Beteiligte

Bergbau-Berufsgenossenschaft

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2000 aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13. August 1999 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Klägerin ist die Witwe des am 26. Juni 1997 verstorbenen G. W. (Versicherter). Dieser hatte an einer chronisch obstruktiven Bronchitis und einem Lungenemphysem gelitten. Die Beklagte hatte diese Erkrankung mit Bescheid vom 22. Januar 1997 gemäß § 551 Abs 2 RVO wie eine Berufskrankheit (im Folgenden: Quasi-BK) anerkannt, den Versicherungsfall auf den 26. Juni 1992 festgelegt und Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zunächst 60 und später 70 vH gewährt.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab: Der Versicherte sei zwar an Rechtsherzversagen bei schwergradiger respiratorischer Insuffizienz, wesentlich mitverursacht durch die als Quasi-BK anerkannte Erkrankung, verstorben, Ansprüche der Klägerin seien aber unabhängig von früheren Feststellungen zu prüfen. Wegen der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S 2623) könne eine Krankheit, wie sie der Versicherte gehabt habe, nur dann als Berufskrankheit gemäß Listennummer 4111 der Anlage zur BKV (chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) × Jahre]; im Folgenden: BK 4111) anerkannt werden, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten sei (§ 6 Abs 1 BKV), was hier nicht der Fall gewesen sei.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren (Urteil vom 13. August 1999). Es hat die Ansicht vertreten, die aus den originären Ansprüchen des Versicherten sich ableitenden Hinterbliebenenleistungen hätten Unterhaltsersatzfunktion. Die Stichtagsregelung des § 6 Abs 1 BKV sei irrelevant, denn eine Quasi-BK führe ebenso wie eine BK nach der Liste der Anlage zur BKV (im Folgenden: Listen-BK) zu Hinterbliebenenleistungen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. Januar 2000). Zur Begründung hat es – unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG – ausgeführt: Hinterbliebenenansprüche nach § 63 SGB VII seien selbständige, nicht vom Versicherten abgeleitete Ansprüche. Deshalb könne ein gegenüber dem Versicherten ergangener Anerkennungsbescheid keine Bindungswirkung im Verhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin haben. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen lasse sich nicht auf die BK 4111 stützen. Dem stehe bei einem unstreitig vor dem 1. Januar 1993 liegenden Versicherungsfall die Stichtagsregelung des § 6 Abs 1 BKV entgegen. Aber auch § 9 Abs 2 SGB VII könne nicht herangezogen werden. Diese Vorschrift sei nicht mehr anzuwenden, wenn der Verordnungsgeber eine bestimmte Erkrankung in die Liste aufgenommen, die Gewährung einer Entschädigung aber durch eine Rückwirkung bis zu einem bestimmten, ausreichend weit zurückliegenden Zeitpunkt begrenzt habe. Die Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 1 BKV blockiere mit ihrem Inkrafttreten den Anspruch auf Entschädigung als Quasi-BK.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 63 und 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 4111 sowie des Art 3 Abs 1 GG. Die Auffassung des LSG, Hinterbliebenenansprüche nach § 63 SGB VII seien selbständige, nicht vom Versicherten abgeleitete Ansprüche, werde durch die angegebene ältere Rechtsprechung in dieser Ausschließlichkeit nicht gestützt. Zwar hätten Verwaltungsakte über die Gewährung einer Verletztenrente gegenüber den Hinterbliebenen keine Bindungswirkung, es bestehe aber eine Bindung an die dem Bescheid zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen, die sich im vorliegenden Fall nicht geändert hätten. Die Hinterbliebenen dürften darauf vertrauen, daß ihr Lebensstandard nach dem Tode des Versicherten, der durch die anerkannte Berufskrankheit verursacht worden sei, nicht beeinträchtigt werde. Der Anspruch auf Hinterbliebenenrente sei nicht eigenständig, vielmehr könne er sich nur aus einem Versicherungsfall des Verstorbenen ergeben. Es sei nichts dafür ersichtlich, bei der Hinterbliebenenversorgung gemäß §§ 63 ff SGB VII zwischen den Versicherungsfällen der Listen-BK und Quasi-BK zu differenzieren.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2000 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Duisburg vom 13. August 1999 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Hinterbliebenenrente hänge materiell-rechtlich nicht von der Versichertenrente ab. Der Hinterbliebenenanspruch sei vielmehr selbständig nach den Voraussetzungen des § 63 SGB VII zu prüfen. Dabei sei die Stichtagsregelung des § 6 Abs 1 BKV zu beachten. Ein Vertrauensschutz für die Hinterbliebenen bestehe nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine Korrektur der Stichtagsregelung des § 6 Abs 1 BKV nicht geboten.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG und in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung ist der Bescheid vom 5. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1998 aufzuheben. Die Klägerin hat Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen dem Grunde nach gemäß § 63 Abs 1 SGB VII, denn der Versicherte verstarb an den Folgen eines Versicherungsfalls, nämlich der bei ihm gemäß § 551 Abs 2 RVO anerkannten Berufskrankheit.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Regelungen des SGB VII. Nach der Übergangsregelung des § 214 Abs 3 SGB VII gelten die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen im SGB VII auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII (1. Januar 1997, Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996 ≪BGBl I 1254≫) eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. Dies trifft auf Hinterbliebenenrenten zu, gilt aber auch für die übrigen Hinterbliebenenleistungen, nämlich für das Sterbegeld und die Überführungskosten, denn dabei handelt es sich um Leistungen, die nach der gesetzlichen Systematik im engen Zusammenhang mit Hinterbliebenenrentenleistungen stehen und in der Regel zusammen mit diesen festzustellen sind. Es ist daher von einem bloßen Redaktionsversehen auszugehen, wenn diese in § 214 SGB VII nicht erwähnt sind (vgl KasselerKomm-Ricke, § 214 SGB VII, Stand März 2001, RdNr 8 mwN).

1. Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene Anspruch auf Sterbegeld, Erstattung der Kosten der Überführung an den Ort der Bestattung, Hinterbliebenenrente und Beihilfe. Der Anspruch auf vorgenannte Leistungen – mit Ausnahme der Beihilfe – besteht jedoch nur, „wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist”.

Der Eintritt des Versicherungsfalls und dessen Ursächlichkeit für den Tod des Versicherten begründen demnach für Hinterbliebene das Entschädigungsverhältnis in der gesetzlichen Unfallversicherung. An den Eintritt eines Versicherungsfalls knüpfen auch sonst – mit Ausnahme der Prävention – sämtliche Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung an. So gibt § 26 Abs 2 Nr 1 SGB VII dem Unfallversicherungsträger den Auftrag mit allen geeigneten Mitteln, die durch den „Versicherungsfall” verursachten Gesundheitsschäden zu beseitigen oder zu bessern, die Verschlimmerung zu verhüten und die Folgen zu mildern. Weitere an den Versicherungsfall – als zentralen Begriff – anknüpfende Vorschriften des Leistungsrechts finden sich zB in § 28 Abs 4, § 48 Abs 1, § 44 Abs 1, § 56 Abs 1, §§ 58, 62 SGB VII (vgl Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII, 1997, Vor § 7 RdNr 2).

Was unter dem Begriff des Versicherungsfalls zu verstehen ist, wird in § 7 Abs 1 SGB VII definiert. Danach sind Versicherungsfälle „Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten”. Bei den Berufskrankheiten unterscheidet § 9 SGB VII (in Fortführung von § 551 RVO) zwei Formen der Anerkennung. Zum einen erfolgt, falls die BK in der BKV erfaßt ist, die Anerkennung als sog Listen-BK nach § 9 Abs 1 SGB VII. Zum anderen haben nach § 9 Abs 2 SGB VII die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (sog Quasi-BK) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs 1 Satz 2 erfüllt sind. Das Gesetz definiert also drei verschiedene Arten von Versicherungsfällen. Jede dieser Varianten kann iS des § 63 Abs 1 SGB VII zum Tod des Versicherten führen und damit die Leistungen an Hinterbliebene auslösen: der Versicherungsfall des Arbeitsunfalles, der Versicherungsfall der Listen-BK und schließlich der Versicherungsfall der Quasi-BK. Im Gegensatz zum Versicherungsfall des Arbeitsunfalles und der Listen-BK, die durch Ablauf des entsprechenden Lebenssachverhalts eintreten, wird der Versicherungsfall der Quasi-BK (kraft einer gesetzlichen Fiktion) erst mit dem Anerkennungsbescheid des Trägers der UV – also nur der positiven, bestandskräftigen Entscheidung – (konstitutiv) begründet; mit dem Anerkennungsbescheid entsteht erst das unfallversicherungsrechtliche, in die Zukunft gerichtete Entschädigungsverhältnis (vgl zB BSG Urteil vom 25. August 1994 – 2 RU 42/93 – SozR 3-2200 § 551 Nr 6). Innerhalb dessen sind sämtliche an den Versicherungsfall anknüpfenden Leistungen (einschließlich späterer Verschlimmerungen, mittelbarer Schäden sowie Folge- und Spätschäden, den Tod eingeschlossen) gegenüber dem Versicherten, aber auch nach Maßgabe des § 63 SGB VII gegenüber den Hinterbliebenen, zu gewähren.

Der Tod selbst ist dagegen kein eigener Versicherungsfall, sondern lediglich der „ultimative” Folge- und Spätschaden eines Versicherungsfalls (stRspr bereits seit RVA vom 26. September 1928, EuM 23, 171, 172). Der Eintritt des Versicherungsfalls begründet somit zwischen Versicherten sowie Hinterbliebenen einerseits und dem jeweiligen Träger der Unfallversicherung andererseits ein dynamisches „Entschädigungsverhältnis” (zu diesem Begriff in der Unfallversicherung vgl BSG Urteil vom 17. März 1992 – 2 RU 20/91BSGE 70, 177 = SozR 3-2200 § 581 Nr 2; zum geläufigeren, vergleichbaren Begriff des „Versorgungsverhältnisses” zB BSG Urteile vom 3. Februar 1988 – 9/9a RV 36/86 – SozR 3200 § 88 Nr 5 und vom 28. Juli 1999 – B 9 V 18/98 R – SozR 3-3100 § 62 Nr 3) als Quelle aller angeführten Leistungen in ihrer jeweiligen Ausdifferenzierung unter Einschluß der Ansprüche der Hinterbliebenen. Der Senat sieht sich insoweit im Einklang mit maßgeblichen Stimmen der Literatur. So spricht beispielsweise Schulin (Handbuch der SV, 1996, Band 2, § 27 RdNr 24, 43) von einem bis zum Ableben „gedehnten” Versicherungsfall. Koch (in Lauterbach, UV ≪SGB VII≫, Stand Januar 1998, § 9 RdNr 90) erscheint es diskussionswürdig, bei der Auslegung der Übergangsvorschriften der BKV vom 31. Oktober 1997 im Falle des Todeseintritts nach dem Rückwirkungsstichtag ein „Hineinwirken” des Versicherungsfalls (gemeint des der Quasi-BK; dies ergibt sich aus den vorangehenden Ausführungen) in den Rückwirkungszeitraum anzunehmen und erst zum Todeszeitpunkt von einem bezüglich der Hinterbliebenenansprüche vollständig abgeschlossenen Tatbestand auszugehen.

2. Nach den unangegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist der Versicherte an den Folgen des (rechtmäßig anerkannten) Versicherungsfalls der Quasi-BK nach § 551 Abs 2 RVO (jetzt § 9 Abs 2 SGB VII) verstorben. Der Klägerin steht daher die Hinterbliebenenrente (und auch die sonstigen an den Tod anknüpfenden Leistungen) nach § 63 Abs 1 SGB VII zu.

Es fehlt keineswegs – wie das LSG und die Beklagte meinen – im Verhältnis zur Klägerin an einem entschädigungspflichtigen Versicherungsfall. Die spätere Aufnahme der nach § 9 Abs 2 SGB VII anerkannten Quasi-BK in die BKV ist im Falle der Klägerin unerheblich. Zwar wurde mit Wirkung ab 1. Dezember 1997 eben jene Erkrankung als Listen-BK unter Nr 4111 der Anlage zur BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I 2623) vom Verordnungsgeber aufgeführt. Die begrenzte Rückwirkung nach § 6 Abs 1 der BKV („Leidet der Versicherte am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer …… oder 4111 der Anlage, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist”) bezieht sich aber auf Neuanerkenntnisse als Listen-BK, also nach § 9 Abs 1 SGB VII. Darum geht es bei der Klägerin nicht. Denn der mit dem Anerkenntnis bereits (konstitutiv) begründete Versicherungsfall der Quasi-BK bleibt unberührt. Die mit dem Anerkennungsbescheid eingeräumte Rechtsposition mit der Begründung eines vollwertigen unfallrechtlichen Entschädigungsverhältnisses kann dem Versicherten nur noch unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X entzogen werden (vgl BVerfG Beschluß vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 791/95 – SozR 3-2200 § 551 Nr 15). Durch den Erlaß der BKV mit begrenzter Rückwirkung wird ein (rechtmäßig) anerkannter Versicherungsfall der Quasi-BK auch nicht rechtswidrig, so daß – auch nach der Praxis der Beklagten – § 48 Abs 3 SGB X keine Anwendung findet. Dies gilt – im Ergebnis – auch für die Hinterbliebenen, soweit der Tod die Folge eines Versicherungsfalls der Quasi-BK ist und an der Rechtmäßigkeit dieses Anerkenntnisses keine Zweifel bestehen. Beides steht hier zwischen den Beteiligten außer Streit. Eine andere Sichtweise würde nicht nur dem Gesetzeswortlaut des § 63 Abs 1 iVm § 9 Abs 2 SGB VII (bzw § 551 Abs 2 RVO) widersprechen, sondern auch der Unterhaltsfunktion der Hinterbliebenenrente in der Unfallversicherung (vgl dazu BSG Urteil vom 21. Juni 1995 – 5 RJ 4/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 1; Denck, BG 1988, 352 – zur Rechtslage nach der RVO), der bei vergleichbaren Leidenszuständen mit der Beweiserleichterung nach § 63 Abs 2 SGB VII in besonderer Weise Rechnung getragen wird, zuwiderlaufen.

3. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht die – in Fortführung der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes – entwickelte Rechtsprechung des BSG entgegen, wonach Ansprüche der Hinterbliebenen selbständige, nicht vom Verstorbenen abgeleitete Ansprüche sind, diesem gegenüber ausgesprochene Anerkennungen oder Ablehnungen des Versicherungsfalls keine Bindungswirkung haben und deshalb aus Anlaß der Leistungsfeststellung gegenüber den Hinterbliebenen voll überprüft werden können, sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Hinterbliebenen und ohne Rücksicht auf den verfahrensrechtlichen Vertrauensschutz nach SGB X (vgl RVA in AN 1903 S 566 Nr 2019 sowie in AN 1907 S 486 Nr 2202; BSG Urteile vom 16. Dezember 1958 – 2 RU 259/56 – SozR Nr 41 zu § 128 SGG, vom 28. August 1964 – 2 RU 78/63 – Breithaupt 1965, 884; vom 29. März 1984 – 2 RU 23/83 – HV-INFO 1984, Nr 11, 15; ähnlich hinsichtlich einzelner Hinterbliebenenleistungen: BSG Urteile vom 12. März 1974 – 2 RU 289/73 – SozR 1500 § 144 Nr 2, vom 22. November 1984 – 2 RU 34/83 – SozR 2200 § 589 Nr 8; ebenso KasselerKomm-Ricke § 63 SGB VII, Stand Dezember 1996, RdNr 2; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 63 SGB VII, Stand April 2000, RdNr 3). Zwar mag diese Rechtsprechung, die zu den Versicherungsfällen „Arbeitsunfall” bzw „Berufskrankheit” iS einer Listen-BK ergangen ist, auch auf die konstitutive Begründung des Entschädigungsverhältnisses mit dem Erlaß des Anerkennungsbescheides einer Quasi-BK übertragbar sein. Auch insoweit besteht keine Bindung an die bisherigen Feststellungen gegenüber dem Versicherten und es kann aus Anlaß der Feststellung der Leistungen an die Hinterbliebenen neu geprüft werden, ob das damalige Anerkenntnis – unter Zugrundelegung der damaligen Rechtslage – rechtmäßig gewesen ist. Stellt sich bei dieser Prüfung heraus, daß damals nach dem heutigen Stand der Erkenntnis Fehler unterlaufen sind (zB die nach den Grundsatzgutachten erforderlichen 100 Feinstaubjahre wurden tatsächlich nicht erreicht oder die als Quasi-BK anerkannte chronische Bronchitis mit Emphysem hat nach dem Obduktionsergebnis ihre Ursache eindeutig nicht in der Staubbelastung), kann der Versicherungsfall der Quasi-BK der Feststellung der Leistungen an Hinterbliebene nicht mehr zugrunde gelegt werden. Der Versicherte wäre dann nicht an den Folgen einer der drei genannten Varianten des Versicherungsfalls verstorben. Im Fall der Klägerin war aber der Versicherungsfall der Quasi-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII (bzw § 551 Abs 2 RVO) nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG, die von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen werden, unter Zugrundelegung der damaligen Rechtslage auch nach heutigem Erkenntnisstand zu Recht anerkannt worden.

Diesem Ergebnis widerspricht das von der Beklagten angeführte Urteil des BSG vom 16. Dezember 1958 (2 RU 259/56 – SozR Nr 41 zu § 128 SGG) nur scheinbar. Dieses Urteil wiederholt den bekannten Rechtssatz, daß die gegenüber dem Versicherten ergangenen Bescheide keine bindende Wirkung hinsichtlich der Ansprüche der Hinterbliebenen haben. Es stellt weiter fest, daß (im Gegensatz zur Vorinstanz, die einen „schlüssigen Beweis” forderte) die gleichen Beweisgrundsätze wie bei einer Erstfeststellung zu gelten hätten. Nur in diesem Kontext steht – wie sich auch dem Leitsatz der Entscheidung entnehmen läßt – dann der folgende Satz, daß die Entscheidung „in dem vorliegenden Verfahren (über die Hinterbliebenenrente) genauso zu treffen ist, wie wenn jener Bescheid gegenüber dem Verletzten überhaupt nicht ergangen wäre”. Dieser Satz ist also keinesfalls generalisierend, sondern lediglich als plakativ formulierte Anleitung zur Beweiswürdigung zu verstehen – über die im hiesigen Verfahren relevante Rechtsfrage, ob ein nach damaliger Rechtslage rechtmäßiges Anerkenntnis des Versicherungsfalls der Quasi-BK zugunsten der Hinterbliebenen fortwirkt, hat der 2. Senat des BSG damals nicht entschieden.

4. Schließlich steht die ständige Rechtsprechung des BSG zum Verhältnis von Listen-BK zur Quasi-BK unter Betonung des Vorrangs des Verordnungsgebers dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen (vgl hierzu BSG Urteile vom 30. Juni 1993 – 2 RU 16/92BSGE 72, 303 = SozR 3-2200 § 551 Nr 3; vom 25. August 1994 – 2 RU 42/93BSGE 75, 51 = SozR 3-2200 § 551 Nr 6; vom 19. Januar 1995 – 2 RU 14/94 – HVBG-INFO 1995, 1331 sowie anschließend BVerfG Beschluß vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 791/95 – SozR 3-2200 § 551 Nr 15; BSG Urteil vom 11. Mai 1995 – 2 RU 22/94 – RegNr 22020 = HVBG-INFO 1995, 2149 sowie anschließend BVerfG Beschluß vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 1689/95 –; zum Ganzen: BSG Urteil vom 24. Februar 2000 – B 2 U 43/98 R – SozR 3-2200 § 551 Nr 14). Diese Rechtsprechung betrifft durchweg Fälle, in denen der Versicherungsfall der Quasi-BK durch einen (konstitutiven) anerkennenden Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers noch nicht eingetreten war – also bei noch nicht abgeschlossenen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, dh wenn noch keine bindende positive Entscheidung der Verwaltung oder ein entsprechendes rechtskräftiges Urteil über das Vorliegen einer Quasi-BK ergangen ist. Im vorliegenden Fall aber war bereits der Versicherungsfall der Quasi-BK (rechtmäßig) anerkannt, als dessen Folge die Hinterbliebenenrente unter Berufung auf den gesetzlichen Tatbestand begehrt wird. In diesem Fall sind die Hinterbliebenen ebenso wie der Versicherte selbst gerade nicht dem Risiko der Rechtsänderung durch den Erlaß der BKV mit begrenzter Rückwirkung ausgesetzt, weil das mit dem Anerkenntnis des Versicherungsfalls der Quasi-BK auch zu ihren Gunsten begründete Entschädigungsverhältnis weiterhin besteht und insoweit ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde. Denn § 6 Abs 1 der BKV hat einen anderen – auch zeitlichen – Anwendungsbereich. Er zielt nicht darauf ab, den Versicherungsfall der Quasi-BK unter Umgehung des Gesetzeswortlautes des § 63 Abs 1 SGB VII und Annullierung des Entschädigungsverhältnisses in Bezug auf die Hinterbliebenenleistungen abzuschaffen; er verhindert lediglich ab seinem Inkrafttreten neue Anerkenntnisse (dh Versicherungsfälle der Quasi-BK) und daraus folgende Leistungsansprüche, sei es des Versicherten selbst, sei es seiner Hinterbliebenen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI662564

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