Leitsatz (amtlich)

Es ist nicht verfassungswidrig, daß ein versicherungspflichtiger Rentner nach Einführung einer eigenen Beitragspflicht auch dann in der eigenen Versicherung verbleiben muß, wenn ohne diese für ihn ein Anspruch auf Familienhilfe bestünde.

 

Normenkette

RVO § 173a Abs. 1 Fassung: 1967-12-21, § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1977-06-27, § 180 Abs. 5 Fassung: 1981-12-01, § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1978-07-25; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Abs. 3 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.11.1986; Aktenzeichen L 4 Kr 94/85)

SG Hannover (Entscheidung vom 30.09.1985; Aktenzeichen S 11 Kr 17/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) auszunehmen ist.

Die 1923 geborene Klägerin erhielt vom 1. April 1979 an eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Angestelltenversicherung. Aufgrund dieses Rentenbezuges wurde sie nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungspflichtig und Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Eine solche Versicherung war damals für den Rentner selbst beitragsfrei.

Im Januar 1984 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte die "Aufhebung" der KVdR bzw ihre "Freistellung" davon. Seit dem 1. Juli 1983 habe sie von ihrer kleinen Rente, die jetzt 317,30 DM monatlich betrage, eigene Beiträge zu entrichten, die in den nächsten Jahren ansteigen würden. Ohne die eigene Versicherung sei ihr Ehemann, der inzwischen selbst Rentner und ebenfalls Mitglied der Beklagten war, für sie nach § 205 RVO familienhilfeberechtigt. Der eigenen Versicherung bedürfe sie daher nicht.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. Januar 1984 die Beendigung der Pflichtversicherung ab, weil dafür keine gesetzliche Grundlage bestehe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1984).

Die Klägerin hat beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides zu verurteilen, sie aus der Pflichtversicherung zu entlassen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 30. September 1985 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Berufung durch Urteil vom 27. November 1986 zurückgewiesen. Die Klägerin sei versicherungspflichtig und könne nicht befreit werden. Daß sie in der nunmehr beitragspflichtigen Versicherung verbleiben müsse, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen das Urteil richtet sich die - vom Senat zugelassene - Revision der Klägerin, mit der sie im wesentlichen geltend macht: Die Beklagte befinde sich mit ihrem Bescheid zwar in Übereinstimmung mit den Vorschriften der RVO. Diese seien aber verfassungswidrig. Der Zwang zum Verbleib in der Versicherung verstoße, seit die Renten beitragspflichtig seien, gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG). Zwar dürften Rentenanwartschaften vermindert oder umgestaltet werden, wenn das unerläßlich sei. Daran fehle es aber, wenn ohne die eigene Versicherung Schutz durch die Familienhilfe aus der Versicherung des Ehegatten bestehe. Auch sei der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) verletzt. Da sie (die Klägerin) der jetzt mit Beitragszahlungen verbundenen Versicherungspflicht unterliege, habe ihr Ehemann aus seiner Versicherung keinen Anspruch auf beitragsfreie Familienhilfe für sie. Eine Rentnerin mit gleich hoher Rente wie sie, die die "Halbdeckung" iS des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nicht aufzuweisen habe und daher nicht versicherungspflichtig sei, genieße demgegenüber beitragsfreien Krankenversicherungsschutz, wenn sie das Recht auf freiwillige Versicherung nach § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO nicht ausübe und dann bei ihrem Ehemann mitversichert sei. Diese Familienhilfe bestehe sogar für Rentner, deren eigene Rente eine erhebliche Höhe habe. Denn die Rente sei auf das Gesamteinkommen iS des § 205 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 RVO nur mit ihrem Ertragsanteil anzurechnen. Wie eine nur versicherungsberechtigte Rentnerin könnten sich auch diejenigen auf die Familienhilfe verlassen, die in Höhe ihrer (der Klägerin) Rente Arbeitsentgelt oder die Versorgung bezögen und nicht selbst versicherungspflichtig seien. Bei einem etwaigen Ende des Anspruchs auf Familienhilfe bestehe das Beitrittsrecht nach § 176b RVO, dessen Ausübung erst für die Zukunft zu eigenen Beitragspflichten führe. Für die aufgezeigte Ungleichbehandlung, die auch gegen das Sozialstaatsprinzip verstoße, gebe es keinen sachlichen Grund. Sie könne, da sie bei Millionen von Kleinstrentnern auftrete, auch nicht als Nebenfolge einer verallgemeinernden Regelung hingenommen werden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Urteile des LSG vom 27. November 1986 und des SG vom 30. September 1985 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1984 aufzuheben,

2. festzustellen, daß sie nicht der KVdR unterliegt, 3. hilfsweise, sie von der KVdR zu befreien.

Des weiteren regt die Klägerin an, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.

Die Beklagte schließt sich dieser Anregung an, beantragt im übrigen jedoch,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, rechtmäßig. Die Klägerin ist von der Versicherungspflicht in der KVdR nicht gesetzlich ausgenommen. Sie kann auch nicht befreit werden.

Die Klägerin ist als Rentnerin nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig. Eine der in § 165 Abs 6 Satz 1 RVO geregelten Ausnahmen von der Versicherungspflicht greift bei ihr nicht ein. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, weil die dafür in § 173a Abs 1 oder in § 534 Abs 1 Satz 1 RVO genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Klägerin hat keine eigene anderweitige Versicherung aufzuweisen. Daß ohne ihre eigene Versicherung ihr Ehemann für sie familienhilfeberechtigt wäre, rechtfertigt eine "Aufhebung" ihrer Versicherung oder eine "Entlassung" daraus nicht, weil der Anspruch auf Familienhilfe gegenüber der eigenen Versicherung grundsätzlich nachrangig ist. Da somit eine gesetzliche Ausnahme von der Versicherungspflicht oder einer der im Gesetz abschließend geregelten Befreiungstatbestände nicht eingreift, bleibt es bei der Versicherungspflicht. Der Bescheid der Beklagten entspricht daher dem Gesetz.

Die Klägerin hält die gesetzliche Regelung aber für verfassungswidrig, seit ihre Versicherung für sie mit Beitragspflichten verbunden ist. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Es trifft zu, daß die Klägerin als versicherungspflichtige Rentnerin seit dem 1. Januar 1983 die auf den Zahlbetrag ihrer Rente entfallenden Beiträge selbst zu tragen hat (§ 180 Abs 5 Nr 1, § 381 Abs 2 Satz 1 RVO). Das gilt auch bei Mitgliedschaft in einer Ersatzkasse (vgl § 514 Abs 2 RVO). Die Rentner erhalten zwar vom Rentenversicherungsträger einen Zuschuß zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung (§ 83e Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- = § 1304e Abs 1 Nr 1 RVO). Dieser betrug anfangs 11,8 vH des Rentenzahlbetrages nach Maßgabe des § 83e Abs 2 Satz 1 AVG (= § 1304e Abs 2 Satz 1 RVO) und hatte damit die Höhe des für versicherungspflichtige Rentner geltenden Beitragssatzes (§ 385 Abs 2 RVO), so daß den Rentnern im Ergebnis vom 1. Januar 1983 an zunächst beim Rentenzahlbetrag keine Beitragslast verblieb. Erst als der Beitragszuschuß stufenweise auf 10,8 vH seit dem 1. Juli 1983 und weiter bis auf schließlich 5,9 vH seit dem 1. Juli 1987 abgesenkt wurde (§ 83e Abs 2 Satz 1 AVG = § 1304e Abs 2 Satz 1 RVO) ergab sich für die Rentner eine eigene Beitragslast, die von 1 vH (seit dem 1. Juli 1983) schrittweise bis auf 5,9 vH (seit dem 1. Juli 1987) des jeweiligen Rentenzahlbetrages angehoben wurde.

Die Klägerin wird dadurch, daß sie trotz Einführung dieser Beitragspflicht in der KVdR verbleiben muß, nicht in ihren Grundrechten aus Art 14 Abs 1 GG (Eigentumsgarantie) oder aus Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG (allgemeine Handlungsfreiheit mit Vertrauensschutz) verletzt. Dies ergibt sich aus den Entscheidungen des BVerfG in BVerfGE 69, 272 = SozR 2200 § 165 Nr 81 und des erkennenden Senats in BSGE 54, 293 = SozR 2200 § 165 Nr 69. Auch die versicherungspflichtigen Rentner hatten dauerhaften beitragsfreien Krankenversicherungsschutz weder eigentumsgleich erworben noch konnten sie sich auf die Weitergeltung des bisherigen Rechts verlassen. Ihre eigene Beitragslast ist innerhalb eines Zeitraums von viereinhalb Jahren stufenweise anläßlich der jährlichen Rentenanpassungen eingeführt worden und damit für sie schonend erfolgt. Sie brauchten nach Abzug ihres Beitrags von der Rente kein Absinken des ihnen ausgezahlten Betrages hinzunehmen. Die Beitragsbelastung ist auch nach Abschluß der Übergangsphase nicht übermäßig hoch. Die Rentner haben seit dem 1. Juli 1987 von dem Rentenzahlbetrag unter Berücksichtigung des Beitragszuschusses im Ergebnis die Hälfte des Beitragssatzes von 11,8 vH (§ 385 Abs 2 RVO), also 5,9 vH zu tragen. Auch soweit bei ihnen beitragspflichtige Versorgungsbezüge (§ 180 Abs 5 Nr 2 RVO) und beitragspflichtiges Arbeitseinkommen (§ 180 Abs 5 Nr 3 RVO) vorhanden sind, ist die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes nach Maßgabe des § 385 Abs 2a RVO anzuwenden. Vor allem für Rentner, die nur geringe beitragspflichtige Bezüge haben, ist der Krankenversicherungsschutz auch weiterhin außerordentlich günstig. Ein solcher Rentner erhält heute bei einer Rente von monatlich 340 DM zu einem Monatsbeitrag von rund 20 DM einen vollen, eigenen Krankenversicherungsschutz, einschließlich etwaiger Ansprüche auf Familienhilfe (§ 205 RVO). Einen gleichwertigen und gleich günstigen Versicherungsschutz gibt es, zumal für Rentner, in der privaten Krankenversicherung nicht. Deshalb leuchtet die Überlegung der Klägerin, bei Einführung der Beitragspflicht habe eine Befreiung aufgrund einer privaten Krankenversicherung vorgesehen werden müssen, jedenfalls für Rentner mit niedrigen Bezügen nicht ein.

Der Zwang zum Verbleib in der nunmehr beitragspflichtigen Versicherung verletzt die Grundrechte aus Art 14 Abs 1 oder Art 2 Abs 1 GG auch bei denjenigen Rentnern nicht, die sich ohne die eigene Versicherung ausreichend geschützt sehen. Der Gesetzgeber sieht alle versicherungspflichtigen Rentner als schutzbedürftig und schutzwürdig an. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß in bestimmten Fällen ein Bedarf an solchem Versicherungsschutz nicht bestehe. Insbesondere läßt sich dieses nicht damit begründen, daß Familienhilfe aus der Versicherung eines anderen eingreife. Der Gesetzgeber hat in § 205 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 RVO ("und nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben") den Vorrang einer bestehenden eigenen Versicherung vor der Familienhilfe bestimmt. Das lag im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit. Die Leistungen der Familienhilfe werden ohne Entrichtung zusätzlicher Beiträge zum Zwecke des Familienlastenausgleichs auf Kosten der Solidargemeinschaft erbracht. Wer selbst - kraft Gesetzes oder freiwillig - versichert ist, bedarf dieses Schutzes nicht. Allerdings muß er die eigene Versicherung durch Beiträge mitfinanzieren und solidarisch zu den Aufwendungen seiner Versichertengemeinschaft beitragen. Hierfür bilden die Rente und etwa vorhandene weitere beitragspflichtige Einkommen die finanzielle Grundlage.

Daraus, daß bei bestimmten Personengruppen die eigene Versicherungs- oder Beitragspflicht hinter einem Schutz durch die Familienhilfe zurücktritt, kann nicht hergeleitet werden, bei den versicherungspflichtigen Rentnern müsse ebenso verfahren werden; denn es sind dort jeweils besonders Sachgründe maßgeblich, die für die Rentner nicht zutreffen.

Nach Maßgabe des § 175 Nr 3 Satz 1 RVO weicht die eigene Versicherungspflicht als Student oder Praktikant (§ 165 Abs 1 Nrn 5, 6 RVO) einem Anspruch auf Familienkrankenpflege. Die Regelung ist wegen der "besonderen sozialen Situation" dieses Personenkreises getroffen worden (so die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Krankenversicherung der Studenten BT-Drucks 7/2993 S 9 zu Nr 5 - § 175 RVO). Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß Studenten und Praktikanten im allgemeinen kein eigenes regelmäßiges Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen (wie Renten) haben. Dann wären die Beiträge zu einer Krankenversicherung als Student oder Praktikant (§ 180 Abs 3b, § 381a, § 393d RVO) letztlich durch Unterhaltsleistungen der Eltern aufzubringen. Damit müßten diese entgegen dem Sinn und Zweck des § 205 RVO den Versicherungsschutz ihrer unterhaltsberechtigten Kinder durch zusätzliche Beitragsleistungen erkaufen. Bei Rentnern ist demgegenüber - anders als bei Studenten und Praktikanten - in Gestalt der Rente ein regelmäßiges Einkommen vorhanden. Im übrigen tritt nach § 175 Nr 3 Satz 1 RVO die Versicherungspflicht eines Studenten oder Praktikanten nur dann zurück, wenn auch für einen unterhaltsberechtigten Ehegatten und unterhaltsberechtigte Kinder ein Anspruch auf Familienkrankenpflege besteht. Ist das nicht der Fall, wird für deren Versicherungsschutz durch die Versicherungspflicht des Studenten oder Praktikanten gesorgt.

Besondere Gründe bestehen auch für die Regelung des § 381 Abs 3 Satz 2 Nr 3 RVO. Aus ihr ergibt sich iVm § 381 Abs 3 Satz 1 RVO, daß Rentenantragsteller bis zum Beginn der Rente ausnahmsweise dann keine Beiträge zu entrichten haben, wenn ohne die eigene Versicherung Anspruch auf Familienkrankenpflege bestünde. Hier hat der Gesetzgeber für die verhältnismäßig kurze Zeit, die die Versicherung als Rentenantragsteller in der Regel dauert, diesem Personenkreis keine Beiträge zumuten wollen, soweit ihre Rentenanträge nicht oder nicht sogleich zur Bewilligung einer Rente führen. Insofern hätte ein Beitragsaufwand für die eigene Versicherung als Rentenantragsteller auch keine Grundlage in einer Rente und ginge wirtschaftlich zu Lasten dessen, der für den Rentenantragsteller familienkrankenpflegeberechtigt wäre. Im übrigen kommt die Regelung des § 381 Abs 3 Satz 2 Nr 3 RVO für die Zeit bis zum Rentenbeginn den später als Rentenbezieher pflichtversicherten Rentnern zugute.

Indem die Klägerin der nunmehr beitragspflichtigen Versicherung nicht ausweichen kann, wird sie allerdings anders behandelt als Rentner mit einer gleich hohen Rente, die die "Halbdeckung" iS des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nicht erfüllt haben und nicht versicherungspflichtig sind. Diese Rentner können sich auf die beitragsfreie Familienhilfe aus der Versicherung eines anderen (meist des Ehegatten) verlassen, falls dieser einen solchen Anspruch hat. Gleiches gilt für Personen mit einem Arbeitsentgelt in Höhe der Rente der Klägerin, die wegen des geringfügigen Umfangs der Beschäftigung versicherungsfrei sind (§ 168 RVO iVm § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4), und auch für Personen, die ausschließlich Versorgungsbezüge erhalten, weil diese allein nicht zu einer Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Rentner, die wegen Verfehlens der Halbdeckung nicht pflichtversichert sind, haben zwar außerdem die Möglichkeit, der gesetzlichen Krankenversicherung unter den Voraussetzungen des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9, Satz 4 RVO freiwillig beizutreten und hätten dann ebenfalls Beiträge zu entrichten. Sie brauchen diese Möglichkeit aber nicht wahrzunehmen. Sollte in allen diesen Fällen die Familienhilfe später enden, so besteht nach § 176b Abs 1 und 2 RVO ein erneutes Beitrittsrecht. Auf diese Weise ist es manchen Rentnern, die lediglich beitrittsberechtigt sind und den genannten anderen Gruppen möglich, zumindest vorübergehend Beiträge zu sparen. Daß dieser Weg versicherungspflichtigen Rentnern versperrt ist, beanstandet die Klägerin hauptsächlich.

Dieser Unterschied führt jedoch nicht zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Art 3 Abs 1 GG verbietet dem Gesetzgeber lediglich, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Der Gesetzgeber hat insoweit eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, deren Grenzen erst dann überschritten werden, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden läßt (BVerfGE 49, 260, 271; 61, 138, 147 ständige Rechtsprechung). Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob er jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich, ob die äußersten Grenzen gewahrt sind. Vor allem ist der Gesetzgeber innerhalb jener Grenzen frei, die Merkmale als Vergleichspaar zu wählen, an denen er Gleichheit und Ungleichheit der gesetzlichen Regelung orientiert (BVerfGE 9, 201, 206; vgl auch 51, 257, 267 f).

Unter Beachtung dieses Rahmens kann ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG nicht angenommen werden, weil sachliche Gründe vorliegen, die der Gesetzgeber zum Anlaß der von ihm gewählten Differenzierung nehmen durfte. Der selbst versicherte Rentner genießt eine bessere krankenversicherungsrechtliche Absicherung als derjenige, der auf die Familienhilfe angewiesen ist oder sich auf sie verläßt. Der Gesetzgeber durfte es als sozialpolitisch wünschenswert ansehen, diese Absicherung durch eine eigene Versicherung für jeden versicherungspflichtigen Rentner zu garantieren. Nur der selbstversicherte Rentner hat einen Anspruch auf Familienhilfe für solche Personen, die nur ihm, nicht aber seinem Ehegatten gegenüber unterhaltsberechtigt sind (vgl dazu auch die Regelung in § 175 Nr 3 RVO). Treffen einen Rentner, der sich zunächst auf die Familienhilfe verlassen hat, später entsprechende Unterhaltspflichten, so könnte er sich ohne das Bestehen der Pflichtversicherung einen dann erforderlichen Krankenversicherungsschutz nach Ablauf der Beitrittsfrist des § 176 Abs 1 Satz 4 RVO nicht mehr verschaffen. Rentner mit einer eigenen Versicherung sind außerdem gegenüber ihrer Krankenkasse selbst anspruchsberechtigt, in der Geltendmachung von Leistungsansprüchen also unabhängig. Der nur in die Familienhilfe einbezogene Rentner ist hingegen darauf angewiesen, daß der Versicherte Ansprüche für ihn geltend macht. Schließlich kann die Familienhilfe - etwa durch Tod des Versicherten oder durch Scheidung - später enden. Dann besteht zwar nach § 176b RVO ein neues, wiederum befristetes Beitragsrecht. Wird dieses ausgeübt, so gehört der Rentner für die Zukunft zu den freiwillig Versicherten. Für diesen Personenkreis gilt aber eine ungünstigere Beitragsregelung, wenn der Rentner neben der Rente weitere beitragspflichtige Einkommen (Versorgungsbezüge, Arbeitseinkommen) hat; denn von diesen Bezügen werden bei versicherungspflichtigen Rentnern nur Beiträge nach der Hälfte des Beitragssatzes erhoben (§ 385 Abs 2a RVO), während bei freiwillig Versicherten der volle für sie maßgebende Beitragssatz ihrer Kasse anzuwenden ist. Das führt in der Regel zu (teilweise erheblich) niedrigeren Beiträgen der versicherungspflichtigen Rentner. Nur unter besonderen Verhältnissen können sie selbst hier noch benachteiligt sein (dazu BSGE 60, 274 = SozR 2200 § 385 Nr 16).

Die aufgezeigten Nachteile der Familienhilfe und anschließenden freiwilligen Versicherung werden sich zwar zumindest teilweise nicht häufig verwirklichen. Wenn sie jedoch auftreten, können sie die Beitragsersparnis weit überwiegen, die während der Zeit des Familienhilfeanspruchs eingetreten ist. Im Einzelfall hängt das insbesondere davon ab, ob und wann die Familienhilfe endet, wie lange sie und eine spätere eigene Versicherung bestanden haben und in welcher Art und Höhe beitragspflichtige Bezüge vorhanden sind.

Schließlich bieten sich keine Lösungen an, die die aufgezeigten Ungleichheiten vermeiden, ohne gleichzeitig zu anderen Schwierigkeiten zu führen. Würden allgemein Ausnahmen von der Versicherungspflicht zugelassen, wenn ohne sie Familienhilfe bestünde, so würde damit der Vorrang der Familienhilfe, der jetzt lediglich bei kleinen Gruppen Versicherungspflichtiger verwirklicht ist und bei den nur Versicherungsberechtigten gleichsam als Nebenfolge ihrer Entscheidungsfreiheit in Kauf genommen wird, zum obersten Prinzip erhoben. Damit würde der bisher im wesentlichen verwirklichte Grundsatz der an generelle Merkmale anknüpfenden und zu solidarischer Beitragsleistung führenden Pflichtversicherung mit der Folge enormer Beitragsausfälle durchbrochen. Selbst dann wäre immer noch zu fragen, warum bei einem Ehepaar, das zwei Renten bezieht, die eine beitragsfrei bleiben soll, während bei einem anderen Ehepaar mit gleich hohem Familieneinkommen, das aus nur einer Rente besteht, diese voll beitragspflichtig ist. Dabei würde der alleinige Rentenbezieher für seinen Ehegatten nur Familienhilfe erwerben, während Rentner-Ehepaare wie die Klägerin und ihr Ehemann bei gleich hohem Beitragsaufwand volle eigene Leistungsansprüche aus zwei selbständigen Versicherungen haben. Die Ungleichheiten dadurch beseitigen zu wollen, daß die Familienhilfe nicht erst beim Bestehen einer eigenen Versicherung ausgeschlossen ist, sondern schon dann, wenn eine eigene Versicherungsberechtigung besteht oder bestanden hat, würde der Klägerin nichts nützen. Es gibt auch sachliche Gründe dafür, einen gegenwärtigen tatsächlichen Bedarf an Familienhilfe nicht gleichsam als Sanktion deswegen zu versagen, weil früher Beitrittsrechte ungenutzt gelassen worden sind. Ob das der Fall war, ließe sich aus Anlaß eines Leistungsfalles auch nicht immer leicht feststellen. Zu denken wäre schließlich daran, den heute befristet beitrittsberechtigten Rentnern, für die ein Anspruch auf Familienhilfe besteht, die Familienhilfe zu versagen, ihnen dafür aber ein unbefristetes Beitrittsrecht einzuräumen. Das brächte aber die Gefahr einer Risikoverschiebung durch gezieltes Hinauszögern des Beitritts mit sich. Diese Gefahr brauchte der Gesetzgeber nicht in Kauf zu nehmen.

Hiernach konnte sich der Senat von der Verfassungswidrigkeit der geltenden Regelung nicht überzeugen. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG kam deshalb nicht in Betracht. Die Revision der Klägerin war zurückzuweisen. Als sozialpolitisch unbefriedigend hat der Senat eine Regelung, die in gewissen Fällen zu einer Benachteiligung der versicherungspflichtigen Rentner führt, schon früher bezeichnet (BSGE 60, 274, 283).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1663546

BSGE, 51

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