Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründung der Krankenversicherung der Arbeitslosen durch tatsächlichen Leistungsbezug. Anwendung der Grundsätze zum "mißglückten Arbeitsversuch". Kassenzuständigkeit. Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Arbeitslosen

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Bezug von Arbeitslosengeld begründet Krankenversicherungspflicht nach § 155 Abs 1 AFG auch dann, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung arbeitsunfähig und nicht vermittlungsfähig war; die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Rechtsfigur des "mißglückten Arbeitsversuchs" sind nicht entsprechend anzuwenden.

 

Orientierungssatz

1. Die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Arbeitslosen ist nicht davon abhängig, ob die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld vorliegen; vielmehr kommt diese Versicherung allein aufgrund des tatsächlichen Bezuges von Arbeitslosengeld zustande.

2. Die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Arbeitslosen ist auch nicht gegenüber der nach § 311 RVO fortdauernden Mitgliedschaft subsidiär. Vielmehr endet eine nach § 311 RVO fortbestehende Mitgliedschaft nach § 312 Abs 1 RVO, wenn der Versicherte nach § 155 Abs 1 AFG Mitglied der Krankenversicherung der Arbeitslosen bei einer anderen Krankenkasse wird.

 

Normenkette

RVO § 311 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1974-08-07, § 312 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; AFG § 155 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.04.1982; Aktenzeichen L 4 Kr 14/81)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 14.01.1981; Aktenzeichen S 3 Kr 31/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin für die dem verstorbenen Ehemann der Beigeladenen in der Zeit vom 6. Dezember 1976 bis zum 24. März 1977 erbrachten Krankenversicherungsleistungen Ersatz zu leisten hat.

Der verstorbene Ehemann der Beigeladenen gehörte aufgrund eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der beklagten Krankenkasse an. Er war seit dem 26. Oktober 1976 arbeitsunfähig krank und erhielt von seinem Arbeitgeber bis zum 30. November 1976 Lohnfortzahlung. Er kam der Aufforderung zur Nachuntersuchung nicht nach, sondern meldete sich am 1. Dezember 1976 arbeitslos und bezog für die Zeit vom 1. Dezember bis zum 13. Dezember 1976 Arbeitslosengeld. Für die Durchführung der Krankenversicherung der Arbeitslosen (KVdA) war die Klägerin örtlich zuständig. Am 14. Dezember 1976 wurde erneut Arbeitsunfähigkeit festgestellt. In der Zeit vom 15. Dezember 1976 bis zu seinem Tode am 24. März 1977 wurde er stationär behandelt. Die Krankenversicherungsleistungen wurden seit dem 1. Dezember 1976 von der Klägerin erbracht, die ohne Erfolg einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte geltend machte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 14. Januar 1981 verurteilt, an die Klägerin 19.781,55 DM zu zahlen. In diesem Urteil wurde die Revision zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat am 22. April 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei statthaft, denn in der Revisionszulassung liege auch die Zulassung der Berufung iS des § 150 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Ersatzanspruch, denn sie sei endgültig verpflichtet gewesen, die dem Ehemann der Beigeladenen gewährten Krankenversicherungsleistungen zu erbringen. Der Ehemann der Beigeladenen sei aufgrund des Bezuges des Arbeitslosengeldes am 1. Dezember 1976 Mitglied der Klägerin geworden. Dadurch sei seine Mitgliedschaft bei der Beklagten beendet worden. Daran ändere der Umstand nichts, daß er als Schwerkranker möglicherweise von vornherein der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden und deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt habe. Die Mitgliedschaft in der KVdA sei nicht von den leistungsrechtlichen Voraussetzungen, sondern vom tatsächlichen Bezug der Arbeitslosenunterstützung abhängig. Auch wenn kein begründeter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 1. bis 13. Dezember 1976 bestehe, müsse der allein an den tatsächlichen Bezug des Arbeitslosengeldes geknüpfte Sicherungsschutz in der KVdA voll entstanden und darüber hinaus bestehen geblieben sein.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der zugelassenen Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei die für die streitige Zeit zuständige Krankenkasse. Da der Versicherte schon bei seiner Arbeitslosmeldung arbeitsunfähig gewesen sei, müßten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den mißglückten Arbeitsversuch entsprechend angewendet werden.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen..

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und die Revision der Klägerin für unbegründet.

Die nicht vertretene Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet, denn das LSG hat mit Recht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der in der streitigen Zeit für den verstorbenen Ehemann der Beigeladenen erbrachten Leistungen.

Der Anspruch des verstorbenen Ehemannes der Beigeladenen auf die von der Klägerin in der streitigen Zeit erbrachten Krankenversicherungsleistungen richtete sich nicht gegen die Beklagte, sondern gegen die Klägerin. Diese hat also keine vorläufigen oder rechtsgrundlosen Leistungen erbracht, sondern solche Leistungen, zu denen sie endgültig verpflichtet war.

Die Mitgliedschaft des verstorbenen Ehemannes der Beigeladenen bei der Beklagten endete mit dem 30. November 1976. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Versicherte wegen der vom LSG festgestellten fortdauernden Arbeitsunfähigkeit nach § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) über den 30. November 1976 hinaus einen Anspruch auf Krankengeld hatte, der für die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld lediglich nach § 183 Abs 6 RVO ruhte. Selbst wenn man davon ausgeht, daß nach Wegfall des Arbeitslosengeldes ein nicht mehr ruhender Anspruch auf Krankengeld bestand, so richtete sich der weitere Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung nicht gegen die Beklagte, sondern gegen die Klägerin. Die Folge des § 311 Abs 1 Nr 2 RVO, nämlich die Mitgliedschaft bei der Beklagten über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hinaus trat deshalb nicht ein, weil der Versicherte wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld nach § 155 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Mitglied der Krankenversicherung der Arbeitslosen wurde, deren Durchführung nach § 159 AFG der örtlich zuständigen Klägerin oblag. Daran ändert der Umstand nichts, daß der Versicherte schon bei der Arbeitslosmeldung und während des gesamten Bezuges von Arbeitslosengeld arbeitsunfähig und möglicherweise auch vermittlungsunfähig war. Die Mitgliedschaft in der KVdA ist nicht davon abhängig, ob die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld vorliegen; vielmehr kommt diese Versicherung allein aufgrund des tatsächlichen Bezuges von Arbeitslosengeld zustande. Hat nach § 155 Abs 2 Satz 3 AFG nicht einmal die rückwirkende Aufhebung des Bescheides über die Gewährung von Arbeitslosengeld Einfluß auf das Zustandekommen der Mitgliedschaft in der KVdA, so muß das erst recht gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - der das Arbeitslosengeld gewährende Bescheid zu keiner Zeit aufgehoben worden ist. Die Mitgliedschaft in der KVdA ist auch nicht gegenüber der nach § 311 RVO fortdauernde Mitgliedschaft subsidiär. Vielmehr endet eine nach § 311 RVO fortbestehende Mitgliedschaft nach § 312 Abs 1 RVO, wenn der Versicherte nach § 155 Abs 1 AFG Mitglied der KVdA bei einer anderen Krankenkasse wird.

Entgegen der Ansicht der Klägerin lassen sich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den sogenannten mißglückten Arbeitsversuch nicht anwenden (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 14. April 1983 - 8 RK 14/82 -). Zwar hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 21. März 1978 (SozR 4100 § 155 Nr 4) die Ansicht vertreten, es bestehe kein sachlicher Grund, die Fälle des faktischen Bezugs von AFG-Leistungen iS von § 155 Abs 1 AFG im Hinblick auf die Grundgedanken des mißglückten Arbeitsversuchs anders zu behandeln als diejenigen der faktischen Beschäftigung gemäß § 165 Abs 2 RVO. Von dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat jedoch ebensowenig ab wie mit seinen Entscheidungen vom 19. Dezember 1979 (SozR 2200 § 311 Nr 11) und vom 14. April 1983 (8 RK 14/82). Die tragenden Gründe der Entscheidung des 3. Senats betreffen die Frage, ob sich die Höhe des Krankengeldes nach § 158 AFG oder nach dem früheren Versicherungsverhältnis und damit nach § 182 Abs 4 RVO zu richten hat. Diese Frage, die auch der erkennende Senat nicht anders entscheiden würde als der 3. Senat dies getan hat, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die durch den Bezug des Arbeitslosengeldes begründete Mitgliedschaft in der KVdA endete nicht mit dem Wegfall dieser Leistung, sondern blieb nach § 311 Abs 1 Nr 2 RVO erhalten. Wegen der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit hatte der Versicherte nach dem 13. Dezember 1976 bis zu seinem Tode einen Anspruch auf Krankengeld, wobei dahingestellt bleiben kann, ob sich dieser Anspruch aus § 156 AFG iVm § 214 RVO oder aus der von Anfang an fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit und damit aus den §§ 182, 183 Abs 2 und 6 RVO ergab . Auch für die Zeit der stationären Behandlung bestand nach § 186 Abs 1 RVO ein Anspruch auf Krankengeld, der zur Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nach § 311 Abs 1 Nr 2 RVO führte. Dieser Anspruch richtete sich - ebenso wie der Anspruch auf Krankenhausbehandlung - gegen die Klägerin, deren Mitglied der verstorbene Ehemann der Beigeladenen zuletzt war und bis zu seinem Tode geblieben ist. Zur Frage, welche Kasse leistungspflichtig ist, hat der 3. Senat ausgeführt (BSGE 51, 281, 285), daß die Leistungspflicht einer neuen Kasse aus bestehender Mitgliedschaft grundsätzlich einer eventuellen Leistungspflicht der alten Kasse aus beendeter Mitgliedschaft vorgehe. Daß durch den Bezug von Arbeitslosengeld nach § 155 AFG unter den Voraussetzungen des § 159 AFG eine neue Kassenzugehörigkeit begründet werden kann, hat der 3. Senat auch in der zitierten Entscheidung vom 21. März 1978 nicht ausgeschlossen. Ist der Bezieher von Arbeitslosengeld aber einmal Mitglied der KVdA geworden und besteht die zu der zuständigen Krankenkasse begründete Mitgliedschaft aufgrund des § 311 RVO fort, so kann sich der Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung nur gegen diese Kasse richten. Ob ein solcher Tatbestand, wie er im 3. Senat in seiner Entscheidung vom 21. März 1978 vorlag, zur Leistungspflicht der für die Zeit vor der Arbeitslosmeldung zuständigen Krankenkasse führt, kann dahingestellt bleiben, denn die Unterschiede im Sachverhalt sind rechtserheblich. Anders als im vorliegenden Fall, in dem die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bereits am 30. November 1976 endete, diente die Arbeitslosmeldung im Falle des 3. Senats nur einem Belastungsversuch und führte lediglich zu einem Arbeitslosengeldbezug von zwei Tagen. Ob in einem solchen extremen Ausnahmefall die Annahme berechtigt ist, daß die vor dem Arbeitslosengeldbezug zuständige Krankenkasse die Leistungen zu erbringen hat, kann dahingestellt bleiben. Das kann jedenfalls nicht gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung beendet war und durch einen Arbeitslosengeldbezug von immerhin 13 Tagen die Mitgliedschaft in der KVdA begründet wurde, wodurch die frühere Mitgliedschaft bei der Beklagten endete.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659031

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