Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

1. …, 2. …

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von DM 774,-- für ambulante und DM 18.407, 06 für stationäre zahnärztliche Behandlung.

Die Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Sie begab sich im Sommer 1985 wegen Allergien, Schlafstörungen, migräneartiger Kopfschmerzen, Darmstörungen und anderer Beschwerden als Privatpatientin in die Behandlung des Beigeladenen zu 2), Zahnarzt Dr. T. (in Zukunft Dr. T). Dr. T diagnostizierte nach mehrfachen ambulanten Untersuchungen und Testaten eine Belastung der Zahn-Kiefer-Gebiete durch avitale Zähne und circumscripte Osteomyelitiden in den Leerkiefern und führte danach - ab November 1985 - bei jeweils stationärer Unterbringung der Klägerin in der unter seiner ärztlichen Leitung stehenden Privatklinik "Haus G. " in Bad P. , deren Inhaberin die Beigeladene zu 1) ist, eine Herdsanierung durch. Die Klägerin beantragte am 2. Januar 1986 bei der Beklagten zunächst die Erstattung der Kosten der ambulanten Behandlung in Höhe von DM 774,-- und der ersten stationären Behandlung in Höhe von DM 3.640, 62. Die Beklagte lehnte dies durch Bescheid vom 19. Februar 1986 und Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1987 ab. Die Klägerin begab sich in drei weitere stationäre Behandlungen in der Privatklinik Haus G. . Ihren Antrag auf Kostenerstattung vom 28. Januar 1987 in Höhe von weiteren DM 14.766, 44 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 1987 und Widerspruchsbescheid vom 7. April 1987 ab. Die Beklagte vertrat im Verwaltungsverfahren die Ansicht, eine Kostenerstattung sei nach dem Sachleistungsprinzip der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur in einem Notfall möglich, der bei der Klägerin nicht vorgelegen habe. Die Erstattung der Kosten für die stationäre Behandlung sei nicht möglich, da es sich bei dem Haus G. um eine nicht in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommene und mithin nicht zugelassene Privatklinik gehandelt habe.

Die Klägerin hat gegen diese Bescheide am 27. Februar 1987 und 14. April 1987 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben, das die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen durch Urteil vom 23. November 1987 abgewiesen hat. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen Beweis erhoben zu der Frage, wann die Klägerin bei der Beklagten wegen ihres Leistungsbegehrens vorstellig geworden ist, und hierzu zwei Mitarbeiter der Beklagten - auch zum Inhalt der Gespräche in der Geschäftsstelle der Beklagten - als Zeugen gehört. Mit Urteil vom 28. Juni 1990 hat es die Berufung der Klägerin sodann zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß der Klägerin als versicherungspflichtigem Mitglied der Beklagten sowohl ambulante als auch stationäre (zahn) ärztliche Behandlung grundsätzlich als Sachleistung zu gewähren sei. Eine Ausnahme vom Sachleistungsprinzip sei nicht gegeben. Bei der Klägerin habe kein Notfall vorgelegen. Auch habe die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt, da jedenfalls für die ambulante Behandlung Dr. T Vertragsarzt der Beklagten gewesen sei. Daß Dr. T, obschon Kassen- und Vertragsarzt, eine Behandlung auf Krankenschein verweigert habe, weil er das Risiko, das mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung seiner Leistungen verbunden war, nicht zu tragen bereit gewesen sei, stelle keine Ablehnung seitens der Beklagten dar. Zwar könne aufgrund der Aussagen der als Zeugen gehörten Angestellten der Beklagten unterstellt werden, daß die Klägerin wegen der Krankenhausbehandlung an die Beklagte herangetreten sei und die Beklagte diese Behandlung abgelehnt habe. Doch seien die stationären Behandlungskosten deshalb nicht erstattungsfähig, weil es sich bei dem Haus G. nicht um einen "zugelassenen" Leistungserbringer gehandelt habe. Krankenhausbehandlung sei von der Beklagten nur in Krankenhäusern zu gewähren, die die Voraussetzungen der §§ 184, 371 RVO erfüllten. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei abzuleiten, daß bei Abschluß eines privaten Arztvertrages eine Kostenerstattung generell nicht möglich sei (BSGE 44, 41). Auch aus der neueren Rechtsprechung des BSG zu den sog Außenseitermethoden könne ein Erstattungsanspruch der Klägerin nicht hergeleitet werden. Das BSG habe in seinen Entscheidungen vom 23. März 1988 (BSGE 63, 102) und 9. Februar 1989 (BSGE 64, 255) eine Ausnahme vom Sachleistungsprinzip nur deshalb anerkannt, weil es sich bei den dortigen Klägern um nicht durch das Sachleistungsprinzip gebundene, nicht versicherungspflichtige Mitglieder mit originärem Anspruch auf Kostenerstattung gehandelt habe. Der Klägerin als versicherungspflichtigem Mitglied stehe aber nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten ein solcher Kostenerstattungsanspruch nicht zu. In anderen Fallgestaltungen habe das BSG eine Kostenerstattung für möglich erachtet (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 72 und Nr. 76), weil die Leistung von Kassenärzten "im System" erbracht worden sei. Hier habe sich die Klägerin jedoch durch den privaten Arztvertrag "außerhalb des Systems" begeben. Auch ein Herstellungsanspruch der Klägerin sei nicht gegeben. Eine von der Beklagten zu verantwortende Versorgungslücke liege nicht vor. Einerseits könne Dr. T ambulant als Vertragsarzt in Anspruch genommen werden. Andererseits könnten seine stationären Methoden nach eigenen Angaben des Dr. T auch andere Zahnärzte durchführen. Da es sich aber insgesamt um eine Außenseitermethode handele, sei die Beklagte nicht verpflichtet, eine solche Methode "vorrätig zu halten". Die Beklagte habe auch keine Beratungs-und Auskunftspflichten verletzt, da die Klägerin der Beklagten mitgeteilt habe, daß sie entschlossen sei, Dr. T bzw. das Haus G. zu konsultieren. Da die Klägerin schon entschlossen gewesen sei, habe die Beklagte ihr auch andere Behandlungsalternativen nicht aufzeigen müssen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 179, 182 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, §§ 184, 368e RVO bzw. §§ 2, 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 13 Abs. 2, § 27 Satz 2 und 5, § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG komme es überhaupt nicht darauf an, ob eine förmliche schriftliche Ablehnung der Beklagten vorliege. Nach dem Urteil vom 10. April 1985 (- 8 RK 22/84 - = USK 8515) sei eine Leistungsverweigerung auch dann zu Unrecht erfolgt, wenn der Versicherte zwar nicht zuvor versucht habe, die Sachleistung innerhalb des Systems zu erhalten, jedoch von vornherein festgestanden habe, daß ihm die Leistung von seiner Krankenkasse auf Antrag verweigert worden wäre. Das LSG habe die Rechtsprechung des BSG zu den sog Außenseitermethoden insoweit verkannt, als es davon ausgegangen sei, eine Kostenerstattung sei generell nur möglich, wenn diese für nicht versicherungspflichtige Mitglieder satzungsmäßig zugelassen sei. Eine solche Differenzierung zwischen versicherungspflichtigen und nicht versicherungspflichtigen Mitgliedern sei unzulässig. Vielmehr sei, wie auch § 13 Abs. 2 SGB V zeige, ausschließlich darauf abzustellen, ob die Sachleistung als solche zu Unrecht verweigert worden sei. Der Erstattungsanspruch sei völlig unabhängig vom Mitgliederstatus. Die Klägerin habe hier einen Anspruch auf die Behandlung gehabt. Schulmedizinische Methoden hätten bei ihr versagt. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Behandlung durch Dr. T werde hier weder von der Beklagten noch vom LSG in Frage gestellt. Das LSG habe sich zudem mit der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG auseinandersetzen müssen, der eine Kostenerstattung auch bei Behandlung in Privatkliniken für möglich erachtet habe, soweit die Leistung, wie auch im vorliegenden Fall, nur in einem speziellen Krankenhaus erbracht werden könne (vgl. Urteil vom 27. April 1989 - 9 RV 9/88 -). Auch die Ausführungen des LSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch seien unzutreffend, da hier eine von der Beklagten zu vertretende Versorgungslücke vorliege. Wenn die Beklagte es ablehne, die Leistungen des Dr. T zu honorieren, und dieser deshalb privatärztliche Verträge mit seinen Patienten abschließen müsse, könne diese Verweigerung der Beklagten nicht auf Kosten der Patienten gehen. Die Krankenkassen würden hierbei das Kostenrisiko letztlich auf den Patienten abwälzen. Wenn, wie das LSG unterstellt habe, die Behandlung nach der Herdlehre auch von anderen zugelassenen Ärzten durchgeführt werden könnte, so daß die Herdtherapie "auf Krankenschein" möglich gewesen wäre, hätte die Beklagte der Klägerin zumindest aufgrund ihrer Auskunfts- und Beratungspflichten solche Adressen und Ärzte benennen müssen. Auch wenn die Klägerin schon entschlossen gewesen sei, sich von Dr. T behandeln zu lassen, habe die Beklagte sie aufklären müssen, welche anderen Ärzte in Frage kämen und welches Kostenrisiko bei der Behandlung gerade bei Dr. T auf die Klägerin zukomme. Sie hätte sich dann, wenn die Beklagte sie ordnungsgemäß beraten hätte, möglicherweise auch für einen anderen Arzt entschieden.

Die Klägerin beantragt, 1. die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1990 und des Sozialgerichts Köln vom 23. November 1987 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1987 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1987 aufzuheben; 2. die Beklagte zu verurteilen, ihr (Klägerin) DM 19.181, 06 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie geht davon aus, daß die Klägerin sie nicht vor Beginn der Behandlung bei Dr. T informiert habe. Die ambulante und stationäre zahnärztliche Behandlung der Klägerin durch Dr. T hätte auch von Vertragszahnärzten oder in Vertragskrankenhäusern - einschließlich der Universitätskliniken - durchgeführt werden können. Daß eine ca fünf Jahre vor Beginn der streitigen Behandlung durch Dr. T durchgeführte Krankenhausbehandlung in einer Universitätsklinik ohne Erfolg geblieben sei, berechtige noch nicht zu der Annahme, die Leistung sei nicht auch innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen. Da die Klägerin die notwendige Behandlung als Sachleistung in Anspruch hätte nehmen können, könne sich der Leistungsanspruch nicht in einen Kostenerstattungsanspruch umwandeln. Ein Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, da zu vermuten sei, daß die Klägerin sich unter keinen Umständen von ihrem Entschluß, sich bei Dr. T behandeln zu lassen, habe abbringen lassen wollen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die gemäß §§ 160, 164 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

1. Die Klägerin hat eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) erhoben. Da der zu beurteilende Sachverhalt abgeschlossen in der Vergangenheit liegt, ist hierfür maßgeblich die Sach- und Rechtslage zu dem Zeitpunkt, an dem der behauptete Erstattungsanspruch sich realisiert hat. Anzuwenden sind daher die Vorschriften der RVO a.F. (s auch Urteil des Senats 3 RK 8/90 vom selben Tage).

2. Nach den gesetzlichen Vorschriften der RVO (und ebenso nach dem am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen SGB V) steht dem versicherungspflichtigen Mitglied einer Krankenkasse ein Anspruch auf ambulante und stationäre (zahn) ärztliche Behandlung grundsätzlich nur in Form des Sachleistungsanspruches zu (vgl. §§ 179, 182 Abs. 1 Nr. 1, §§ 184, 368 Abs. 2, § 371 RVO bzw. § 2 Abs. 2, § 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1, §§ 27, 39, 73 Abs. 2, § 108 SGB V). Dieses Prinzip ist für die gesetzliche Krankenversicherung konstitutiv und mithin der mit dem Sachleistungsanspruch verbundene Weg der Realisierung von Leistungen - Behandlung auf Krankenschein bei zugelassenen Kassen- bzw. Vertragsärzten - von dem Versicherten im Regelfall einzuhalten (vgl. zum Sachleistungsanspruch grundsätzlich jetzt Urteil des 1. Senats des BSG vom 7. August 1991 - 1 RR 7/88 -, insbesondere S. 9). Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ebenso wie des 8. Senats des BSG kann sich jedoch der Sachleistungsanspruch im Einzelfall in einen Kostenerstattungsanspruch umwandeln. Unabhängig von dem "normalen" Beschaffungsweg kassenärztlicher Leistungen steht jedem Versicherten ein Kostenerstattungsanspruch zu, wenn ihm zu Unrecht eine Sachleistung verweigert worden und er deshalb gezwungen ist, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen (vgl. Urteil des erkennenden Senates vom 23. März 1988 - 3/8 RK 5/87 - = BSGE 63, 102, 103 = SozR 2200 § 368e Nr. 11 und bereits Urteil vom 20. Oktober 1972 - 3 RK 93/71 - = BSGE 35, 10, 14 = SozR Nr. 7 zu § 368d RVO sowie Urteile des 8. Senates vom 14. Dezember 1982 - 8 RK 23/81 - = SozR 2200 § 182 Nr. 86 und vom 13. Mai 1982 - 8 RK 34/81 - = BSGE 53, 273, 277 = SozR 2200 § 182 Nr. 82). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mittlerweile durch § 13 Abs. 2 SGB V in Gesetzesrang erhoben (so auch Kasseler Kommentar - Hess, § 13 SGB V RdNr 6).

3. Erste Voraussetzung für die Umwandlung des Sachleistungsanspruchs in einen Anspruch auf Kostenerstattung ist, daß der Klägerin ein Anspruch auf die Sachleistung als solche überhaupt zustand. Bei der Kostenerstattung sind nur solche Leistungen zu berücksichtigen, die auch im Rahmen einer vertrags- oder kassenärztlichen Behandlung erbracht werden können (vgl. Urteil vom 23. März 1988, a.a.O., S. 103). Daher ist zunächst festzustellen, ob die von Dr. T vorgenommenen Maßnahmen der "Herdtherapie" von dem Anspruch der Klägerin auf eine ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist (vgl. § 182 Abs. 2 und § 368e RVO), noch umfaßt werden.

Dies hat das LSG verkannt und dementsprechende Feststellungen nicht in ausreichendem Maße getroffen. Das LSG ist offensichtlich der Entscheidung des Senates vom 1. Juni 1977 (- 3 RK 41/75 - = BSGE 44, 41, 42ff. = SozR 2200 § 508 Nr. 2) gefolgt. Dort hatte der Senat einen Kostenerstattungsanspruch noch generell verneint, wenn der Versicherte sich privat eine nicht kassen-übliche Therapie verschafft, und hierbei ausgeführt, daß in solchen Fällen die "Notwendigkeit" der Methode an sich eine Kostenerstattung niemals rechtfertigen könne.

Diese Rechtsprechung hat der Senat jedoch mittlerweile aufgegeben (s oben). Im übrigen schreibt § 13 Abs. 2 SGB V, der von dem LSG in dem angefochtenen Urteil mehrfach angeführt wird und - wie ausgeführt - eine Kodifizierung der bisherigen Rechtsprechung des BSG darstellt, ausdrücklich vor, daß eine Kostenerstattung zu Unrecht abgelehnter Leistungen möglich ist, "soweit die Leistung notwendig war". Die Rechtsansicht des LSG, daß schon die private Verschaffung der Leistung als solche eine Kostenerstattung generell ausschließe, geht mithin fehl. Vielmehr besagt die Rechtsform der Vereinbarung - privater Arztvertrag; stationäre Behandlung in einer Privatklinik - noch nichts darüber, ob die ärztliche Leistung, die der Patient in Anspruch genommen hat, noch vom Sachleistungsanspruch umfaßt war und welche Veranlassung der Patient hatte, sich diese Sachleistung, falls sie ihm gemäß §§ 182, 184, 368e RVO zusteht, außerhalb des Systems zu verschaffen. Beide Sachverhaltskomplexe - Bestehen eines Sachleistungsanspruches und Gründe für die Notwendigkeit der Inanspruchnahme "privater" Leistungserbringer - hat das LSG nicht vollständig aufgeklärt, da es von der Rechtsauffassung ausging, die private Verschaffung einer Leistung an sich - insbesondere im stationären Bereich aufgrund des § 371 RVO - schließe von vornherein eine mögliche Kostenerstattung aus. Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist in jedem Einzelfall zu ermitteln, warum der sozialversicherte Patient das System der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen hat.

4. Rechtsirrig geht das LSG ferner davon aus, der Anspruch auf Kostenerstattung stehe nur den Patienten zu, die freiwillig versichert sind und denen aufgrund der Satzung bzw. Versicherungsbedingungen einer Ersatzkasse gemäß § 508 RVO ein originärer Anspruch auf Kostenerstattung zusteht. Zwar ist dem LSG zuzugeben, daß den Entscheidungen des Senats sowohl vom 23. März 1988 (a.a.O.) als auch vom 9. Februar 1989 (- 3 RK 19/87 - = BSGE 64, 255 = SozR 2200 § 182 Nr. 114 - Thymusextrakte -) Sachverhalte zugrunde lagen, bei denen die Kläger nicht versicherungspflichtige Mitglieder von Krankenkassen waren, die nach ihren Versicherungsbedingungen Kostenerstattung bei Inanspruchnahme privatärztlicher Behandlung vorsahen. Der Senat hat jedoch bereits in der Entscheidung vom 23. März 1988 (a.a.O., S. 103) deutlich hervorgehoben, daß unabhängig von dem satzungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch jedem Versicherten ein Kostenerstattungsanspruch zusteht, soweit eine Sachleistung zu Unrecht verweigert worden ist. Eine Differenzierung, wie sie das LSG vornimmt, ist im übrigen auch dem § 13 Abs. 2 SGB V fremd, der jedem und damit auch dem pflichtversicherten Mitglied einer Krankenkasse unter den dort genannten Voraussetzungen einen Kostenerstattungsanspruch einräumt. Diese Aussage wird nicht von der o.a. Entscheidung des 1. Senats vom 7. August 1991 berührt, da deren Streitgegenstand die Frage war, inwieweit Satzungsregelungen von Betriebskrankenkassen, die für freiwillige Mitglieder wahlweise Kostenerstattung vorsehen, genehmigungsfähig sind. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber klarzustellen, daß der bislang richterrechtlich begründete Kostenerstattungsanspruch grundsätzlich jedem Versicherten unabhängig von seinem Mitgliederstatus zusteht. Mithin können weder der Mitgliederstatus der Klägerin als pflichtversichertes Mitglied der Beklagten noch der gewählte Beschaffungsweg (Privatvertrag, Privatklinik) von vornherein zu einer Verneinung des Kostenerstattungsanspruches führen.

5. Dies hat das LSG verkannt. Es hätte zunächst feststellen müssen, ob die Tatbestandsmerkmale der § 182 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2, § 368e RVO vorlagen, die Klägerin mithin dem Grunde nach einen Anspruch auf die zahnärztliche Behandlung des Dr. T und die stationäre Behandlung als Sachleistung hatte. Dabei wäre die im einzelnen festzustellende Behandlungsmethode des Dr. T unter die gesetzlichen Merkmale "ausreichend", "zweckmäßig", "notwendig" (vgl. § 182 Abs. 2, § 368e RVO) zu subsumieren (vgl. auch Urteil des LSG Niedersachsen vom 20 Juni 1984 - L 4 Kr 39/82 - = KVRS/A 2020-2). Der Senat hält ausdrücklich an seiner Rechtsprechung fest, daß auch sog Außenseitermethoden, deren generelle Wirksamkeit noch nicht gesichert ist, die aber möglicherweise Wirkungen entfalten, im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung heranzuziehen sind, wenn anerkannte Behandlungsmethoden fehlen (der Klägerin mithin innerhalb der sog Schulmedizin nicht mehr zu helfen war) oder im Einzelfall ungeeignet sind (vgl. Urteile vom 23. März 1988 a.a.O. und 9. Februar 1989 a.a.O.). Insbesondere ist eine solche Außenseitermethode zu berücksichtigen, wenn die Genese der Krankheit unklar ist und die alternative Methode im Einzelfall zu einem Behandlungserfolg geführt hat oder dieser zumindest wissenschaftlich eine gute Möglichkeit hatte. Das LSG hat hier nicht positiv festgestellt, ob die Herdtherapie bei der Klägerin unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten zweckmäßig i.S. der § 182 Abs. 2, § 368e RVO war. Hierfür hätte das LSG feststellen müssen, ob die Krankheitsdiagnose und Krankheitslage der Klägerin im Jahre 1985 so aussichtslos war, daß innerhalb der sog Schulmedizin Methoden nicht mehr zur Verfügung standen, um die Krankheit der Klägerin bessern oder lindern zu können. Hierzu hätte nicht nur die Diagnose der Erkrankungen der Klägerin im Jahre 1985 (Allergien, Schlafstörungen, migräneartige Kopfschmerzen etc) festgestellt werden, das LSG hätte auch der Frage nachgehen müssen, welche Erklärungen es für die Genese dieser Störungen gab und welche Behandlungen und Behandlungsversuche bislang von der Klägerin innerhalb des Systems im einzelnen durchgeführt worden sind. Des weiteren hätte das LSG die durch Dr. T durchgeführten Maßnahmen im einzelnen ermitteln und auch feststellen müssen, welche Erfolgsmöglichkeiten bestanden bzw. welche Erfolge bei der Klägerin dadurch eingetreten sind. Da das LSG andererseits davon auszugehen scheint, daß der Klägerin auch innerhalb der Schulmedizin Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden haben, hätte sodann die Methode des Dr. T mit möglichen Behandlungsalternativen innerhalb der Schulmedizin verglichen werden müssen (zum methodischen Vorgehen hierbei vgl. auch Urteil vom 22. September 1981 - 11 RK 10/79 - = BSGE 52, 134, 139 = SozR 2200 § 182 Nr. 76 - Hippotherapie). Ergibt sich aufgrund dieser vom LSG nachzuholenden Feststellungen, daß die Herdtherapie hier aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung als zu "unwissenschaftlich" (- weil sie bei dem noch festzustellenden Krankheitsbild noch nicht einmal eine Möglichkeit der Wirksamkeit bietet -) ausscheiden muß bzw. daß herkömmliche Methoden der Schulmedizin zu ähnlichen Erfolgen hätten führen können, so steht der Klägerin schon deshalb kein Kostenerstattungsanspruch zu.

6. Ergeben die nachzuholenden Sachverhaltsermittlungen des LSG jedoch, daß die Klägerin im Rahmen ihres Anspruchs auf ärztliche Versorgung gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1a, § 184 RVO aufgrund des Krankheitsbildes einen Anspruch auf Behandlung mittels der Herdtherapie hatte, so wäre als zweite Voraussetzung zu prüfen, ob sich dieser Sachleistungsanspruch im konkreten Fall in einen Kostenerstattungsanspruch deshalb umgewandelt hat, weil die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Bei der Prüfung, welche Gründe für die Inanspruchnahme einer privaten Klinik maßgeblich waren bzw. ob die Beklagte zu Recht oder zu Unrecht die Kostenerstattung abgelehnt hat, ist nicht unbedingt maßgeblich, daß eine tatsächliche (schriftliche oder mündliche) Ablehnung seitens der Beklagten erfolgt ist. Auch ist für das Entstehen eines Kostenerstattungsanspruches nicht konstitutiv, daß die Klägerin der Beklagten vor Beginn der Behandlung mitgeteilt hat, daß sie eine solche beabsichtige. Ein Versicherter kann auch dann Kostenerstattung verlangen, wenn er die Leistung überhaupt nicht beantragt oder bei der Krankenkasse beansprucht hat, es aber feststeht, daß sie ihm rechtswidrig verweigert worden wäre, hätte er einen solchen Antrag gestellt (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1982 - 8 RK 23/81 - a.a.O.).

7. Für die Frage der Unrechtmäßigkeit der Ablehnung seitens der Beklagten ist aber erheblich, ob die Klägerin gezwungen war, sich die ihr dem Grunde nach zustehende Sachleistung außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung privat zu verschaffen. Hierfür ist zunächst maßgeblich, ob die von Dr. T durchgeführte Herdtherapie auch von zugelassenen Kassen- bzw. Vertragsärzten angeboten wird und die Klägerin mithin die konkret durchgeführten Behandlungsmaßnahmen auch innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung hätte erhalten können. Die Beklagte scheint im Revisionsverfahren diese Ansicht zu vertreten, ohne freilich Zahnärzte und Institutionen zu benennen, die die Klägerin im Rahmen des Sachleistungsanspruches hätte aufsuchen können. Auch das LSG hat in dem angefochtenen Urteil zunächst festgestellt, daß die Leistungen der Herdtherapie jeder Kassenarzt erbringen könne, sodann aber diese Leistungen als Außenseitermethode bezeichnet, die von der Beklagten nicht angeboten werden müsse. Mithin bleibt aufgrund fehlender bzw. widersprüchlicher Tatsachenfeststellungen die rechtliche Qualifizierung der Herdtherapie durch das LSG offen. Käme das LSG zu der Feststellung, die Herdtherapie sei auch von anderen erreichbaren Vertragsärzten angeboten worden, so stellt sich die Frage, wieso die Beklagte die Klägerin hierauf nicht hingewiesen hatte. Zumindest durch den Antrag vom 2. Januar 1986 war der Beklagten klar, daß die Klägerin eine Privatklinik zur Herdtherapie aufsucht. Wenn diese Leistung (Herdtherapie) tatsächlich innerhalb des Systems möglich gewesen wäre, so hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Aufklärung und Beratung der Klägerin gemäß §§ 13, 14 SGB I erfolgen müssen, so daß zumindest die 1986 durchgeführten Maßnahmen der stationären Herdtherapie noch von einem Vertragsarzt hätten durchgeführt werden können. Insoweit folgt der erkennende Senat im übrigen dem 9. Senat des BSG, der mit Urteil vom 27. April 1989 (- 9 RV 9/88 - = BSGE 65, 56, 59 = SozR 3100 § 18 Nr. 11) für die vergleichbare Situation der Wahl eines Privatkrankenhauses zur Durchführung einer spezifischen Operation ausgeführt hat, daß der jeweilige Kläger nicht unbedingt für die Unklarheit seines Leistungsbegehrens verantwortlich zu machen ist. Es ist daher auch darauf abzustellen, inwieweit bei der Klägerin unverschuldet der Eindruck entstanden ist, sie habe keine andere Alternative mehr gehabt als die stationäre Behandlung in dem Privatkrankenhaus der Beigeladenen zu 1).

8. Ergeben die nachzuholenden Sachverhaltsermittlungen des LSG, daß nur die Klinik der Beigeladenen zu 1) die Herdtherapie in ihrem für den noch festzustellenden Heilerfolg maßgebenden Umfang angeboten hat, so wäre zu klären, ob die Klägerin im konkreten Einzelfall einen Anspruch darauf hat, daß die Beklagte diese Therapieform für sie bereithält. Hierzu hat das LSG Niedersachsen in dem angeführten Urteil hinsichtlich der Herdtherapie durch den Beigeladenen zu 2) ausgeführt, daß eine Krankenkasse sich nicht dadurch, daß sie die von ihr im Einzelfall geschuldete Leistung im vertraglichen Erfüllungssystem nicht sicherstellt, ihrer sich aus dem Zweiten Buch der RVO ergebenden Leistungspflicht (§§ 182, 184 RVO) entziehen kann (a.a.O., S. 9). Dementsprechend hatte der erkennende Senat schon in seinem Urteil vom 20. Oktober 1972 (a.a.O.) ausgeführt, daß immer dann, wenn behandlungsbereite Kassen (zahn) ärzte in zumutbarer Entfernung nicht bereitstehen, der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet ist, die Kosten einer privatärztlichen Inanspruchnahme zu tragen.

9. Dies zeigt zugleich, daß die Prüfung, ob im Einzelfall Kostenerstattung für ein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung möglich ist, über zwei Schritte zu erfolgen hat, nämlich ob ein Leistungsanspruch gemäß §§ 182, 184 i.V.m. § 182 Abs. 2, § 368e RVO besteht und ob die beklagte Krankenkasse den bestehenden Sachleistungsanspruch zu Unrecht abgelehnt hat bzw. welche sonstigen Gründe für die Inanspruchnahme dieser Leistung außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen. Ist im ersten Prüfungsschritt ein Sachleistungsanspruch gemäß §§ 182, 184 RVO zu bejahen, sind im zweiten Schritt die Gründe für die systemfremde Inanspruchnahme (hier der Privatklinik) zu ermitteln. Da hierbei nur die Rechtsform eines privatärztlichen Vertrages denkbar ist, würde ein alleiniges Abstellen auf die Rechtsform der Vereinbarung den Sachleistungsanspruch und damit auch die neuere Rechtsprechung des BSG zum Zweckmäßigkeitsbegriff leerlaufen lassen. Dies verkennt Kirsten (Unorthodoxe Krankenbehandlung, Sachleistungsprinzip und Beschaffungsweg in: SGb 1991, 257, insbesondere S. 266), der davon ausgeht, daß auch dann, wenn der Leistungsanspruch nach der neuesten Rechtsprechung des erkennenden Senates zu bejahen wäre, etwa ein schulmedizinisch austherapierter Fall vorläge und die Wirksamkeit der Behandlung in der Privatklinik erwiesen sei,

ein Kostenerstattungsanspruch ausscheiden müsse, da die Krankenkasse/Beklagte für unorthodoxe Methoden in Privatkliniken i.S. des § 371 RVO grundsätzlich nicht einzustehen habe.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518181

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