Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 18.04.1986; Aktenzeichen L 1 Ar 83/85)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. April 1986 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klage betrifft die auf den Eintritt einer Sperrzeit gestützte teilweise Verweigerung von Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1926 geborene Kläger, ein Engländer, war seit Februar 1973 bei der Firma G., Sch. & Sohn GmbH, G., als Verkaufsfahrer beschäftigt. Die Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, günstig Altbrot zu erwerben. In einem Aushang am Schwarzen Brett hatte der Arbeitgeber bekanntgegeben, daß jegliche Mitnahme von Altbrot ohne Bezahlung und ohne Benachrichtigung in der Expedition einem Diebstahl gleichkomme. Die Mitnahme dürfe nur durch die Expeditionstür erfolgen. Ferner heißt es in dieser „Hausmitteilung Nr. 211/82”, ab sofort würden regelmäßige Kontrollen durchgeführt. Weitere Vorfälle könnten zur fristlosen Entlassung führen.

Am 7. Oktober 1983 wurde im Kofferraum des Autos des Klägers ein Zentner Altbrot im Werte von 15,– DM gefunden. Der Kläger hatte dieses Brot noch nicht bezahlt und die Expedition auch nicht von der Entnahme unterrichtet. Ihm wurde daraufhin fristlos gekündigt. Im Hinblick auf einen ihm noch zustehenden Resturlaub endete das Arbeitsverhältnis am 24. Oktober 1983.

Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger zwar Alg für 312 Tage, teilte ihm jedoch mit gesondertem Bescheid vom 9. November 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1984 mit, daß in seinem Fall eine Sperrzeit vom 25. Oktober bis 19. Dezember 1983 eingetreten sei, weil ihm der Arbeitgeber wegen Brotdiebstahls gekündigt habe; während der Sperrzeit ruhe der Anspruch auf Alg, der sich dadurch um 48 Tage mindere. Alg wurde dem Kläger folglich erst ab 20. Dezember 1983 ausbezahlt.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts –SG– vom 30. April 1985). Das SG hat die Berufung zugelassen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 18. April 1986 das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide dahin geändert, daß die Sperrzeit lediglich vier Wochen betrage. Eine Sperrzeit von acht Wochen bedeute für den Kläger eine besondere Härte.

Nach Auffassung des LSG ist zwar gemäß § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eine Sperrzeit eingetreten, weil der Kläger durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben und dadurch grobfahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe, ohne einen wichtigen Grund für sein Verhalten zu haben. Indem der Kläger das Altbrot entgegen der Hausmitteilung Nr. 211/82 ohne vorherige Bezahlung oder Benachrichtigung der in der Expedition Beschäftigten schlicht aus den Altbrot-Containern in der Expedition mitgenommen und in den Kofferraum seines PKw's verbracht habe, habe er sich einem Diebstahlsverdacht ausgesetzt. Dieser Verdacht sei im gerichtlichen Verfahren nicht entkräftet worden. Dieses jedenfalls den Tatbestand des Diebstahls erfüllende Verhalten sei arbeitsvertragswidrig gewesen; ob der Kläger beabsichtigte, das Altbrot noch zu bezahlen, sei insofern unerheblich. Jeder Arbeitnehmer sei aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Treuepflicht gehalten, vom Betrieb Schaden abzuwenden, soweit dies möglich und zumutbar sei, statt das Betriebsvermögen durch straftatbestandsmäßiges Handeln zu schädigen. Das vertragswidrige Verhalten des Klägers sei Anlaß für die vom Arbeitgeber fristlos ausgesprochene Kündigung gewesen. Für diesen Ursachenzusammenhang genüge, daß der Arbeitgeber das vertragswidrige Verhalten zum Anlaß für die Kündigung nehme und nur das vertragswidrige Verhalten nach der Lebenserfahrung überhaupt geeignet sei, eine Kündigung tatsächlich auszulösen. Letzteres sei sowohl nach dem Text der Hausmitteilung als auch nach dem tatsächlichen Vorgehen des Arbeitgebers der Fall. Wer bei einer betrieblichen Kontrolle unbezahltes Altbrot mit sich geführt habe, sei ausnahmslos entlassen worden. Das sei bestimmt in drei vorangegangenen Fällen geschehen. Ein wichtiger Grund habe dem Kläger für sein vertragswidriges Verhalten nicht zur Seite gestanden. Er habe seine Arbeitslosigkeit schließlich auch grobfahrlässig herbeigeführt, über ein Anschlußarbeitsverhältnis habe er nicht verfügt. Die fristlose Kündigung sei, wenn die Mitnahme des Altbrots bemerkt würde, objektiv vorauszusehen gewesen, und zwar aufgrund der ausgehängten Hausmitteilung sowie deren tatsächlichen Vollzugs und darüber hinaus, weil ein derartiges straftatbestandsmäßiges, gegen den Arbeitgeber gerichtetes Tun arbeitsrechtlich regelmäßig zur Kündigung aus wichtigem Grunde berechtige. Dies sei für den Kläger subjektiv auch vorhersehbar gewesen. Soweit er sich darauf berufe, als Engländer könne er in der Geschäftssprache abgefaßte Schreiben nicht ganz verstehen, entschuldige dies seine etwaige Unkenntnis vom Inhalt der Hausmitteilung nicht. Vielmehr sei er arbeitsvertragsrechtlich verpflichtet, solche durch Aushang für alle Belegschaftsmitglieder bestimmten Texte zur Kenntnis zu nehmen und dabei, soweit erforderlich, die Hilfe von Kollegen oder Vorgesetzten in Anspruch zu nehmen. Sowohl nach seinem Vortrag im gerichtlichen Verfahren als auch nach seinem Verhalten bei einem früheren Altbroteinkauf in der ersten Jahreshälfte 1983 sei ihm aber klar gewesen, daß er bei der Altbrotmitnahme vom 7. Oktober 1983 unkorrekt gehandelt habe. Wenn er mit Rücksicht auf seine über zehnjährige Betriebszugehörigkeit und die unkorrekte Altbrotmitnahme durch viele andere Mitarbeiter der Firma darauf vertraut habe, die Betriebsleitung werde ihm die behauptete Zahlungsabsicht schon glauben und den Vorfall nicht mit einer Kündigung ahnden, so habe er damit einfachste und ganz naheliegende Überlegungen, die zu einer gegenteiligen Erkenntnis geführt hätten, unterlassen. Das hätte er sich nach dem persönlichen Eindruck, den er in der mündlichen Verhandlung hinterlassen habe, auch ohne weiteres selbst sagen können.

Die Sperrzeit umfasse gemäß § 119 Abs. 2 AFG jedoch nur vier Wochen; denn die gesetzliche Regelsperrfrist von acht Wochen bedeute nach den für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte für den Kläger. Diese bestehe darin, daß der geringe Wert des entwendeten Altbrotes von 15,– DM und die Umstände der Wegnahme Zweifel daran weckten, ob die fristlose Kündigung bei einer arbeitsgerichtlichen Prüfung auch als rechtmäßig bestätigt worden wäre. Wegen dieser Zweifel hätte sich ein anderer Arbeitgeber voraussichtlich mit einer Abmahnung begnügt.

Einer fristlosen Kündigung könne entgegenstehen, daß die Straftat nur zu einem geringfügigen Schaden geführt habe und nur gelegentlich der betrieblichen Beschäftigung statt in Verletzung einer arbeitsvertraglichen Hauptpflicht verübt worden sei. Auch hätten zu seinen Gunsten sein Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit von über zehn Jahren stärker in die Abwägung eingehen können. Dies hätte erfahrungsgemäß manchen anderen Arbeitgeber von der Kündigung abgehalten. Die vorgenannten Gesichtspunkte fielen nach § 119 Abs. 2 AFG ins Gewicht. Sie seien für den Sperrzeiteintritt maßgeblich, weil sie das vertragswidrige Verhalten kennzeichneten und über die Gefahr der dadurch veranlaßten Kündigung zugleich das Ausmaß des vom Kläger gesetzten Arbeitslosigkeitsrisikos. Eine besondere Härte begründeten diese Gesichtspunkte hier deshalb, weil die Regelsperrzeit von acht Wochen demgegenüber unverhältnismäßig erscheine.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 119 Abs. 2 AFG. Sie macht geltend, bei der Beurteilung der Frage, ob die Regelsperrzeit von acht Wochen für den Kläger eine besondere Härte bedeuten würde, könnten nur Tatsachen berücksichtigt werden, die für den Eintritt der Sperrzeit selbst maßgebend gewesen seien. Vom Wortsinn des Begriffes „maßgebend” her sei offenbar an Tatsachen gedacht, die in der Art. und Weise Einfluß auf das Sperrzeitgeschehen hatten, daß sie zu seiner Verwirklichung beigetragen hätten bzw dafür ursächlich gewesen seien. Im vorliegenden Falle müsse also ein konkreter Bezug zum vertragswidrigen Verhalten des Klägers bestanden haben. Demnach dürften in die Härteprüfung keine Tatsachen einbezogen werden, die keine Verbindung zu denjenigen hätten, die eine Rolle bei der Verwirklichung des Sperrzeittatbestandes spielten.

Der vom LSG in seiner Würdigung verwertete geringe Wert des entwendeten Altbrotes stelle keine maßgebende Tatsache in diesem Sinne dar. Der Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten habe nicht in der Menge des fortgenommenen Brotes und damit seinem Wert, sondern in der Wegnahme eines im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Gegenstandes trotz des allgemein bekanntgegebenen Verbotes gelegen. Der Wert des Altbrotes sei deshalb nicht für den Eintritt der Sperrzeit maßgebend gewesen. Ebenso verhalte es sich mit den vom LSG geäußerten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung aus arbeitsrechtlicher Sicht und der Annahme, ein anderer Arbeitgeber hätte sich in einer vergleichbaren Situation mit einer Abmahnung begnügt. Auch diese Hypothesen dürften nicht in die Prüfung der besonderen Härte einbezogen werden, weil hier ein unzulässiger Vergleich zu anderen Betrieben hergestellt werde. Wenn überhaupt, dann dürften nur Verhaltensweisen des Arbeitgebers in demselben Betrieb verglichen werden. Im übrigen könne auch die vom LSG aufgestellte Hypothese, unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten hätte die fristlose Kündigung kaum Bestand haben können, nicht überzeugen. Das LSG sei ohne Erörterung davon ausgegangen, der Kläger habe das Brot im Laufe seiner betrieblichen Beschäftigung und nicht in Verletzung einer arbeitsvertraglichen Hauptpflicht entnommen, weshalb für eine fristlose Kündigung kein Raum gewesen sei. Es habe aber vorher nicht, was angebracht gewesen wäre, als Grundlage für diese Würdigung festgestellt, woher der Kläger das Brot genommen habe. Für den Fall, daß er das Brot aus seinem Verkaufswagen entnommen haben sollte, hätte ein Verstoß gegen eine arbeitsvertragliche Hauptpflicht vorgelegen, die zur fristlosen Kündigung berechtigt hätte. Auf eine fristlose Kündigung komme es jedoch nicht an. § 119 AFG setze nämlich nur voraus, daß der Arbeitgeber wegen des vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers, das unstreitig vorliege, eine Kündigung ausspreche. Nicht erforderlich sei, daß das vertragswidrige Verhalten auch zur außerordentlichen Kündigung berechtigt hätte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. April 1986 insoweit aufzuheben, als es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 30. April 1985 stattgegeben hat, und die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, das angefochtene Urteil sei im Ergebnis zu billigen. Allerdings sei davon auszugehen, daß die fristlose Kündigung ganz offensichtlich und für jedermann erkennbar rechtsunwirksam gewesen sei, weil der Arbeitgeber entgegen den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht gehört habe. Wenn sich der Kläger bis zum heutigen Tage nicht gegen die fristlose Kündigung gewehrt habe, obwohl er dies jederzeit tun könnte, dann dürfe ihm diese Tatsache beim Bezug von Alg nicht zum Nachteil gereichen.

Die fristlose Kündigung sei darüber hinaus auch sachlich unbegründet, weil ihr der nach § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderliche wichtige Grund nicht zur Seite stehe. Dem Kläger sei wegen eines Verdachts gekündigt worden. Ihm sei vorgeworfen, einen Diebstahl versucht zu haben. Eine solche Verdachtskündigung sei nur dann begründet, wenn der Verdacht das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstöre oder in anderer Hinsicht eine unerträgliche Belastung des Arbeitsverhältnisses darstelle. Dabei spiele auch das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers und insbesondere die Frage der Wiederholungsgefahr eine Rolle. Der Kläger sei seit über zehn Jahren bei seinem damaligen Arbeitgeber beschäftigt gewesen und habe zuvor noch niemals unter einem ähnlichen oder entsprechenden Verdacht gestanden. Es seien keinerlei Gründe dafür ersichtlich, daß eine entsprechende Abmahnung nicht ausgereicht hätte, um Wiederholungsgefahr auszuschließen.

Das LSG gehe in seinem Urteil zunächst selbst davon aus, der Kläger habe sich durch sein Verhalten dem Diebstahlsverdacht ausgesetzt. Späterhin werte es jedoch sein Verhalten als einen den Diebstahl erfüllenden Tatbestand. Damit habe es die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung überschritten.

Hier könne jedoch weder von einem Diebstahl noch von einem Diebstahlsverdacht ausgegangen werden. Daher bleibe der Verstoß gegen eine betriebliche Ordnungsvorschrift. Ein solcher Verstoß rechtfertige unter keinen Umständen eine Kündigung durch den Arbeitgeber. Darüber hinaus habe der Kläger einen wichtigen Grund gehabt, auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu verzichten; denn wenn und solange es ihm nicht möglich sei, den Verdacht des versuchten Diebstahls zu widerlegen, könne ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden. Zu Unrecht rüge die Revision, daß das Berufungsgericht bei der Härteprüfung solche Tatsachen mit einbezogen habe, die angeblich keine Rolle bei der Verwirklichung des Sperrzeittatbestandes gespielt hätten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Gegenstand der Klage (§ 95 SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 9. November 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1984. Wenn die Beklagte darin dem Kläger mitteilt, daß in seinem Fall eine Sperrzeit vom 25. Oktober bis 19. Dezember 1983 eingetreten sei, während dieser Zeit der Anspruch auf Alg ruhe und sich deshalb um 48 Tage mindere, lehnt sie inhaltlich für diesen Zeitraum den Antrag des Klägers auf Alg ab (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 21). Hiergegen wendet sich der Kläger zulässigerweise ausschließlich mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Als Folge der begehrten Aufhebung der oa Bescheide stünde dem Kläger nämlich die im übrigen für 312 Tage bewilligte Alg-Leistung ohne Einschränkung durch eine Sperrzeitfolge ab 25. Oktober 1983 zu (Verfügung der Beklagten vom 7. November 1983).

Im Revisionsverfahren ist allerdings nur noch streitig, ob dem Kläger Alg nach Ablauf von vier Wochen seit dem 25. Oktober 1983 zusteht. Das LSG hat nur in diesem Umfang auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide abgeändert. Im übrigen, dh für die ersten vier Wochen seit dem 25. Oktober 1983, hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Tenor des LSG-Urteils enthält hierzu zwar keine ausdrückliche Aussage. Dieses Ergebnis ist jedoch nach dem übrigen Inhalt des Tenors, der Kostenentscheidung und nach den Entscheidungsgründen eindeutig (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 136 SGG). Soweit das LSG der Berufung des Klägers nicht stattgegeben hat, ist seine Entscheidung rechtskräftig geworden; denn der insoweit beschwerte Kläger hat hiergegen Revision nicht eingelegt. Die Revision der Beklagten betrifft folglich lediglich die Frage, ob sie den Antrag des Klägers auf Alg für weitere vier Wochen ablehnen durfte mit der Begründung, es sei eine Sperrzeit von acht Wochen eingetreten.

Die Frage, ob die angefochtenen Bescheide in diesem noch streitigen Umfang rechtmäßig sind, richtet sich nach § 119 AFG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz –AFKG–) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497). Nach § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG tritt eine Sperrzeit von acht Wochen ua ein, wenn der Arbeitslose durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben und dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Ob im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen vorliegen, wie das LSG angenommen hat, kann dahinstehen. Ebenso kann offenbleiben, ob durch die Rechtskraft der auf § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG gestützten Entscheidung des LSG hinsichtlich der Berechtigung der Beklagten zur Ablehnung des Alg-Antrags für die ersten vier Wochen seit dem 25. Oktober 1983 der Eintritt einer Sperrzeit als solcher zwischen den Beteiligten bindend feststeht. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des LSG ergibt sich nämlich in jedem Fall aus § 119 Abs. 2 AFG.

Nach dieser Vorschrift umfaßt die Sperrzeit vier Wochen, wenn eine Sperrzeit von acht Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgeblichen Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Die hierfür erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen können von den Gerichten in vollem Umfang nachgeprüft werden. Der Beklagten ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (BSGE 44, 71, 81 = SozR 4100 § 119 Nr. 3; BSGE 48, 109, 114 = SozR 4100 § 119 Nr. 8).

Das LSG ist von einer zutreffenden Beurteilung des hier maßgeblichen Begriffs der besonderen Härte ausgegangen. Eine besondere Härte iS von § 119 Abs. 2 AFG liegt ua dann vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalles der Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist. Maßgebliche Tatsachen in diesem Sinne sind solche, die mit dem Eintritt der Sperrzeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen; das meint auch die Beklagte. Sie wendet diesen Rechtssatz jedoch zu eng an.

Nach Auffassung des LSG ist es für die Frage, ob das vertragswidrige Verhalten des Klägers Anlaß für die Kündigung war, hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen vertragswidrigem Verhalten und Ausspruch der Kündigung ausreichend, wenn das vertragswidrige Verhalten nach der Lebenserfahrung überhaupt geeignet ist, eine Kündigung auszulösen. Dem vermag der Senat so nicht zu folgen. Das LSG übersieht, daß ein vertragswidriges Verhalten wie im vorliegenden Fall nur unter den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB zu einer außerordentlichen Kündigung – wie sie hier ausgesprochen worden ist – führen kann. Nur wenn der Arbeitgeber zu Recht diese Kündigung ausgesprochen hat, kann sie auch kausal für den Eintritt der Sperrzeit sein. Infolgedessen sind hierbei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für die Frage maßgeblich sind, ob eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt war. Das heißt, es muß geprüft werden, ob Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Wie diese Bewertung ausfällt, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Erheblich ist allein, daß diese Erwägungen objektiv Einfluß auf den Eintritt der Sperrzeit haben. Daraus folgt aber, daß sie zu den für den Eintritt der Sperrzeit maßgeblichen Tatsachen iS von § 119 Abs. 2 AFG gehören.

Zu Recht hat deshalb das LSG die Frage der arbeitsrechtlichen Rechtmäßigkeit der Kündigung insoweit in seine Erwägungen mit einbezogen. Hiernach ist nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt davon auszugehen, daß dem Kläger nicht nachgewiesen worden ist, daß er einen Diebstahl begangen hat. Er ist lediglich in den Verdacht geraten, eine solche Tat begangen zu haben, weil er sich nicht an die von seinem früheren Arbeitgeber erlassenen Direktiven gehalten hat, worin allerdings ein vertragswidriges Verhalten zu sehen ist. Hierbei handelt es sich, wie der Kläger zutreffend hervorgehoben hat, für sich gesehen um eine bloße Ordnungswidrigkeit, die allein schwerlich als Kündigungsgrund angesehen werden kann. Seine Relevanz erhält dieses Verhalten erst dadurch, daß es dazu geführt hat, den Kläger zu verdächtigen, einen Diebstahl zum Nachteil seines Arbeitgebers begangen zu haben und daß dieser Verdacht nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG weder durch die persönliche Anhörung des Klägers noch durch die in den Tatsacheninstanzen erfolgte Beweisaufnahme widerlegt worden ist. Das LSG ist denn auch davon ausgegangen, daß der Kläger den objektiven Tatbestand des Diebstahls – Wegnahme einer fremden beweglichen Sache – erfüllt hat. Daß er auch den subjektiven Tatbestand des Diebstahls gemäß § 242 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt hat, nämlich die Absicht der rechtswidrigen Zueignung, hat sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht erweisen lassen. Das LSG hat daher zu Recht bewertet, ob das vertragswidrige Verhalten des Klägers als Grundlage einer von dem Arbeitgeber ausgesprochenen fristlosen Kündigung in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren Bestand gehabt hätte. Hierbei durfte es auch den geringen Wert des vom Kläger mitgenommenen Altbrots berücksichtigen. Die rechtswidrige und schuldhafte Entwendung einer im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Sache von geringem Wert durch den Arbeitnehmer ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. AP Nr. 14 zu § 626 BGB – Verdacht strafbarer Handlung) an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben, was allerdings von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt. Da die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung bei der Frage, ob eine Sperrzeit eingetreten ist, entscheidende Bedeutung besitzt, müssen auch die Umstände des Einzelfalls, die diese Kündigung rechtfertigen sollen, bei der Prüfung bewertet werden, ob eine besondere Härte iS von § 119 Abs. 2 AFG vorliegt. Das LSG hat deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten zu Recht bei seiner Wertung berücksichtigt, daß ein anderer verständiger Arbeitgeber im Fall des Klägers im Hinblick auf dessen über zehn Jahre dauernde Betriebszugehörigkeit und dessen Alter, das im Zeitpunkt der Kündigung 57 Jahre betrug, sowie unter Berücksichtigung des Umstands, daß hier Eigentum des Arbeitgebers von geringfügigem Wert gefährdet war, es bei einer Abmahnung belassen hätte, zumal da sich der Kläger bisher gut geführt hatte. Hierbei durfte ferner mit in die Erwägung einbezogen werden, daß der Kläger nicht eine arbeitsvertragliche Hauptpflicht verletzt hat, sondern die Pflichtwidrigkeit nur gelegentlich seiner betrieblichen Beschäftigung begangen hat. Zu Unrecht meint die Beklagte in diesem Zusammenhang, das LSG habe nicht festgestellt, woher der Kläger das Altbrot genommen habe. Das LSG hat vielmehr auf Seite 6 seines Urteils ausdrücklich ausgeführt, daß er das Altbrot aus den Altbrot-Containern in der Expedition mitgenommen habe. Diese Feststellung hat die Beklagte nicht angegriffen.

Daß die vorstehende Bewertung zum Teil auf Hypothesen beruht, liegt in der Natur der Sache. Sie sind entgegen der Auffassung der Beklagten unvermeidlich, weil nur sie hier die Antwort auf die Frage eröffnen, ob die Kündigung letztlich gerechtfertigt war. Soweit dabei das Verhalten eines Arbeitgebers beurteilt wird, läßt sich ein Vergleich mit dem Verhalten eines anderen Arbeitgebers nicht umgehen. Das Verhalten des bisherigen Arbeitgebers in seinem Betrieb mag zwar ebenfalls Anhaltspunkte dafür geben. Eine Beschränkung der Betrachtung hierauf ist aber nicht geboten.

Nach allem hat das LSG den Begriff der besonderen Härte iS von § 119 Abs. 2 AFG nicht verkannt. Seine tatsächlichen Feststellungen, die die Beklagte nicht angegriffen hat, lassen die vom LSG vorgenommene Wertung zu. Die angefochtenen Bescheide sind hiernach in dem Umfang rechtswidrig, als sie vom Eintritt einer mehr als vierwöchigen Sperrzeit ausgehen und auch insoweit die Gewährung von Alg ablehnen. Die Entscheidung des LSG trägt dem Rechnung.

Die Revision der Beklagten muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921553

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