Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1971 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beklagte lehnte die Gewährung der vom Kläger beantragten Rente durch Bescheid vom 6. August 1968 mit der Begründung ab, der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig noch vermindert bergmännisch berufsfähig. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 1969 zurückgewiesen. Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 12. Dezember 1969 abgewiesen. Auf die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 24. August 1971 das Urteil des SG abgeändert und dem Antrag des Klägers entsprechend die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 6. August 1968 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 1969 verurteilt, dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit ab Antragstellung (12. Februar 1968) bis zum 30. April 1970 zu zahlen. Nach der Feststellung des LSG kann der Kläger wegen einer groben Arthrosis deformans in beiden Kniegelenken schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten nicht mehr verrichten; auch leichte körperliche Arbeiten sind nicht möglich, wenn sie mit dem Begehen von Unebenheiten verbunden sind, wenn sie das Steigen von Leitern oder das Tragen von Lasten erfordern, wenn sie in gebückter oder kriechender Stellung verrichtet werden müssen oder wenn der Arbeiter ungünstigen Witterungsbedingungen ausgesetzt ist. Das LSG kommt danach zu dem Ergebnis, daß der Kläger noch als Telefonist über Tage (Lohngruppe IV) tätig sein könne. Zwar schlössen die sich ergebenden Differenzen zum Lohn des Grubenlokomotivführers von 17,0 % (Lohnordnung vom 1. Juni 1966), von 16,1 % (Lohnordnung vom 1. Juli 1968) und von 14,2 % (Lohnordnung vom 1. Januar 1970) eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) nicht aus, jedoch handele es sich bei der Tätigkeit als Telefonist gegenüber der Tätigkeit eines Grubenlokomotivführers um keine Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. Der Beruf des Grubenlokomotivführers setze Kenntnisse und Fähigkeiten voraus, denen gegenüber die zur Verrichtung der Telefonistentätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht gleichwertig seien. Das erforderliche Berufswissen eines Telefonisten werde durch Vormachen und mündliches Erläutern am Arbeitsplatz vermittelt. Da diese Tätigkeit praktisch von jedem Arbeiter nach kurzer Einweisung verrichtet werden könne und keine Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere, die denjenigen des Grubenlokomotivführers im wesentlichen gleichwertig seien, verbiete sich im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG eine Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit eines Telefonisten. Daher stehe ihm die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit für den streitigen Zeitraum zu. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Die Beklagte trägt zur Begründung der von ihr eingelegten Revision vor, die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Verweisungstätigkeit des Telefonisten sei ein Indiz dafür, daß es sich um eine Tätigkeit handle, die im wesentlichen gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Tätigkeit des Grubenlokführers erfordere.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1971 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12. Dezember 1969 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für rechtsfehlerfrei und überzeugend.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird.

Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 RKG erhält ein Versicherter Bergmannsrente, wenn er vermindert bergmännisch berufsfähig ist und eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat. Die Wartezeit hat der Kläger erfüllt. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob er vermindert bergmännisch berufsfähig ist. Vermindert bergmännisch berufsfähig ist ein Versicherter nach § 45 Abs. 2 RKG, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben.

Nach der im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellung des LSG kann der Kläger nur noch als Telefonist tätig sein. Da die Differenzen zwischen dem Lohn eines Grubenlokführers (Lohngruppe I b unter Tage) und dem eines Telefonisten (Lohngruppe IV über Tage) in dem streitigen Zeitraum lediglich 17,0 %, 16,1 % und 14,2 % betragen haben, sind die beiden Tätigkeiten, wie das LSG zutreffend entschieden hat, im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig.

Fraglich ist allerdings, ob es sich bei der Tätigkeit eines Telefonisten gegenüber der Tätigkeit eines Grubenlokführers um eine Tätigkeit „von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten” im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG handelt. Diese Frage ist mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen noch nicht entscheidungsreif. Das LSG wird weitere Ermittlungen über die für die Ausübung der hier zu vergleichenden Tätigkeit eines Grubenlokführers und eines Telefonisten durchzuführen haben. Hierbei wird es weniger auf die Frage ankommen, ob und gegebenenfalls welche Tätigkeitsmerkmale der Grubenlokführertätigkeit denen der Hauertätigkeit entsprechen oder nicht entsprechen, maßgeblich ist vielmehr ein Vergleich des Wertes der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Personen, die diese Tätigkeiten auszuüben pflegen. Bei diesem Vergleich hat das LSG die Fähigkeit, die Fahrweise den jeweiligen Streckenverhältnissen anzupassen, überbewertet, weil sich diese in verhältnismäßig kurzer Zeit erwerben läßt. Andererseits kann auch der Beurteilung der Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Tätigkeit eines Telefonisten erfordert, jedenfalls in der erfolgten verallgemeinernden Weise nicht zugestimmt werden. Insofern wird das LSG insbesondere zu ermitteln haben, wie lange es dauert, bis ein Versicherter als vollwertiger Telefonist einsetzbar ist und welche Anforderungen an diese Tätigkeit im einzelnen gestellt werden. Im übrigen hat das LSG richtig erkannt, daß dem Merkmal „ähnliche Ausbildung” in § 45 Abs. 2 RKG keine entscheidende Bedeutung zukommt. Es ist kein selbständiges und zusätzliches Tatbestandsmerkmal, sondern nur in Verbindung mit den erforderlichen „gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten” zu verstehen. Bei der Prüfung der Frage, welche Kenntnisse und Fähigkeiten bestimmte Tätigkeiten erfordern, sind auch sonstige üblicherweise durch die Lohnordnungen positiv berücksichtigte Eigenschaften der Versicherten, wie zB Wendigkeit, Zuverlässigkeit und gehobenes Verantwortungsbewußtsein, die die Ausübung dieser Tätigkeiten erst ermöglichen, mit zu berücksichtigen, weil diese Eigenschaften den Wert der Kenntnisse und Fähigkeiten, die für diese Tätigkeiten erforderlich sind, erhöhen. Das Erfordernis der „gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten” in § 45 Abs. 2 RKG soll letztlich verhindern, daß ein Versicherter auf Arbeiten verwiesen wird, die zwar seinem Hauptberuf gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind, deren relativ hohe Einstufung aber nicht; wie es in der Regel der Fall sein wird, wegen des Wertes der Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern wegen der negativen Bedingungen einer Arbeit wie zB wegen der Schwere der Arbeit, wegen des mit dieser Arbeit verbundenen Schmutzes, wegen der Nässe oder des Lärms, die mit der Verrichtung dieser Tätigkeit verbunden sind, erfolgt ist. Diese Umstände wird das LSG zur Bewertung der hier in Frage kommenden Tätigkeiten gegebenenfalls mitzuberücksichtigen haben.

Im allgemeinen wird man davon ausgehen können, daß es sich bei tariflich im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten auch um solche von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten handelt.

Allerdings ist dies nur eine widerlegbare Vermutung, die nur gilt, solange keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß dies im Einzelfall anders sein könnte. Sind solche Anhaltspunkte gegeben, so bedarf es einer Prüfung dieser Frage, gegebenenfalls mit der Folge, daß eine solche Arbeit nicht als eine solche von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten angesehen werden kann.

Da der Senat als Revisionsgericht nicht in der Lage ist, die erforderliche weitere Aufklärung vorzunehmen, war das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem endgültigen Urteil vorbehalten.

 

Unterschriften

Dr. Dapprich, Rauscher, Schröder

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 23.10.1973 durch Mackenroth Amtsinspektor Schriftführer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI707802

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