Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse nach der mit Wirkung vom 1. Juli 1977 erfolgten Änderung des § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) weiterhin verpflichtet ist, der Klägerin für ihren Ehemann Familienkrankenhilfe zu gewähren.

Die bei der Beklagten pflichtversicherte Klägerin verdiente als Putzhilfe 1977 monatlich etwa 690,-- DM und 1978 nahezu 725,-- M. Ihr Ehemann bezieht seit 1973 Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, die eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nicht begründen. Im Dezember 1978 betrug diese Rente 631,-- DM. Mit Bescheid vom 7. November 1977 lehnte die Beklagte die Gewährung von Familienkrankenhilfe für den Ehemann der Klägerin über den 30. Juni 1977 hinaus ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, weiterhin Leistungen aus der Familienkrankenhilfe zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt: Renten zählten nach § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur mit ihrem Ertragsanteil zu den Einkünften. Wenn der Gesetzgeber in § 16 der Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) den nunmehr in § 205 RVO eingefügten Begriff des Gesamteinkommens dahingehend definiert habe, daß er die Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts umfasse, so liege darin eine bewußte Anknüpfung an die steuerrechtlichen Regelungen. Für eine derartige gewollte enge Bindung an das Steuerrecht sprächen sowohl Wortlaut als auch Entstehungsgeschichte des § 16 SBG IV sowie die Systematik des betreffenden Abschnitts des Gesetzes. Diese Auslegung des § 16 SGB IV und des § 205 RVO verstoße auch nicht insoweit gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), als Renten anders behandelt würden als Erwerbseinkommen. Die fiktive Aufteilung einer Rente in Kapital- und Ertragswert rechtfertige auch im Bereich des Sozialrechts eine Differenzierung. Die durch die letzten Sozialrechtsreformen bereits benachteiligten Rentner hätten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht noch weitere Nachteile hinnehmen sollen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 205 RVO und des Art. 3 GG: Dem Zweck des Krankenversicherungskostendämpfungsgesetzes (KVKG) - eine Kostendämpfung - laufe es zuwider, wenn Renten nur mit ihrem unter Umständen ganz minimalen Ertragsanteil angerechnet würden. Da Renten grundsätzlich Einkommensersatzfunktion hätten, liege kein sachlicher Grund vor, sie im Rahmen des § 205 RVO mit anderen Maßstäben zu messen als das Einkommen selbst. Der Gedanke, den Zahlbetrag fiktiv in Kapital- und Ertragswert aufzuspalten, liege im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung fern; denn derartige Renten würden nicht aus einem - gleichsam vom Zahlungsempfänger angesparten - Kapital gezahlt, sondern aufgrund des Generationsvertrages aus dem laufenden Beitragsaufkommen.

Die Beklagte beantragt,die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Der Anspruch der Klägerin auf Familienkrankenhilfe für ihren Ehemann ist nicht mit dem Inkrafttreten des KVKG (vom 27. Juni 1977, BGBl. I 1069) am 1. Juli 1977 weggefallen. Die durch Art. 1 § 1 Nr. 18 KVKG in den § 205 RVO eingefügte weitere Anspruchsvoraussetzung liegt vor. Der Ehemann der Klägerin hatte kein höheres Gesamteinkommen als 1/5 der monatlichen Bezugsgröße; denn seine Rente ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht in voller Höhe, sondern gemäß § 16 SGB IV i.V.m. § 22 EStG nur mit ihrem Ertragsanteil anzurechnen. Dieser lag eindeutig unter der für die Familienkrankenhilfe maßgebenden Einkommensgrenze.

Nach § 16 SGB IV ist Gesamteinkommen i.S. des Sozialversicherungsrechts die Summe der Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts (1. Halbsatz); es umfaßt insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen (2. Halbsatz). Zu den der Einkommensteuer unterliegenden Einkünften gehören auch Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen; Leibrenten jedoch nur insoweit, als in den einzelnen Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Rentenrechts enthalten sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 EStG 1977). Als Ertrag des Rentenrechts gilt für die gesamte Dauer des Rentenbezugs der Unterschied zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre Laufzeit ergibt; dabei ist der Kapitalwert nach dieser Laufzeit zu berechnen (Satz 2 des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG). Der Ertrag des Rentenrechts ist aus der in das Gesetz aufgenommenen Tabelle zu entnehmen (Satz 3 des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG).

Die gesetzliche Definition des Begriffs "Gesamteinkommen" in § 16 SGB IV gilt auch für § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang und dem Wortlaut dieser Bestimmungen sowie aus dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Der Begriff des Gesamteinkommens fand sich bereits vor Inkrafttreten des SGB IV in verschiedenen Vorschriften des 2. Buches der RVO, so in § 176 Abs. 1 Satz 1, § 178 und § 313a Abs. 1 Satz 2. In ihnen wurde die freiwillige Versicherung und die damit verbundene Einstufung in Beitragsklassen von der Höhe des Einkommens abhängig gemacht. Die Rechtsprechung verstand dabei unter Gesamteinkommen die gesamte wirtschaftliche Lage des Versicherten, wie sie insbesondere durch sein Einkommen, aber auch durch die ihn persönlich treffenden wirtschaftliche Lasten bestimmt wurde. Auf das Einkommensteuerrecht stellte die Rechtsprechung nicht ab, so berücksichtigte sie u.a. dort nicht erfaßte Unterhaltsleistungen (BSGE 7, 164, 167; 37, 127, 128; SozR 2200 § 313a RVO Nr. 6). Nur vereinzelt wurden Parallelen zum Einkommensteuerrecht gezogen (BSGE 10, 78, 80; 22, 173, 181). Diese Rechtslage hat sich durch § 16 SGB IV mit seiner eindeutigen Bezugnahme auf die Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts geändert. Die Auslegung des in § 205 RVO verwendeten Begriffs des Gesamteinkommens hat sich an der neuen gesetzlichen Regelung zu orientieren; denn das KVKG, das den Begriff des Gesamteinkommens in den § 205 RVO eingefügt hat, ist erst nach dem SGB IV vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I 3845) beschlossen worden, knüpft also an dieses Gesetz an. Mit § 16 SGB IV wird im Rahmen der Schaffung eines einheitlichen Sozialgesetzbuches der Zweck verfolgt, den in verschiedenen Versicherungszweigen geltenden Begriff des Gesamteinkommens zu erläutern (s. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucks. 300/75 S. 32) Er gilt insbesondere auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 1 Abs. 1 SGB IV).

Entscheidend für die Ermittlung des Gesamteinkommens i.S. des § 205 RVO ist also, inwieweit über § 16 SGB IV einkommensteuerrechtliche Grundsätze gelten. Vereinzelt wird im Schrifttum gefordert, die wirtschaftliche Betrachtungsweise beizubehalten und weiterhin nicht nur die nach § 2 EStG der Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte zu berücksichtigen (Figge in Jahn, SGB IV, Stand November 1978, Rdnr. 10 zu § 16; derselbe in ErsK 1977, 397, 403 unter 3.2.4). Im übrigen wird die Beschränkung des Gesamteinkommens durch die Ermittlung nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen bejaht (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1978, Anm. 4 D II 2, S. 407 d; Hauck/Haines, SGB IV, Stand Oktober 1977, Rdnr. 3 a zu § 16; Kaltenbach/Maier in Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, Stand Juli 1978, Rdnr. 6 zu § 16 SGB IV; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand Juli 1978, Anm. 2 zu § 16 SGB IV; Merten in Gemeinschaftskommentar zum SGB, Rdnr. 5 zu § 16 SGB IV; Albrecht, ZfS 1978, 58, 60 f.; Kierstein, BKK 1977, 249, 261 unter 22.2.3; Zipperer. DOK 1978, 11, 25 ff. unter 13.2.2 ff.; bei Renten entgegen § 22 EStG für volle Anrechnung: Spitzenverbände der Krankenkassen, DOK 1978, 169, 170 ff.; Sies, ErsK 1977, 525 ff.; Wenig, IKK 1977, 329 ff.; Schneider, DOK 1978, 610 ff.; Kozielski, WzS 1978, 71, 74; Figge in Jahn, a.a.O., Rdnr. 18 und derselbe, ErsK 1977, 397, 404).

§ 16 Halbsatz 1 SGB IV meint den einkommensteuerrechtlichen Begriff der Einkünfte mit seinem fest umrissenen Bedeutungsinhalt. Dies ergibt sich unmittelbar aus der verwendeten Formulierung "Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts". Die Einkunftsarten sind in § 2 Abs. 1 EStG abschließend aufgezählt (Blümich/Falk, EStG, Stand Dezember 1978, Anm. 3 a zu § 2). Dem Abs. 2 des § 2 EStG ist zu entnehmen, daß § 16 Halbsatz 1 SGB IV auch insofern einen steuerrechtlichen Begriff verwendet, als er von der Summe der Einkünfte spricht. Desgleichen handelt es sich bei dem Gesamtbetrag der Einkünfte, der nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung das Gesamteinkommen i.S. des § 16 SGB IV darstellen sollte (BR-Drucks. 300/75 S. 6), um einen Begriff des Einkommensteuerrechts - § 2 Abs. 3 EStG -, der sich nur durch den Altersentlastungs- und den Ausbildungsplatz-Abzugsbetrag von der Summe der Einkünfte unterscheidet. Die ausdrückliche Übernahme steuerrechtlicher Begriffe läßt nur den Schluß zu, daß der Gesetzgeber diese auch inhaltsgleich angewandt wissen wollte.

Diese Regelung erscheint folgerichtig. Die Sozialversicherung ist zunehmend für Personen geöffnet worden, die nicht lohnabhängig tätig sind. Auch verfügen immer mehr Versicherte nicht nur über ein Arbeitsentgelt als einzige Einkommensquelle. Es ist daher naheliegend, zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten an das Einkommensteuerrecht anzuknüpfen. Von diesem werden alle Bürger erfüllt. Die Frage, welches Einkommen der einzelne hat, ist Mittelpunkt seiner gesamten Regelung (Bender, SozSich 1978, 257, 259).

Zudem ist die Veranlagung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die auch für die hier in Frage stehende sozialversicherungsrechtliche Regelung bedeutsam ist, grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit, insbesondere bei Einkommensteuer (BVerfG NJW 1977, 241 m.w.N.). Zwar wird in dem Abschnitt des SGB IV, der das Arbeitsentgelt und das sonstige Einkommen i.S. des Sozialversicherungsrechts bestimmt (§§ 14-18), nicht uneingeschränkt an das Einkommensteuerrecht und damit an das EStG als dessen Kodifikation angeknüpft. Ein Hinweis darauf, inwieweit die Regelungen des EStG gelten sollen, ergibt sich aus § 17 SGB IV, der die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zur Ermittlung des Gesamteinkommens zu erlassen und zwar, um - so der Gesetzestext - die "Belange der Sozialversicherung" zu wahren und "eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen". Aus dieser Konkretisierung der Verordnungsermächtigung werden auch Sinn und Zweck der Regelung der §§ 14 -18 SGB IV deutlich. Es soll bei der Einkommensermittlung grundsätzlich und soweit als möglich eine Bewertung nach dem EStG erfolgen, jedoch ist abzuweichen, wo dies wegen der Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts geboten ist. Ob bestimmte regelmäßige Geldzuflüsse zu den Einkünften zu rechnen sind, oder ob sie steuerfrei bleiben, richtet sich im EStG oft nach typisch steuerrechtlichen Grundsätzen. So werden nach § 22 Satz 2 EStG Unterhaltsleistungen Dritter nur dann dem Einkommen zugerechnet, wenn der Dritte sie nicht selbst zu versteuern hat. Der Grund dafür, die Eigenschaft als Einkunft zu verneinen, ergibt sich hier allein aus der Notwendigkeit, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat es für richtig gehalten, Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen als im Bereich des Sozialversicherungsrechts bedeutendste Einkunftsarten von der allgemeinen Verweisung auszunehmen. Sie sind in den §§ 14 und 15 SGB IV definiert worden, und zwar teilweise abweichend von den entsprechenden Vorschriften des EStG. Die abweichende Normierung von zwei Einkunftsarten spricht zugleich dafür, daß es hinsichtlich der übrigen Einkünfte bei der grundsätzlichen Verweisung auf das Steuerrecht verbleiben soll.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem 2. Halbsatz des § 16 SGB IV. In diesem wird zwar besonders hervorgehoben, daß zu den Einkünften, die bei der Ermittlung des Gesamteinkommens zu berücksichtigen sind, das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen gehören. Es kann dahingestellt bleiben, ob bezüglich dieser beiden Einkunftsarten die Anwendung steuerrechtlicher Grundsätze bei der Ermittlung des Gesamteinkommens deshalb eingeschränkt ist, weil sie in § 14 und in § 15 SGB IV zum Teil abweichend vom Einkommensteuerrecht bestimmt werden. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß der 2. Halbsatz des § 16 SGB IV den im 1. Halbsatz enthaltenen Grundsatz bezüglich der übrigen Einkunftsarten einschränken sollte. Er ist erst im Gesetzgebungsverfahren nachträglich hinzugefügt worden, ohne daß damit eine inhaltliche Wertung beabsichtigt war (vgl. BT-Drucks. 7/5457 S. 4, 13 und 14).

Nach der Grundsätzen des Einkommensteuerrechts sind Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur mit ihrem Ertragsanteil auf das Gesamteinkommen anzurechnen. Diese Renten sind steuerlich als Leibrenten i.S. des § 22 EStG anzusehen. Was unter Leibrenten zu verstehen ist, hat die Rechtsprechung mangels gesetzlicher Begriffsbestimmung nach Sprachgebrauch und Verkehrsauffassung festgelegt. Dabei hat man im Steuerrecht der Begriff übernommen, wie er im bürgerlichen Recht Anwendung findet. Danach ist eine Leibrente ein einheitliches nutzbares Recht (Grund- oder Stammrecht), das auf Lebenszeit des Berechtigten oder eines anderen Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge aus fortlaufend wiederkehrenden gleichmäßigen Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen (Scholtz in Hartmann/Böttcher/Grass, Großkommentar zum Einkommensteuerrecht, Stand Mai 1979, Rz. 13 zu § 22 EStG; Oepen in Klein/FIockermann/Kühr, Kommentar zum EStG, 1978, Anm. 2 b zu 22; Thomas in Palandt, Kurzkommentar zum BGB, 38. Aufl., Anm. 1 a zu § 759). Von diesem Begriff werden steuerlich auch die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfaßt, selbst dann, wem sie - als sogenannte abgekürzte Leibrenten - auf eine bestimmte Laufzeit beschränkt sind (Oepen, a.a.O., Einkommensteuerrichtlinien vom 14. April 1976, Beilage zum BAnz. 11/76, Nr. 167 Abs. 3 und 5 zu § 22 EStG).

Die abweichende Meinung, Renten seien voll, also mit ihrem Zahlbetrag anzurechnen, entspricht nicht der gesetzlichen Regelung. Sie läßt sich insbesondere nicht damit begründen, § 16 SGB IV verweise nur hinsichtlich der Einkunftsarten auf das Einkommensteuerrecht, nicht auch hinsichtlich der Ermittlung des anzurechnenden Betrages, deren Regelung nach § 17 Satz 1 Nr. 2 SGB IV teilweise dem Verordnungsgeber überlassen sei. Abgesehen davon, daß die in § 16 SGB IV verwendeten Worte "Summe der Einkünfte" auf Einkunftsbeträge hinweisen, ergibt sich aus § 22 EStG, daß nur der Ertragsanteil einer Rente zu den Einkünften i.S. des Steuerrechts gehört, der übrige Teil des Rentenzahlbetrages dagegen, der Kapitalwert der Rente (Satz 2 des § 22 Nr. 1 Buchst. a des EStG), nach den einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen schon begrifflich nicht zu den Einkünften zu rechnen ist.

Es bestehen keine gewichtigen sozialversicherungsrechtlichen Gründe, im Rahmen des § 205 RVO von dem Wortlaut des Gesetzes abzuweichen, insbesondere sprechen dafür nicht Sinn und Zweck dieser Vorschrift, wie von den Spitzenverbänden der Krankenkassen angenommen wird (DOK a.a.O. S. 171). Durch die Neufassung des § 205 RVO soll die Familienkrankenhilfe von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Begünstigten abhängig gemacht werden. Auch das EStG besteuert im Grundsatz nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, so daß die Anknüpfung an das Einkommensteuerrecht nicht dem Sinn und Zweck des § 205 RVO entgegensteht. Die unterschiedliche Behandlung von Renten und Arbeitsentgelt, das nach § 14 SGB IV in voller Höhe anzurechnen ist, verstößt auch nicht , wie die Beklagte meint - gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zwar haben Renten grundsätzlich Lohnersatzfunktion, sie bleiben jedoch Sozialversicherungsleistungen und sind damit nach allgemeiner Anschauung etwas wesentlich anderes als Arbeitseinkommen. Bereits insofern wird nicht Gleiches ungleich behandelt. Wenn der Gesetzgeber bei der Frage der Teilhabe von Rentnern an weiteren Leistungen des Sozialversicherungssystems - wie hier der Familienkrankenhilfe - die Rente als Gegenleistung für eine vorangegangene Mitfinanzierung des Sozialversicherungssystems anders beurteilt als das Arbeitsentgelt der noch Erwerbstätigen, so ist dies nicht willkürlich, sondern von dem im Rahmen des Art. 3 GG zustehenden Ermessen des Gesetzgebers gedeckt (vgl. BVerfG Bd. 18, 121, 124 m.w.N.). Die Berücksichtigung der vollen Rente im Rahmen des § 205 RVO würde zwar zu einer finanziellen Entlastung der Krankenkasse, d.h. der in der Regel erwerbstätigen Beitragszahler führen, andererseits jedoch eine erhebliche Belastung der einkommensschwächeren Gruppe der Rentner bewirken.

Der Ertragsanteil der dem Ehemann der Klägerin zustehenden Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit war geringer als 1/5 der Bezugsgröße. Das angefochtene Urteil geht davon aus, daß der Ehemann der Klägerin bei Beginn der Rente 50 Jahre alt war. Aus dieser nicht angegriffenen Feststellung folgt, daß sich der Ertragsanteil der Rente im Dezember 1978 auf 214,54 DM (34% von 631,-- DM) belief. Demgegenüber betrug 1/5 der Bezugsgröße 1978 390,-- DM (§ 18 SGB IV i.V.m. Bekanntmachung vom 7. November 1977 in BAnz. Nr. 212 S. 1). Entsprechendes ergibt sich bei Zugrundelegung der für 1977 und 1979 maßgebenden Beträge (s. Bekanntmachung vom 13. Januar 1979 in BAnz. Nr. 15 S. 2 und § 205 i.d.F. von Art. 4 § 1 Nr. 2 des 21. RAG).

Nach alledem ist der Revision der Beklagten der Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518655

Breith. 1980, 542

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