Leitsatz (amtlich)

Unternimmt es ein in der Bundesrepublik wohnhafter Ausländer, im Ausland einen anderen Ausländer aus gegenwärtiger Lebensgefahr zu retten, so steht er dabei - vorbehaltlich einer abweichenden zwischenstaatlichen oder supranationalen Regelung - nicht nach RVO § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a unter Unfallversicherungsschutz.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff der Hilfeleistung iS von § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 1504 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; SozSichAbk TUR Art. 3 Fassung: 1964-04-30, Art. 4 Fassung: 1964-04-30, Art. 5 Fassung: 1964-04-30, Art. 35 Fassung: 1964-04-30; StGB §§ 3-5, 330c

 

Tenor

Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17. September 1975 aufgehoben.

Die Klage der Klägerin wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klage- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin (Allgemeine Ortskrankenkasse - AOK -) begehrt von dem Beklagten (Bayerischer Gemeindeunfallversicherungsverband) die Erstattung ihrer Aufwendungen aus Anlaß eines Unfalles, den der bei ihr gegen Krankheit versicherte türkische Staatsangehörige Mehmet Ö bei dem Versuch, seinen Sohn zu retten, erlitten hat.

Mehmet Ö (Ö.) lebte seit dem 27. Oktober 1970 mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland und war in Röthenbach an der Pegnitz beschäftigt. Während eines Urlaubs vom 30. Juli bis 31. August 1973 hielt er sich mit seinen Angehörigen in seiner Heimat in der Türkei auf. Bei der Rückfahrt parkte er mit dem eigenen Pkw am 3. September 1973 in Z. in Österreich an der Brucker Ersatzstraße B 335. Mit seinem zweijährigen Sohn H suchte er auf der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes eine schattige Stelle zum Ausruhen. Nach einiger Zeit wollte er mit seinem Sohn, den er am Arm festhielt, die Fahrbahn wieder überschreiten. Plötzlich riß sich das Kind los und lief über die Straße. Dabei sprang es direkt vor einen vorbeifahrenden Pkw und wurde tödlich verletzt. Der Vater versuchte, sein Kind im letzten Augenblick zurückzureißen, wurde dabei aber selbst von dem Pkw erfaßt, zur Seite geschleudert und schwer verletzt. Er mußte deshalb u. a. vom 3. September bis 27. Dezember 1973 stationär in Österreich behandelt werden. Infolge der Arbeitsunfähigkeit erhielt er von der Klägerin Krankengeld.

Der Beklagte lehnte mit seinem Bescheid vom 10. Oktober 1974 (Bl. 54 d. BG-Akte) gegenüber dem Verletzten die Gewährung von Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil er nicht deutscher Staatsangehöriger sei.

Am 21. Februar 1975 erhob die Klägerin Klage auf Kostenersatz für die bereits entstandenen bzw. noch anfallenden Aufwendungen, die sie für Ö. aus Anlaß des Unfalles vom 3. September 1973 erbracht habe bzw. noch werde erbringen müssen. Zwischen den Beteiligten besteht Übereinstimmung darin, daß nicht die zunächst beklagte Staatliche Ausführungsbehörde für Unfallversicherung in München, sondern der Beklagte passiv legitimiert sei.

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin für die wegen der Folgen des Unfalls des Ö. vom 3. September 1973 entstandenen Aufwendungen Kostenersatz nach § 1504 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu leisten und der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten (Urteil vom 17. September 1975, geändert gem. § 138 Sozialgerichtsgesetz - SGG - mit Beschluß vom 19. September 1975). Es hat zur Begründung u. a. ausgeführt, bei dem Versuch des Verletzten, seinen Sohn von der Straße zurückzureißen, habe es sich um eine Handlung i. S. von § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO gehandelt. Der Unfallversicherungsschutz entfalle nicht dadurch, daß der Verletzte nicht deutscher Staatsangehöriger sei und der Unfall sich nicht im Bundesgebiet ereignet habe. Er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt, und das Territorialitätsprinzip stehe der Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf Lebensrettungen im Ausland nicht entgegen (BSG 35, 70 ff). Es komme nicht entscheidend darauf an, ob der Tatbestand des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO ausnahmslos im Inland verwirklicht worden sei. Die Staatsangehörigkeit eines Verletzten sei im gesamten Gebiet der deutschen Unfallversicherung für die Frage, ob ein Rechtsanspruch auf Entschädigung bestehe, ohne Bedeutung. Es seien daher keine rechtsstaatlichen Erwägungen erkennbar, daß bei Rettungshandlungen eine Differenzierung zwischen deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gerechtfertigt sei. Es müsse lediglich für den Verletzten eine fortbestehende Beziehung zur deutschen Rechtsordnung vorhanden sein, die in dem gewöhnlichen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik zu suchen sei. Der Entschädigungsanspruch könne daher nicht davon abhängen, ob mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Sachaufklärung gerechnet werden müsse oder ob es zur Kollision verschiedener Rechtsordnungen kommen und ob eine mögliche Doppelversicherung gegeben sein könnte. Kollisionen mit Rechtsordnungen anderer Staaten müßten zwangsläufig zu einer Regelung auf zwischenstaatlicher Basis führen. Solange der Versicherungsschutz vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich auf deutsche Staatsangehörige für Hilfeleistungen im In- und Ausland beschränkt worden sei, sei auch derjenige Ausländer geschützt, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe.

Das SG hat die Sprungrevision zugelassen.

Nachdem die Klägerin schriftlich zugestimmt hatte, hat der Beklagte dieses Rechtsmittel eingelegt. Er trägt u. a. vor, die vom BSG geforderte Voraussetzung eines Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO, daß der Helfer in einer engen Beziehung zur deutschen Rechtsordnung stehen müsse, lasse sich problemlos und am ehesten überschaubar an der deutschen Staatsangehörigkeit bemessen. Diese Abgrenzung sei erforderlich, um eine uferlose und letztlich auch unkontrollierbare Ausdehnung des Versicherungsschutzes bei Hilfeleistungen von Ausländern im Ausland zu vermeiden. Behauptete Hilfeleistungen leichterer bis leichtester Art von Ausländern im Ausland müßten anderenfalls zur Gewährung von Entschädigungsleistungen der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung führen. So wie die Bundesrepublik ihren Staatsangehörigen den Versicherungsschutz bei Hilfeleistungen im Ausland zubillige, stehe das auch anderen Staaten frei. Das SG habe daher prüfen müssen, ob das österreichische Recht nicht eine dem § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO vergleichbare Rechtsvorschrift enthalte, die der Anwendung deutschen Rechts vorgehen könne. Bei der von der Revision vertretenen Rechtsauffassung werde die Frage der Kollision verschiedener Rechtsordnungen und die Problematik möglicher Doppelversicherungen, die wie hier drei Staaten berühren könnten, ebenso unterbunden, wie die letztlich unkontrollierbare Ausdehnung des Versicherungsschutzes der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung rund um die Welt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17. September 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Anknüpfungspunkt für die Anwendung des deutschen Unfallversicherungsrechtes sei nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der - hier gegebene - gewöhnliche Aufenthalt. Hierin liege die ausreichend enge Beziehung zur deutschen Rechtsordnung. Die Problematik der Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes "rund um die Welt" bestehe in gleicher Weise bei deutschen Staatsangehörigen, die im Ausland Hilfe leisten.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht mit schriftlicher Zustimmung der Klägerin eingelegte und begründete Sprungrevision des Beklagten ist von dem SG zugelassen und daher statthaft (§ 161 Abs. 1 SGG).

Der Beklagte ist, wie er selbst auch nicht bestreitet, passiv legitimiert. Entschädigungspflichtiger Versicherungsträger für Unfälle i. S. von § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO ist das Land (§ 655 Abs. 2 Nr. 3 RVO), in dem der Verletzte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (BSG 35, 70, 74). Der Freistaat Bayern hat entsprechend der Ermächtigung des § 656 Abs. 4 RVO den Beklagten zum zuständigen Versicherungsträger u. a. in den Fällen des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO bestimmt (§ 1 Nr. 2 der Verordnung vom 23. Juni 1966 - Bayer. GVBl S. 198).

Nach § 1504 Abs. 1 RVO hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bei dem der Verletzte versichert ist, die - nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehenden - Kosten mit Ausnahme des Sterbegeldes und der Krankenpflege (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO) zu erstatten, wenn die Krankheit die Folge eines Arbeitsunfalles ist, den der Träger der Unfallversicherung zu entschädigen hat. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Versuch des Ö., seinen zweijährigen Sohn vor den Folgen eines Verkehrsunfalles zu schützen, indem er versuchte, ihn im letzten Augenblick vor einem herannahenden Pkw zurückzureißen, eine Rettungshandlung i. S. von § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO darstellte. Dabei ist das Verwandtschaftsverhältnis zwischen beiden nicht von entscheidender Bedeutung (BSG 37, 38, 40).

Der Erstattungsanspruch der Klägerin scheitert auch nicht schon daran, daß der Beklagte mit seinem gegenüber Ö. ergangenen Bescheid vom 10. Oktober 1974 Entschädigungsansprüche abgelehnt hat (BSG 24, 155, 156/157).

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 30. November 1972 (BSG 35, 70 ff) ausgesprochen, daß Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin haben, auch im Ausland bei Hilfeleistungen und Rettungshandlungen nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO unter Versicherungsschutz stehen. Ob in folgerichtiger Anwendung der vom 2. Senat vertretenen Ansicht der Versicherungsschutz, wie das SG meint, grundsätzlich auch auf jeden Ausländer erstreckt werden müßte, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder im Lande Berlin hat und der im Ausland Hilfe leistet, kann dahinstehen. Der 2. Senat hat die Frage unentschieden gelassen, weil der Verunglückte in seinem Fall ein Deutscher war (BSG 35, 73). Ö. ist jedoch, wie aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe des SG sowie Blatt 37 der Unfallakten zu entnehmen ist, türkischer Staatsangehöriger. Für ihn gelten die Regelungen des am 1. November 1965 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II, S. 1170 i. V. m. dem diesbezüglichen Gesetz vom 13. September 1965, BGBl II S. 1169). Nach Art. 4 i. V. m. Art. 3 dieses Abkommens stehen die Staatsangehörigen beider Staaten in ihren Rechten und Pflichten aus den Rechtsvorschriften der Vertragsparteien einander gleich, soweit das Abkommen nichts anderes bestimmt. Besondere, von dem Grundsatz der Gleichstellung in Art. 4 des Abkommens abweichende, auf Fälle der Hilfeleistung außerhalb des Geltungsbereichs der RVO anwendbare Regelungen enthält das Abkommen nicht.

Andererseits ist kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen, daß dieses Abkommen auch Hilfeleistungen bei Unglücksfällen regeln; insbesondere die türkischen Staatsangehörigen ohne jede Einschränkung in den Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, wie er in § 539 Abs. 1 Nr. 9 RVO ausgestaltet worden ist, einbeziehen wollte. Das Abkommen sollte ersichtlich nur die am Arbeitsprozeß beteiligten Angehörigen beider Staaten erfassen, wie sich insbesondere aus dem häufigen Gebrauch der Worte "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" in den Allgemeinen Bestimmungen (Art. 1 bis 10 des Abkommens) ergibt. So ist auch in Art. 5, der den "Beschäftigungsort" für das anzuwendende Recht als maßgebend erklärt, von Betriebssitz, Beschäftigten und Beschäftigungsverhältnis sowie mehrfach von "Arbeitgeber" die Rede. Allerdings lautet Art. 35 des Abkommens: Art. 4 Abs. 1 gilt bei Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften, nach denen auf Grund von Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten), die außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind ..., Renten nur bei besonderen Voraussetzungen gezahlt werden, für türkische Staatsangehörige sowie ihre Angehörigen und Hinterbliebenen, solange sie sich im Gebiet einer Vertragspartei aufhalten. Damit sind aber nur die sog. "Ausstrahlungsfälle" erfaßt, d. h. der ausländische Arbeitnehmer steht auch dann unter Unfallversicherungs- (UV-)Schutz, wenn er von einer inländischen Firma vorübergehend zur Arbeitsleistung ins Ausland - außer der Türkei (vgl. dazu Art. 6 des Abkommens) - entsandt wird (vgl. hierzu auch Urteil des erkennenden Senats vom 25. Februar 1976 - 8 RU 16/75 -).

Der Senat ist daher der Auffassung, daß das deutsch-türkische Abkommen auf Beschäftigungsverhältnisse abstellt und daß Lebensrettungshandlungen, die nicht im Zusammenhang mit einer Beschäftigung stehen, im deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen nicht geregelt worden sind. Daran ändert auch die Bestimmung in Nr. 5 des Schlußprotokolls zum deutschtürkischen Abkommen vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II S. 1189) nichts, wonach die Art. 5 bis 7 und 9 des Abkommens entsprechend für die nach den Rechtsvorschriften einer Vertragspartei in bezug auf die Versicherungspflicht "den Arbeitnehmern Gleichgestellten" gelten. Denn § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO (ebenso wie Buchst. b und c) spricht schlechthin von "Personen" und knüpft in keiner Weise an "Arbeitnehmer" (oder Arbeitgeber) an. Aus dem deutsch-türkischen Abkommen ergeben sich somit keine Anhaltspunkte zur Lösung der hier zu entscheidenden Streitfrage. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist auch der 2. Senat im Urteil vom 30. November 1972 für das Verhältnis zu Spanien gelangt; dort ist ebenfalls ausgeführt, daß die - ohne Zusammenhang mit einer Beschäftigung - unternommenen Lebensrettungshandlungen vom deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen nicht erfaßt werden (BSG 35, 70, 71).

Zu prüfen bleibt jedoch, ob Ö. bei der Hilfeleistung während seiner Urlaubsfahrt deshalb unter UV-Schutz stand, weil er zur damaligen Zeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland seinen ständigen Aufenthalt hatte.

Dabei steht das auch in der UV geltende Territorialitätsprinzip einer Ausdehnung auf Tätigkeiten im Ausland nicht von vornherein entgegen, sofern sich der Verletzte - wie hier - nur vorübergehend im Ausland aufhält (vgl. dazu die zutreffenden Ausführungen des 2. Senats des BSG in BSG 35, 70, 71 ff).

Da sich der Unfall des Ö. auf der Heimfahrt vom Besuch seiner Heimat zu seinem Aufenthalts- und Beschäftigungsort ereignete, wäre zunächst daran zu denken, ob dieser "Weg" nach der Bundesrepublik Deutschland nicht nach § 550 RVO unter UV-Schutz stand. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar schließt nach dieser Vorschrift der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, die Versicherung auf dem Wege von und nach der Familienwohnung nicht aus. Ö. lebte jedoch seit 1970 mit seiner Familie im Gebiet der Bundesrepublik, hatte also dort eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse bildete (vgl. BSG I, 171 und SozR Nr. 21 zu § 550 RVO m. w. N.). Insoweit besteht kein Streit. Obwohl die Heimfahrt hier insofern auch mit der betrieblichen Tätigkeit des Ö. in einem Zusammenhang stand, als sie die Voraussetzung dafür war, daß Ö. in Röthenbach/Pegn. seine Arbeit wieder aufnehmen konnte, stand sie nicht unter UV-Schutz. Denn nicht jeder Weg, der zur Arbeitsstätte hinführt oder von ihr aus begonnen wird, ist unter UV-Schutz gestellt. Vielmehr muß darüber hinaus der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen in einem "rechtlich wesentlichen Zusammenhang" stehen. Dazu muß die ursächliche Verknüpfung zwischen der Zurücklegung des Weges und der versicherten Tätigkeit rechtlich so wesentlich sein, daß daneben andere, mit der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängende Umstände in den Hintergrund treten und als rechtlich unwesentlich nicht zu berücksichtigen sind. Eine zu betriebsfremden Zwecken unternommene Fahrt muß dabei als Einheit, d. h. die Hinfahrt und die Rückfahrt müssen gleich behandelt werden (BSG 1, 171; 8, 53, 55). Da es sich hier um den Rückweg von einer unversicherten Urlaubsfahrt handelt, die als solche mit der versicherten Tätigkeit nicht rechtlich wesentlich zusammenhängt, steht auch die Heimfahrt, bei der der Unfall eintrat, nicht unter UV-Schutz (BSG 8, 53, 55).

Das Erfordernis eines rechtlich wesentlichen Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit gilt aber nicht nur für Wegeunfälle, sondern für alle Unfälle von Beschäftigten, für die von einem Träger der UV Entschädigung beansprucht wird; es genügt nicht ein lediglich örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Selbst wenn sich der Unfall auf der Betriebsstätte ereignete und sogar eine Betriebseinrichtung dabei beteiligt war, entfällt der UV-Schutz für den Beschäftigten, wenn mit der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängende Umstände (private, eigenwirtschaftliche, betriebsfremde Verrichtungen) so im Vordergrund gestanden haben, daß die mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Umstände in den Hintergrund treten (vgl. BSG 14, 295, 296) oder wenn allenfalls ein rechtlich nicht ins Gewicht fallender, loser Zusammenhang besteht (BSG 14, 295, 297).

Dieser in der gesetzlichen Unfallversicherung zu fordernde rechtlich wesentliche innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ist im Zweifelsfall das entscheidende Kriterium für die Bejahung oder Verneinung des UV-Schutzes. Dieses Unterscheidungsmerkmal kann allerdings im Falle des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO nicht als Maßstab angelegt werden, denn die hier erfaßten Tatbestände haben mit einem Beschäftigungsverhältnis "auch nicht das geringste zu tun", wie Wolber (WzS 1970, 166) zutreffend betont. An dessen Stelle tritt jedoch das deutsche öffentliche Interesse, das für die Einführung der Sonderregelung des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO bestimmend gewesen ist.

Zur Prüfung, ob dieses öffentliche Interesse im vorliegenden Fall eine Bejahung des UV-Schutzes zuläßt, muß diese Vorschrift - in der hier anzuwendenden Fassung - zunächst im Zusammenhang mit den weiteren unter Nr. 9 aufgeführten Tatbeständen betrachtet werden. Danach sind in der UV gegen Arbeitsunfälle versichert "Personen, die

a)

bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen,

b)

einem Bediensteten des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes oder einer anderen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts, der sie zur Unterstützung bei einer Diensthandlung heranzieht, Hilfe leisten,

c)

sich bei Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer strafbaren Handlung verdächtig ist, oder zum Schutze eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen."

Alle drei Tatbestände betreffen ein Tätigwerden, das entweder unmittelbar (Hilfe bei gemeiner Gefahr oder Not, Unterstützung bei Diensthandlungen, Verfolgung oder Festnahme verdächtiger Personen) oder mittelbar (Lebensrettungshandlungen, Schutz eines Dritten bei widerrechtlichem Angriff) im öffentlichen Interesse liegt. Dabei weist schon der Gesetzeswortlaut zu Nr. 9 b darauf hin, daß diese Bestimmung eine Hilfeleistung für deutsche öffentliche Institutionen, nämlich die Unterstützung von Bediensteten des Bundes und des Landes, im Auge hat. Vor allem aber ist bedeutsam, daß § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO nicht das " Opfer " des Unglücksfalls oder der gemeinen Gefahr oder Not, sondern nur den " Helfer " schützen will, und zwar auch dann, wenn sein Einsatz erfolglos geblieben ist ("zu retten unternehmen"). Diese Vorschrift will damit den Hilfeleistenden zu einer Tätigkeit veranlassen, die aus der Sicht des deutschen öffentlichen Interesses im Grundsätzlichen als derart bedeutsam angesehen wird, daß ihre - schuldhafte - Unterlassung mit krimineller Strafe belegt worden ist. Demgemäß stehen die Tatbestände der Nr. 9, insbesondere die hier streitige Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO, in einer Wechselbeziehung zum deutschen Strafrecht, wie eine kurze Betrachtung der Entwicklungsgeschichte dieser Vorschrift deutlich macht.

Durch das Dritte Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20. Dezember 1928 (RGBl I 405) wurde § 553 a RVO in das Gesetz eingefügt. Daß es sich dabei um einen Sondertatbestand handelte, ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung: "Die Vorschriften über die Entschädigung von Betriebsunfällen finden auch Anwendung, wenn jemand, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein, unter Gefahr für Leben, Körper oder Gesundheit einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr rettet oder zu retten unternimmt und dabei einen Unfall erleidet."

Diese Bestimmung bezog sich auf die Vorschrift des § 360 Nr. 10 Strafgesetzbuch (StGB), wonach derjenige bestraft wurde, der bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nach Aufforderung durch die Polizei keine Hilfe leistet, obgleich er dies ohne erhebliche eigene Gefahr hätte tun können. Durch die Vorschrift des § 553 a RVO sollte der freiwillige Lebensretter, der einen Unfall erleidet, sichergestellt sein (Mitglieder-Kommentar zur RVO, Bd. III 1930, Anm. 1 zu § 553 a RVO). Eine solche "Sicherstellung" war auch deshalb gerechtfertigt, weil derjenige, der etwa nach einer subjektiven Interessen- oder Gefahrenabwägung vor einer Hilfeleistung zunächst zurückschreckte, damit rechnen mußte, daß er unter Umständen wegen fahrlässiger Unterlassung der Hilfeleistung bestraft werden könnte(vgl. Frank, Kommentar zum Strafgesetzbuch 1897 und 1931, Anm. 2 zu § 360 Nr. 10 StGB).

Diese Vorschrift ist dann durch das Fünfte Gesetz über Änderungen in der UV vom 17. Februar 1939 (RGBl I 267 - 5. ÄndG -) erweitert, aber hinsichtlich des Tatbestandes der heutigen Nr. 9 a nur insoweit geändert worden, als es hier heißt: "Ohne besondere rechtliche Verpflichtung" (AN 1939 IV 92). Diese Gesetzesänderung erfolgte mit Rücksicht darauf, daß durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935 (RGBl I 839, 842) in das StGB anstelle der früheren bloßen Übertretungsvorschrift des § 360 Nr. 10 StGB die Vorschrift des § 330 c eingefügt worden ist. Danach konnte nun eine Person, die - u. U. auch unabhängig von einer polizeilichen Aufforderung - ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten eine Hilfeleistung unterließ, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft werden. Wie es in der Begründung zum 5. ÄndG hieß, war es als unbillig angesehen worden, angesichts dieser "sehr weitgehenden rechtlichen Verpflichtung zur Hilfeleistung" die Anwendung des § 553 a RVO auszuschließen, "obwohl er gerade für Fälle dieser Art gedacht" sei. Durch die neue Fassung sollte daher klargestellt werden, daß die durch § 330 c StGB festgelegte "allgemeine Rechtspflicht" die Anwendung des § 553 a nicht hindert , daß es hierzu vielmehr einer "besonderen" rechtlichen Verpflichtung bedürfe, die z. B. dann anzunehmen sei, wenn familienrechtliche Pflichten den Verletzten zur Hilfeleistung veranlaßt haben oder wenn der Hilfeleistende die Gefahr für den anderen selbst verschuldet habe (vgl. AN 1939 S. IV 98; BSG 5, 262, 265). Nun konnte somit nur eine "besondere", über die durch § 330 c StGB begründete allgemeine Rechtspflicht hinausgehende rechtliche Verpflichtung den Versicherungsschutz ausschließen (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 28 zu § 537 RVO S. 43). Der UV-Schutz blieb also bei freiwilliger Lebensrettung für den bisher berechtigten Personenkreis aufrechterhalten (BSG 5, 262, 265).

Die Vorschrift des § 553 a RVO ist später durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der UV vom 9. März 1942 (RGBl I 107) - soweit es hier interessiert - im wesentlichen unverändert als Vorschrift des § 537 Nr. 5 a RVO (Personen, die ohne besondere rechtliche Verpflichtung einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr retten oder zu retten unternehmen) übernommen worden. Die durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I 241 - UVNG -) neu gefaßte und hier anzuwendende Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO hat dann insoweit eine Änderung erfahren, als einerseits das seitherige Erfordernis, daß die Hilfe "ohne besondere rechtliche Verpflichtung" geleistet sein muß, weggefallen ist und als es andererseits genügt, wenn sich der "andere" zwar nicht in Lebensgefahr befindet, aber einer erheblichen Gefahr für Körper oder Gesundheit ausgesetzt ist. Diese beträchtliche Erweiterung des UV-Schutzes läßt sich nicht allein damit begründen, daß die bisherige Unterscheidung zwischen allgemeiner und besonderer Verpflichtung zur Hilfe sich praktisch nicht durchführen lasse (vgl. dazu BSG 5, 262 ff), jedenfalls aber nicht gerechtfertigt sei (so Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand November 1975 S. 474, und Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand Oktober 1975, Anm. 55 zu § 539 RVO unter Hinweis auf die Amtliche Begründung); vielmehr bestand zu einer Neufassung dieser Vorschrift auch deshalb Veranlassung, weil § 330 c StGB geändert worden war (vgl. die Neufassung vom 25. August 1953, BGBl I 1083, 1124). Danach wird nunmehr derjenige bestraft, der keine Hilfe leistet, obwohl sie "erforderlich" und ihm "zuzumuten" ist, während früher auf eine aus dem gesunden Volksempfinden abgeleitete "Pflicht" abgestellt worden war, die dem "Wandel in den Auffassungen über die Pflichten des einzelnen gegenüber der Volksgemeinschaft" entsprochen habe (Kohlrausch/Lange, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 38. Aufl., 1944, Anm. 1 zu § 330 c StGB). Vor allem aber stellt der § 330 c StGB nun nicht mehr "insbesondere" auf eine polizeiliche Aufforderung zur Hilfeleistung ab, vielmehr entfiel dieser Zusatz völlig. Dieser nicht unwesentlichen Änderung der Hilfeleistungspflichten des einzelnen steht nun seit Inkrafttreten des UVNG die erweiterte Fassung des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO (nF) gegenüber.

Die aufgezeigte Wechselbeziehung zwischen RVO- und Straftatbestand geht zwar nicht soweit, daß man § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO als echtes Äquivalent für die einen Deutschen auch im Ausland ggf. treffende Hilfeleistungspflicht gemäß den §§ 3 ff und 330 c StGB ansehen müßte, da sich Straftatbestand und Versicherungsschutztatbestand nicht decken bzw. nicht zu decken brauchen (so zutreffend BSG 35, 70, 73; Wolber in WzS 1970 S. 166, 168); insbesondere kann der UV-Schutz nach Nr. 9 a nicht "abhängig" sein von der Strafbarkeit für unterlassene Hilfeleistung (so zutreffend Wolber in seiner Erwiderung zu der Auffassung von Vollmar - SGb 1971, 462 - in SGb 1972, 166, 167; vgl. ferner Schulte, SGb 1974, 92, 95). Diese Wechselbeziehung kann aber bei der Prüfung der Bedeutung und Tragweite der Nr. 9 a nicht ganz außer Betracht bleiben (BSG 35, 70, 73); dies um so mehr, als die in § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO verwendeten Begriffe des Unglücksfalls und der gemeinen Gefahr oder Not im allgemeinen ebenso auszulegen sind wie die in § 330 c StGB gebrauchten Begriffe (Brackmann aaO S. 474 a). Vielmehr muß diese Wechselbeziehung gerade in einem Fall der vorliegenden Art, in dem es darum geht, ob der Versicherungsschutz der deutschen Vorschrift - wie die Revision vorträgt - "rund um die Welt" ausgedehnt werden soll, gebührend berücksichtigt werden.

Sinn des Strafrechts ist in erster Linie, Straftaten im Inland (Territorialgrundsatz), die von einem Inländer (Personalgrundsatz) gegen einen Inländer (Schutzgrundsatz) begangen werden, zu ahnden. Wenn auch keiner dieser Grundsätze rein durchführbar ist, vielmehr z. B. auch der Universalgrundsatz (Grundsatz der Weltrechtspflege) von Bedeutung ist (vgl. für die Zeit vor 1945 mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte der streitigen RVO-Vorschrift: Kohlrausch/Lange aaO 1944 S. 67), so geht doch auch aus § 3 StGB in der Fassung vom 25. August 1953, der bei Inkrafttreten des UVNG gegolten hat, hervor, daß das deutsche Strafrecht für die Tat eines deutschen Staatsangehörigen gilt, einerlei ob er sie im Inland oder im Ausland begeht (Abs. 1); für eine im Ausland begangene Tat (eines Inländers), die dort nicht mit Strafe bedroht ist, gilt das deutsche Strafrecht nicht, wenn die Tat kein strafwürdiges Unrecht ist (Abs. 2). Andererseits stellt § 4 StGB aF für Ausländer den gegenteiligen Grundsatz auf, indem er bestimmt, daß das deutsche Strafrecht für Taten gilt, die ein Ausländer im Inland begeht (Abs. 1). Unter gewissen Voraussetzungen gilt ferner auch für eine von einem Ausländer im Ausland begangene Tat das deutsche Strafrecht, so u. a. wenn sie nach dortigem Recht strafbar ist und der Täter die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Tat erworben hat oder die Straftat gegen das deutsche Volk oder gegen einen deutschen Staatsangehörigen gerichtet ist (Abs. 2). Nach § 5 StGB aF gilt das deutsche Strafrecht ferner allgemein für Taten, die auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug begangen werden. Die entsprechenden Vorschriften des StGB in der Fassung vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717) bzw. vom 2. März 1974 (BGBl I 469, 473, 474; vgl. auch die Neufassung vom 2. Januar 1975 - BGBl I 1) sind hier, weil sie nach 1963 eingetretene Änderungen darstellen, nicht unmittelbar heranzuziehen. Sie enthalten jedoch, soweit sie hier von Interesse sind, im wesentlichen die gleichen Grundsätze (vgl. §§ 3 bis 7 StGB nF).

Die im Vorstehenden gekennzeichneten Wechselbeziehungen zwischen dem Versicherungstatbestand im § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO und den Vorschriften des deutschen Strafrechts lassen den Sinn und Zweck dieser RVO-Vorschrift erkennen, der darin liegt, dem Lebensretter bzw. Hilfeleistenden, der ein Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit bringt, als Ausgleich für dieses Opfer einen Entschädigungsanspruch nach den für diese "Allgemeinheit" geltenden Rechtsgrundsätzen, d. h. nach dem Recht der deutschen gesetzlichen UV, zu gewähren. Der Hilfeleistende soll die Gewißheit haben, daß ihm, wenn er sich schon auf Grund einer verbindlichen öffentlichen Meinung nicht anders verhalten kann, eine öffentlich-rechtliche Ersatzleistung sicher ist (Wolber WzS 1970, 166, 167). Der Gesetzgeber hat damit entgegen der Systematik des Versicherungsgedankens einen "aufopferungsähnlichen Tatbestand" dem Sozialversicherungsschutz unterstellt (so auch BSG 35, 70, 72) mit der Maßgabe, daß die in § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO getroffene Regelung an die Stelle einer Haftung der Gemeinschaft für Aufopferungsansprüche getreten ist (vgl. Schulte, SGb 1974, 92, 94).

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist bei der Auslegung des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a (wie auch b und c) RVO in Zweifelsfällen nicht - wie sonst in der allgemeinen UV - darauf abzustellen, ob ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit besteht, sondern darauf, ob ein solcher Zusammenhang mit dem deutschen öffentlichen Interesse gegeben ist, das die "Gemeinschaft" bewogen hat, die Lebensrettungshandlung in den gesetzlichen UV-Schutz einzubeziehen. Dabei sind wiederum die genannten deutschen Strafvorschriften von wesentlicher Bedeutung. Aus ihnen ergibt sich, daß der deutsche Staatsangehörige grundsätzlich auch im Ausland den deutschen Strafvorschriften unterworfen ist. Demgemäß hat der 2. Senat des BSG in BSG 35, 70, 72 zutreffend hervorgehoben, der fortbestehenden Bindung an die deutsche Rechtsordnung sei auch bei dem Tatbestand der Lebensrettung Rechnung zu tragen. Dieser Grundsatz der fortbestehenden Bindung an das deutsche Recht (hier Strafrecht) ist keine spezielle deutsche Eigentümlichkeit, sondern Ausdruck eines uralten Rechtsgrundsatzes (lex ossibus inhaeret). Ein solcher Grundsatz gilt jedoch für ein Handeln oder Unterlassen eines Ausländers im Ausland nicht, wie oben näher dargelegt worden ist. Zwar ist es in der UV grundsätzlich ohne Bedeutung, welche Staatsangehörigkeit der Beschäftigte hat (Brackmann, aaO S. 472). Dementsprechend steht auch der Ausländer nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO unter UV-Schutz, wenn er in Deutschland bei Unglücksfällen Hilfe leistet; und dies, obwohl diese Hilfeleistung eine etwaige Beschäftigung im Inland nicht voraussetzt (vgl. dazu auch Entwurf eines Sozialgesetzbuches Art. I § 3 Nr. 2 des Vierten Buches - BT-Drucksache 7/4122 S. 4). Entsprechend den strafrechtlichen Bestimmungen in § 4 StGB aF könnte dieser UV-Schutz vielleicht auch noch für Hilfeleistungen im Ausland bejaht werden, wenn der Verletzte die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Hilfeleistung erworben oder wenn er einem deutschen Staatsangehörigen im Ausland Hilfe geleistet hat. Dagegen fehlt es an dem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit dem obengenannten deutschen öffentlichen Interesse, wenn es an solchen Besonderheiten fehlt, d. h. wenn - wie hier - ein Ausländer im Ausland einem anderen Ausländer Hilfe geleistet hat. Leistet z. B. ein Türke bei einem Erdbeben in der Türkei Hilfe, obwohl er zweifelsfrei unversichert ist, wenn er selbst Opfer dieses Erdbebens ist, so kann ein deutsches öffentliches Interesse an einer deutschen Unfallentschädigung ebensowenig angenommen werden, wie wenn er den türkischen Behörden bei der Verfolgung eines Türken oder Kurden behilflich ist. Wollte man einen solchen versicherungsrechtlichen Zusammenhang auch in den Fällen noch bejahen, in denen etwa ein Türke, der in der Bundesrepublik seinen ständigen Aufenthalt hat, in der Türkei oder sonstwo auf der Welt einem anderen Ausländer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe geleistet hat, so würde man nicht nur die Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO (ähnliches gilt für die unter Buchst. b und c aufgeführten Tatbestände) entgegen ihrem oben dargelegten Sinn und Zweck weit überspannen, sondern sich auch kaum hinreichend aufklärbaren Sachverhalten gegenübergestellt sehen.

Mit dieser, nach Auffassung des erkennenden Senats sinnvollen und notwendigen Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO wird der in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Ausländer nicht ungebührlich benachteiligt. Denn seinem Heimatstaat bleibt es unbenommen, seine Staatsangehörigen in ähnlicher Weise bei Hilfeleistungen im Ausland so weitgehend zu schützen, wie es die deutsche Rechtsordnung für ihre Staatsangehörigen tut.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage der AOK als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647535

BSGE, 97

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