Beteiligte

AOK Sachsen – Die Gesundheitskasse

1. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte

2. Bundesanstalt für Arbeit

 

Tenor

Auf die Revision des Beigeladenen zu 3) wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 2. März 2000 – L 1 KR 38/97 – aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Streitig ist, ob der Beigeladene zu 3) als Beschäftigter versicherungspflichtig in der Rentenversicherung und beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) war.

Der 1952 geborene Beigeladene zu 3) ist Rechtsanwalt. Ab Mai 1991 war er im Rahmen jeweils befristeter „Honorarverträge” im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des klagenden Landkreises M. als Berater tätig. Der Honorarvertrag vom 1. April 1992 war bis zum 31. Dezember 1992 befristet. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) stellte anläßlich einer Betriebsprüfung beim Kläger für die Zeit bis 31. Dezember 1992 fest, daß es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) um eine abhängige versicherungspflichtige Beschäftigung handelte (Prüfbericht vom 22. September 1993). Sie folgte damit dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 16./17. März 1993 und der Auffassung des Bundesministers für Finanzen, wonach die zur Erfüllung der Aufgaben nach § 28 des Vermögensgesetzes von den Gemeinden im Beitrittsgebiet herangezogenen Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und anderen Fachkräfte als abhängig Beschäftigte anzusehen seien und die erzielten Honorare dem Lohnsteuerabzug unterlägen. Der Kläger zahlte die bis Dezember 1992 geforderten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Der Beigeladene zu 3) war von Januar 1993 bis Dezember 1994 weiter für den Kläger im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen tätig. Am 9. Juni 1993 schloß er mit diesem einen neuen „Honorarvertrag” für das Jahr 1993 und am 10. Dezember 1993 einen gleichlautenden Vertrag für das Jahr 1994. Grundlage der Verträge war ein Mustervertrag des Bundesverwaltungsamtes. Nach § 1 der Verträge umfaßte die Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) die Mitwirkung an fachlichen Entscheidungen, die Beratung der zuständigen Mitarbeiter des Klägers bei der Vorbereitung von Entscheidungen, gutachtliche Stellungnahmen, Durchführung von Schulungsmaßnahmen sowie die Herbeiführung gütlicher Einigungen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Tätigkeit sollte in ständiger Absprache mit dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen erfolgen. Die Aufgaben waren in den Diensträumen des Klägers wahrzunehmen (§ 1 Abs 2 der Verträge). Im Gegensatz zum Vertrag vom 1. April 1992, der eine Arbeitszeit von 40 Stunden/Woche festlegte, regelte § 2 der Verträge nunmehr als „Zeitaufwand”: „Die Aufgabe erfordert, daß der Auftragnehmer zumindest während der normalen Dienststunden im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen zur Verfügung steht. Die Einzelheiten können mit dem Auftraggeber (Kläger) abgestimmt werden.” Als Vergütung wurde ein monatlich nachträglich zu zahlendes pauschales Honorar von 9.000 DM einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer vereinbart sowie eine pauschale Aufwandsentschädigung für das Jahr 1993 von 1.750 DM und für das Jahr 1994 „in der vom Bundesverwaltungsamt bezuschußten Höhe”. Während der Vertrag vom 1. April 1992 eine Minderung der Vergütungen nur für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vorsah und einen bezahlten Urlaub von 24 Tagen im Jahr, wurde in den neuen Verträgen auch eine Vergütungsminderung für Erholungszeit vereinbart (§ 3 Abs 5 der Verträge). Diese Zeiten waren mit dem Kläger abzustimmen (§ 7 der Verträge).

Die Allgemeine Ortskrankenkasse Dresden (AOK), deren Rechtsnachfolgerin die beklagte Krankenkasse ist, stellte als Einzugsstelle mit Bescheid vom 24. Oktober 1995 und Änderungsbescheid vom 27. Dezember 1995 gegenüber dem Kläger fest, daß der Beigeladene zu 3) auch in der Zeit vom 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1994 in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden habe; sie forderte Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33.459,60 DM nach, die der Kläger unter Vorbehalt zahlte. Den Widerspruch des Klägers wies die AOK mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 1996 zurück. Der Beigeladene zu 3) habe die ihm in den Honorarverträgen zugewiesenen Aufgaben nach Zeit und Ort fremdbestimmt ausgeführt. Ein Unternehmerrisiko sei nicht erkennbar.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der BfA (Beigeladene zu 1), der BA (Beigeladene zu 2) und des Rechtsanwalts die Klage durch Urteil vom 10. Juni 1997 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers dieses Urteil und die Bescheide aufgehoben sowie die Beklagte verurteilt, an den Kläger 33.459,60 DM zurückzuzahlen. Der Beigeladene zu 3) habe nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zum Kläger gestanden. Die Ausgestaltung seiner Tätigkeit habe den Vereinbarungen des Honorarvertrages entsprochen. Sie habe zwar sowohl typische Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses als auch einer selbständigen Tätigkeit aufgewiesen. Nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung habe indessen eine selbständige Tätigkeit vorgelegen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Beigeladenen zu 3). Er rügt eine Verletzung des § 7 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Das LSG habe die Aussage der Zeugin H. nicht gewürdigt und unrichtige Feststellungen getroffen. Die Feststellung des LSG, er sei nicht durchgängig fünf Tage in der Woche während der Kernzeit im Amt anwesend gewesen, treffe nicht zu. Eine entsprechende Zeugenaussage gebe es nicht. Ferner wird eine Verletzung von Art 3 Abs 1, Art 9 Abs 3 iVm Art 20 Abs 1 des Grundgesetzes gerügt, da auch Rechtsanwälte sozial schutzbedürftig seien.

Der Beigeladene zu 3) und die Beklagte beantragen,

das Urteil des LSG vom 2. März 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 10. Juni 1997 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben keinen Antrag gestellt. Die Beigeladene zu 2) hat sich schriftsätzlich der Rechtsauffassung des Beigeladenen zu 3) angeschlossen.

II

Die Revision des Beigeladenen zu 3) ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Das LSG hat dessen Mitarbeit im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Klägers als selbständige Tätigkeit angesehen. Diese Bewertung bezieht sich auf die Jahre 1993 und 1994, in denen nach Feststellung der AOK in den angefochtenen Bescheiden eine in der Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtige und beitragspflichtige Beschäftigung vorgelegen hat. Die Bewertung hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. In den Jahren 1993 und 1994 unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unabhängig von der Höhe des Entgelts der Versicherungs- und Beitragspflicht (§ 1 Satz 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫; § 168 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV in seiner bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung (aF; jetzt § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV). Nach § 7 Abs 1 SGB IV aF ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Allerdings kann dies – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur funktionsgerechten dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen freigestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (BSGE 45, 199, 200 ff = SozR 2200 § 1227 Nr 8; BSG SozR 3–2400 § 7 Nr 13 S 31 f, jeweils mwN; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG, Kammerbeschluß, SozR 3–2400 § 7 Nr 11).

2. a) Das LSG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat als Merkmale der Einbindung des Beigeladenen zu 3) in die Organisation des Klägers und damit eines Beschäftigungsverhältnisses angesehen, daß ihm die Akten zur Bearbeitung zugewiesen wurden. Eine Auswahl oder eine Bestimmung der Reihenfolge der Bearbeitung konnte der Beigeladene zu 3) selbst nicht treffen. Er durfte im Fall der Abwesenheit (Urlaub/Krankheit) auch keinen Vertreter benennen. Er konnte seine Tätigkeit tatsächlich nur im Amt ausüben. Diese Feststellungen sind nicht mit Verfahrensrügen angefochten worden. Ihre Beurteilung als Merkmale einer abhängigen Beschäftigung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

b) Das LSG hat jedoch die Umstände, die für eine freie Mitarbeitertätigkeit und damit gegen ein Beschäftigungsverhältnis sprechen, als erheblich überwiegend angesehen und das Gesamtbild der Arbeitsleistung als selbständige Tätigkeit bewertet. Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Das LSG hat zunächst allgemein angeführt, die Ausgestaltung der Dienstleistung des Beigeladenen zu 3) habe den Vereinbarungen des Honorarvertrages entsprochen. Speziell zur Arbeitszeitgestaltung hat es festgestellt, sie habe nicht typischerweise der eines Angestelltenverhältnisses entsprochen. In § 2 Satz 1 des Honorarvertrages sei die Dauer der Arbeitszeit nicht eindeutig festgelegt worden. Schon diese Bestimmung im Unterschied zu der vertraglichen Ausgestaltung des Jahres 1992 („die Arbeitszeit beträgt 40 Stunden”) belege, daß dem Kläger nicht wie üblicherweise einem Arbeitgeber das Recht eingeräumt war, vom Beigeladenen zu 3) eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden zu verlangen. Es habe somit kein Anwesenheitszwang dergestalt bestanden, daß der Beigeladene zu 3) wie ein Arbeitnehmer bei Abwesenheit mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Abmahnung/Kündigung) habe rechnen müssen. Daß dieser auch tatsächlich nicht regelmäßig 40 Stunden/Woche habe tätig sein müssen, belegten die Zeugenaussagen. Der Geschäftsleiter des Klägers, der Zeuge R., habe anläßlich seiner Vernehmung am 23. April 1999 (gemeint wohl: 23. April 1996) erklärt, daß der Beigeladene zu 3) als Rechtsanwalt möglichst zu den Besuchszeiten habe anwesend sein sollen. Grundsätzlich habe keine Anwesenheitspflicht bestanden. Zwar sei der Beigeladene zu 3) im wesentlichen bei Nachfragen für die Mitarbeiter auch immer im Amt erreichbar gewesen. Allen Zeugenaussagen sei jedoch gemein, daß die Rechtsanwälte im Amt hinsichtlich der Gestaltung ihrer Tätigkeit wesentlich mehr Freiheit genossen hätten als die Angestellten. Soweit der Beigeladene zu 3) auf die von ihm geführten Arbeitszeitkarten verweise, sei nicht zwingend der Schluß zu ziehen, es handele sich um Nachweise einer festgelegten geleisteten Stundenzahl. Nach seinen Angaben habe er die Arbeitszeitkarten selbst ausgefüllt. Eine inhaltliche Kontrolle sei nicht erfolgt. Dies habe der Zeuge R. bestätigt. Ein Unterschreiten der Wochenstundenzahl (von 40 Stunden) bzw der monatlichen Stundenzahl (von 160 Stunden) habe auch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen gehabt. Selbst eine Abwesenheit von einem oder mehreren Tagen sei durch den Kläger nicht sanktioniert worden. Einzige Konsequenz der Nichterbringung von 40 Stunden/Woche sei der Übertrag von Fehlzeiten auf die kommenden Monate mit einer abschlägigen Verrechnung im Monat Dezember eines Kalenderjahres gewesen. Die Erfassung der Arbeitszeit auf den Arbeitszeitkarten habe dem Nachweis gedient, daß eine Honorartätigkeit mit mindestens 160 Dienststunden monatlich vorgelegen habe. Das Honorar sei zum überwiegenden Teil vom Bundesverwaltungsamt erstattet worden. Anspruch darauf habe nur bestanden, wenn der Rechtsanwalt seine Aufgaben vollständig erfüllt habe, also insbesondere keine Fehlzeiten vorgelegen hätten. Der Beigeladene zu 3) sei im streitigen Zeitraum nicht durchgängig fünf Tage/Woche während der Kernzeit im Amt anwesend gewesen. Fehlzeiten seien zulässig gewesen, sofern die Gesamtstundenzahl (160 Stunden im jährlichen Monatsdurchschnitt) erreicht worden sei. Die erforderlichen „Absprachen” mit dem Geschäftsleiter R. hätten jedoch keine für ein Beschäftigungsverhältnis typische arbeitgeberseitige Genehmigung einer Abwesenheit vom Arbeitsplatz dargestellt. Aus der Aussage des Zeugen ergebe sich, daß dieser kein Mitspracherecht, geschweige denn ein Ablehnungsrecht bei der Wahl und Lage der beabsichtigten Fehltage gehabt habe. Nach der Aussage sei davon auszugehen, daß der Beigeladene zu 3) den jeweiligen Fehltag selbst bestimmte, ohne daß der Kläger dem habe widersprechen können.

Die Feststellungen, die das LSG im Rahmen dieser Ausführungen zur Arbeitszeitgestaltung getroffen und seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, sind unvollständig und teilweise widersprüchlich. Sie können daher vom Senat der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139 S 449):

Soweit das LSG dem Honorarvertrag entnommen hat, die Dauer der Arbeitszeit sei nicht eindeutig festgelegt gewesen, der Beigeladene zu 3) habe seine Arbeitszeit frei gestalten können, ohne bei Abwesenheit mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie Abmahnung und Kündigung rechnen zu müssen, hat das LSG nicht berücksichtigt, daß das Vertragsverhältnis nach § 6 Abs 3 der Verträge vom 9. Juni 1993 und 10. Dezember 1993 vom Kläger jederzeit mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende hätte gekündigt werden können. Das LSG hat zudem zwar den Wortlaut des § 2 der Verträge wiedergegeben, jedoch in seine Würdigung nicht einbezogen, daß darin eine Anwesenheit im Amt des Klägers zumindest während der normalen Dienststunden vereinbart war. Einzelheiten wie auch eine erholungsbedingte Abwesenheit bedurften nach den Verträgen der Abstimmung mit dem Kläger (§ 2 Satz 2, § 7). Dieser Vertragsinhalt spricht entgegen der Auffassung des LSG für eine vereinbarte Mindestdauer der Arbeitszeit, eine Anwesenheitspflicht im Amt zu bestimmten Zeiten und eine Pflicht zur Abstimmung der Fehlzeiten mit dem Geschäftsleiter des Amtes.

Wenn das LSG zu den tatsächlichen Verhältnissen festgestellt hat, der Beigeladene zu 3) sei hinsichtlich der Gestaltung seiner Arbeit wesentlich freier als die Angestellten und nicht durchgängig fünf Tage/Woche während der Kernarbeitszeit im Amt anwesend gewesen, der Kläger habe kein Mitspracherecht, geschweige denn ein Ablehnungsrecht bei Wahl und Lage der Fehltage gehabt, widerspricht das den weiteren Ausführungen, der Beigeladene zu 3) habe möglichst während der Besuchszeiten anwesend sein sollen und sei im wesentlichen bei Nachfragen für die Mitarbeiter auch immer im Amt erreichbar gewesen. Die letztgenannten Feststellungen würden für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Amtes sprechen. Gleiches gilt, wenn der Beigeladene zu 3) an Dienstbesprechungen teilgenommen hat. Dies hätte das LSG daher nicht, wie geschehen (vgl S 20 des Urteils), offenlassen dürfen. Es hätten auch Feststellungen dazu nahegelegen, ob Abwesenheiten – unabhängig von der rechtlichen Verpflichtung – tatsächlich mit dem Geschäftsleiter abgesprochen worden sind. Da das LSG außerdem davon ausgeht, daß nur Fehlzeiten zulässig waren, sofern die Gesamtstundenzahl von 160 Stunden im jährlichen Monatsdurchschnitt erreicht wurde (vgl S 14 des Urteils), und Abwesenheiten (auch wegen Krankheit und Urlaub, vgl S 16 des Urteils) nachzuarbeiten waren, hätte geklärt und in die Würdigung einbezogen werden müssen, ob der Beigeladene zu 3) diese Arbeitszeit für den Kläger erbracht hat oder nicht. Für die Gesamtwürdigung macht es einen Unterschied, ob ein Rechtsanwalt mit nur geringen zeitlichen Vorgaben eine Beratertätigkeit wahrnimmt oder ob er durchschnittlich täglich jedenfalls während der Kernarbeitszeit der anderen Mitarbeiter des Amtes, insgesamt 160 Stunden/Monat, dort die ihm zugewiesenen Akten bearbeitet, an Dienstbesprechungen teilnimmt, den Mitarbeitern zur Beratung zur Verfügung steht und nur nach Absprache mit dem Geschäftsleiter dem Dienst fernbleibt.

c) Als für Selbständigkeit sprechende „Verfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft” hat das LSG angeführt, daß der Beigeladene zu 3) nicht verpflichtet gewesen sei, dem Kläger seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Es sei ihm nicht verwehrt gewesen, neben der Tätigkeit beim Kläger weiterhin seine Tätigkeit als Rechtsanwalt wahrzunehmen und eine Anwaltskanzlei in M. aufzubauen. Hiervon seien die Vertragsparteien, wie sich aus § 5 des Honorarvertrages ergebe, sogar ausgegangen. Der Fall eines angestellten Rechtsanwalts, der seine gesamte Arbeitskraft ausschließlich einem anderen zur Verfügung stelle und sich verpflichte, andere Mandate nicht anzunehmen, liege nicht vor.

Hier verkennt das LSG, daß Selbständigkeit eine Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und eine im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit voraussetzt (vgl BSGE 45, 199, 200 = SozR 2200 § 1227 Nr 8 S 16). Davon könnte bei der Beratertätigkeit des Beigeladenen zu 3) nur gesprochen werden, wenn er seine Arbeitsleistung so frei gestalten konnte, daß daneben eine Tätigkeit als freiberuflicher Rechtsanwalt (Wahrnehmung von Gerichtsterminen, Besprechungstermine mit Mandanten, Betreuung der Kanzlei) möglich war. Dieser Schluß läßt sich aus den bisherigen Feststellungen des LSG nicht ziehen. Die festgestellte Arbeitsverpflichtung von 160 Stunden im jährlichen Monatsdurchschnitt und die Anwesenheit im Amt während der Kernarbeitszeit sprechen dagegen.

d) Das LSG ist ferner von einem – wenngleich geringen – Unternehmerrisiko des Beigeladenen zu 3) ausgegangen. Er sei nach Ablauf der Befristung ohne Anspruch auf Kündigungsschutz und auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung aus der Tätigkeit ausgeschieden, habe keine finanzielle Absicherung bei krankheits- und urlaubsbedingten Fehlzeiten gehabt und sei verpflichtet gewesen, eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung in Höhe von 1 Million DM (§ 8 der Verträge) abzuschließen. Schließlich sei ihm ein pauschales monatliches Honorar zuzüglich einer pauschalen Aufwandsentschädigung, jeweils einschließlich der Umsatzsteuer gezahlt worden, das er zu versteuern gehabt habe, wie dies bei selbständigen Tätigkeiten üblich sei.

Diese Ausführungen rechtfertigen nicht die Annahme eines Unternehmerrisikos. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiß ist (vgl BSG SozR 3–2400 § 7 Nr 13 S 36 mwN). Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich nicht, daß der Erfolg des Einsatzes der Arbeitskraft für den Beigeladenen zu 3) ungewiß war. Denn er schuldete nur den Einsatz seiner Arbeitskraft. Abzüge für eine etwaige Schlechtleistung hatte er nicht hinzunehmen. Es ist auch nicht erkennbar, daß Honorarkürzungen eingetreten sind, weil seine Arbeitskraft nicht benötigt wurde, zB kein Beratungsbedarf beim Kläger bestand, oder weil aufgrund besonderer Umstände – zB eines Stromausfalls in den Diensträumen des Klägers – die Arbeit nicht erbracht werden konnte. – Die Überbürdung des Risikos, bei krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen kein Honorar zu erhalten, wie es hier vereinbart worden ist, spricht nach der Rechtsprechung des BSG nur dann für Selbständigkeit, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder höhere Verdienstchance gegenübersteht. Allein die Belastung eines Erwerbstätigen, der im übrigen nach der tatsächlichen Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses als abhängig Beschäftigter anzusehen ist, mit zusätzlichen Risiken rechtfertigt nicht die Annahme von Selbständigkeit (vgl BSG SozR 3–2400 § 7 Nr 13 S 36 mwN). Den Feststellungen des LSG ist nicht zu entnehmen, daß dem Beigeladenen zu 3) höhere Verdienstchancen offenstanden. Es war ein Pauschalentgelt vereinbart. Die Höhe des Verdienstes hing nicht vom Arbeitseinsatz ab; denn Fehlzeiten waren nachzuarbeiten und eine Möglichkeit, durch Mehrarbeit über die 160 Stunden/Monat hinaus einen höheren Verdienst zu erzielen, bestand nicht. Sollten die sonstigen Umstände überwiegend für eine abhängige Beschäftigung sprechen, vermögen daher der Ausschluß der Vergütung bei Krankheit und Urlaub die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht zu ändern. – Die Verpflichtung zum Abschluß einer Vermögenshaftpflichtversicherung ist kein speziell für eine selbständige Tätigkeit sprechendes Merkmal. Sie beeinflußt weder die Eingliederung in den Betrieb noch die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien. Eine Haftung für schuldhaftes Verhalten trifft – in der Regel eingeschränkt – auch Arbeitnehmer (vgl BSG SozR 3–2400 § 7 Nr 13 S 36 mwN); aus diesem Grunde werden Haftpflichtversicherungen auch von abhängig Beschäftigten abgeschlossen (vgl LAG Berlin, NZA 1987, 488, 489 aE). – Soweit das LSG ein Unternehmerrisiko aus dem fehlenden Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung ableitet, ist dies ein Zirkelschluß. Sollte der Beigeladene zu 3) abhängig beschäftigt gewesen sein, war er gegen den Fall der Arbeitslosigkeit versichert. – Die Befristung der Honorarverträge vermag ein Unternehmerrisiko während der Arbeit für den Kläger nicht zu begründen (vgl BSG SozR 3–2400 § 7 Nr 13 S 37). – Schließlich bringt die vom LSG in diesem Zusammenhang gewürdigte Vereinbarung über die Versteuerung des Honorars durch den Beigeladenen zu 3) nur die Vorstellung der Vertragsparteien zum Ausdruck, eine selbständige Tätigkeit zu begründen (vgl BSG, Urteil vom 14. Mai 1981 – 12 RK 11/80 – BB 1981, 1581, 1582). Sie könnte allenfalls Bedeutung erlangen, wenn die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen des Beigeladenen zu 3) zum Kläger gleichermaßen für Selbständigkeit und eine abhängige Beschäftigung spricht (vgl BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17). Davon kann jedoch nach den bisherigen Feststellungen des LSG keine Rede sein.

e) Als entscheidend für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit hat das LSG angesehen, daß der Beigeladene zu 3) bei der Bearbeitung der Akten im wesentlichen fachlich weisungsfrei war. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß die Qualifikation des Beigeladenen zu 3) als Volljurist Weisungen zum Inhalt der Entscheidungsentwürfe, Beratungen, Gutachten, Schulungen und bei der Herbeiführung gütlicher Einigungen ausschloß. Daher hat das LSG das Fehlen fachlicher Weisungen auch nur damit begründet, es seien keine Vorgaben iS von Arbeitsanweisungen bei der Behandlung der zugeteilten Fälle zu beachten gewesen, wie sonst bei Angestellten im öffentlichen Dienst üblich. Sollte das LSG damit Anweisungen zum Arbeitsablauf gemeint haben, hätte es hier seine Feststellungen würdigen müssen, daß der Beigeladene zu 3) bestimmten Sachbearbeitern als Berater zugeteilt war, ihm die Akten zugewiesen wurden und er sie in bestimmter Reihenfolge sowie im Amt zu bearbeiten hatte. Das Fehlen von Vorgaben zur Abfassung der Bescheidentwürfe spräche nur gegen eine Einbindung in die Arbeitsorganisation des Klägers, wenn ihre Kenntnis und Beachtung nicht zum selbstverständlichen Handwerkszeug eines Volljuristen gehörte. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG ist es für die Frage der fachlichen Weisungsgebundenheit unerheblich, ob der Kläger den „Empfehlungen” des Beigeladenen zu 3) gefolgt ist oder nicht.

f) Schließlich meint das LSG, es fehle die soziale und rechtliche Schutzbedürftigkeit, die es erfordere, den Beigeladenen zu 3) in die Pflichtversicherung aufzunehmen. Dabei wird verkannt, daß die Annahme einer Beschäftigung nicht von der individuellen Schutzbedürftigkeit der betreffenden Person abhängt (vgl BSGE 40, 208, 209 = SozR 2200 § 169 Nr 1 S 2; BSG SozR 2200 § 1227 Nr 19 S 43). Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts haben für die Beschäftigung insofern Bedeutung, als sie es ausschließen, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien und ihren Vereinbarungen zu entscheiden (vgl BSGE 51, 164, 167/168 = SozR 2400 § 2 Nr 16). Als Merkmal der Beschäftigung ist das Ziel der Sozialversicherung, die sozial Schwächeren vor den Wechselfällen des Lebens zu schützen, nicht geeignet. Das gilt auch für die wirtschaftliche Abhängigkeit, die das LSG als maßgeblich für eine soziale Schutzbedürftigkeit angesehen hat (vgl BSGE 36, 262, 263; BSG SozR 2200 § 1227 Nr 19 S 41). Ebensowenig kann eine Beschäftigung iS des Sozialversicherungsrechts mit dem Hinweis auf eine fehlende rechtliche Schutzbedürftigkeit und damit verneint werden, daß die Berufung auf die Versicherungspflicht der Beschäftigung im Verhältnis der Vertragsparteien zueinander treuwidrig ist. Auch dies würde dem Charakter einer öffentlich-rechtlichen Pflichtversicherung widersprechen.

3. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen, weil weitere Feststellungen zu den Umständen der Arbeit des Beigeladenen zu 3) für den Kläger (zB zur Dauer der wöchentlichen, monatlichen Arbeitszeit, Arbeitszeitgestaltung mit oder ohne Absprache mit dem Geschäftsleiter, Einbindung in den Arbeitsablauf des Amtes einschließlich der Dienstbesprechungen) zu treffen sind (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Hierbei wird das LSG auch die Aufzeichnungen in den Arbeitszeitkarten und alle Zeugenaussagen zu berücksichtigen haben, sofern die Beweiswürdigung keine Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit ergibt. Die abschließende Gesamtwürdigung erfordert eine Abwägung aller für eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit sprechenden Umstände. Sollte sich dabei ergeben, daß der Beigeladene zu 3) im wesentlichen täglich in der Kernarbeitszeit und durchschnittlich 160 Stunden/Monat im Amt die ihm zugewiesenen Aufgaben erledigt und den Mitarbeitern als Berater zur Verfügung gestanden hat, sprechen diese Umstände und die pauschale monatliche Vergütung deutlich für eine Beschäftigung. Die Verhältnisse unterschieden sich dann auch wesentlich von dem Sachverhalt, den das Bundesarbeitsgericht seinem Urteil vom 3. Juni 1998 (5 AZR 656/97, AP Nr 97 zu § 611 BGB Abhängigkeit) zugrunde gelegt hat. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs 4 SGB IV (idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1999, BGBl 2000 I 2) für eine Beschäftigung bei Vorliegen von mindestens drei der dort genannten Merkmale galt zwar in den Jahren 1993/94 noch nicht. Sofern jedoch angenommen wird, in den Merkmalen hätten lediglich wesentliche Abgrenzungskriterien der früheren Rechtsprechung ihren Niederschlag gefunden, könnten hier alle fünf Merkmale für eine Beschäftigung sprechen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 558104

NJ 2001, 448

SGb 2001, 311

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