Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 15.02.1989; Aktenzeichen L 4 Kr 7/88)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Februar 1989 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß sie nicht zur Übernahme der Kosten verpflichtet ist, die durch eine eintägige stationäre Diagnostik sowie durch die zweitägige Verlängerung des stationären Aufenthaltes der Ehefrau des Beigeladenen in der Niedersächsischen Landesfrauenklinik, deren Träger der Beklagte ist, entstanden sind.

Der Beigeladene war mit Anspruch auf Familienhilfe bei der Klägerin versichert. Der behandelnde Arzt seiner Ehefrau verordnete Krankenhauspflege zum Abbruch einer Schwangerschaft. Hierauf fanden am 20. Januar 1984 eine stationäre Diagnostik und vom 22. bis 27. Januar 1984 eine stationäre Behandlung statt. Für die Behandlungsdauer vom 22. bis 25. Januar 1984 sagte die Klägerin die Kostenübernahme vorweg zu. Eine Vergütung für den 20. und den 26. und 27. Januar 1984 lehnte sie nachträglich ab mit der Begründung, die Notwendigkeit einer die Anhaltszahlen für die Krankenhausverweildauer überschreitenden stationären Behandlung sei nicht dargelegt worden; bei einer Abtreibung sähen diese Richtzahlen nur einen viertägigen Krankenhausaufenthalt vor. Weitere Zahlungsaufforderungen (zuletzt 732,– DM) wies die Klägerin zurück. Der Beklagte hat daraufhin gegen den Beigeladenen und dessen Ehefrau als Gesamtschuldner vorsorglich einen Mahnbescheid erwirkt.

Die auf die Feststellung gerichtete Klage, daß die Klägerin nicht verpflichtet sei, die streitigen Behandlungskosten zu tragen, hat das Sozialgericht (SG) als unzulässig abgewiesen mit der Begründung, die streitige Vergütungspflicht sei durch eine vom Beklagten zu erhebende Leistungsklage zu klären. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 15. Februar 1989 unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils festgestellt, daß dem Beklagten kein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erstattung der Kosten für Krankenhauspflege der Ehefrau des Beigeladenen am 20., 26. und 27. Januar 1984 gegen die Klägerin zustehe. Zur Begründung führt das LSG aus, die Berufung sei zulässig, weil der dem Verfahren zugrundeliegende Streit keine Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) betreffe. Die Berufung sei auch begründet, weil die Klägerin bei der gegebenen unsicheren Rechtslage ein Feststellungsinteresse habe und ein Anspruch zugunsten des Beklagten nur aufgrund einer Kostenübernahmeerklärung des Krankenversicherungsträgers oder einer Abtretung des Anspruchs des Versicherten entstehen könne. Hieran fehle es für den streitigen Zeitraum, so daß die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Abrechnungsverhältnisses nicht gegeben seien.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er trägt vor, die Krankenkassen müßten sich zur Erfüllung ihrer Sachleistungspflicht gegenüber den Versicherten der Krankenhäuser bedienen. Hieraus entstünden Kostenbeziehungen, die einen eigenen Leistungsanspruch des Krankenhausträgers auch ohne Kostenübernahmeerklärung oder Abtretungsvereinbarungen begründeten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachen vom 15. Februar 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Vergütungsanspruch des Krankenhausträgers richte sich von Anfang an nicht gegen den Versicherten, sondern nur gegen die Krankenkasse als originären Kostenschuldner. Während der streitigen Zeit sei aufgrund der Gutachten des vertrauensärztlichen Dienstes die Krankenhauspflege nicht notwendig gewesen.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.

Dem LSG ist darin zu folgen, daß die Berufung der Klägerin nicht nach § 144 Abs 1 SGG ausgeschlossen war. „Leistungen” iS dieser Vorschrift sind Ansprüche Einzelner gegen einen Sozialleistungsträger oder gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts, also gegen die öffentliche Hand (Allgemeine Meinung; vgl Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 144 RdNr 5). Streitgegenstand ist im vorliegenden Fall das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs des Beklagten als Krankenhausträger gegenüber der ihm rechtlich gleichgeordneten Klägerin. Dabei handelt es sich nicht um eine „Leistung” iS des § 144 Abs 1 SGG.

Die von der Klägerin erhobene negative Feststellungsklage ist zulässig. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Beklagten als Krankenhausträger (§ 55 SGG). Sie selbst kann keine Leistungsklage erheben. Sie kann auch nicht auf den Weg verwiesen werden, eine Leistungsklage des Beklagten abzuwarten. Dieser hat seinen Anspruch zwar gegenüber der Klägerin erhoben, ihn indessen gegenüber dem Beigeladenen gerichtlich geltend gemacht. Streitig ist damit nicht nur ein Zahlungsanspruch des Beklagten gegenüber der Klägerin, sondern das Rechtsverhältnis zwischen einer Krankenkasse, einem Krankenhausträger und dem Versicherten aus der Gewährung stationärer Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Hätte die Klägerin keine (negative) Feststellungsklage erhoben, dann hätten die Rechtsbeziehungen aufgrund des vom Beklagten gegen den Beigeladenen erwirkten Mahnbescheides von der ordentlichen Gerichtsbarkeit geklärt werden müssen. Der Ausgang des dortigen Verfahrens hätte möglicherweise zur Folge, daß der Unterlegene (Krankenhausträger oder Versicherter) die Klägerin erneut in Anspruch nehmen würde. Dem will die Klägerin durch ihre Feststellungsklage entgegenwirken. Weiter will sie ihr Mitglied davor bewahren, vom Beklagten – aus ihrer Sicht zu Unrecht – in Anspruch genommen zu werden. Hiernach erweist sich die Feststellungsklage als der geeignete Weg zur Klärung der hier streitigen Rechtsbeziehungen.

Ob und inwieweit die Klage begründet ist, kann auf der Grundlage der bisher vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht beantwortet werden. Das LSG stützt seine Entscheidung darauf, daß eine Kostenzusage der Klägerin nicht vorgelegen und der Beigeladene seinen Anspruch auf Kostenübernahme durch die Klägerin nicht an den Beklagten abgetreten habe. Dem kann der Senat nicht folgen.

Nach dem hier noch anwendbaren § 184 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) wird Krankenhauspflege zeitlich unbegrenzt gewährt, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 371 RVO haben die Krankenkassen Krankenhauspflege durch die Krankenhäuser zu gewähren, die in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen sind oder die sich gegenüber den Krankenkassen hierzu bereit erklärt haben. Zu diesem Kreis zählt die vom Beklagten betriebene Landesfrauenklinik. Zwecks Sicherstellung einer den Anforderungen des § 184 iVm § 182 Abs 2 RVO entsprechenden Krankenhauspflege schließen die Landesverbände der Krankenkassen mit den Krankenhäusern oder ihren Vereinigungen Verträge ab (§§ 372 ff RVO). Mit dem Begriff „gewähren” in § 184 Abs 1, § 371 Abs 1 RVO bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß dem Versicherten die stationäre Behandlung als Sachleistung, dh für ihn unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden soll. Durch die Inanspruchnahme der Sachleistung durch den Versicherten wird unmittelbar eine Zahlungsverpflichtung seiner Krankenkasse gegenüber dem leistungserbringenden Krankenhaus begründet. Dieses wiederum hat sich durch seine Bereitschaft, Versicherte im Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln, sowie durch den Abschluß entsprechender Verträge diesen Bedingungen unterworfen. Soweit der Versicherte lediglich die Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nimmt und nehmen will, entsteht ihm keine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer, aufgrund derer er einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Kasse erwirbt. Dem steht das Urteil des 8. Senats vom 20. Januar 1982 (8/8a RK 13/80 = BSGE 53, 62 = SozR 1500 § 51 Nr 25) nicht entgegen. Es geht davon aus, daß der Anspruch auf stationäre Krankenpflege nicht auf eine Geldleistung gerichtet ist. Aus der Tatsache, daß Vertragskrankenhäuser keine Einrichtungen der Krankenkassen sind, wird gefolgert, daß sich der Behandlungsanspruch regelmäßig in den Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten verwandelt (aaO S 64). Damit ist aber nicht gesagt, daß der Versicherte einen Zahlungsanspruch gegen die Kasse erwirbt, den er dem Krankenhaus abtreten müßte oder könnte. Der Zahlungsanspruch entsteht vielmehr unmittelbar zugunsten des Krankenhauses, das die Sachleistung erbringt.

Ein abtretungsfähiger Kostenerstattungsanspruch könnte allenfalls dann entstehen, wenn der Versicherte nicht zu den Bedingungen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden will, sondern davon abweichende privatrechtliche Vereinbarungen mit dem Krankenhaus trifft. Dieser Fall lag jedoch hier nicht vor. Ersichtlich wollte die Ehefrau des Beigeladenen aufgrund der (kassenärztlichen) Einweisung ihres behandelnden Arztes die stationäre Behandlung im Krankenhaus des Beklagten als Sachleistung erhalten.

Eine Leistungspflicht der Klägerin ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil für die streitigen Behandlungstage keine Kostenzusage erteilt worden ist. Da die Gewährung von Krankenhauspflege nach § 184 RVO nicht (mehr) im Ermessen des Krankenversicherungsträgers steht, entfällt die Notwendigkeit der Erteilung einer Kostenzusage (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Auflage, § 184 Anm 10). In der Praxis herrschte allerdings die Auffassung vor, daß die Kostenzusage der Krankenkasse ihre Verpflichtungen aus einem Krankenhausaufnahmevertrag auslöst (Krauskopf/Schroeder-Printzen, aaO, § 372 Anm 1.5). Wenn auch die Kostenzusage für die Begründung des Anspruches des Krankenhauses gegenüber der Kasse ausreicht, wird damit doch nicht ein weitergehender Anspruch wegen Fehlens einer Kostenzusage ausgeschlossen (vgl auch Urteil des Senats vom 24. November 1987 – 3 RK 7/87 – = USK 87136). Maßgebend ist der Anspruch des Versicherten auf Durchführung der medizinisch notwendigen stationären Behandlung, der nicht durch das Fehlen einer Kostenzusage der Krankenkasse, die allein im Rahmen der Rechtsbeziehungen zwischen dieser und dem Krankenhaus ohne Einbeziehung des Versicherten erteilt wird, verkürzt werden darf. Anderenfalls müßte das Krankenhaus trotz fortbestehender Notwendigkeit einer stationären Behandlung diese entweder abbrechen oder aber den Versicherten zur Zahlung der durch die Fortsetzung der Behandlung entstehenden Kosten verpflichten. Beides widerspräche § 184 RVO, der einen zeitlich unbegrenzten Anspruch des Versicherten begründet.

Wenn auch die Dauer der Krankenhauspflege nicht von der Kostenzusage der Krankenkasse abhängt, unterliegt sie nach § 182 Abs 2 RVO, auf den § 184 Abs 1 Satz 2 RVO verweist, dennoch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit iS der medizinischen Notwendigkeit. Deren Beurteilung fällt nicht in den Verantwortungsbereich des einweisenden Kassenarztes, weil dieser (nach den Krankenhausrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen) die Verweildauer nicht festlegen muß und in der Regel auch nicht festlegt. Sie fällt vielmehr in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses. Dieses hat die Möglichkeit, sich an Erfahrungswerte zu halten, die in Anhaltszahlen (Richtzahlen) ihren Niederschlag gefunden haben. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin diese Anhaltszahlen ihrer Kostenzusage zugrunde gelegt. Dieses Vorgehen entspricht der vom Gesetzgeber erwarteten Verwaltungspraxis (vgl Begründung zum RegEntw zu § 39 Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung ≪SGB V≫, BT-Drucks 11/2237 S 178 sowie Zipperer in GKV-Komm, § 39 SGB V RdNrn 56 – 58). Soweit sich die Verweildauer im Rahmen dieser Erfahrungswerte bewegt, besteht die Vermutung der Notwendigkeit und damit der Wirtschaftlichkeit. Dies schließt allerdings nicht aus, daß im Einzelfall aus medizinischen Gründen eine längere Verweildauer erforderlich wird. Hierüber besteht im vorliegenden Fall Streit. Die Klägerin hat hierzu ihren medizinischen Dienst eingeschaltet, der zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die längere Verweildauer bei der Ehefrau des Beigeladenen nicht erforderlich war. Demgegenüber ist das Krankenhaus des Beklagten von der Notwendigkeit der längeren Verweildauer überzeugt. Das LSG hat hierzu – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen getroffen. Da es, wie ausgeführt, im vorliegenden Fall auf die medizinische Notwendigkeit der Verweildauer ankommt, wird das LSG noch dahingehende tatsächliche Feststellungen zu treffen und zu würdigen haben. Sollten dabei begründete Zweifel an der Notwendigkeit der längeren Verweildauer verbleiben, dann geht dies zu Lasten des Beklagten, weil dieser sich eines Zahlungsanspruches berühmt und demzufolge ihn die Nichtbeweisbarkeit der anspruchsbegründenden Umstände, hier die medizinische Notwendigkeit der längeren Verweildauer, nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast trifft.

Nach allem war auf die Revision des Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Rechtsstreites zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173688

BSGE, 20

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