Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung. Ruhen. Arbeitslosengeld. Beendigung. vorzeitige Beendigung. Kündigungsfrist. ursächlicher Zusammenhang. Kausalzusammenhang. Arbeitsentgelt – einschränkende Auslegung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 117 Abs. 2 AFG setzt voraus, daß zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die Abfindung in ursächlichem Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht.

2. Vom Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 117 Abs. 2 AFG sind deshalb nicht Fälle ausgenommen, in denen die Abfindung auch bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist angefallen wäre.

 

Normenkette

AFG § 117 Abs. 2-3; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.08.1994; Aktenzeichen L 12 Ar 43/93)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 10.03.1993; Aktenzeichen S 4 (20) Ar 2/92)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. August 1994 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 2. Juli bis 21. August 1991.

Der am 17. Januar 1954 geborene Kläger war seit 1978 als Bürovorsteher in einer Rechtsanwaltskanzlei beschäftigt. Seine Arbeitgeber kündigten ihm im März 1991 – unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Vierteljahresschluß – zum 30. September 1991. Nachdem er vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben hatte, kam es zu einer vergleichsweisen Einigung mit folgendem Inhalt:

  1. „Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger fristgerechter Kündigung vom 22.03.1991 aus betriebsbedingten Gründen mit dem 30.09.1991 geendet hat.
  2. Die Beklagten zu 1) und 2) zahlen an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz in Höhe von 14.000,– DM.
  3. Sollte der Kläger vor dem 30.06.1991 den Beklagten mitteilen, daß das Arbeitsverhältnis zum 30.06.1991 einvernehmlich vorzeitig enden soll, so sind die Beklagten damit einverstanden. Der Kläger wird dann ab sofort von jeglichen Arbeitsleistungen unter Fortzahlung des Gehalts freigestellt, wobei sich die Parteien darüber einig sind, daß mit der Freistellung sämtliche noch ausstehenden Urlaubsansprüche in Natur ausgeglichen sind.
  4. Die Beklagten zahlen an den Kläger für die Dauer der Beschäftigung im übrigen das vereinbarte Monatsgehalt.”

Von der Befugnis zu Ziff 3 machte der Kläger Gebrauch und trat am 1. Juli 1991 eine andere Arbeitsstelle an. Aus diesem Grund endete auch die Gehaltszahlung durch die früheren Arbeitgeber am 30. Juni 1991. Das neue Arbeitsverhältnis wurde indes noch am selben Tag durch Aufhebungsvertrag vom 1. Juli 1991 beendet.

Am 2. Juli 1991 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Das Arbeitsamt bewilligte Alg, allerdings erst ab 22. August 1991, weil der Anspruch wegen der vom Kläger zu beanspruchenden bzw erhaltenen Abfindung in Höhe von 14.000,– DM für 52 Kalendertage ruhe (Bescheide vom 23. Juli 1991 und 6. August 1991; Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1991).

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 10. März 1993, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 10. August 1994). Das LSG hat ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht ein Ruhen des Alg-Anspruchs nach § 117 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) angenommen, da das Arbeitsverhältnis des Klägers vorzeitig bei Zahlung einer Abfindung beendet worden sei. Für die Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG komme es lediglich darauf an, daß zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Hingegen sei nicht erforderlich, daß die Abfindung gerade wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt worden sei. Die Vorschrift selbst differenziere nach ihrem Wortlaut nicht zwischen einer vorzeitigen und einer fristgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Grund für die Abfindung. Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden habe, werde entsprechend der Zielsetzung der Vorschrift, nämlich den Doppelbezug von Arbeitsentgelt und Alg zu verhindern, bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Zahlung einer Abfindung unwiderleglich vermutet, daß die gezahlte Abfindung in bestimmtem Umfang Arbeitsentgelt enthalte. Der Einwand des Klägers, er hätte die Abfindung auch ohne die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten, führe zu keiner anderen Beurteilung. Entscheidend sei, daß er die Verkürzung der ordentlichen Kündigungsfrist durch sein Verhalten ermöglicht und hingenommen habe. Es komme nicht darauf an, wie das Arbeitsverhältnis hätte enden können, sondern wie es tatsächlich beendet worden sei. Eine einschränkende Interpretation des § 117 Abs. 2 AFG sei auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Denn das Ruhen nach § 117 AFG führe weder zu einem Entzug noch zu einer Verkürzung des bestehenden Alg-Anspruchs. Es werde lediglich der Beginn der Zahlung hinausgeschoben. Die Verschiebung des Zahlungszeitraums führe bei dem Kläger nicht zu einer übermäßigen und deswegen unzumutbaren Belastung.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG sowie einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 und 3 Grundgesetz (GG), Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Er macht hierzu insbesondere geltend: Entgegen der Rechtsansicht des LSG sei es keineswegs unerheblich, daß die Abfindung bei ihm auch ohne die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses angefallen wäre. § 117 Abs. 2 AFG müsse entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift einschränkend interpretiert werden. Für die Anwendung der Vorschrift könne nicht allein das Zusammentreffen von vorzeitiger Beendigung und Abfindung genügen. Erforderlich sei vielmehr ein spezifischer, die dortige Regelvermutung begründender Kausalzusammenhang zwischen der Abfindung und der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies werde auch teilweise von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil des Hessischen LSG vom 18. Juli 1990 – Info also 1990, 209 f; Urteil des Kreisgerichts Dresden vom 25. Juni 1992 – So III AI 143/91 –) und Literatur (Gagel, Komm zum AFG, § 117 RdNrn 119 f) so gesehen. Von der Erforderlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung sei im übrigen auch das BSG früher ausgegangen. So werde in der nicht veröffentlichten Entscheidung vom 8. Dezember 1987 (7 RAr 42/86) ausgeführt, daß eine Abfindung wegen der Beendigung gewährt werde, wenn zwischen der „vorzeitigen” Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Dafür reiche aus, daß die Leistung die Bereitschaft zur vorzeitigen Beendigung zu fördern vermöge. In diesem Sinn hätten die Instanzgerichte auch die frühere Erstattungsregelung des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AFG, die weitgehend dem jetzigen § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AFG entspreche, verstanden. Eine einschränkende Interpretation des § 117 Abs. 2 AFG sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Das Ruhen führe nicht nur – wie dies das LSG angenommen habe – zu einer zeitlichen Verschiebung des Leistungsanspruchs, sondern gehe bei Erwerb einer neuen Anwartschaft, wie dies bei ihm der Fall sei, verloren. Auch stelle es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die berufliche Betätigungsfreiheit des Arbeitslosen dar, wenn er sich nur um den Preis des Ruhens bzw des Verlustes eines Teils des Alg-Anspruchs für ein neues Arbeitsverhältnis freimachen könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. August 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 10. März 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung bzw Aufhebung der Bescheide vom 23. Juli 1991 und 6. August 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 1991 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld ab 2. Juli 1991 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Sie hat zu Recht die Auszahlung des Alg für die Zeit vom 2. Juli bis 21. August 1991 abgelehnt; denn in diesem Zeitraum ruhte der Anspruch des Klägers nach § 117 Abs. 2 und 3 AFG.

1. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung des 4. AFG-Änderungsgesetzes (4. AFG-ÄndG) vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557) ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der Frist geendet hätte, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Die Vorschrift des § 117 Abs. 2 AFG findet folglich Anwendung, wenn der Arbeitnehmer „vorzeitig” aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und ihm die oa Leistung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusteht. Diese beiden Voraussetzungen sind hier gegeben.

Nach den Feststellungen des LSG ist einerseits bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 30. Juni 1991 die dem Arbeitgeber eingeräumte ordentliche Kündigungsfrist zum 30. September 1991 nicht eingehalten und andererseits die Abfindung von 14.000,– DM wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden. Für diese Beurteilung spielt – wie bereits das LSG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (SozR 4100 § 117 Nr. 25) zutreffend ausgeführt hat – die vorangegangene Kündigung des Arbeitgebers zum 30. September 1991 keine Rolle. Ebenso ist für die Anwendung des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG die Zwischenbeschäftigung am 1. Juli 1991 ohne Bedeutung. Denn die Ruhenswirkung nach § 117 Abs. 2 AFG tritt unabhängig davon ein, ab wann innerhalb des vom Gesetz bestimmten Ruhenszeitraums der Alg-Anspruch erhoben wird (vgl. BSGE 61, 5, 7 = SozR 4100 § 117 Nr. 17).

2. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers kommt es für die Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG nicht darauf an, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung besteht. Ein solcher Kausalzusammenhang wird nach dem Gesetzeswortlaut nicht gefordert und eine derartige Interpretation läßt sich auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbaren.

a) Nach dem Wortlaut des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG kommt es für das Ruhen des Anspruchs auf Alg nur darauf an, daß die zwei tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich Zahlung einer Abfindung „wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses” und Nichteinhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers. Wegen der Beendigung wird eine Abfindung gewährt, wenn der Arbeitslose die Abfindung ohne die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erhalten hätte. Damit sind lediglich Zahlungen des Arbeitgebers, die nicht wegen, sondern nur anläßlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu leisten sind, ausgeschlossen. Es wird also gerade kein Kausalzusammenhang zwischen der Abfindung und der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt. Daß im Regelfall zwischen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein Kausalzusammenhang besteht und deshalb – worauf die Revision zu Recht hingewiesen hat – in der älteren Rechtsprechung des BSG (vgl. beispielsweise SozR 4100 § 117 Nr. 5 S 37) von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der „vorzeitigen” Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung die Rede war, ändert nichts daran, daß eine solche kausale Verknüpfung in § 117 Abs. 2 AFG nicht gefordert wird. Die jüngere Rechtsprechung des BSG (SozR 3-4100 § 117 Nrn 5, 6 und 10) hat deshalb wiederholt klargestellt, daß „wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses” eine Abfindung gewährt wird, wenn zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

b) Doch nicht nur aus dem Wortlaut, sondern vor allem aus dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des § 117 AFG folgt, daß es auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der vorzeitigen Beendigung und der Abfindung nicht ankommen kann. Wie das BSG wiederholt herausgearbeitet hat, beruht § 117 AFG, der in seinen Grundzügen dem früheren § 96 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) entspricht, auf dem Grundgedanken, daß der Arbeitslose nicht der Leistungen der Versichertengemeinschaft bedarf, solange er keinen Lohnausfall hat (vgl. BSGE 46, 20, 25 = SozR 4100 § 117 Nr. 2; BSGE 50, 121, 125 – SozR 4100 § 117 Nr. 3; BSG SozR 4100 § 117 Nr. 26 sowie SozR 3-4100 § 117 Nr. 10). Daher ruht gemäß § 117 Abs. 1 AFG der Anspruch auf Alg für die Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Gäbe es nur § 117 Abs. 1 AFG, könnte allerdings dieses Ziel der Verhinderung des Doppelbezugs von Arbeitsentgelt und Alg dadurch umgangen werden, daß die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis zu einem frühen Termin beenden und – anstelle des zum Ruhen des Alg führenden Arbeitsentgelts bis zu einem späten Termin – eine erhöhte als Abfindung ausgewiesene Arbeitgeberleistung vereinbaren. Denn als Arbeitsentgelt können begrifflich nur Leistungen für die Zeit bis zur wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses angesehen werden (BSGE 46, 20, 29 = SozR 4100 § 117 Nr. 2; SozR 3-4100 § 117 Nr. 10). Derartige Manipulationen zum Nachteil der Arbeitslosenversicherung will § 117 Abs. 2 AFG erschweren. Er erfaßt daher grundsätzlich alle Fälle der vorzeitigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und geht davon aus, daß Abfindungen, Entschädigungen und ähnliche Leistungen, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, in einem bestimmten, durch § 117 Abs. 3 AFG pauschalierten Umfang, Arbeitsentgelt enthalten. In der Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des § 117 AFG durch das 4. AFG-ÄndG ist ausgeführt, daß der Anspruch auf Alg künftig immer dann ruhen soll, wenn der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers ausgeschieden ist. Eine Ausnahme soll – wie in § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG bestimmt – nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis hätte fristlos kündigen können, weil in diesen Fällen eine gezahlte Abfindung allein der Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes dient (vgl. BT-Drucks 8/857 S 9; vgl. auch BSG SozR 4100 § 117 Nr. 26 sowie SozR 3-4100 § 117 Nrn 2 und 6).

In der vereinfachten und typisierten Aussage des § 117 Abs. 2 AFG wird somit bei einer Abfindung vom Bezug von Arbeitsentgelt (bis zu den Grenzen des Abs. 3) immer dann ausgegangen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wird (vgl. BSGE 50, 121, 125 = SozR 4100 § 117 Nr. 3; SozR 4100 § 117 Nr. 26). Der Gesetzgeber hat sich ganz bewußt für diese vereinfachte, typisierende Regelung entschieden und – wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt – die frühere auf die Umstände des Einzelfalles abstellende Regelung des § 96 Abs. 1 AVAVG ersetzt (vgl. BT-Drucks V/2291, S 81 f; BVerfGE 42, 176, 189 = BSG SozR 4100 § 117 Nr. 1). Die pauschalierende Grundstruktur des § 117 Abs. 2 AFG steht einer Anwendung der Vorschrift nur auf solche Sachverhalte entgegen, bei denen ein Kausalzusammenhang zwischen der Abfindung und der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden hat. Im Hinblick auf den Zweck der in Frage stehenden Bestimmung wäre es sinnwidrig, die Anrechnung von Arbeitgeberleistungen auf das Alg davon abhängig zu machen, ob der Arbeitnehmer die Leistung – ganz oder teilweise – auch bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist erhalten hätte. Der Senat vermag sich daher der gegenteiligen Meinung (Hessisches LSG Info also 1990, 209, 211; vgl. dazu Gagel, Komm zum AFG, § 117 RdNr. 119), nicht anzuschließen.

c) Der Senat sieht auch keine Veranlassung zu einer einschränkenden Interpretation des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG in dem Sinn, daß Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen wären, bei denen die Abfindung – sei es nach einer individuellen Vereinbarung oder beispielsweise aufgrund eines Sozialplans – in jedem Fall am Ende der ordentlichen Kündigungsfrist in gleicher Höhe zu zahlen war (so Gagel, aaO, § 117 RdNr. 120; vgl. auch Hessisches LSG Info also 1990, 209, 211). Insoweit gelten hier ähnliche Überlegungen, wie sie der 7. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 25. Oktober 1989 (SozR 4100 § 117 Nr. 26) dargelegt hat. Dort wurde eine Korrektur des Ergebnisses, nämlich der Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG selbst in solchen Fällen verneint, in denen die Partner des Arbeitsverhältnisses irrtümlich von einer kürzeren als der von Rechts wegen richtigen ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers ausgegangen sind. Zur Begründung hat der 7. Senat nicht nur auf die Rechtsentwicklung und den Wortlaut des § 117 Abs. 2 AFG verwiesen, sondern auf die Absicht des Gesetzgebers, wonach der Anspruch auf Alg künftig immer dann ruhen soll, wenn der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers ausgeschieden ist. Nur in dem in § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG geregelten Fall, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis hätte fristlos kündigen können, soll eine Ausnahme gelten (BSG aaO). Eine Prüfung im Einzelfall, ob eine bestimmte Abfindung entgegen der Annahme des Gesetzgebers keinen Lohnausfall vergütet, wie sie die Revision erstrebt, ist nicht vorgesehen. Streitigkeiten dieser Art. wollte der Gesetzgeber durch die Erfassung aller Abfindungen, die bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, gerade verhindern (vgl. BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 6).

Nicht zu überzeugen vermag auch der Einwand des Klägers, daß bei Fallgestaltungen, bei denen der Arbeitnehmer die Abfindung in derselben Höhe auch bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist erhalten hätte, der Sinn und Zweck der Vorschrift nicht greife, weil es an einem freiwilligen Verzicht seinerseits auf Kündigungsschutz gegen Entgelt fehle. Dieser Einwand – der insoweit die Argumentation des Hessischen LSG (Info also 1990, 201, 211) wiederholt – übersieht, daß der Kläger durch sein Verhalten, nämlich die Inanspruchnahme der in Nr. 3 der Vereinbarung vorgesehenen Möglichkeit, die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingenommen hat. Nur auf diese objektive Rechtslage kommt es für die Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG an oder – anders ausgedrückt – entscheidend ist, wie das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet worden ist, nicht wie es hätte enden können oder sollen (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 26).

d) Soweit schließlich der Kläger in seiner Revisionsbegründung auf § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AFG Bezug nimmt, geht dieser Hinweis fehl. Denn abgesehen von der Andersartigkeit der Regelung ist dort Anknüpfungspunkt die Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Vor diesem Hintergrund sind auch die vom Kläger zitierten Ausführungen im Runderlaß der BA 11/93 (Nr. 3.34 Abs. 7) zu § 128 AFG nF zu verstehen.

3. Erfüllt der Kläger somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Ruhen des Leistungsanspruchs nach § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG. stellt sich nicht mehr die Frage, ob er durch den Abschluß des Aufhebungsvertrags vom 1. Juli 1991 die Voraussetzungen einer Sperrzeit erfüllt hat (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 25).

Die Berechnung des Ruhens-Zeitraums vom 2. Juli bis 21. August 1991 ist – wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt – rechtlich nicht zu beanstanden, was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

4. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen die Anwendung des § 117 Abs. 2 und 3 AFG auf seinen Fall vermag der Senat nicht zu teilen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits entschieden, daß die typisierenden Regelungen des § 117 Abs. 2 und 3 AFG idF des 4. AFG-ÄndG nicht verfassungswidrig sind (BVerfGE 42, 176 ff = SozR 4100 § 117 Nr. 1). Dem entspricht die Rechtsprechung des BSG (BSGE 46, 20, 25 = SozR 4100 § 117 Nr. 2; SozR 4100 § 117 Nr. 21). Es verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn die Neufassung des § 117 Abs. 2 und 3 AFG zwischen den Fällen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist und den Fällen unterscheidet, in denen diese Frist nicht eingehalten wurde. Denn in letzterem Fall hat bei der Bemessung der Abfindung das Element des Arbeitsentgelts in aller Regel eine höhere Bedeutung (BVerfGE 42, 176, 184 = SozR 4100 § 117 Nr. 1). Der Gesetzgeber darf, wie das BVerfG ausgeführt hat, typisieren und bei den notwendigen typisierenden Regelungen müssen auch gewisse Härten hingenommen werden.

Soweit der Kläger zur Begründung einer Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG geltend macht, das Ruhen nach § 117 AFG führe bei ihm wegen seiner erneuten Erwerbstätigkeit ab 16. September 1991 und dem damit verbundenen Erwerb eines neuen Anspruchs auf Alg nicht nur zu einer zeitlichen Verschiebung, sondern zu einem Verlust des Anspruchs (§ 125 AFG), übersieht er die Regelung des § 106 Abs. 3 Satz 2 AFG. Danach verlängert sich die Dauer des Anspruchs um die Dauer des nach § 125 Abs. 1 AFG erloschenen Anspruchs auf Alg, wenn nach der Entstehung des erloschenen Anspruchs noch nicht sieben Jahre verstrichen sind. Dies bedeutet, daß ein wegen des Ruhens noch nicht verbrauchter Restanspruch noch geraume Zeit ungeschmälert erhalten bleibt. Doch selbst wenn diese Regelung dem Kläger nicht zugute käme, kann in der vom Gesetz vorgesehenen Rechtsfolge kein generell unzumutbarer Eingriff in die Leistungsrechte gesehen werden. Anders als die frühere, vom BVerfG beanstandete, Regelung des § 117 AFG gewährleisten § 117 Abs. 2 und 3 AFG idF des 4. AFG-ÄndG in mehrfacher Hinsicht, daß dem Arbeitnehmer im Fall einer vorzeitigen Auflösung seines Arbeitsverhältnisses ein angemessener Teil der Abfindung bleibt. Dies zeigt beispielhaft der Fall des Klägers, dessen in der Zeit vom 2. Juli bis 21. August 1991 ruhender Leistungsanspruch bei einem werktäglichen Leistungssatz von damals 70,90 DM insgesamt 3.119,60 DM (70,90 DM × 44 Leistungstage) betragen hätte. Die Abfindung in Höhe von 14.000,– DM führt also nur zu einem Ruhen des Leistungsanspruchs in Höhe von rund 3.120,– DM.

Auch der Einwand des Klägers, bei Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG werde dem Arbeitnehmer in Fällen der vorliegenden Art. die Möglichkeit genommen, sein Arbeitsverhältnis ohne Schaden, dh ohne Anrechnung vorzeitig zu kündigen, um für einen Anschluß-Arbeitsplatz frei zu sein, ergibt keine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn auch im Fall des Klägers verwirklicht sich das Risiko, das § 117 Abs. 2 AFG typischerweise vermeiden will, nämlich die Belastung der Arbeitslosenversicherung mit einem Leistungsanspruch für eine Zeit, für die der Arbeitnehmer bis zur Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt hätte. Dabei ist unerheblich, ob hier – wie der Kläger vorträgt – eine Manipulationsabsicht auszuschließen ist. Denn die Verhinderung von Manipulationen ist nicht das alleinige Ziel des § 117 Abs. 2 AFG (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 21). Im übrigen hätte es dem Kläger freigestanden, durch eine andere Vertragsgestaltung, beispielsweise durch Weiterführung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30. September 1991 oder Freistellung mit Gehaltsfortzahlung und Abschluß eines Probearbeitsverhältnisses mit seinem neuen Arbeitgeber, die Anrechnung der Abfindung zu vermeiden.

Da aus den dargelegten Gründen die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden sind, war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 294

Breith. 1996, 691

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