Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Bezifferung des Klageantrags auf Kostenerstattung. Pflegehilfsmittel. Abgrenzung von den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens. feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein auf Kostenerstattung gerichteter Antrag ist unzulässig, wenn er nicht beziffert, aber bezifferbar ist; bei einem auf Sachleistung gerichteten Antrag ist dies zwar entbehrlich (st.Rspr.; vgl. z.B. BSG SozR 3- 2500 § 33 Nr 37, 41); es muss aber dafür die Menge und die Häufigkeit der Leistung konkretisiert werden.

2. § 13 Abs. 3 SGB V ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der auch im Bereich der sozialen Pflegeversicherung anzuwenden ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 3).

3. Feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier sind aus Sicht der Kranken – wie der sozialen Pflegeversicherung Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens; als solche sind sie auch von den Pflegekassen nicht als Pflegehilfsmittel zu übernehmen.

 

Normenkette

SGB XI § 40 Abs. 1 S. 1; SGB V § 13 Abs. 3, § 33 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.10.2001; Aktenzeichen L 16 P 22/99)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die 1957 geborene, verheiratete Klägerin leidet an einer Erkrankung des neurologischen Systems mit hirnorganischer Wesensveränderung, Teillähmung aller Gliedmaßen und Muskelschwund. Sie muss ständig einen Rollstuhl benutzen, wird zu Hause gepflegt und bezieht von der beklagten Pflegekasse Leistungen gemäß Pflegestufe III nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Seit 1993 befindet sich im Erdgeschoss des klägerischen Hauses eine Spezialtoilette mit Reinigungsstrahl (sog Closomat); 1997 hat die Klägerin im Obergeschoss einen zweiten Closomaten einbauen lassen, dessen Anschaffungskosten die Beklagte im Juni 2000 übernommen hat.

Im Juli 1995 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage von zahlreichen Rechnungen die Kostenerstattung für selbst beschaffte feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier sowie Gewährung dieser Mittel für die Zukunft. Nach einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab, da die Gegenstände medizinisch nicht notwendig (Bescheid vom 10. Oktober 1995) und auch nicht im Pflegehilfsmittelverzeichnis aufgeführt seien (Widerspruchsbescheid vom 19. September 1996).

Die dagegen erhobene Klage ist nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Neurologen vom Sozialgericht (SG) abgewiesen worden, da es sich um Gegenstände des täglichen Lebensbedarfs handele, die nicht zu den Pflegehilfsmitteln zählten (Urteil vom 19. März 1999). Die Berufung der Klägerin – gerichtet auf Erstattung der bereits entstandenen Kosten und zukünftige Versorgung mit den genannten Gegenständen – ist vom Landessozialgericht (LSG) mit gleicher Begründung zurückgewiesen worden (Urteil vom 18. Oktober 2001).

Mit der Revision macht die Klägerin eine Verletzung von § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI geltend. Diese Vorschrift enthalte die Ausnahme von allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens des § 33 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gerade nicht, sondern gewähre bewusst einen wesentlich weiteren Spielraum. Die Eignung, die Beschwerden eines Behinderten zu lindern, müsse ausreichen. Darüber hinaus bestünden auch Zweifel, ob die Gegenstände als solche des täglichen Lebens bezeichnet werden könnten, weil sie nicht allgemein verbreitet seien. Die Notwendigkeit der Reinigungsmittel habe der behandelnde Neurologe festgestellt; sie bestehe auch nach Einbau des zweiten Closomaten fort.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2001 sowie des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19. März 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, sie mit feuchten Einmalwaschlappen sowie feuchtem Toilettenpapier als Pflegehilfsmittel aus der Pflegeversicherung zu versorgen und ihr die bereits entstandenen Kosten der Selbstbeschaffung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat weder – für die Vergangenheit – Anspruch auf Kostenerstattung für feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier noch – für die Zukunft – Anspruch auf laufende (Sach-)Leistung entsprechender Materialien. Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, handelt es sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die nicht zu den Pflegehilfsmitteln nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI zählen.

Das LSG hat nicht geprüft, ob die Klage in dieser Form überhaupt zulässig ist. Zum einen ist ein – wie hier hinsichtlich der Vergangenheit – auf Kostenerstattung gerichteter Antrag unzulässig, wenn er nicht beziffert, aber bezifferbar ist; bei einem auf Sachleistung gerichteten Antrag ist dies zwar entbehrlich (st Rspr vgl zB BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 37, 41); es muss aber dafür die Menge und die Häufigkeit der Leistung konkretisiert werden. Die Klägerin hat erstinstanzlich unter Vorlage zahlreicher Quittungen, aber ohne Bezifferung, Kostenerstattung für fünf Arten von laufend selbst beschafften Gegenständen – zunächst auch Hautpflegeschaum, Ölpflegetücher und Sagrotan – beantragt. In der zweiten Instanz hat sie ihren Antrag einerseits auf die – wiederum unbezifferte – Kostenerstattung für feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier beschränkt. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihren Antrag auch auf Versorgung mit den genannten Materialien für die Zukunft erweitert, ohne Menge und Häufigkeit zu nennen. Bei dieser Antragsfassung bestünde die Gefahr, dass bei einem zusprechenden Urteil der Streit der Beteiligten nicht endgültig ausgeräumt würde. Dem ist durch eine sachgerechte Antragstellung vorzubeugen.

Letztlich können diese Bedenken indes dahinstehen, weil die Klage unter keinem Gesichtspunkt begründet sein kann, die Revision mithin auf jeden Fall zurückzuweisen ist. Im SGB XI ist ein ausdrücklicher Anspruch auf Kostenerstattung bei selbst beschafften Pflegehilfsmitteln (§ 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI), selbst bei zum Verbrauch bestimmten nach § 40 Abs 2 SGB XI, nicht enthalten (vgl Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 4 RdNr 3 und § 40 RdNr 14). § 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX – vom 19. Juni 2001, BGBl I, 1046) greift nicht ein, weil die Pflegekassen keine Rehabilitationsträger sind (vgl § 6 Abs 1 SGB IX). Der erkennende Senat hat indessen bereits entschieden, dass § 13 Abs 3 SGB V Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, der auch im Bereich der sozialen Pflegeversicherung anzuwenden ist (Urteil vom 30. Oktober 2001, B 3 KR 27/01 R = BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 3). Demnach sind auch dort Kosten für eine selbst beschaffte, notwendige Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Pflegekasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Voraussetzung ist jedoch, dass ein Anspruch auf die Leistung bestanden hat. Diese Voraussetzung ist hier nicht, auch nicht hinsichtlich der für die Zukunft begehrten Sachleistung, erfüllt.

Nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern – solche kommen hier nicht in Betracht – zu gewähren sind. Die Gewährung setzt mithin die Verneinung eines Anspruchs der Klägerin gegen ihre Krankenkasse voraus. Nach § 33 Abs 1 SGB V haben Krankenversicherte Anspruch auf Versorgung mit Hör- und Sehhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, eine Behinderung auszugleichen oder einer drohenden Behinderung vorzubeugen (vgl dazu ab 1. Juli 2001 § 31 Abs 1 Nr 1 SGB IX), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier sind allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens; eine – vorrangige – Pflicht der Krankenkasse auf Kostenerstattung oder Sachleistung scheidet daher aus und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht, weshalb eine Beiladung der Krankenkasse der Klägerin unterbleiben durfte (vgl BSGE 66, 144, 145 ff = SozR 3-5795 § 6 Nr 1; BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 7). Die Krankenversicherung deckt nur den Sonderbedarf von Kranken und Behinderten. Hingegen ist ein Gegenstand, mag er auch Kranken und/oder Behinderten wie der Klägerin in hohem Maße helfen, nicht als Hilfsmittel der Krankenversicherung zu gewähren, wenn er bereits von seiner Konzeption her nicht vorwiegend für kranke und/oder Behinderte gedacht ist (stRspr, BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 7 – Fernsehsessel; BSGE 84, 266, 268 f = SozR 3-2500 § 33 Nr 33 – Luftreinigungsgerät II). Feuchte Einmalwaschlappen und feuchtes Toilettenpapier werden in erster Linie für Gesunde hergestellt sowie von diesen gekauft und benutzt. Die genannten Gegenstände sind in vielen Kaufhäusern und Supermärkten erhältlich und dienen der Versorgung der Bevölkerung mit Artikeln des täglichen Bedarfs. Entgegen der Ansicht der Revision ist dabei nicht entscheidend, wie hoch der Anteil von Käufern dieser Artikel in der Bevölkerung ist. Er ist jedenfalls so hoch, dass es für Kaufhäuser und Supermärkte rentabel ist, diese Artikel vorzuhalten. Dass die genannten Materialien auch in Apotheken und Drogerien angeboten werden, steht einer Wertung als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens nicht entgegen, weil dort auch alltägliche Körperpflegemittel wie Zahnpasta und Seife als Zusatzsortiment angeboten werden (vgl BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 7 zu Fernsehsesseln, die in ähnlicher Form auch von Reha-Herstellern gefertigt und als “medizinische Hilfsmittel” in Sanitätshäusern angeboten werden).

Die Klägerin hat aber auch keinen – nachrangigen – Anspruch auf Kostenerstattung oder Sachleistung gegen die beklagte Pflegekasse. Dabei kann dahinstehen, ob die genannten Gegenstände auch nach der Anschaffung eines zweiten Closomaten zur Erleichterung der Pflege und zur Ermöglichung einer selbständigeren Lebensführung noch erforderlich sind. Das LSG hat dazu keine Feststellungen getroffen. Ein Anspruch bestand zu keinem Zeitpunkt, weil es sich auch aus der Sicht der Pflegeversicherung um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt und ein entsprechender Ausschluss auch für die von den Pflegekassen zu gewährenden Pflegehilfsmittel besteht, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 22. August 2001 entschieden hat (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 7 – Fernsehsessel).

Der Ausschluss ergibt sich zwar nicht, wie im Bereich der Krankenversicherung, ausdrücklich aus dem Gesetz; er lässt sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung aus dem systematischen Zusammenhang entnehmen. Nach den gesetzgeberischen Materialien (BT-Drucks 12/5262, S 113) dürfen Mittel, “die zum täglichen Lebensbedarf gehören”, nicht berücksichtigt werden, “auch wenn sie die Pflege erleichtern”. Dies wird zwar nicht näher begründet. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, weshalb dieser Ausschlussgrund nicht wie im SGB V ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden ist. Aus der fehlenden Gesetzesregelung kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass hier das Gegenteil dessen gelten soll, was im SGB V geregelt ist. Näher liegt vielmehr die Annahme, dass dieser Ausschlussgrund als selbstverständlich und damit nicht regelungsbedürftig angesehen wurde; möglicherweise liegt auch ein bloßes redaktionelles Versehen vor. Eine Abweichung von der gesetzlichen Krankenversicherung ist in dieser Hinsicht auch nicht geboten. In beiden Bereichen trifft der Ausgangsgedanke zu, dass es grundsätzlich nicht zu den Aufgaben einer Sozialversicherung gehört, die Besorgung oder Anschaffung von Gegenständen zu finanzieren, die zum allgemeinen Lebensbedarf oder zu den Kosten der normalen Lebenshaltung gehören (vgl BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 zum Krankenversicherungsrecht). Die Gewährung von Gegenständen des täglichen (hygienischen) Lebensbedarfs fällt auch dann nicht unter die Leistungspflicht der Pflegekassen, wenn der Versicherte, wäre er gesund, die Materialien nicht oder jedenfalls nicht in diesem Umfang verwendet hätte. Dem erhöhten Bedarf von Behinderten in allen Lebensbereichen wird dadurch Rechnung getragen, dass sie ua steuerlich entlastet werden (§§ 33, 33b Einkommensteuergesetz). Die Regelung des § 40 Abs 4 SGB XI gibt den Pflegekassen außerdem die Möglichkeit, subsidiär, einkommensabhängig und der Höhe nach begrenzt Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Umfeldes als Ermessensleistung zu gewähren. Darum handelt es sich hier aber nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 869430

GuS 2003, 59

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