstatten hat.

Rechtsgrundlage für einen Anspruch der beklagten AOK (Beitragseinzugsstelle) gegen die Klägerin, für den Beigeladenen zu 2) Beiträge zur ArV zu entrichten, kann allein § 1385 Abs. 4 Buchst g RVO iVm §§ 1404, 1399 RVO sein. Dabei knüpft die erstgenannte Vorschrift an die Versicherungspflicht des von einem Träger der Rehabilitation (hier Träger der Unfallversicherung, §§ 556 ff RVO) betreuten Rehabilitanden nach § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchst c RVO an, dem dieser als Barleistung Übergangsgeld zu gewähren hat (hier § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO). Diese Versicherungs- und demgemäß die mit ihr verbundene Beitragszahlungspflicht der Klägerin ist indessen dadurch rückwirkend entfallen, daß der Arbeitgeber L's seine Pflicht, diesem gemäß § 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) den Arbeitslohn für sechs Wochen fortzuzahlen, im Dezember 1974 nachträglich erfüllt hat. Das ergeben die folgenden Überlegungen:

Es bedarf zunächst keiner näheren Begründung, daß der lohnfortzahlungspflichtige Arbeitgeber von seiner zusätzlichen Pflicht nach §§ 1227 Abs. 1 Nr. 1, 1385 Abs. 4 Buchst a, 1396 Abs. 1, 1399 Abs. 1 RVO, in bezug auch auf den nachträglich fortgezahlten Arbeitslohn Beiträge zur ArV an die Einzugsstelle abzuführen, durch seine rechtswidrige Säumnis nicht entbunden wird (vgl. dazu auch § 10 Abs. 1 LFZG; Kehrmann/Pelikan, LFZG 2. Aufl. 1973 §2 RdNr. 8; § 10 RdNr. 11). Hielte man sich, wie dies die Beklagte tut, auch in Fällen der vorliegenden Art. – Säumnis des lohnfortzahlungspflichtigen Arbeitgebers – allein an den Wortlaut des § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchst c RVO, so bestünde für den Lohnfortzahlungszeitraum Versicherungspflicht des arbeitsunfähigen Verletzten sowohl nach dieser Vorschrift als auch – wegen des während der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit fortbestehenden entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses – nach Nr. 1 aaO. Entsprechend müßten sowohl der Träger der Rehabilitation wie der Arbeitgeber nach den angeführten Vorschriften Beiträge für den Rehabilitanden zur ArV entrichten. Daß dies der Absicht des Gesetzes klar widerspricht, liegt auf der Hand: Für die Versicherungspflicht des „Arbeitnehmers” in der ArV ist § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO die umfassende Grundnorm. Nur wenn für ihn nicht schon kraft dieser Vorschrift Beiträge zur ArV entrichtet werden, tritt subsidiär die Beitragspflicht des Trägers der Rehabilitation auf Grund der Nr. 8a Buchst c aaO ein. Es ist gerade Zweck dieser Vorschrift für denjenigen Arbeitnehmer Lücken in der Beitragsleistung zu vermeiden, der wegen der Notwendigkeit, sich einer längeren Rehabilitation zu unterziehen, nicht schon nach Nr. 1 aaO Rentenanwartschaften erwerben kann.

Nach allem hat § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchst c RVO Fälle der vorliegenden Art. nicht gesehen und daher nicht geregelt. Diese Lücke ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu schließen. Dabei sind folgende Überlegungen anzustellen:

Der Gesetzgeber hat bei Schaffung der Vorschrift offenkundig verkannt, daß in Fällen der zu entscheidenden Art. im Rahmen des § 1227 Abs. 1 Nr. 8a Buchst c RVO nur eine vorläufige und vorübergehende Versicherungspflicht des Rehabilitanden und dementsprechend auch nur eine vorläufige und vorübergehende Beitragspflicht des Trägers der Rehabilitation entsteht. Nichts anderes nämlich bewirkt im Ergebnis § 561 Abs. 1 Satz 1 RVO iVm § 182 Abs. 10 RVO. Danach geht der Anspruch des Verletzten auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gegen den säumigen Arbeitgeber in Hohe des gezahlten (Kranken-)Übergangsgeldes auf den Träger der Unfallversicherung über, der dem Verletzten nach § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO Übergangsgeld zunächst auch für den Lohnfortzahlungszeitraum zu zahlen hatte. Der Rechtsgrund dieses gesetzlichen Anspruchsüberganges ist klar. Da der arbeitsunfähige Verletzte auch dann nicht mittellos bleiben kann, wenn der Arbeitgeber seiner Lohnfortzahlungspflicht (zunächst) rechtswidrig nicht genügt, löst nach § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO bereits das „Nichterhalten” von Arbeitsentgelt einen Anspruch des Verletzten auf Übergangsgeld gegen den Träger der Unfallversicherung aus. Daß der Arbeitgeber aber auf Grund des dargestellten gesetzlichen Anspruchsüberganges den rückständigen, fortzuzahlenden Arbeitslohn nunmehr an den Unfallversicherungsträger abzuführen hat, bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als daß der Träger in bezug auf den ausstehenden Arbeitslohn allein vorläufig für den Arbeitgeber in Vorlage getreten ist. Hat der Arbeitgeber unter Beachtung des gesetzlichen Anspruchsüberganges den Lohn nachträglich gezahlt, ist der den §§ 560 Abs. 1 Satz 1, 561 Abs. 1 Satz 1 RVO zu entnehmende Gesamtplan des Gesetzes – nach Bereinigung des Hindernisses der säumigen Lohnfort Zahlung – erfüllt: Der Arbeitgeber hat seiner Lohnfortzahlungspflicht doch noch genügt; der arbeitsunfähige Verletzte hat seinen Arbeitslohn für sechs Wochen im Ergebnis erhalten, wenngleich zum Teil in Form und unter Verrechnung mit dem nicht zurückzuzahlenden Übergangsgeld; der Unfallversicherungsträger hat im wirtschaftlichen Ergebnis Übergangsgeld nur für die Zeit gezahlt, in der dem Verletzten Arbeitsentgelt nicht zustand.

Hätte nun der Gesetzgeber gesehen, daß der Träger der Rehabilitation in Fällen säumiger Lohnfortzahlung mit dem von ihm zu zahlenden Übergangsgeld nur vorschußweise für den Arbeitgeber eintritt, so hätte er die Versicherungspflicht – und die damit verknüpfte Beitragspflicht des Trägers – nach § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchst c RVO nicht allein an die „Zahlung” bzw den „Bezug” von Übergangsgeld geknüpft. Er hätte vielmehr der rechtlich weitreichenden Tatsache Rechnung getragen, daß in diesen Fällen gemäß der in §§ 560 Abs. 1 Satz 1, 561 Abs. 1 Satz 1 RVO getroffenen Gesamtregelung der Arbeitgeber auf Grund bereits des § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO rückwirkend als allein Beitragszahlungspflichtiger heranzuziehen ist und demgemäß bei dem Betreuten eine ausfüllungsbedürftige Beitragslücke gar nicht besteht. Damit hätte er klargestellt, daß es, wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat, nicht sinngemäß ist, den Arbeitnehmer, dessen Lohnfortzahlungsanspruch erst verspätet befriedigt wird, in der gesetzlichen Rentenversicherung günstiger zu stellen als denjenigen, dessen Lohnfortzahlungsanspruch pünktlich erfüllt wird. § 1227 Ab s 1 Nr. 8 a Buchst c RVO ist daher nach dem Plan des Gesetzes dahin lückenfüllend zu ergänzen, daß dann, wenn der säumige Arbeitgeber seine Lohnfortzahlungspflicht nachträglich erfüllt, die nur vorläufig an die tatsächliche Zahlung von Übergangsgeld geknüpfte Beitragspflicht des Trägers der Rehabilitation nach dieser Vorschrift rückwirkend als gegenstandslos entfällt mit der Folge, daß die von dem Träger gezahlten Beiträge ohne Rechtsgrund erbracht worden sind.

Die Beklagte scheint im Grunde damit übereinzustimmen. Sie hat sich durch den Wortlaut des § 1227 Abs. 1 Kr 8 a Buchst c RVO nicht gehindert gesehen, der Klägerin die für den Lohnfortzahlungszeitraum gezahlten Beiträge zurückzuerstatten. Da im konkreten Fall nach dem rückwirkenden Entfallen der Versicherungspflicht für den Lohnfortzahlungszeitraum nach dieser Vorschrift Versicherungspflicht nicht „mindestens einen Kalendermonat” bestanden hat, hat sie von der Klägerin auch die Beiträge für die Zeit vom 9. bis 22. Dezember 1974 rechtsgrundlos erhalten. Dem stehen die Urteile des 12. Senats des BSG vom 2.2.1978 – 12 RK 59/76 und 12 RK 29/77 – nicht entgegen. Ihnen liegt jeweils ein anderer Sachverhalt zugrunde. Außerdem befassen sie sich mit der Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers zur Krankenversicherung.

Ist nach allem der Rechtsgrund für die hier streitige Beitragsleistung entfallen, so besteht das Begehren der Klägerin auf Rückzahlung auf Grund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches zu Recht. Das angefochtene Urteil trifft zu, so daß die Revision der Beklagten hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 926265

BSGE, 109

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