Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlung von Kurzarbeitergeld

 

Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Streitig ist Kurzarbeitergeld (Kug) für die Arbeitnehmer des Betriebes "Werft B. -G. " (im folgenden Werft B-G) der Klägerin in der Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1983.

Die Klägerin ist ein Unternehmen der Schiffbauindustrie. Die Werft B-G gehörte neben der S. Werft (im folgenden S-Werft) zu dem Bestand der - zwischenzeitlich umfirmierten - Klägerin. Die Werft B-G hatte im zweiten Halbjahr 1983 ca 2.200 Beschäftigte, die S-Werft ca 2.500. Jede Werft hatte einen Betriebsrat - der allerdings für die Werft B-G nicht mehr besteht -, und außerdem gab es einen Gesamtbetriebsrat. Die Werften arbeiteten unter einheitlicher Unternehmensleitung arbeitstechnisch getrennt, jedoch mit wechselseitigem Einbezug von Fertigungskapazitäten und Arbeitskräften.

Auf der Werft B-G wurde während des ganzen Jahres 1983 kurz gearbeitet. Seit Sommer 1983 waren regelmäßig zwischen 1.100 und 1.600 Arbeitnehmer in der Weise von Kurzarbeit betroffen, daß sie weniger als 25 v.H. ihrer üblichen Arbeitszeit ableisten mußten. Auf entsprechende Anzeige erkannte die Beklagte die Voraussetzungen für die Gewährung von Kug an und bewilligte Auszahlungsbeträge für die einzelnen Betriebsabteilungen, zuletzt für die Zeiträume vom 1. September bis 14. Oktober 1983 in der überwiegenden Anzahl der Verwaltungsverfahren.

Am 15. Oktober 1983 beschloß der Aufsichtsrat der Klägerin, die Werft B-G zum Jahresende stillzulegen. Mit Schreiben vom 17. Oktober 1983, beim Arbeitsamt (AA) Bremen eingegangen am 18. Oktober 1983, unterrichtete der Arbeitsdirektor der Klägerin das AA von dem Stillegungsbeschluß. Nach einem Vermerk vom 21. Oktober 1983 fand aus Anlaß der Schließung am 18. Oktober 1983 ein Gespräch zwischen Vertretern der Klägerin einschließlich ihres Betriebsrats sowie Vertretern der Arbeitsverwaltung statt. Dabei wurde von den Vertretern der Arbeitsverwaltung dargestellt, "aus welchen Gründen das AA Bremen die Entscheidung getroffen hat, mit Wirkung vom 15.10.83 an kein Kurzarbeitergeld mehr zu zahlen. Es fehle nämlich eine wesentliche Voraussetzung, die Bezug nimmt auf die Erhaltung der Arbeitsplätze". Mit Schreiben vom 21. Oktober 1983 wurde der Vermerk dem Arbeitsdirektor der Klägerin übersandt. In der Folgezeit versuchte die Klägerin, eine Fortsetzung der Zahlung des Kug über den 15. Oktober 1983 hinaus zu erreichen.

Gemäß entsprechender Anzeige der Klägerin wurden 1.047 Arbeitnehmer der Werft B-G zum 31. Dezember 1983, 527 Arbeitnehmer zum 31. Januar 1984, 68 Arbeitnehmer zum 31. März 1984 und 505 Arbeitnehmer zum 30. Juni 1984 jeweils unter Einhaltung der vom Landesarbeitsamt bestimmten Sperrfristen entlassen. Bis zum Ablauf der Kündigungsfristen erhielten die Arbeitnehmer Lohnzahlungen. Die S-Werft übernahm 131 Auszubildende, 19 Ausbilder und 30 Schwerbehinderte.

Mit Bescheid vom 4. Juni 1984 hob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) den Bewilligungsbescheid über die Gewährung von Kug und von Zuschüssen für die Kranken- und Rentenversicherung bezüglich aller Betriebsabteilungen der Werft B-G mit Ablauf des 14. Oktober 1984 auf. Sie stützte sich dabei auf § 151 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und führte aus, aufgrund der am 15. Oktober 1983 beschlossenen Stillegung der Werft zum 31. Dezember 1983 könne der Hauptzweck des Kug, nämlich dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer zu erhalten, nicht mehr erfüllt werden. Insoweit sei allein auf den Betrieb, nicht dagegen auf das Unternehmen abzustellen.

Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 1984) hat das Sozialgericht (SG) die auf Bewilligung von Kug für die Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1983 gerichtete Klage - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 14. November 1986 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Klagebegehren begrenzt und beantragt, den Bescheid der BA vom 4. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1984 aufzuheben. Das LSG hat mit Urteil vom 24. Oktober 1988 die Berufung zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die BA habe zutreffend gemäß § 151 Abs. 1 AFG die für die jeweiligen Betriebsabteilungen erlassenen Anerkennungsbescheide aufgehoben. Zwar sei der Klägerin noch keine eigentliche Leistung gewährt worden, jedoch sei § 151 Abs. 1 AFG in dem zweistufigen Kug-Verfahren entsprechend anzuwenden, wenn sich herausstelle, daß nach Erlaß eines Anerkennungsbescheides i.S. des § 72 Abs. 1 Satz 4 AFG der mit der Gewährung von Kug verfolgte Zweck nicht mehr erreicht werden könne. Dies sei hier der Fall. § 63 Abs. 1 AFG stelle klar, daß der Hauptzweck der Gewährung von Kug die Erhaltung der Arbeitsplätze für die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer sowie die Erhaltung der eingearbeiteten Belegschaft für den Betrieb sei. Bei endgültiger Betriebsstillegung werde das Ziel des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG verfehlt. Dabei sei auch bei aus mehreren Betrieben bestehenden Unternehmen jeweils auf den betroffenen einzelnen Betrieb bzw. gemäß § 63 Abs. 3 AFG auf die jeweilige Betriebsabteilung abzustellen, nicht aber auf das Unternehmen selbst.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 63, 64 und 65 AFG. Sie macht geltend, das LSG habe sich bei seiner Entscheidung allein am Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG orientiert, ohne der rechtspolitischen Zielsetzung des Kug Rechnung zu tragen, die aus dem Titel des dritten Abschnitts des AFG "Leistungen der Arbeitslosenversicherung zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen" hervorgehe. Nach dem die §§ 63f. AFG tragenden Rechtsgedanken der Erhaltung von Arbeitsplätzen seien diese Bestimmungen nicht nur auf den zur Schließung anstehenden Betrieb der Werft B-G, sondern auch auf den Schwesterbetrieb der S-Werft analog anzuwenden. Dies sei auch im Wege der Rechtsfortbildung wegen wesentlicher Veränderungen im Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsstrukturbereich seit Erlaß des AFG gerechtfertigt, weil das Institut der Kurzarbeit infolge der wesentlichen wirtschaftlichen Veränderungen ein wirtschafts- und sozialpolitisch existenzsicherndes Instrument zur Bewältigung krisenhafter Erscheinungen in besonders betroffenen Branchen geworden sei. Von daher müsse der Betrieb bzw. Betriebsbegriff erweiternd interpretiert werden.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1984 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf das Urteil des LSG und macht geltend, die auf § 151 Abs. 1 AFG gestützte Aufhebung sei auch nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) gerechtfertigt.

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der angefochtene Aufhebungsbescheid der BA vom 4. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1984 ist rechtmäßig.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Klägerin als Prozeßstandschafterin berechtigt ist, die Rechte ihrer früheren Arbeitnehmer, denen die Ansprüche auf Kug materiell zustehen, geltend zu machen. Gegen die Fortsetzung der Prozeßstandschaft für die Rückabwicklung hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 12. Dezember 1990 (11 RAr 73/89 - zur Veröffentlichung vorgesehen) Bedenken geäußert. Diese Bedenken erledigen sich, wenn auch bei Anwendung der Prozeßstandschaft für die Rückabwicklung das Vermögen des Arbeitgebers als Haftungsmasse angesehen wird. Demzufolge war die Klägerin auch der richtige Adressat des angefochtenen Aufhebungsbescheides.

Entgegen der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung läßt sich allerdings die angefochtene Aufhebungsentscheidung der BA nicht auf § 151 Abs. 1 AFG i.d.F. des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I 1497), sondern ausschließlich auf die Rücknahmevorschrift des § 48 SGB X stützen.

Nach § 151 Abs. 1 AFG darf die BA zwar in bestimmten Fällen Verwaltungsakte über die Regelungen in §§ 47, 48 SGB X hinaus widerrufen, wenn die gewährte Leistung nicht oder nicht mehr ihrem Zweck entsprechend verwendet oder eine Auflage nicht erfüllt wird. Die mit dieser Vorschrift gegenüber dem SGB X erleichterte Widerrufsmöglichkeit erfaßt jedoch nur die Bewilligung von Leistungen, die allein zur Verwendung für bestimmte Zwecke zur Verfügung gestellt werden, also zweckgebunden sind. Zu diesen Leistungen zählen, wie der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in einer Entscheidung vom 25. April 1990 (7 RAr 94/87 - BSG SozR 3-4100 § 63 Nr. 1) dargelegt hat, weder das den Arbeitnehmern zu gewährende Kug noch die dem Arbeitgeber zustehenden Zuschüsse zu den von ihm zu tragenden Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung. Der Arbeitnehmer kann das als Lohnersatz gewährte Kug wie Arbeitsentgelt frei verwenden. Nichts anderes gilt für den Arbeitgeber; auch er ist nicht gehalten, die Zuschüsse gerade zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge während der Kurzarbeit zu verwenden. Die vom LSG herausgestellte Zweistufigkeit des für Ansprüche auf Kug vorgesehenen Verwaltungsverfahrens, nämlich einerseits der sog. Anerkennungsbescheid und andererseits der durch den Anerkennungsbescheid vorbereitete Leistungsbescheid, ändert nichts daran, daß das zu gewährende Kug den Empfängern ohne Zweckbindung zur Verfügung zu stellen ist. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des 7. Senats des BSG an.

Daß die Aufhebungsentscheidung nicht auf § 151 Abs. 1 AFG zu stützen ist, macht den Aufhebungsbescheid vom 4. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 1984 nicht rechtswidrig. Denn es liegen die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Aufhebungsbescheids in eine Rücknahmeentscheidung nach § 48 SGB X vor. Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlaß erfüllt sind. Demgemäß hat auch der 7. Senat des BSG in der zitierten Entscheidung vom 25. April 1990 (a.a.O.) die Umdeutung eines auf § 151 Abs. 1 AFG gestützten Aufhebungsbescheides in eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X für zulässig erachtet.

Die Aufhebungsvorschrift des § 48 SGB X setzt nach Abs. 1 Satz 1 den (nachträglichen) Eintritt einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen voraus, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, wozu die Kug-Bewilligung zählt, vorgelegen haben.

Der Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides vom 4. Juni 1984 geht dahin, daß "die Gewährung des Kurzarbeitergeldes" mit Ablauf des 14. Oktober 1983 ganz aufgehoben wird, weil die in § 63 Abs. 1 AFG geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Damit hat die BA - wovon auch das LSG ausgegangen ist - nicht nur die Leistungsbescheide, sondern auch die der Leistungsbewilligung zugrundeliegenden Anerkennungsbescheide aufgehoben. Denn sie wollte erkennbar wegen des Stillegungsbeschlusses nicht nur die Leistung versagen, sondern auch die Zusicherung, daß die allgemeinen und betrieblichen Voraussetzungen des Kug gegeben sind, aufheben. Insoweit ist der Aufhebungsbescheid vom 4. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1984 ausreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X).

In den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die den Anerkennungs- und Bewilligungsbescheiden zum Kug zugrunde lagen, ist ab 15. Oktober 1983 eine wesentliche Änderung eingetreten. Diese lag darin, daß aufgrund der am 15. Oktober 1983 beschlossenen Schließung der Werft B-G die Gewährung von Kug für diesen Betrieb der Klägerin über den 14. Oktober 1983 hinaus nicht mehr mit § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG zu vereinbaren war.

Nach dieser Vorschrift wird Kug Arbeitnehmern bei vorübergehendem Arbeitsausfall in Betrieben gewährt, in denen regelmäßig mindestens ein Arbeitnehmer beschäftigt ist, wenn zu erwarten ist, daß durch die Gewährung von Kug den Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten werden. Diese Zwecksetzung des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG wird - wie der 7. Senat in seiner Entscheidung vom 25. April 1990 (a.a.O.) bereits ausgeführt hat - verfehlt, wenn feststeht, daß mit dem Ende der Kurzarbeit der Betrieb endgültig oder für nicht absehbare Zeit stillgelegt wird. Der Arbeitsausfall ist in einem solchen Falle nicht vorübergehend, sondern endgültig; auch ist nicht zu erwarten, daß durch die Gewährung von Kug über die Kurzarbeitszeit hinaus den Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten werden. Dieses Ergebnis entspricht der in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Rechtsansicht (vgl. Gagel, Komm zum AFG, § 63 Anm. 22; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl., 1988, § 63 Anm. 14; LAG Düsseldorf BB 1974, 1347 f; LSG Baden-Württemberg ZIP 1985, 175).

Durch die vom LSG zitierte Rechtsprechung des BSG (BSGE 46, 218, 220 = BSG SozR 4100 § 63 Nr. 1) ist ebenfalls bereits geklärt, wie der Betriebsbegriff i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG zu verstehen ist. Danach ist - im Anschluß an den für das Arbeitsrecht entwickelten Betriebsbegriff - der Betrieb die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit Hilfe sächlicher und sonstiger Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Der Betrieb ist demnach im Gegensatz zum Unternehmen eine technisch-organisatorische Einheit (BSG a.a.O. m.w.N.). Nach den nicht angegriffenen und damit gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen des LSG waren bei der Werft B-G die Voraussetzungen dieses Betriebsbegriffs erfüllt; sowohl die Werft B-G als auch die S-Werft waren nach diesen Feststellungen getrennte eigenständige Betriebe, die zwar unter einer einheitlichen Unternehmensleitung, jedoch unter getrennter Leitung in arbeitstechnischer Hinsicht gearbeitet haben.

Der Einwand der Klägerin, im Hinblick auf die seit Erlaß des AFG wesentlich veränderten wirtschaftlichen Umstände sei eine Regelungslücke eingetreten, die im Wege der Analogie oder der richterlichen Rechtsfortbildung durch Ausdehnung des Betriebsbegriffs i.S. der §§ 63f. AFG zu schließen sei, verkennt Ziel und Zweck der Kug-Regelung.

Schon die Stellung der Vorschriften über das Kug innerhalb des dritten Abschnittes des AFG, der mit "Leistungen der Arbeitslosenversicherung zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen" überschrieben ist, verdeutlicht den Zweck der Regelung. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum AFG (Allgemeiner Teil) besagt zu diesem Abschnitt, Kug werde Arbeitnehmern gewährt, für die durch einen vorübergehenden, auf wirtschaftlichen Ursachen oder einem unabwendbaren Ereignis beruhenden Arbeitsausfall im Betrieb ein Lohnausfall entstehe. Sein gesellschaftspolitischer Wert bestehe darin, daß die den Arbeitnehmer belastende Unsicherheit seiner beruflichen Existenz vermindert werde. Wirtschaftspolitisch diene das Kug, das den Betrieben die eingearbeiteten Arbeitskräfte erhalte, dem Ausgleich kurzfristiger konjunktureller Schwankungen und der Überbrückung betrieblicher, durch die wirtschaftliche Entwicklung verursachter Strukturveränderungen. Die arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Kug bestehe darin, daß die Arbeitsverhältnisse stabilisiert würden. Andererseits dürfe das Kug den natürlichen Ausleseprozeß in der Wirtschaft nicht stören. Es könne auch nicht seine Aufgabe sein, Schwankungen der Beschäftigungslage aufzufangen, die durch die Eigenart der Betriebe bedingt seien oder regelmäßig wiederkehrten (BT-Drucks V/2291, S. 55 zu 5a). Im besonderen Teil nennt die Gesetzesbegründung als den Hauptzweck des Kug, dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und dem Arbeitgeber seine eingearbeitete Belegschaft zu erhalten. Die Überbrückung langwieriger Strukturveränderungen entspreche nicht dem Zweck des Kug (vgl. BT-Drucks a.a.O. S. 70 zu § 58 Abs. 1 und zu § 59 Abs. 1). An diesen Aussagen hat sich die Rechtsprechung des BSG orientiert (vgl. SozR 4100 § 63 Nrn 1 und 2; BSG Urteil vom 25. April 1990 -a.a.O.-).

Wäre die Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht auf den konkreten Betrieb, sondern global auf die Verhältnisse im Unternehmen bezogen, würde der gesetzgeberische Zweck der Sicherung des (konkreten) Arbeitsplatzes verfehlt. Nach den zitierten Gesetzesmaterialien besteht der gesellschaftspolitische Wert des Kug darin, daß die den Arbeitnehmer belastende Unsicherheit seiner beruflichen Existenz vermindert wird (BT-Drucks a.a.O. S. 55). Dies kann nicht dadurch geschehen, daß - wie die Klägerin geltend macht - ein Betrieb geschlossen wird und dadurch Arbeitsplätze eines anderen Betriebes stabilisiert werden. Die Gewährung von Kug würde in einem solchen Fall letztlich eine Subventionierung der Klägerin darstellen, die durch die Gewährung von Kug gerade nicht erfolgen soll (vgl. BSG SozR 4100 § 63 Nr. 2; BSG Urteil vom 25. April 1990 a.a.O.). Im übrigen würden damit auch die Konzernbetriebe gegenüber der mittelständischen Wirtschaft privilegiert. Denn bei größeren Unternehmen wird die Mehrheit der Arbeitsplätze im Gesamtbereich in aller Regel auch dann erhalten werden können, wenn einzelne Betriebe stillgelegt werden. Eine Modifizierung des Betriebsbegriffs in die von der Klägerin für zutreffend erachtete Richtung kann auch nicht darin erblickt werden, daß der Gesetzgeber in § 63 Abs. 4 in der - hier nicht maßgebenden - Fassung des Achten AFG-Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987 (BGBl. I 2602) und i.d.F. des Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 22. Dezember 1989 (BGBl. I 2406) unter den dort genannten Voraussetzungen die Gewährung von Kug auch an Arbeitnehmer vorsieht, die in Betriebsteilen zusammengefaßt sind, weil in diesen Regelungen der Betriebsbegriff durch den Begriff der "betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit" eher eingeengt als in Richtung auf den von der Klägerin für zutreffend erachteten Unternehmensbegriff erweitert worden ist.

Aus demselben Grund kann die Klägerin sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß von der S-Werft einige frühere Arbeitnehmer der Werft B-G übernommen worden sind. Denn im Hinblick auf die dargestellte Betriebsbezogenheit der gesetzlichen Regelung läßt sich eine ausdehnende Anwendung der gesetzlichen Regelung auf Fälle der Umsetzung in andere selbständige Betriebe desselben Unternehmens nicht rechtfertigen.

Sind sonach durch den Stillegungsbeschluß vom 15. Oktober 1983 die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug nach § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG entfallen, konnte die Aufhebung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an erfolgen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufgehoben werden, soweit der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Da die Aufhebung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an erfolgen soll, soweit der Betroffene wußte oder wissen mußte, daß der Anspruch zum Wegfall gekommen ist, kommt es für die Aufhebungsbefugnis nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X auf den Zeitpunkt an, in dem der Betroffene bösgläubig geworden ist. Das Wissen bzw. Wissenmüssen muß sich darauf beziehen, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes weggefallen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22).

Nach den bindenden Feststellungen des LSG wußte der für die Klägerin handelnde Vorstand (§ 76 Aktiengesetz), daß aufgrund des Beschlusses des Aufsichtsrats vom 15. Oktober 1983, durch den der Schließung der Werft B-G zum 31. Dezember 1983 zugestimmt worden war, die Arbeitsplätze bei dieser Werft und damit auch die Voraussetzungen für einen weitergehenden Anspruch auf Kug ab 15. Oktober 1983 weggefallen sind. Denn der - zum Vorstand gehörende - Arbeitsdirektor der Klägerin hat die Arbeitsverwaltung mit Schreiben vom 17. Oktober 1983 von der Schließung der Werft B-G unterrichtet und die sich daraus ergebenden "Folgen" angesprochen. Die BA hat bereits zum 15. Oktober 1983 die Kug-Zahlungen eingestellt. Darüber hinaus haben Vertreter der Arbeitsverwaltung in dem Gespräch am 18. Oktober 1983 gegenüber Vertretern der Klägerin unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß mit Wirkung ab 15. Oktober 1983 kein Kug mehr gezahlt werden könne, weil es an einer wesentlichen gesetzlichen Voraussetzung, nämlich der Erhaltung der Arbeitsplätze, fehle. Der Vermerk über dieses Gespräch ist an den Arbeitsdirektor der Klägerin übersandt worden. Diese Umstände bestätigen, daß die Vertreter der Klägerin wußten, daß die in den Anerkennungsbescheiden genannten Voraussetzungen einer Kug-Gewährung für Arbeitnehmer der Werft B-G ab dem 15. Oktober 1983 entfallen waren.

Da die Klägerin im Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse Kenntnis vom Wegfall des Anspruchs hatte und es hierauf - wie bereits ausgeführt - für die Aufhebungsbefugnis nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ankommt, ist das spätere Verhalten der BA und dessen Einfluß auf das Wissen und die Erwartung der Klägerin insoweit ohne Bedeutung. Sie kann sich deshalb auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß zwischen dem Zeitpunkt des Beschlusses des Aufsichtsrats vom 15. Oktober 1983 und dem Bescheid der BA vom 4. Juni 1984 mehr als 7 Monate vergangen sind und dadurch bei ihr bzw. ihren Vertretern die Erwartung geweckt worden sei, der Anspruch auf Kug bestehe weiter. Im übrigen ist zu beachten, daß sich die Frage eines Vertrauensschutzes des Betroffenen gar nicht gestellt hätte, wenn die BA sofort nach Kenntnis des Wegfalls der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG die Aufhebungsentscheidung getroffen hätte, weil diese dann nur Wirkung für die Zukunft entfaltet hätte. In diesem Fall "ist" nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Verwaltungsakt zwingend aufzuheben.

Nachdem somit die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vorliegen, kann es auf das spätere Verhalten der BA nur dann ankommen, wenn dieses ein Vertrauen rechtfertigte, die BA werde von der Aufhebungsbefugnis keinen Gebrauch machen. Dies war hier nicht der Fall. Insbesondere kann diese Schlußfolgerung nicht aus der verzögerten Bescheiderteilung gezogen werden. Es wäre in sich widersprüchlich, wenn die Klägerin, nachdem sie mit intensiven Vorstößen bis zum Präsidenten der BA versucht hat, bei bereits eingestellter Zahlung dennoch eine Weitergewährung des Kug zu erreichen, sich darauf berufen dürfte, daß durch die von ihr damit bewirkte späte Entscheidung über die Aufhebung der Leistungen für sie ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei.

Ein sog. atypischer Fall liegt deswegen hier nicht vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bedeutet das "soll" in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, daß der Leistungsträger den Verwaltungsakt in der Regel rückwirkend aufhebt, daß er jedoch in atypischen Fällen hiervon absehen darf. Die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens eines atypischen Falles ist gerichtlich voll überprüfbar. Deshalb muß das Gericht, wenn der Leistungsträger - wie hier - ohne weitere Prüfung einen Regelfall angenommen hat, die Prüfung selbst nachholen; es darf den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung nur aufheben, wenn die Prüfung einen atypischen Fall ergibt (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44 m.w.N.).

Wann ein atypischer Fall vorliegt, in dem die Behörde eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend aufgehoben wird, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BSG a.a.O.). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglichen richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist.

In Anwendung dieser Grundsätze ist hier ein atypischer Fall zu verneinen. Es steht fest, daß die Klägerin durch Schließung der Werft B-G den Wegfall des Anspruchs auf Kug nach § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG und damit die Änderung der Verhältnisse i.S. von § 48 Abs. 1 SGB X selbst herbeigeführt hat. Ein atypischer Fall wird auch nicht dadurch begründet, daß die Aufhebungsentscheidung erst mehrere Monate nach Kenntnis der BA von dem Eintritt der Änderung der Verhältnisse ergangen ist. Zwar ist bei der Prüfung, ob ein besonderer Fall vorliegt, das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite in Gestalt einer atypischen verzögerten Behandlung des Falles statt der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen und zügigen Sachbearbeitung kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestandes nach § 48 Abs. 1 SGB X ergeben (vgl. BSGE 66, 103, 108 = SozR 4100 § 103 Nr. 47 m.w.N.). Die Verzögerung der Aufhebungsentscheidung durch die oben bereits erwähnten Bemühungen der Klägerin hatten zur notwendigen und für Fälle dieser Art typischen Folge, daß die Bewilligungsbescheide nicht nur mit Wirkung für die Zukunft, sondern rückwirkend aufzuheben waren. Dies verleiht dem Geschehensablauf mithin keine Atypik, sondern entspricht dem Normalfall. Da durch die Zahlungseinstellung zum 14. Oktober 1983 mit der Aufhebung der Bewilligungsbescheide keine Rückforderung überzahlter Leistungen verknüpft ist, stellt sich auch nicht die Frage, ob die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile den Leistungsempfänger besonders hart treffen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nrn 19, 53).

Liegt somit kein atypischer Fall vor, der eine Ermessensentscheidung der BA notwendig macht, war die rückwirkende Aufhebung der Anerkennungs- und Bewilligungsbescheide für die betroffenen Betriebsabteilungen der Werft B-G gemäß § 48 SGB X rechtmäßig. Die Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.11 RAr 21/89

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517794

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